Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.04.2004Hinweis
MUSIK MIT EDWARD SAID. Anders als man vermuten könnte, werden nur die israelisch-palästinensische Versöhnung und Wagners Antisemitismus kurz erwähnt. Auch hält Edward Said sich als Resonanzkörper und Stichwortgeber im Hintergrund. Unerwartet klar dagegen stellt Daniel Barenboim sich in die deutsche Tradition des Musizierens, deren Leuchttürme für ihn Wagners Schrift über das Dirigieren und die Aufnahmen Furtwänglers sind. Einerseits sei Musik nicht schon die Partitur, sondern erst der wirkliche Klang, der mit diesen Musikern in diesem Raum vor diesem Publikum erzeugt werden müsse. Andererseits gelte es den Passagen ihr je eigenes Tempo und Gewicht zu geben und zwischen ihnen in unmerklichen Übergängen zu vermitteln. Barenboim beklagt richtig, daß die Werktreuebewegung mit ihrer Fixierung auf Metronomangaben zur Vernachlässigung der klanglichen Dimension geführt hat. Ebenso richtig stellt er dar, daß die Werktreuebewegung von der Neuen Sachlichkeit herkommt, die hinter Wagners gegen den Traditionalisten Mendelssohn eingeführte Neuerungen zurückgreift. Das Dilemma, daß Wagner - und mit ihm Furtwängler und er selber - Beethoven und Mozart deutlich anders interpretiert, als diese sich interpretiert wissen wollten, irritiert Barenboim seltsam wenig. (Daniel Barenboim und Edward W. Said: "Parallelen und Paradoxien". Über Musik und Gesellschaft. Aus dem Englischen von Burkhardt Wolf. Berlin Verlag, Berlin 2004. 253 S., geb. 19,90 [Euro].)
GUSTAV FALKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
MUSIK MIT EDWARD SAID. Anders als man vermuten könnte, werden nur die israelisch-palästinensische Versöhnung und Wagners Antisemitismus kurz erwähnt. Auch hält Edward Said sich als Resonanzkörper und Stichwortgeber im Hintergrund. Unerwartet klar dagegen stellt Daniel Barenboim sich in die deutsche Tradition des Musizierens, deren Leuchttürme für ihn Wagners Schrift über das Dirigieren und die Aufnahmen Furtwänglers sind. Einerseits sei Musik nicht schon die Partitur, sondern erst der wirkliche Klang, der mit diesen Musikern in diesem Raum vor diesem Publikum erzeugt werden müsse. Andererseits gelte es den Passagen ihr je eigenes Tempo und Gewicht zu geben und zwischen ihnen in unmerklichen Übergängen zu vermitteln. Barenboim beklagt richtig, daß die Werktreuebewegung mit ihrer Fixierung auf Metronomangaben zur Vernachlässigung der klanglichen Dimension geführt hat. Ebenso richtig stellt er dar, daß die Werktreuebewegung von der Neuen Sachlichkeit herkommt, die hinter Wagners gegen den Traditionalisten Mendelssohn eingeführte Neuerungen zurückgreift. Das Dilemma, daß Wagner - und mit ihm Furtwängler und er selber - Beethoven und Mozart deutlich anders interpretiert, als diese sich interpretiert wissen wollten, irritiert Barenboim seltsam wenig. (Daniel Barenboim und Edward W. Said: "Parallelen und Paradoxien". Über Musik und Gesellschaft. Aus dem Englischen von Burkhardt Wolf. Berlin Verlag, Berlin 2004. 253 S., geb. 19,90 [Euro].)
GUSTAV FALKE
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Wolfram Goertz ist von diesem Band, der sechs Gespräche aus sechs Jahren zwischen dem Dirigenten Daniel Barenboim und dem 2003 verstorbenen Kulturwissenschaftler Edward W. Said enthält, äußerst angetan. "Selten", so der begeisterte Rezensent, sei über "Musik und Gesellschaft" so genau und gleichzeitig so "fantasievoll" geredet worden. "Frappierend" findet der Rezensent auch, wie stark die Politik in die Gespräche über Musik Eingang findet, so zum Beispiel, wenn Barenboim ein verpatztes musikalisches Tempo mit dem "Osloer Abkommen" vergleicht. Goertz kann zwar nicht jedem Standpunkt der Gesprächspartner gleichermaßen zustimmen, insbesondere die beiderseitige Ablehnung von Musikausübung auf historischen Instrumenten kann er nicht beipflichten. Trotzdem nehmen ihn das Nebeneinander von "abstrakter Diskussion und konkretem Fallbeispiel" sowie die "Dialektik der Argumentation", die die beiden Gesprächspartner an den Tag legen, sehr für dieses Buch ein.
© Perlentaucher Medien GmbH
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