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Im Hinblick auf jedes Bedürfnis, das ein Mensch hat, kann man unterscheiden, ob es befriedigt wird und wie es befriedigt wird. An der Kategorie des Wie, das selbstverständlich stets ein Was voraussetzt, doch über es hinausreicht, hat das weite Feld der Gestaltung brauchbarer Sachen teil. Insofern es sich so verhält, kann Effizienz nicht das erschöpfende Kriterium von Gestaltung sein; ihr eignet eine ästhetische Dimension, die zwar nicht von Zweckmäßigkeit zu trennen, doch ebensowenig auf sie zu reduzieren ist. Weder ist die Form einfach durch die Funktion determiniert, noch folgt sie logisch…mehr

Produktbeschreibung
Im Hinblick auf jedes Bedürfnis, das ein Mensch hat, kann man unterscheiden, ob es befriedigt wird und wie es befriedigt wird. An der Kategorie des Wie, das selbstverständlich stets ein Was voraussetzt, doch über es hinausreicht, hat das weite Feld der Gestaltung brauchbarer Sachen teil. Insofern es sich so verhält, kann Effizienz nicht das erschöpfende Kriterium von Gestaltung sein; ihr eignet eine ästhetische Dimension, die zwar nicht von Zweckmäßigkeit zu trennen, doch ebensowenig auf sie zu reduzieren ist. Weder ist die Form einfach durch die Funktion determiniert, noch folgt sie logisch aus ihr; die Zusammenhänge sind verwickelter. Ihnen nachzugehen ist die Absicht dieses Buches.Die ästhetische Dimension des Brauchbaren zu unterschätzen, hat in der Philosophie lange Tradition. Ihr entgegen sucht die Studie den ästhetischen Charakter nützlicher Dinge nicht lediglich als, mit einem Ausdruck Kants, der Schule gemacht hat, "anhängende Schönheit", vielmehr als vom Bedürfnis gerade herausgeforderte Schönheit zu verstehen.
Autorenporträt
Andreas Dorschel ist seit 2002 Professor für Ästhetik und Vorstand des Instituts für Wertungsforschung an der Kunstuniversität Graz (Österreich). Zuvor lehrte er Philosophie an Universitäten in Deutschland, England und der Schweiz. 1995 und 2006 war er Gastprofessor in den USA (Emory University, Stanford University).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.08.2002

Wie streng ist dieses Häuschen
Von Aufstieg und Irrtum einer äußerst rigiden Alltagsphilosophie: Andreas Dorschel über die gute Form in Architektur und Design
Dass die ästhetische Moderne nach wie vor und unwidersprochen regiert, aller Postmoderne, allem neuen Historismus, allen Fluchtversuchen in die Vergangenheit zum Trotz, dass sie nach einer fast hundertjährigen Geschichte nicht im Geringsten in Zweifel geraten ist – das erkennt man daran, mit welchem Enthusiasmus eine zwar einprägsame, aber höchst problematische Formel immer wieder von neuem überliefert wird: „form follows function” lautet diese so hübsch allitertierende Devise, die Form folge der Funktion. Längst hat dieser Satz die scheinbare Selbstverständlichkeit angenommen, der man nur mit einem ironischen Blick, einer übertriebenen Aussprache gerecht werden zu können glaubt, so als sei diese Formel von der gleichen unumstößlichen Evidenz wie „der Ball ist rund” oder „das Fleisch ist schwach”. Und keiner ist je darauf gekommen, einmal nachzufragen, von welcher Form und, vor allem, von welcher Funktion in diesem Satz denn die Rede sein soll.
In einem seltenen Fall von alltagstauglicher Kulturkritik hat sich der gegenwärtig in Norwich lehrende Philosoph Andreas Dorschel nun mit der Frage beschäftigt, was Gestaltung, genauer: die Verwandlung von Gebrauchsgegenständen in ästhetische Objekte tatsächlich ist. Alltagstauglich ist diese Kritik auch in dem Sinne, dass in diesem Buch nicht von den Bedingungen und Möglichkeiten einer Ästhetik des Brauchbaren die Rede ist. Tatsächlich hat Andreas Dorschel etwas Ehrgeizigeres, Praktischeres im Sinn: Seine kleine Schrift ist ein Angriff auf die in den vergangengen Jahrzehnten beinahe volkstümlich gewordene Lehre von der Schönheit des Funktionellen, und am Ende bleibt von dieser Lehre nicht viel übrig – ebensowenig wie vom dazugehörigen Glauben an das „Design”, an die Veredelung, ja die „Verkunstung” des gewöhnlichen Lebens durch ausgewählte Industrieprodukte.
Denn was ist gemeint, wenn einer in der Nachfolge des amerikanischen Architekten Louis Sullivan, einem der Pioniere des Skelettbaus, von einem „notwendigen Verhältnis” zwischen Form und Funktion spricht? Von einem Ideal der Effizienz ist so die Rede, davon, dass ein Gegenstand die beste aller Formen erreicht habe, wenn sein Zweck und die zu seiner Verwirklichung eingesetzten Mitteln einander völlig entsprechen. Der Glaube an ein solchermaßen notwendiges Verhältnis hat eine lange Reihe von Ikonen des modernen Lebens hervorgebracht: Häuser von Mies van der Rohe, Stühle von Arne Jacobsen, Sessel von Charles Eames, Lampen von Achille Castiglione, Waschbecken von Philippe Starck. Miteinander bilden diese Dinge erstaunlich schmalen, aber äußerst rigide gehandhabten Katalog des Lebens in den gehobenen Ständen einer bürgerlichen Weltgesellschaft. Unendlich oft wiederholt, in jeder Zeitschrift für Architektur oder Gestaltung abgebildet, sind aus diesen Gegenständen tatsächlich „Klassiker” geworden: Elemente eines Kanons, an dessen Autorität und Strenge sich in den westlich geprägten Ländern keine Heilige Schrift mehr messen kann.
Scharfe Kanten schrauben
Problematisch ist der Satz, die Form folge der Funktion, aus mehreren Gründen. Zunächst, weil man ihn umdrehen, weil die Funktion auch aus der Form folgen kann. Jeder, der einen Schraubenzieher braucht, aber keinen zur Hand hat, kennt dieses Prinzip, nach dem sich Messer, Münzen oder Kreditkarten in Drehwerkzeuge verwandeln. „Zweckentfremdung”, schreibt Andreas Dorschel, sei in Wirklichkeit „Zweckentdeckung”. Sodann, weil keine Funktion nur im Singular auftritt. Nicht einmal ein Schraubenzieher bleibt davon verschont, als Hammer, als Blumenstütze, als Schaber, Gabel, Mordinstrument, als Ausweis handwerklicher Kompetenz, ja sogar, professionell gestaltet und mit den Insignien eines bekannten Designers ausgestattet, als Symbol von gutem Geschmack und mehr oder minder großer Zahlungsfähigkeit benutzt zu werden. Wenn man aber einmal beginnt, die möglichen Funktionen eines Gegenstands zusammenzustellen, dann stößt die Fantasie so bald an keine Grenzen mehr mehr. Der Satz „Die Form folgt den Funktionen” trägt keine Botschaft mehr, geschweige denn eine moderne. Daraus aber folgt: Die so oft wiederholte Devise von Louis Sullivan propagiert nicht den Funktionalismus, sondern ein Ideal des Funktionierens. Er ist eine Huldigung an die Technik, so wie der Historismus eine Huldigung an die Vergangenheit war.
Die Wirkung des Satzes, einer Übertragung des Darwinismus auf ein sehr spezielles Gebiet des Geisteslebens, verdankt sich, so Andreas Dorschel, seiner Zweideutigkeit. Denn mit „Funktion” kann zum einen der Zweck oder die Aufgabe eines Gegenstands bezeichnet werden. Zum anderen aber mag, im Englischen mehr noch als im Deutschen, auch das Funktionieren selbst gemeint sein, das technische Prinzip, nach dem ein Gegenstand seiner Aufgabe gerecht wird – erkennbar etwa im Stahlrahmen eines Sessels oder im Gegenzug einer Schreibtischlampe.
Die Moderne verachtet das Symbolische der älteren Stile. Aber sie hat sich deswegen keineswegs vom Symbolischen befreit. Die Sichtbarkeit des Technischen ist nun beiden Bedeutungen von „Funktion” geschuldet: Ein moderner Gegenstand stellt Technik dar. Daher ist die Moderne ärmer als alle Stile zuvor. Sie feiert das Mittel, das die Technik schon dem Begriff nach ist. „Das vom Ornament Befreite”, sagt der Philosoph, werde selbst „zum maßlosen Ornament”.
Andreas Dorschel verfolgt sein Thema langsam, mit aller Pedanterie und aller Umsicht, die seinem Fach zukommt. In sechsundachtzig Schritten, von der Definition eines „Mittels”, über die Patina und Bugholz bis zu zur Unterscheidung von Stil und Gemütlichkeit, entfaltet er eine Ästhetik der nützlichen Dinge, was der Philosophie nach Immanuel Kant – der von einer „anhängenden Schönheit” sprach - bislang nicht viele Gedanken wert gewesen ist.
Fast nebenbei entsteht so nicht nur eine kleine Theorie des Kunstschönen, jedenfalls insoweit dies zur Abgrenzung von der Schönheit der Gebrauchsgegenstände erforderlich ist, sondern auch eine Kritik am asketischen Ideal der Moderne – dem Ideal einer distanzierten Freiheit, die sich den älteren Idealen von Sicherheit, Stabilität und Gastfreundschaft sehr zu Unrecht überlegen dünkt. Eine „versimpelte neuplatonische Schönheitslehre” nennt Andreas Dorschel dieses Ideal und erläutert: „Hätte dieser Puritanismus recht, dann gäbe es keine schönere Musik als die Töne einer Stimmgabel.”
Das Buch schließt mit der Kritik an einer landläufigen Verwechslung, einer Philosophie des Alltags, die offenbar weite Schichten unserer Gesellschaft ergriffen hat: einer Kritik am Glauben, die scheinbare Erlesenheit von Helmut-Lang-Anzügen und Corbusier-Liegen strahle auf ihren Besitzer zurück. „Design, auf das Leben losgelassen, verhielte sich zu diesem wie die Heiratsvermittlung zur Erotik.” Je mehr Kraft, Lebendigkeit, Seele in einem Menschen stecke, so Andreas Dorschel, desto weniger werde er bereit sein, sein Selbst im Design wiederfinden zu wollen. Denn geliehene Originalität sei eben keine.
THOMAS STEINFELD
ANDREAS DORSCHEL: Gestaltung. Zur Ästhetik des Brauchbaren. Universitätsverlag C. Winter, Heidelberg 2002. 168 Seiten, 18 Euro.
Eine Funktion, die in der Form aufgeht - oder doch vielleicht ein Bohrer, ein Hebel, ein Ohrenpiekser? Der meistgebrauchte Kugelschreiber. Foto: BIC-Deutschland
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