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"Am Abend, als Alakar Macodys seltsame Berühmtheit ausbrach, hatte er Teig für Pilzwaffeln angerührt." So beginnt die Liebesgeschichte zwischen dem einbeinigen Pilzspezialisten Macody und der dichtenden Fernsehmoderatorin Verna Albrecht. Vor allem aber beginnt eine magische und ironische Reise in die Gedächtnispaläste der beiden Liebenden. Als Telefonkandidat gewinnt der Einsiedler Alakar eine Million Mark und wird als Kuriosum in die Show von Verna Albrecht eingeladen. Auf seiner Reise in die Großstadt lässt er seine Kindheit Revue passieren. In den siebziger Jahren wird das Wunderkind in die…mehr

Produktbeschreibung
"Am Abend, als Alakar Macodys seltsame Berühmtheit ausbrach, hatte er Teig für Pilzwaffeln angerührt." So beginnt die Liebesgeschichte zwischen dem einbeinigen Pilzspezialisten Macody und der dichtenden Fernsehmoderatorin Verna Albrecht. Vor allem aber beginnt eine magische und ironische Reise in die Gedächtnispaläste der beiden Liebenden. Als Telefonkandidat gewinnt der Einsiedler Alakar eine Million Mark und wird als Kuriosum in die Show von Verna Albrecht eingeladen. Auf seiner Reise in die Großstadt lässt er seine Kindheit Revue passieren. In den siebziger Jahren wird das Wunderkind in die Einsamkeit getrieben: Seine Mutter, eine Psychoanalytikerin, analysiert ihn mit dem ersten Augenaufschlag; sein Vater, ein Physiker, erklärt ihm mit fünf die Heisenbergsche Unschärferelation. Auch Vernas Lebensweg ist durch Sinnsucher und Sinnverdreher in eine Sackgasse geraten, der sie durch immerwährendes Lächeln im Fernsehstudio auszuweichen versucht. Doch sind die Vorgeschichte n auch noch so bitterböse und verletzend - die Wirklichkeit, in ihrer höheren Ironie und Poesie, hat sich diesmal vorgenommen, diese beiden Menschen zusammenzubringen. Nach ihrem viel beachteten Debüt "Kains Töchter" hat Susanne Riedel eine hinreißende Liebesgeschichte geschrieben, aber auch eine unendlich witzige Mediensatire, eine poetische und bildmächtige Meditation über Pilze, Lyrik und den Sinn des Lebens. Ihr Buch versucht Unüberwindbares miteinander ins Gespräch zu bringen, und es gelingt ihr mit eindrucksvoller Leichtigkeit und Leuchtkraft mit jedem Satz.
Autorenporträt
Susanne Riedel, geboren 1959 in Unna, arbeitete lange als freie Journalistin für verschiedene ARD-Rundfunkanstalten. Heute lebt sie in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.09.2001

Ein Knall, das war mein Leben
Alles gewusst und alles gesagt: Susanne Riedel schreibt einen Walle-Walle- Roman
Mit einem Roman, der „Die Endlichkeit des Lichts” im Titel führt, ist nicht zu spaßen. Überhaupt gibt Susanne Riedel sich nicht mit den einfacheren Seiten des Lebens und der Literatur ab. Sie ist eine Liebhaberin der großen Verhängnisse, der Psychokriege und -krämpfe, und daher schenkt sie sich selbst und ihrem Publikum auch stilistisch nichts. Als Primadonna des hochdramatischen Fachs rauschte sie im letzten Sommer über den Jahrmarkt der Debütanten mit ihrem ehrgeizig betitelten Roman „Kains Töchter”.
Orakeln ist Schwerarbeit
Die unfreundlichen Worte über das Buch, mit denen damals Marcel Reich-Ranicki im Quartett seine Kontrahentin Sigrid Löffler traktierte, präludierten den kurz darauf ausbrechenden Hauskrach. Die gleichzeitig tagenden Klagenfurter Juroren setzten dagegen ein Zeichen und lobten den Wettbewerbstext der Autorin schließlich bis zum Preis der Jury hoch. Ein solcher Zusammenprall der Mächte passt nicht übel zum Schicksalsgebrodel in Susanne Riedels Textwelt. Ob das jedoch eine Sternstunde der Urteilsbildung war, kann man sich nun erneut fragen. Der Roman, dem die prämierte Prosa entstammt, liegt inzwischen vor.
Darin läßt sich ausführlich verfolgen, wie das Licht an sein Ende kommt: der blasse Schein der Vernunft sowieso, aber auch die Neonlichter der diversen Heilswege moderner Daseinsbewältigung, von der Psychotherapie bis zur Selbstverwirklichung in medialen Räumen. Allerdings mag dabei auch der Leserblick manche Verfinsterung erleiden. Denn obwohl schon „Kains Töchter” weithin so undurchsichtig überladen war, dass seine Bewunderer zuweilen ins Orakeln gerieten, scheint Susanne Riedel jetzt erst so richtig zeigen zu wollen, was ihre entfesselten Erzählkräfte tatsächlich vermögen. Mit anderen Worten: Diese Autorin versucht sich nicht nur an den großen Verhängnissen wie Wahnsinn, Schuld, Mord und Familienquerelen von atridenhaften Ausmaßen. Sie zeigt auch eine verhängnisvolle Neigung zu einer Schwerartistik, bei der Ambition und Willkür sich in der Federführung abzuwechseln scheinen.
Pilzkenner in einsamer Klause
Entsprechend hybrid sind die Romanfiguren und das Handlungsfeld, auf dem sie sich tummeln. Alakar Macody lebt als Pilzkenner zurückgezogen in einsamer Klause. Verna Albrecht erfreut sich landesweiter Prominenz als Moderatorin der Quizsendung Brainonia, die im Fernsehen ausgestrahlt wird. Beiden gemeinsam ist jedoch ein geradezu symbiotisches Verhältnis zur Poesie. Ob sie reden oder denken, Gedichtzitate fließen bei jeder Gelegenheit mit ein. Seltsamerweise ist Alakar trotzdem ein Dauerglotzer und Verna sein liebster Star. Umgekehrt stößt die Bildschirmfrau bei einem Ratespiel auf den spröden Pilzfachmann und fühlt sich von ihm magisch angezogen. In einer Show treffen beide zusammen und verkrachen sich, weil er die Spielregeln nicht beachtet. Was folgt, ist ein Rollentausch: Verna fliegt raus und Alakar darf künftig – kaum zu glauben, aber tatsächlich! – Millionen von Zuschauern Gedichte vorlesen.
Doch das ist nur einer und nicht einmal der dickste Handlungsfaden. Falls darin eine Mediensatire angelegt sein sollte, finden sich dafür nur wenige, nicht gerade zündende Elemente. Scherz, Satire und Ironie sind Riedels Sache nicht. Auch das aktuelle Medienlehrstück über die Vermischung von Simulation und Wirklichkeit läuft nur eine kurze Strecke nebenher mit. Und wirklich schade ist es um ein drittes Sujet, das ebenfalls nur für Momente aufscheint: Wie ergeht es den gefallenen Engeln des Wortes und der Bildung, Verna und Alakar, in der Hölle des Entertainment?
Wer zuviel fühlt
Eilig nimmt sich die bilderreiche, mal affektiv aufgeladene, mal zerfranste, aber immer effektsüchtige Prosa anderer Themen an. Verna und Alakar sind Gegenpole, aufeinander fixiert in Anziehung und Abstoßung. Beiden ist eine traumatische Familiengeschichte und das Ringen um deren Bewältigung ständig präsent. Dazu bietet die Autorin wieder alles auf, was einer Psychotragödin Ehre machen kann. Eine plausible Figurenzeichnung gehört zwar nicht dazu. Aber bedeutungsschwangere Schemen auf jeden Fall. So wurde Alakar schon als Kind gleichsam in die wissenschaftliche Zange des zwanzigsten Jahrhunderts genommen – der Vater war Physiker, die Mutter Psychoanalytikerin. In Vernas Familie hingegen gab es die verschiedensten Hass- und Liebeseskapaden, eine tote und eine illegitime Schwester waren die Folgen.
Was jedoch nicht heißt, daß Susanne Riedel von all dem erzählen würde. Statt dessen verrührt sie alles gründlich, als wollte sie das kompliziert zerrissene Innenleben ihrer Helden mimetisch nachvollziehen. Doch so ist der Roman nicht angelegt. Trotzdem wird auch noch diese Wendung hingebogen, dank einer Prosa, die alles bis zur völligen Beliebigkeit durcheinanderwirbelt. Als Autorin des Romantextes erweist sich schließlich Verna, ein Trick, der, wie anderes auch, an literarische Moden der achtziger Jahre erinnert.
Mit ihrem Schreibprojekt erstrebt Verna zweierlei: die Verarbeitung ihrer immensen psychischen Spannungen und die wenigstens zeitweilige Erlösung durch Poesie. Damit wandelt sie in den Spuren der amerikanischen Lyrikerin Anne Sexton, während ihr männlicher Widerpart Alakar sich lieber an T. S. Eliot hält. Womit auch noch die Grundfragen weiblicher und männlicher Weltsicht ins Spiel gebracht wären. „Eine Frau, die schreibt, fühlt zuviel,/ Zauber und Zeichen!”, dichtete Anne Sexton. „Ein Mann der schreibt, weiß zuviel, / Worte und Fetische!”
Worte wie Pistolenschüsse
Susanne Riedel aber hat offenbar diese Geschlechterkluft in ihrer Prosa überwunden: Für sie gilt beides. Überhaupt ist es schwer, irgend etwas zu entdecken, was diese Erzählerin nicht weiß, formuliert und für sich in Anspruch nimmt. Der Lust an Auslegung und Dechiffrierung wird hier jede Menge Material geboten. Um die Lust am Lesen allerdings ist es weniger gut bestellt. Denn daß sich hier etwas in sinnfälliger Gestalt erzählerisch erschließen würde, darauf hofft man weithin vergebens.
Die wesentliche Technik dieses Erzählens ist die Anhäufung. Susanne Riedel hat in den Text reingepackt, was ihr einfiel, und das ist eine Menge: Bilder, Metaphern, Vergleiche am laufenden Band, Kampf, Verstrickung, Bildungs- und Literaturzitate, Reflexionen, Anspielungen, biographische Verweise, Selbstkommentare. Und: ganz, ganz viele von jenen Superlativen und Verabsolutierungen, die oftmals die Sprache trunkener Daseinsverzweiflung sind.
Da wird Alakar von einer Geliebte mit Worten wie Pistolenschüssen niedergestreckt. Einfach so, weil hier eben jeder ständig unter Dampf steht. „Auf weißen Pferden vergeht dein Weg und springt mein Haus”, denkt Verna, und weiter: „Ein Knall. Das war mein Leben.” Immerhin hält sich solch aufgeschäumter finaler Nonsense mit mancherlei Gescheitheiten die Waage. Trotzdem stimmt an dieser Prosa wenig und auf fast nichts ist Verlass.
Es dichtet der Zauberlehrling
Nur der poetische Ehrgeiz erlahmt auf keiner Seite. So vermischen sich ganz kunterbunt geglückte Bilder mit bemühten Poetisierungen und poetasternden Mißgriffen. Zauberlehrlingsprosa könnte man sagen. Walle, walle, walle schwappt das über die Seiten, ein Wortschwall überspült den nächsten und weicht den Text auf, bis man alles und nichts herauslesen kann.
Es gibt in diesem Roman sogar Anzeichen dafür, dass sich die Autorin über diesen hochtourigen Leerlauf im Klaren ist. Aber das rettet den Roman nicht. Denn alles und jedes gewollt und gesagt zu haben – das ist und bleibt nun mal ein trügerisches, höchst zweifelhaftes Kunstmittel.
EBERHARD
FALCKE
SUSANNE RIEDEL: Die Endlichkeit des Lichts. Roman. Berlin Verlag, Berlin 2001. 320 Seiten, 39,80 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.08.2001

Lyrikliebe einer Moderatorin
Susanne Riedel begibt sich mit ihrem zweiten Roman ins Studio

Die Welt braucht Massenmedien und Natur, erklärt die Fernsehquiz-Moderatorin ihrem einsiedlerischen Kandidaten zu Beginn. Im Verlauf von Susanne Riedels zweitem Roman erkunden die beiden, was im Leben und zwischen diesen beiden Polen sonst noch alles Platz finden kann - oder sollte: Gedichte und Therapien, Naturwissenschaften und Ex-Liebhaber, Bürden, die einem vom Elternhaus auferlegt worden sind, und die Mühen, unter denen man später als Erwachsener seinem Leben eine Form zu geben versucht, stets der Verzweiflung nahe, selten ohne Selbstmitleid - und über weite Strecken ziemlich allein.

Der Kandidat heißt Alakar Macody und ist ein Pilzkenner mit einer Affinität zu Thoreaus "Walden"-Einsamkeit. Manchmal dichtet er in seinem Haus am Fluß, wo Tag und Nacht der Fernseher läuft, und erklärt sich sein Leben als eine Art von "Lesegeschichte": Schon mit vier Jahren konnte er im "Pschyrembel" nachschlagen, und seither hat er kein Buch in die Finger bekommen, von dem nicht irgendein Satz an ihm hängengeblieben ist - als Schlüssel zu einem verschütteten oder stillgelegten Teil seines Innersten. Die Moderatorin dagegen, Verna Albrecht, Star der Quiz-Show "Brainonia", wäre nur zu gerne Lyrikerin, aber die poetische Sprache steht ihr leider nicht so gut zu Gebote wie die locker-frechen Sprüche im Studio. Außerdem fragt sie sich nicht ohne Grund, ob überhaupt jemand mit einem Menschen vom Schlag "einsamer Dichter" befreundet sein möchte, also mit jemandem, der die Tage hinter zugezogenen Vorhängen verbringt und dort ein dunkles Universum mit Gespenstern bevölkert.

Die beiden sind so verschieden, wie es zwei Menschen nur sein können, äußerlich wie innerlich: Er ist seit frühester Kindheit ein Krüppel mit nur einem Bein, während sie der Welt immer ihr strahlendes Lächeln präsentiert, wenn die Scheinwerfer angehen. Aber Gegensätze ziehen sich bekanntlich an, selbst dann, wenn zwei Menschen sich nur durch ein Mißverständnis kennenlernen und auch nur durch eine Reihe weiterer Mißverständnisse immer näher zueinanderfinden: Alakar hat sich Jahre zuvor einmal als Spezialist für "Lyrik" um die Teilnahme an "Brainonia" beworben, nachdem er schon eine Ewigkeit lang Vernas Bildschirm-Ego angehimmelt hatte. Völlig überraschend findet er sich live als Telefonkandidat auf Sendung und dann sogar als Gast im Studio - allerdings als Fachmann für Pilze, da man ihn unter einem falschen Stichwort gespeichert und als Ersatzkandidaten hopplahopp ausgewählt hat. Das ist für alle Beteiligten eine echte Herausforderung - Verna kriegt beinahe die Krise, Alakar ist verstimmt und wird berühmt. Die Quote rechtfertigt alles.

Derweil verstricken sich die beiden ganz nebenbei und hoffnungslos in Erinnerungen und Gefühle, die mit der gegebenen Situation nur wenig zu tun haben. Alakars Stimme erinnert Verna an einen langjährigen früheren Geliebten, mit dem sie innerlich noch nicht abgeschlossen hat. Alakar seinerseits hat zwar Vernas Fernseh-Gesicht bewundert, fühlt sich nun aber von der realen Person an eine frühere Freundin erinnert und sträubt sich gegen die Kräfte, die ihn zu Verna hinziehen.

Es gibt kein wahres Leben im falschen, hat ein bedeutender Denker sinngemäß konstatiert, und vielleicht hat er eine solche Situation gemeint. Susanne Riedel stellt diese vielzitierte These jedenfalls auf den Kopf und erzählt, wie sich an einem Ort, den niemand je mit authentischen menschlichen Regungen in Zusammenhang bringen würde - im Studio einer billigen Fernsehshow -, unter dem Müll von trostlosen Inszenierungen und unter dem Schutt, den die Protagonisten als ihr Leben mitschleppen, dennoch so etwas einstellt wie echtes Empfinden. Wie es wächst und wie es sich durchsetzt, entgegen aller Wahrscheinlichkeit und unter Menschen, die sich unter mancherlei Schmerzen schon ganz anders eingerichtet haben, sei in der schicken Betriebsamkeit der Fernsehwelt, sei es im tiefen Wald hinter einem Anrufbeantworter, dessen misanthropische Ansage sich wie ein Leitmotiv durch den Roman zieht: "Lassen Sie uns über die Dummheit der Menschen sprechen."

"Die Endlichkeit des Lichts" erzählt also eine Liebesgeschichte und schildert Annähern und Distanzhalten als Lustspiel mit bitterem Beigeschmack, als ein kunterbuntes, sehr ironisch, oft geradezu sarkastisch inszeniertes Hin und Her. Susanne Riedel trägt dabei dick auf - so wie schon in ihrem ganz anders gearteten Erstling "Kains Töchter" -, und sie läßt wenig von dem aus, was in den vergangenen Jahren jargon- und mentalitätsprägend auf Enddreißiger oder Vierzigjährige eingewirkt haben mag. Das ist durchaus riskant: Denn wer vor allem auf diese Überfülle der mehr oder weniger schwerwiegenden Verletztheiten achtet, mit denen die Figuren sich plagen, auf die Unwahrscheinlichkeiten, mit denen so etwas wie ein in sich geschlossener Kosmos von Raum, Zeit und Protagonisten konstruiert wird, der wird dieses Buch womöglich schnell beiseite legen. Läßt man sich aber auf die Spielregeln ein, die an diesem fiktiven Ort gelten, dann spürt man schon bald, was der Autorin mit diesem Roman tatsächlich gelungen ist: die menschliche Komödie nach aller säkularen Anverwandlung der Welt, nach aller Emanzipation, nach aller Sinnsuche und im Schatten jenes großen Rauschens, in dem Werbeeinblendungen, Einflüsterungen von Psychotherapeuten und auch Lyrik von höchstem Rang zu einer völlig dissonanten, vielstimmigen Kaskade von Worten und Bildern verschmelzen.

Alakars dichtender Übervater ist T. S. Eliot; dessen geschliffene Verse und Sentenzen veredeln und verbiegen Alakars quälende Zweifel und Grübeleien, bis sie nach außen hin den Anschein von Weisheit und Philosophie gewinnen. Verna liebt Anne Sexton, vor allem ihre Liebesgedichte; ständig spuken ihr Zitate durch den Kopf, sie geistern zwischen ihren Moderationen und leihen ihren Sehnsüchten und Bekenntnissen jene passenden Worte, die Verna selbst nicht finden kann. So schichten die Protagonisten, wenn sie von sich erzählen, Zungenschläge, Zitate und Erklärungen von Beziehungsmustern übereinander, klein-klein miteinander vernetzt und verwoben. Alles kommentiert sich gegenseitig und entwertet sich auch manchmal. Die hehren Dichterworte geraten in den Mahlstrom der TV-Inszenierungen - aber im Fernsehstudio entsteht andererseits auch das, woran die gute alte Lyrik erinnern möchte: Alakar und Verna tauschen im Verlauf der Geschichte die Plätze und wechseln die Stimmen; er liest als angehender Lyrik-Starinterpret im Studio einen Auszug aus Anne Sextons "Achtzehn Tage ohne dich" und schließlich "für eine gute Freundin" auch ein Gedicht, das er wohl selbst geschrieben hat. Damit ist die Geschichte der beiden zwar nicht zu Ende, aber sie sind immerhin auf dem Weg zu einem Ort, wo jener gemischte Chor, der ständig in ihren Ohren gellt, allmählich verstummen kann.

Mit Auszügen aus dem ersten Kapitel des Romans hat Susanne Riedel im vergangenen Jahr in Klagenfurt den "Preis der Jury" gewonnen. Daraus ist nun ein sehr komisches, aber auch abgründiges Buch geworden, in dem zunächst einmal alles zerschrotet wird, was Menschen so von sich geben, wenn sie über das Leben und die Liebe reden oder schreiben. Das ist eine ernste Sache, aber am Ende kein deprimierendes Resümee, denn es geht sozusagen gut aus, so wie es in einer Komödie sein soll - und das, obwohl zahllose Spielarten der zeitgenössischen Entfremdung durchbuchstabiert und auch eine ganze Reihe individueller Rückzugspositionen ausgehebelt werden. Wenn bei T. S. Eliot seinerzeit noch einmal die Religion als geistiger Rückhalt des Menschen beschworen wurde, dann ringen die Figuren nun mit C. G. Jung, mit buddhistischen Lehren oder mit physikalischen Theoremen - und haben zumeist schlechte Erfahrungen damit gemacht. Wo einst der liebe Gott als Weltenlenker agierte, mischen nunmehr die Zufälle der Fernsehwelt die Menschen durcheinander - und wenn inmitten all dieser Bizarrerien Alakar Macody sich ausgerechnet Eliots tiefkatholisches Werk "Aschermittwoch" als Gipfelpunkt der Literatur ausgesucht hat, dann womöglich aus einem ganz banalen Grund: weil seine Mutter, die Psychoanalytikerin, sich darüber früher so entsetzlich aufregen konnte.

MARTIN SCHMITT

Susanne Riedel: "Die Endlichkeit des Lichts". Roman. Berlin Verlag, Berlin 2001. 319 S., geb., 39,80 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Angelika Overath hält den Roman von Susanne Riedel für ein "erstaunliches Buch", mit "atemberaubenden Passagen" - jedenfalls dort, wo die Lebenserfahrung von Susanne Riedel durchscheint. Im Zentrum der Handlung stehen Alakar, der dichtende "Antityp", der zum "Tele-Fun-Star" aufsteigt, und die Medienfrau Verna, die nach einem emotionalen Ausbruch ihren Job verliert, erzählt Overath. Die sichtlich von der Figurenkonzeption beeindruckte Rezensentin hält sich lange bei der Beschreibung der detailgenau gestalteten Charaktere auf. Kritisch merkt sie an, dass die zahlreichen, von der Autorin hergestellten Bezüge zwar durchaus intelligent ausgewählt und "mechanisch ausgeklügelt" seien, aber doch in ein reines Spiel der Anspielungen "ausarten" würden, das dem Leser den Text nicht zugänglicher mache, im Gegenteil. Überfrachtet mit Symbolen und Zitaten, urteilt Overath. Als die beiden Hauptfiguren zueinander finden, bricht der eigentliche Höhepunkt des Romans in sich zusammen, die Liebestiraden klingen nur noch nach "mäßigem Benn" und "schlechtem Rilke", was die Kritikerin äußerst Schade findet angesichts der Begabung der Autorin. Radikales Kürzen, rät sie Susanne Riedel an.

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