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Bilder bestimmen unsere Weltsicht. Von den Benutzeroberflächen unserer digitalen Programmwelten bis zur grafischen Veranschaulichung politischer Entscheidungen am Wahlabend - niemals zuvor hatte das Bild bei der Vermittlung von Wissen einen solchen Stellenwert. In den aktuellen Diskussionen wird deshalb der Ruf nach Aufklärung, nach kritischer Analyse dieser Bilderflut immer größer. Die Kunsthistorik betreibt wie kein anderer Wissenschaftszweig die Analyse von Inhalt und Formen der Bilder. Erstmalshat einer ihrer renommiertesten Vertreter, der in Oxford lehrende Kunsthistoriker Martin Kemp,…mehr

Produktbeschreibung
Bilder bestimmen unsere Weltsicht. Von den Benutzeroberflächen unserer digitalen Programmwelten bis zur grafischen Veranschaulichung politischer Entscheidungen am Wahlabend - niemals zuvor hatte das Bild bei der Vermittlung von Wissen einen solchen Stellenwert. In den aktuellen Diskussionen wird deshalb der Ruf nach Aufklärung, nach kritischer Analyse dieser Bilderflut immer größer. Die Kunsthistorik betreibt wie kein anderer Wissenschaftszweig die Analyse von Inhalt und Formen der Bilder. Erstmalshat einer ihrer renommiertesten Vertreter, der in Oxford lehrende Kunsthistoriker Martin Kemp, die Initiative ergriffen und sich in die Welt der Naturwissenschaften eingemischt. Von Leonardos Zeichnungen bis zu physikalischen Modellen des Atomzeitalters: Kemp beobachtet in einer seit 1998 in der Zeitschrift "Nature" erscheinenden Essayfolge, wie die Naturwissenschaft von der Verbildlichung ihrer Forschung abhängig ist und dass das mit neutralen Formen überzeugend wirkende Modell ebenso w
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.06.2003

Haben Sie Bilderwissen? Dann wird Ihnen klar sein, was Herpesviren mit der Mona Lisa verbindet
Am Anfang war die Anschaulichkeit: Martin Kemps gesammelte "Nature"-Artikel belegen mit einer bestechenden Auswahl von Beispielen, warum gute Kunst schlechte Wissenschaft bleibt - und umgekehrt

Mitte der neunziger Jahre wandte sich Philip Campbell, Herausgeber der Zeitschrift "Nature", mit einem ungewöhnlichen Vorschlag an den Oxforder Kunsthistoriker Martin Kemp. Ob er in der Zeitschrift zum Thema Kunst und Wissenschaft schreiben wolle, fragte Campbell - und Kemp willigte ein. Bis dahin hatte sich der Kunsthistoriker bereits mit seinen Arbeiten über die wissenschaftliche Praxis der Renaissancekunst einen Namen gemacht. Im Oktober 1997 startete dann die Artikelserie in "Nature", die anfangs im Wochentakt erschien und bis heute mindestens einmal im Monat. Wo einst Watson und Crick ihre Entdeckung der Doppelhelix veröffentlicht hatten, schrieb nun also ein Kunsthistoriker darüber, was Herpesviren, die Mona Lisa, Röntgenbilder oder Salvador Dalí miteinander verbindet. Angesichts der Tatsache, daß die naturwissenschaftliche Elite in aller Welt begierig ist, in "Nature" ihre Forschungsergebnisse zu publizieren, war das eine kleine publizistische Sensation.

Unter dem Titel "Bilderwissen" sind die Artikel jetzt gesammelt und übersetzt als Buch erschienen - die Sensation ist allerdings über die Jahre hinweg deutlich kleiner geworden. Durch zu viele Tagungen, Ausstellungen und Sammelbände ist das Thema Kunst und Wissenschaft inzwischen getingelt, und zu häufig taugte es zu wenig mehr als zum Staubfänger für Vorstellungen, die man davor bereits für eingemottet hielt. Mit einem Schlag kehrte beispielsweise die Heldenverehrung wieder: Aus Künstlern und Wissenschaftlern wurden lauter kleine Leonardo da Vincis, "Künstlerforscher" eben oder "Forscherkünstler". Der schauderhafte Begriffsbrei, der dabei vor dem staunenden Publikum ausgegossen wurde, kam vielleicht manchem Künstler oder Wissenschaftler wie Honig vor, den er sich gerne um den Bart schmieren ließ - ansonsten war eigentlich keinem wirklich geholfen.

Das Unwesen, das mit dem Thema getrieben worden ist, kann man allerdings nicht Kemp anlasten. Der Popularität des Stoffes verdankt sich wohl die verlegerische Entscheidung, seine Artikelsammlung im Format eines Coffee-Table-Books auf den Markt zu bringen, der gängige Kitsch liegt Kemp allerdings fern.

In den knapp achtzig gesammelten Aufsätzen stellt Kemp vor allem die Wissenschaft vom Kopf auf die Füße. Skizzen, gebastelte Modelle oder Illustrationen, die sonst als das niedere Fußvolk der Wissenschaft gelten, gerade gut genug, um höhere Einsichten an Laien zu übermitteln, macht er zum Zentrum seiner Analyse. Denn nach Kemp steht die Anschaulichkeit naturwissenschaftlicher Phänomene nicht am Ende einer wissenschaftlichen Theorie, sondern an ihrem Anfang, dort nämlich, wo eine erste Modellbildung erfolgt. Um Strukturen und Formen in der Natur zu entdecken, haben sich Wissenschaftler in allen Jahrhunderten immer wieder der Methode bedient, ihren Untersuchungsgegenstand in Bildern zu repräsentieren und so auf seine Regelhaftigkeit hin zu befragen. Dabei spielen häufig visuelle Analogien eine zentrale Rolle. Denn, so Kemp, es ist die Kardinaltugend des Sehens und der Bilder, etwas in etwas anderem zu sehen. Erst indem Forscher etwa Fünf- und Sechsecke in der verschwommenen Aufnahme eines Elektronenmikroskops sahen, war der erste Schritt zur Entdeckung der molekularen Struktur des Herpesvirus getan.

Daß Stil dabei kein Ausnahmezustand der Kunst ist, sondern ebenso eine Kategorie des wissenschaftliches Denkens, zeigt sich dort, wo Kemp beides zusammenführt. Molekularmodelle ähneln beispielsweise oft verblüffend dem, was zur gleichen Zeit an abstrakter Skulptur auf der Kunstbiennale in Venedig ausgestellt wurde. Stilgeschichte gilt demnach nicht nur für künstlerische Artefakte, sondern auch für wissenschaftliche. Allerdings hat die Wissenschaft wohl noch vor der Kunst entdeckt, daß Ornament ein Verbrechen ist. Bereits Mitte des neunzehnten Jahrhunderts veröffentlichte der englische Anatom Gray einen medizinischen Atlas in betont eintöniger technizistischer Bildsprache. Ein frühes Beispiel des dezidierten Nicht-Stils der Wissenschaft, der allerdings selbst ein Stilphänomen ist, das es wert wäre, näher untersucht zu werden.

Es sind Beobachtungen solcher Art, die sich der Leser weiter ausgeführt wünschte, die leider aber häufig wegen der Kürze der Artikel bereits nach ihrer Feststellung enden. "Bilderwissen" besticht daher vor allem durch die Fülle der Beispiele, die die oft unbefriedigende Kürze der Einzelbeiträge aufwiegen. Die Kluft, die Wissenschaft und Kunst voneinander trennt, macht Kemp dabei auch zum Thema. "Was sucht der Mist in ,Nature'?" soll ein Biologiestudent angesichts der Arbeiten der englischen Künstlerin Cornelia Parker ausgerufen haben. Parker hatte mit Hilfe der Redaktion eine kleine fotografische Arbeit zwischen die wissenschaftlichen Abbildungen des Heftes gemogelt. Oberflächlich gab sie sich wie eine wissenschaftliche mikroskopische Aufnahme, der Titel - "Nabelflusen eines Matrosen" - sorgte allerdings für Verwirrung. Die sperrige Merkwürdigkeit dieser Arbeit, die im Kontext der Kunst ein Qualitätsmerkmal ist, war aus wissenschaftlicher Sicht nicht akzeptabel. Das ist nicht verwunderlich. Während Kunst auf die Multiplikation möglicher Verstehensweisen abzielt, bemüht sich Wissenschaft gerade um deren Reduktion. Kunstwerke mögen also offen und mehrdeutig sein, ein wissenschaftlicher Beitrag in "Nature" ist es nicht. Darum wird gute Kunst auch weiter schlechte Wissenschaft bleiben - und umgekehrt.

JULIA VOSS

Martin Kemp: "Bilderwissen". Die Anschaulichkeit naturwissenschaftlicher Phänomene. DuMont Verlag, Köln 2003. 296 S., 113 Farb- u. 72 S/W-Abb., geb., 39,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensentin Julia Voss zeigt sich im großen und ganzen zufrieden mit Martin Kemps Band "Bilderwissen", einer Sammlung von Artikeln, die der Oxforder Kunsthistoriker zum Thema Kunst und Wissenschaft seit 1997 in der Zeitschrift "Nature" veröffentlicht hat. Ein wenig missfällt ihr, dass die Artikelsammlung im Format eines Coffee-Table-Books erscheint - eine verlegerische Entscheidung, wie sie vermutet, denn der "gängige Kitsch" liege Kemp fern. Wie Voss ausführt, stellt Kemp in den knapp achtzig Aufsätzen die Wissenschaft vom Kopf auf die Füße, indem er Skizzen, gebastelte Modelle oder Illustrationen zum Zentrum seiner Analyse macht und somit die Anschaulichkeit naturwissenschaftlicher Phänomene in den Vordergrund rückt. Verblüffend findet Voss etwa, wie sehr Molekularmodelle dem ähneln, was an abstrakter Skulptur auf der Kunstbiennale in Venedig ausgestellt wurde. Dadurch dass Kemp beides zusammenführe, zeige er, dass "Stil dabei kein Ausnahmezustand der Kunst ist, sondern ebenso eine Kategorie des wissenschaftliches Denkens". Zu Beobachtungen solcher Art hätte sich Voss bisweilen nähere Ausführungen gewünscht. Die "oft unbefriedigende Kürze der Einzelbeiträge" werden nach Ansicht von Voss allerdings durch die Fülle der Beispiele wieder aufgewogen.

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