Produktdetails
  • Verlag: Philo
  • ISBN-13: 9783825701789
  • ISBN-10: 3825701786
  • Artikelnr.: 24081078
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.01.2001

Auf jedes Zack folgt irgendwann wieder ein Zick
Daniel Libeskinds Jüdisches Museum ist ein Bild seiner Planungsgeschichte: Thomas Lackmann schlägt noch mehr Haken

Es gehört zu den Kuriositäten des Jüdischen Museums in Berlin, daß die Geschichte seiner Gründung lange vor seiner Eröffnung geschrieben werden kann. Immer noch steht das gefeierte, atemberaubend schräge, metaphernüberladene Bauwerk von Daniel Libeskind in Berlin-Kreuzberg leer, immer noch muß das Publikum auf die erste Ausstellung warten, die für den Herbst 2001 annonciert ist, immer noch vertröstet die Museumsleitung alle Neugierigen mit vagen Ankündigungen - da hat der Berliner Journalist Thomas Lackmann den Versuch unternommen, die unendlich schwere Geburt des Instituts nicht nur zu beschreiben, sondern auch zu deuten. Entstanden ist dabei ein merkwürdiges und komplexes Buch, das seinen Gegenstand an Merkwürdigkeit und Komplexität noch zu übertreffen trachtet.

Lackmann hat eine quasiethnologische Studie über das eigentümliche Soziotop verfaßt, das West-Berlin einmal war und hier und da immer noch ist. Er hat eine Skizze der Verspannungen im Umgang der jüdischen und der nichtjüdischen Deutschen miteinander gezeichnet. Und er hat, streckenweise jedenfalls, über die Schwierigkeiten reflektiert, Geschichte auszustellen, jüdisch-deutsche, deutsch-jüdische Geschichte zumal. Das alles freilich geschieht in einer Mischung aus angestrengter Originalität und ernsthafter Analyse, die dem Buch nicht gut bekommen ist. Was Lackmann treffend eine "deutsche Museumsgroteske" nennt, war ihm offenbar nicht grotesk genug. Statt das Absurde in kühlster Nüchternheit zu beschreiben und damit den obwaltenden Irrsinn wie von selbst hervortreten zu lassen, hat sich der Autor in formalen Spielereien verloren. Sein Buch beginnt mit Text und Regieanweisungen für ein fiktives Theaterstück unklarer Gattung: Drama? Persiflage? Kabarett?, fällt dann in einen märchenhaften Ton, in dem vorsichtig Ironie mitschwingt, findet endlich, nach dem ersten Drittel, einen stilistischen Zugang zum Thema, ringt sich dann acht "Thesen für ein Jüdisches Museum in Berlin" ab und endet schließlich mit einer fünfzigseitigen Dokumentation von Entwürfen, Konzepten, Positionspapieren zu Gestalt und Gestaltung des Hauses.

Mit seinem mißglückten Verpackungszauber hat Lackmann ohne Frage eine Chance vertan. Sein Gedanke nämlich, anhand der Gründungsgeschichte des Jüdischen Museums zu Berlin die Verschrobenheiten, das manchmal Sprachlose und bisweilen Verkrampfte der bundesrepublikanischen Erinnerungskultur zu beschreiben, ist ja vielversprechend. Lackmann kennt die Verschlingungen des Museumsbaus zudem aus der Nahsicht wie nur wenige andere Chronisten. Das zeigt sich vor allem in seinen lebensnahen Porträts der Kontrahenten, die in den achtziger und frühen neunziger Jahren um die Konzeption des Museums rangen. Doch je näher die Darstellung der Gegenwart kommt, desto blasser wird sie. Die biographische Skizze des derzeitigen Direktors W. Michael Blumenthal beispielsweise kommt kaum über das hinaus, was die Pressestelle des Museums über den Hausherrn verbreitet. Während wir Details über die Wohnungseinrichtung Reiner Güntzers erfahren, des geprügelten Verlierers aller Museumsschlachten, bleibt Blumenthal merkwürdig schemenhaft, beinahe sakrosankt.

Ärgerlicher noch als diese Fehlstelle aber ist eine andere. Nachdem Lackmann die Geschichte der Museumsgründung anekdotenfreudig erzählt hat, scheint ihm bei der Darstellung der gegenwärtigen Ausstellungsvorbereitung die Luft ausgegangen zu sein. Traute man seinem Buch, könnte man den Eindruck gewinnen, mit der Fertigstellung des Libeskind-Baus und der Inthronisierung Blumenthals seien Heiterkeit und Entspannung in dem Museum eingekehrt. Den bitteren Streit zwischen Blumenthal und seinem Vize Tom Freudenheim, der im vergangenen Sommer das Haus verlassen mußte, erwähnt Lackmann mit keinem Wort. Welche persönlichen und museologischen Zwistigkeiten hinter diesem Abgang stecken, bleibt offen. Sei es, daß die Nachrichtenpolitik des Museums hier mit Erfolg Harmonie suggeriert hat, sei es, daß Lackmann das scharfe Urteil über eine einstweilen erkennbar unausgegorene Planung scheut: Sein ambitioniertes Buch bleibt auf diese Weise ein Torso, eine bisweilen amüsant zu lesende Rohfassung einer Geschichte des Jüdischen Museums zu Berlin, die erst noch geschrieben werden muß.

HEINRICH WEFING

Thomas Lackmann: "Jewrassic Park". Wie baut man (k)ein Jüdisches Museum in Berlin. Philo Verlag, Berlin 2000. 246 S., br., 34,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Den Titel des Buchs findet Martina Meister arg reißerisch und sieht sich darum gleich zu Beginn ihres Artikels veranlasst zu versichern, dass Lackmann "keineswegs Antisemit" sei. Sein Buch wolle vielmehr anhand der Geschichte des Jüdischen Museums in Berlin die Verkrampftheit des deutsch-jüdischen Verhältnisses beschreiben. Mit seinem Titel und anderen Provokationen wolle der Autor beweisen, dass er nicht politisch korrekt sei. Als Alternativen für die lange umstrittene Museumskonzeption des Berliner Hauses, das im Jahr 2000 immer noch nicht eröffnet war, nennt Lackmann nach Meister den "Schanghai-Express", also einen Schnelldurchgang durch die Geschichte, und den "Jurassic Park", also ein Museum, das "einer als ausgestorben betrachteten Spezies" gewidmet wäre, die sich aber nun "auf unerwartete Weise reanimiert, gegen ... ihre Reanimatoren und zugleich einzigen ernst zu nehmenden Feinde" wendet. Lackmann scheint sich dabei nach Meisters Bericht eher für die zweite Möglichkeit auszusprechen.

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