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Warum vermag 1624 Martin Opitz' Buch von der Deutschen Poeterey mit einem Schlag die deutsche Barockliteratur ins Leben zu rufen? Auf diese Frage nach dem Ursprung der "Deutschen Poeterey" verspricht die vorliegende Untersuchung in acht Militär- und Poetikgeschichte verschränkenden Lektüren Aufschluß. Am Anfang steht die Suche nach Opitz' poetologischer Strategie, als deren Motor ausgerechnet der Dreißigjährige Krieg kenntlich wird: sein eminent innovatives Potential, wie es erstmals in der oranischen Heeresreform Gestalt gewonnen hatte. Vor diesem Horizont wird aber nicht nur die Opitzsche…mehr

Produktbeschreibung
Warum vermag 1624 Martin Opitz' Buch von der Deutschen Poeterey mit einem Schlag die deutsche Barockliteratur ins Leben zu rufen? Auf diese Frage nach dem Ursprung der "Deutschen Poeterey" verspricht die vorliegende Untersuchung in acht Militär- und Poetikgeschichte verschränkenden Lektüren Aufschluß. Am Anfang steht die Suche nach Opitz' poetologischer Strategie, als deren Motor ausgerechnet der Dreißigjährige Krieg kenntlich wird: sein eminent innovatives Potential, wie es erstmals in der oranischen Heeresreform Gestalt gewonnen hatte. Vor diesem Horizont wird aber nicht nur die Opitzsche Poetik als nationalliterarische Reformulierung des niederländischen Unabhängigkeitskampfes lesbar; auch die durch sie initiierten deutschsprachigen Texte bis in die 1670er Jahre bekennen auf einmal in einem intensiven, aus dem Krieg sich speisenden ästhetischen Diskurs Farbe.Bisherige Forschungsschwerpunkte der Autorin:Literatur und Kultur der Frühen Neuzeit; Romantik; Imitatio und Intertextualität
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.06.2005

Im Takt der Trommel
Erstaunlicher Gleichschritt: Nicola Kaminski über Militärreform und Poesiereform im Dreißigjährigen Krieg
Vom Dreißigjährigen Krieg hat jeder gehört, und nicht nur Abiturienten erinnern sich an seine Jahreszahlen. Ein einziges Gedicht, „Thränen des Vaterlandes/Anno 1636” von Andreas Gryphius scheint sein ganzes Zeitalter abgebildet und späteren Generationen überantwortet zu haben: Das „vom Blut fette Schwert”, die geschändeten Jungfrauen und die von Leichen verstopften Ströme bleiben in Erinnerung, auch wenn man das Sonett nur einmal gelesen hat. So unvollkommen das auf diese überkommene Geschichtsbild auch sein mag, es ist nicht schlechter als so manche filmische Fiktion von Mittelalter oder Antike.
Aber was für eine faszinierende Wirklichkeit tut sich auf, wenn man liest, was Nicola Kaminski dazu zu sagen hat, wenn sie den uns bekannten Text - es ist die „Fassung letzter Hand” (überarbeitet und 1643 veröffentlicht) - mit der ersten Fassung konfrontiert! Es ist, als ob ein fertiges, kunstvoll ausgeführtes Gemälde sich plötzlich in eine lebendige Szene verwandelte, deren Handlung man, von der Interpretin begleitet, beiwohnt, um belehrt und dankbar zu dem bekannten und weiterhin bewunderungswürdigen Sonett zurückzukehren.
Das Versmaß lernt marschieren
Freilich wendet sich dieses knapp 600 Seiten starke, durch und durch wissenschaftliche Werk nicht in erster Linie an Literaturfreunde. Zwar ist über die Umstände seiner Entstehung und die Autorin kein einziges Wort zu finden, und es gibt auch keine in dergleichen Werken übliche Dankadresse (ein Heisenberg-Stipendium wird immerhin erwähnt), aber dieses Buch speist sich erkennbar aus der jüngeren und jüngsten überaus reichen und grundgelehrten deutschen Barockforschung, zu der es selber ein gewichtiger Beitrag sein will.
Die Hauptthese, extrem verkürzt, besagt: Der Krieg hat nicht, wie oft angenommen, die Entstehung einer deutschen (National-)Literatur im 17. Jahrhundert behindert und verzögert, sondern sie unter der Feder von Martin Opitz allererst ermöglicht und geschaffen. Die wichtigste Nebenthese des Buches interpretiert oder erklärt die metrische Reform von Opitz, das Alternieren von Hebung und Senkung, als Parallele oder gar Reflex der Militärreform Moritz’ von Oranien, in welcher die Durchsetzung des Gleichschritts mehr als nur symbolischen Wert beanspruchen darf.
Während die Hauptthese sozusagen mitten in den Kompetenzbereich der Literaturwissenschaft fällt (und dort eine lebhafte Diskussion auslöst), gehört die Nebenthese zu jenen Hypothesen, die zwar von höchstem Interesse sind, aber in den Kompetenzbereich keiner Wissenschaft fallen. Denn sie überschreitet die Grenzen der beteiligten Wissenschaften und zeigt sich auch gegen das Allheilmittel Interdisziplinarität resistent: Weder in der (Militär-)Geschichtswissenschaft noch in der Literaturwissenschaft gibt es einen Ort, wo Gleichschritt und Jambus anders aufeinander bezogen werden könnten als durch Analogie. Analogie begründet aber keine Wahrheit, jedenfalls nicht in der modernen Wissenschaft.
Dass die Haupt- und die Nebenthese in der Darstellung der Autorin aufeinander passen wie der Deckel auf den Topf, ist bemerkenswert und befriedigend (und für den Rezensenten sogar überzeugend). Die Hauptthese zu Opitzens Rolle als „Fähnrich” bei der protestantisch gefärbten nationalsprachlichen Besetzung des poetischen „Feldes” ist freilich auch allein und ohne die Nebenthese noch gültig - falls man sich davor scheut, die deutschen Verse im oranischen Gleichschritt marschieren zu sehen.
Nicht viele Literaturwissenschaftler beschäftigen sich so kompetent mit metrischen Fragen wie Nicola Kaminski. Umso mehr fällt auf, dass nirgends der Name Eske Bockelmann genannt wird. Dass dieser manchem als der Horribilicribrifax der Literaturwissenschaft oder doch mindestens als deren enfant terrible gilt, nimmt der rigorosen Kritik, die er in seinem Buch „Propädeutik einer endlich gültigen Theorie von den deutschen Versen” (1991) an der deutschen Verswissenschaft geübt hat, nichts von ihrer Brisanz. Noch auffälliger ist freilich das völlige Fehlen des Namens René Descartes. Und das, obwohl der Philosoph freiwillig 1618 zum Kriegsdienst in die Armee von Moritz von Nassau, Prinz von Oranien (1567-1625) eintrat und also die viel beschriebene Heeresreform am eigenen Leibe erfuhr, als er im Jahre 1618, den Gleichschritt in den Beinen und militärische Trommelwirbel im Ohr, im brabantischen Breda sein Compendium musicae verfasste, in dem zum ersten Mal jenes Phänomen theoretisch greifbar wird, das als „Takt” die Musikwissenschaft und die Verstheorie bis heute beschäftigt. Für Descartes ist die Kriegstrommel genau das Instrument, „bei dem nichts anderes wahrgenommen wird als der Takt”, das also den Takt von der Musik ablöst, ihn als eigene, autonome Instanz isoliert und hörbar macht.
Die Analogie von Gleichschritt und Opitzscher Hebungsmetrik ist aber nicht die einzige methodologische Herausforderung dieses Buches. In einer nur zwei Seiten umfassenden Vorrede exponiert die Autorin ein Prinzip, das scheinbar dazu dient, die historischen Tatsachen möglichst vorurteilsfrei zu rekonstruieren: „Leitend für die Darstellung ist . . . eine strikt an den Horizont des je im Zentrum stehenden Textes . . . sich bindende synchrone Perspektive.” Die Untersuchung gliedert sich darum nach Jahreszahlen, die abstrakt über den einzelnen Kapiteln stehen, in der Erwartung, mit Sinn gefüllt zu werden.
Dieser Sinn kann, der Prämisse folgend, nicht aus der Zukunft gewonnen werden, sondern nur aus der Spannung eines historischen Moments. Zeugen hierfür sind jeweils bedeutende Texte von bekannten Autoren, gelesen in ihrer authentischen Position am jeweiligen und vorläufigen „Ende der Geschichte”. Sie werden mit ihrer „Historizität” konfrontiert, das heißt mit dem letztlich metaphysischen Problem, ob die vorgefundene Welt eine Frage ist, auf die eine Antwort gegeben werden kann oder gegeben werden muss. Eine Kulturwissenschaft, die sich ernst nimmt, muss nach der Kohärenz der Kultur fragen, und sieht sich genötigt, genau das zu betreiben, was sich wissenschaftlich gesehen verbietet: Analogien suchen.
Beim Versuch, eine Einheit zwischen der oranischen Heeresreform und der Metrikreform des Martin Opitz zu postulieren, zeigt sich, dass dabei die Möglichkeiten unseres Verstehens mit den Möglichkeiten unserer Verständigung zusammenfallen: wenn jemand an den Zusammenhang von Vers und Gleichschritt glaubt, kann kein Argument ihm diesen Glauben nehmen - und wenn jemand findet, dieser Zusammenhang sei an den Haaren herbeigezogen, wird kein Argument ihn vom Gegenteil überzeugen. Kurz, das Problem konfrontiert uns mit unserer eigenen Historizität.
Gegen das blinde Verhängnis
Die Gliederung nach Jahreszahlen ist hier also weit mehr als eine Stilfrage. Sie zwingt die Autorin, historisch Farbe zu bekennen, anstatt wissenschaftlich Recht zu behalten. Eines der besten und schönsten Kapitel, das nicht nur mit stupender Gelehrsamkeit, sondern zudem mit einer tiefen elegischen Begeisterung geschrieben ist, betrifft den immer und auch von seinen Verteidigern unterschätzten Georg Rodolf Weckherlin.
Mit der scheinbar lediglich methodologischen Entscheidung, den historischen Daten mehr zuzumuten als nur eine chronologische Rasterfunktion für eine Vielzahl von Fakten, zielt das Buch über die Barockforschung und Literaturgeschichte hinaus. Es will den Glauben daran stärken, dass es nicht von einem blinden Verhängnis oder von einer allwissenden Vorsehung abhängt, wie die Geschichte weitergeht, sondern von der Antwort der Kultur oder gar von der Antwort jedes einzelnen auf die eigene Gegenwart.
HANS-HERBERT RÄKEL
NICOLA KAMINSKI: Ex Bello Ars oder Der Ursprung der „Deutschen Poeterey”. Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2004. 588 Seiten, 58 Euro.
Stefano della Bella (1610-1664): Der Tod als Herold
Foto: akg-images
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Hans-Herbert Räkel überschlägt sich beinahe vor Begeisterung bei diesem hochakademisch anmutenden Buch, das Barockforschung, Militärgeschichte und Literaturwissenschaften zusammenführt. Und zugleich weit über diese Einzeldisziplinen - wie auch jede Interdisziplinarität - hinausweise. Das Buch besitzt eine literaturwissenschaftliche Hauptthese, die Räkel kurz abhandelt: der 30jährige Krieg habe die Entstehung einer deutschen Nationalliteratur begünstigt und nicht etwa behindert. Faszinierender scheint er Kaminskis Nebenthese zu finden: die Verfasserin setzt nämlich die metrischen Veränderungen, die der Barockdichter Martin Opitz durch das Alternieren von Hebung und Senkung im Versrhythmus eingeführt hat, in Bezug zur preußischen Militärreform, die sich fortan im Gleichschritt der Soldaten bemerkbar machte. Nun ist die Analogie eigentlich kein adäquates Mittel der Kulturwissenschaften, bemerkt Räkel, um gleich darauf eine Lanze für Kaminski zu brechen, die ihre eigene Disziplin methodisch herausfordere. Auch ihre chronologische Unterteilung in Jahreszahlen erfülle weit mehr als eine Ordnungsfunktion. Kaminskis Vorgehensweise konfrontiere uns "mit unserer eigenen Historizität", schreibt der Rezensent.

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