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Produktdetails
  • Verlag: Berlin : Philo
  • ISBN-13: 9783825701673
  • ISBN-10: 3825701670
  • Artikelnr.: 23985555
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Begriffe versenken" hieß eine frühere Ausgabe dieses Buches, weiß Rezensent Ralf Dorst, und stellt Überlegungen darüber an, wie es bei der erweiterten Neuauflage dazu kam, dass der "ursprünglich militante Buchtitel" verändert wurde. Zum einen, vermutet Dorst, könnte das Ergebnis der letzten Bundestagswahl eine Rolle gespielt haben, mit der der Marsch durch die Institutionen gewissermaßen beendet war. Aber auch die Historisierung von 68 durch die dreibändige Chronik vor Wolfgang Krausshaar fällt nach Meinung des Rezensenten wohl ins Gewicht. Ein bisschen mitleidig - auch mit Blick auf das bittere Vorwort- schreibt er dann, für Böckelmann müsse der gegenwärtige Zustand wohl heillos wirken, weil die Bewertungkriterien aus der Kritischen Theorie stammen. Aber Böckelmann kritisiert seinen Adorno durchaus, lesen wir. Politische Leitbegriffe würden analysiert, gesellschaftliche Zustände reflektiert. Die Texte seien thematisch geordnet, dem Rezensenten allerdings zuweilen nicht ausführlich genug. Denn wo der Autor sich Raum nehme, wäre er "mitunter kurzweiliger als der kommentierte Text".

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.11.2000

Was von der Rage übrigblieb
Leeranalyse: Frank Böckelmann will sein Wort und den Rand halten

"Begriffe versenken" hieß vor drei Jahren ein Buch mit Texten von Frank Böckelmann, einem Wegbereiter und -gefährten der Achtundsechziger. In der nun erschienenen zweiten, erweiterten Auflage trägt es den Titel "Die Emanzipation ins Leere". Geändert hat sich auch der Untertitel, der damals "Belastungsproben und Liquidationen in drei Jahrzehnten" lautete. Er ließ die Essays, Thesenpapiere, Nachworte, Lexika- und Katalogbeiträge wie alte Kämpen auftreten, während es nun scheint, als seien sie unter dem Titel "Beiträge zur esinnungsgeschichte 1960-2000" zur Ruhe gebettet worden.

Will man das Motiv für die Titeländerung aufklären, kann man auf zwei Dinge hinweisen. Da wäre zum einen das Ergebnis der Bundestagswahl. Es hat den Achtundsechzigern nach ihrem langen Marsch durch die Institutionen erstmals ermöglicht, auf Bundesebene einen Teil der Regierung zu stellen, auch wenn deren Politik nach Meinung vieler Weggefährten äußerst opportunistisch ausfällt. Das zweite Ereignis ist weitere Historisierung von 1968, etwa durch die dreibändige Chronik und Dokumentation "Frankfurter Schule und Studentenbewegung", die 1998 von Wolfgang Kraushaar bei Rogner & Bernhard herausgegeben wurde. Sie gilt als die bisher wichtigste Darlegung des Theoriehintergrundes der politischen Geschehnisse vor und nach 1968. Mit ihr wurde eine höchst folgenreiche Periode der direkten lebenspraktischen Umsetzung von Theorien beinahe erschöpfend aufgearbeitet, wozu die rückblickenden Standortbestimmungen ehemaliger Wortführer der Bewegung, darunter auch Böckelmann, das Ihre beigetragen haben.

Setzt man beides zueinander in Beziehung, muß der gegenwärtige Zustand der Gesellschaft für jemanden, der wie Frank Böckelmann der Kritischen Theorie die Treue hält, heillos wirken. Aus jener Perspektive wurden die Ideale und Utopien einer ganzen Generation spätestens Ende der Neunziger zwischen Realpolitik und Retrospektive, zwischen Farce und Historisierung zerrieben. Das mag die Ersetzung des ursprünglich militanten Buchtitels durch einen distanzierteren erklären. Die frühesten "Beiträge zur Gesinnungsgeschichte" führen zurück in die sechziger Jahre zum legendären Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS). Sie zeigen Böckelmann inmitten der Kontroversen um das Verhältnis von Kritischer Theorie und oppositioneller Praxis. Gegenüber den neomarxistischen und antiautoritären Gruppierungen insistiert er darauf, daß es einen Rückfall hinter Adorno bedeute, die Gesellschaft des zwanzigsten Jahrhunderts mit den Kategorien des vorigen erfassen und verändern zu wollen. An Adorno kritisiert er, daß Herrschaft im Kontext der Negativen Dialektik als geschichtsphilosophisches Substrat figuriere, wodurch jedwede gesellschaftsverändernde Praxis bereits vorab diskreditiert sei. Die Darlegungen zur ontologisierenden Begriffssetzung bei Adorno sind scharfsinnig geführt, ohne im Ton scharf zu werden. Das behält sich Böckelmann für die Programmatik und Rhetorik seiner Weggefährten vor.

Im weiteren folgen Analysen politischer Leitbegriffe wie beispielsweise Multikulturalität, Reflexionen zur Lage der Geschlechter sowie zur Massenkommunikation, konsumkritische Einzelfallanalysen wie etwa zum "Fetisch" Auto und Rückblicke auf die Anfänge der Studentenbewegung. Die Texte sind thematisch geordnet und vom Autor jeweils mit einem einleitenden Kommentar versehen, den man sich manchmal in den Details der Textgeschichte und in der rückblickenden Bewertung ausführlicher gewünscht hätte. Denn wo er sich etwas Raum nimmt, ist er mitunter kurzweiliger als der kommentierte Text. Gerade die frühen Texte in ihrer geballten Semantik versunkener Diskurse lassen über weite Passagen lediglich erahnen, worum es ging, was die Gemüter so erhitzte und gegeneinander in Frontstellungen trieb.

Der Textsammlung ist ein Vorwort vorangestellt mit der Überschrift "Im Bann der leeren Worte". Die darin vorgenommene Rückschau auf achtundsechzig und die Folgen ist äußerst bitter. Böckelmann kritisiert, daß ungeachtet des allgemein akzeptierten Lyotardschen Postulats vom Ende der großen Erzählungen die alten Leitbegriffe weiterhin in Umlauf sind. Der auf die Studentenbewegung zurückgehende Motor dieser Rotation sei eine automatisierte Aufklärungsindustrie, die über das ständige Konstatieren einer fortschreitenden Dissoziation alles Sozialen nicht hinauskommt. "Heilsam sind heute", schreibt er gegen Ende des Vorworts, "tätiges Schweigen, Verstummen im Verständigungsbetrieb und die Weigerung, Begriffe wie ,Emanzipation', ,Selbstbestimmung', ,Rationalität', ,Demokratisierung', ,Kommunikation' und ,Chancengleichheit' weiter zu strapazieren."

RALF DROST

Frank Böckelmann: "Die Emanzipation ins Leere". Beiträge zur Gesinnungsgeschichte 1960-2000. Philo Verlagsgesellschaft, Berlin 2000. 346 S., br., 48,- DM.

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