Marktplatzangebote
18 Angebote ab € 19,99 €
  • Buch mit Leinen-Einband

Im Frühjahr 1956 erreichte Eric Newby, der in einem Haute-Couture-Salon im Londoner Westend arbeitete, ein Telegramm aus Rio de Janeiro: "Kannst du im Juni mit nach Nuristan reisen?" Der Absender war ein Freund Newbys, ein berüchtigter Exzentriker im diplomatischen Dienst Ihrer Majestät. Es war genau der richtige Moment für zwei Verrückte, um ins Innere von Afghanistan vorzudringen. Die britische Armee hatte das Land verlassen, ebenso wie Jahrhunderte zuvor Dschingis Khan und Timur, und die Rucksacktouristen waren noch nicht angekommen, ganz abgesehen von den russischen Panzern und den…mehr

Produktbeschreibung
Im Frühjahr 1956 erreichte Eric Newby, der in einem Haute-Couture-Salon im Londoner Westend arbeitete, ein Telegramm aus Rio de Janeiro: "Kannst du im Juni mit nach Nuristan reisen?" Der Absender war ein Freund Newbys, ein berüchtigter Exzentriker im diplomatischen Dienst Ihrer Majestät. Es war genau der richtige Moment für zwei Verrückte, um ins Innere von Afghanistan vorzudringen. Die britische Armee hatte das Land verlassen, ebenso wie Jahrhunderte zuvor Dschingis Khan und Timur, und die Rucksacktouristen waren noch nicht angekommen, ganz abgesehen von den russischen Panzern und den fanatischen Taliban. Niemand wollte von dieser gottverlassenen Region etwas wissen. Das Ziel der beiden, die vom Bergsteigen keine Ahnung hatten, war ein Sechstausender im Hindukusch. Sie stolperten über reißende Bergflüsse und eisige Pässe am Ende der Welt, litten an Hunger, Dysenterie, Insektenfraß und glühender Hitze. Dabei legten sie einen Humor an den Tag, der vor keiner Katastrophe versagt e. Ihr Masochismus mischte sich mit guter Laune und poetischem Entzücken: "Selten in meinem Leben hat mich ein so ekstatisches Glücksgefühl erfüllt", schreibt Newby am Ende der gescheiterten Expedition. Auf diese Weise ist ein Klassiker der englischen Reiseliteratur entstanden. Ganz nebenbei stellt sich heraus, daß der stoische Held die Sprache der Eingeborenen spricht und über enorme Geschichtskenntnisse verfügt; wie alle übrigen Fähigkeiten, so versteht er es auch, diese ungewöhnlichen Qualitäten sorgfältig zu verbergen. "Lieber Leser", schrieb Evelyn Waugh über diesen Spaziergang, "wenn Sie etwas übrig haben für das eigentümliche Inselvolk der Briten, werden Sie diesem Kunststück nicht widerstehen können."
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2002

Wahrscheinlich waren die Dorfbewohner alle Killer
Eric Newby klettert im Hindukusch / Von Hannes Hintermeier

Kannst Du Juni reisen Nuristan?" - Mit diesem Telegramm endet eine Geschichte, und eine andere fängt an. Die zu Ende geht, dauerte zehn Jahre, spielt in der Modebranche und hätte gewiß ihren eigenen Charme, wenn man sie zu lesen bekäme. Denn dort bevölkern Menschen wie Miss Candlemass die Szenerie, die langbeinige Chefeinkäuferin eines New Yorker Kaufhauses ("Mit ihrer dunkel getönten Brille hatte es den Anschein, als beobachte sie vom Mond aus eine Erdfinsternis".) So aber dient diese Welt der edlen Stoffe, der Wohlgerüche und der verlogenen Artigkeiten nur als Sprungbrett für ein Abenteuer, das die Beteiligten innerhalb kürzester Zeit aus den piekfeinen Konsumtempeln Londons, aus den Verlockungen der Warenwelt in eines der abgelegensten Gebiete der Welt führt - in die steinernen Wüsten Afghanistans. Der flapsig hingeworfene Titel der Geschichte, "A Short Walk in the Hindu Kush" sagt wenig über die Entbehrungen und Gefahren, die ein "Spaziergang" im Hindukusch damals wie heute bedeutet - auch ganz ohne Terroristenjagd oder Heiligen Krieg.

Eric Newby, Absender des Telegramms und Autor dieses 1958 zuerst erschienenen Reiseberichts, hatte schon einiges hinter sich, als er seine Verkäuferkarriere an den Nagel hängte. Geboren 1919, war Newby zur Ausbildung in einer Werbeagentur gewesen, dann Matrose auf einem finnischen Viermaster. Im Zweiten Weltkrieg diente er bei einer U-Boot-Spezialeinheit und geriet 1942 in deutsche Gefangenschaft. Neben seiner Tätigkeit in der Modebranche hatte er 1956 sein erstes Buch veröffentlicht: "The Last Grain Race", ein Bericht über seine Reise von Europa nach Australien und retour, die er als Achtzehnjähriger auf einem Segelschiff erlebt hatte. Von Nuristan hatte ihm sein Freund Hugh Carless bereits 1952 erzählt, der für das Foreign Office im diplomatischen Dienst stand. "Ich bin gerade von einer Expedition bis zu den Grenzen Nuristans (Land des Lichts) zurückgekehrt. Das wäre genau das Richtige für Dich. Nuristan liegt im äußersten NO von Afghanistan, grenzt an Chitral und ist eingeschlossen vom Zentralmassiv des Hindukusch. Bis 1895 hieß das Gebiet Kafiristan (Land der Ungläubigen)." Ein österreichischer Forstexperte namens von Dückelmann, der das afghanische Hinterland erkundet hatte, brachte Carless erst auf die Idee, diese Bergprovinz selbst zu bereisen.

Als Newbys Telegramm in Rio eintrifft, sagt Carless begeistert zu - obwohl er eigentlich gerade auf einen neuen Posten nach Teheran wechseln wollte. Eine Bergexpedition wird beschlossen und beantragt, der Mir Samir soll bestiegen werden. Umfangreiche Ausrüstung wird angeschafft, Klettergerät, Seile, Proviant, Zelt, Bergschuhe, sogar ein Expeditionsfahrzeug. Nur eine Winzigkeit trübt die Euphorie der beiden heldenhaften Amateure: Weder Carless noch Newby können klettern, wie dieser unumwunden zugibt: "Gewiß, ich hatte einige Bergwanderungen unternommen und war mit meiner Frau in den Dolomiten ein bißchen herumgekraxelt, doch jedesmal waren wir Damen mit Regenschirm begegnet, die doppelt so alt waren wie wir."

Mit diesem Elan, mit dieser somnambulen Unbekümmertheit nimmt die Expedition Fahrt auf - und mit ihr ein Buch seinen Lauf, das in der angelsächsischen Welt schon lange zum Kanon der Reiseliteratur zählt. Daß es jetzt endlich in einer liebevollen, die Lakonie der Vorlage transportierenden Übersetzung von Matthias Fienbork zum erstenmal auf deutsch vorliegt, ist eine wunderbare Leseüberraschung - und das beileibe nicht nur wegen der verblüffenden Aktualität, die der Afghanistan-Feldzug dem Buch beschert. Man könnte sich keine unterhaltsamere Einführung in Geschichte, Topographie und Landeskunde dieser Weltgegend vorstellen als diesen unsentimentalen Bericht. Und obendrein ahnt man - auch im Vergleich mit zeitgenössischen Reiseberichten deutscher Journalisten -, daß sich dort bis heute nicht so sehr viel geändert haben kann.

Wie auch? Nuristan zählt zu jenen drei Vierteln des afghanischen Staatsgebiets, die für menschliche Besiedlung nicht oder nur sehr eingeschränkt tauglich sind. Das Herz des Hindukusch ("Hindu-Töter") liegt fast ganz auf afghanischem Territorium, die höchsten Berge der Region sind der Koh-i-Bandakor (6843 Meter), der Koh-i-Mondi (6248 Meter) und der Mir Samir (6059 Meter). Die Region ist wegen der enormen Paßhöhen - die meisten liegen über viertausend Meter - schwer zu erreichen, bessere Kommunikationsbarrieren sind kaum vorstellbar. Seit Alexander dem Großen zog die Geschichte mit brutalen Eroberern durch diese Ecke der Welt: Dschingis-Khan, Timur der Lahme (Tamerlan) oder Babur, der Begründer der Moguldynastie. Die Kafiren von Nuristan (ihr Name bedeutet "ungläubig", "Nicht-Muslim") blicken auf eine mehr als tausendjährige Stammesgeschichte zurück, deren vorläufiger Tiefpunkt, die gewaltsame Bekehrung zum Islam im Jahr 1896, noch die Folklore dominiert.

Die Islamisierung ist zum Zeitpunkt der Newby-Carless-Expedition noch frisch im kollektiven Gedächtnis verankert. Und doch hat sie bereits tiefgreifende Veränderungen bewirkt, die Newby nicht verborgen bleiben: Ein ums andere Mal bemerkt er "Mädchen, die sich bei unserem Anblick das Kopftuch tief ins Gesicht zogen und sich abwandten, so daß wir uns wie das Vorauskommando eines Trupps von Triebtätern fühlten, die in dieses Paradies eindrangen, um zu vergewaltigen und zu zerstören. Vielleicht einer der unangenehmsten Züge des fanatischen Islam ist der Umstand, daß er Menschen anderer Religionszugehörigkeit dazu bringen kann, sich in Gedanken, Worten und Taten unrein zu fühlen."

Die Kafiren sprechen eine eigene, zum Dardischen (einem Verwandten des Arischen) zählende Sprache. Durch die extreme Kammerung des Landes in zerklüftete Hochtäler zerfällt die Sprache in so viele Einzeldialekte, daß sich oft engste Nachbarn nicht wirklich verstehen. Die Kafiren gelten als ziemlich rauhe Gesellen. Sie ernähren sich hauptsächlich von Ziegen- und Ochsenzucht, von Ackerbau und Jagd. Fremde sind in diesen Hochtälern eine sehr seltene Erscheinung.

Dorthin also brechen Carless und Newby auf, nachdem sie einen Kurzkletterkurs in Wales ("forcierter Reifungsprozeß") absolviert und mit dem Auto über Istanbul und Teheran bis Kabul vorgestoßen sind - ganz entgegen der Einsicht Newbys: "Afghanistan ist in vielerlei Hinsicht ein unwirtliches Land. Wenn Sie nicht unbedingt fahren müssen, würde ich Ihnen empfehlen, im Iran zu bleiben." Anfang Juli 1956 und siebentausendfünfhundert Kilometer von London entfernt beginnt die, wie man heute sagen würde, Trekking-Tour, die sich zunächst durch tadschikisches Kernland und dann Richtung Panjshir-Tal bergan vorarbeitet. Die kommenden Wochen sind geprägt von Strapazen durch mangelhafte Ernährung, schlechtes Wasser, zerschundene Füße, extreme Temperaturunterschiede. Zusammen mit nur teilweise vertrauenswürdigen Trägern und Bergführern schleppen sich Newby und Carless flußaufwärts zum erwählten Berg, mit unerschütterlichem Optimismus, aber stets in dem Bewußtsein, eine gottverlassene Weltecke zu bereisen.

"Ich bemühte mich, kurios auszusehen, mit einem Hütchen aus der Bond Street, einer englischen Version eines Tirolerhuts, Bluejeans aus der Petticoat Lane und einer Kamera, die mir um den Hals hing, mit einer Unmenge von Wechselobjektiven, Belichtungsmessern und diversen Lichtfiltern." Eric Newby notiert soweit wie möglich ohne Vorurteil, ganz wie ein Forscher, der einen unbekannten Planeten betritt. Und er kommt aus dem Staunen nicht heraus, "in einer Welt, die das Staunen verlernt hat". Bevor sie Nuristan erreichen, steht der Anstieg auf den Mir Samir auf dem Programm. "Kein Mensch ist je dort gewesen", sagen die Ortskundigen über diesen Berg. Nur zur Zeit der großen Sintflut habe sich ein einsamer Steinbock auf den Gipfel gerettet. Das Wasser sei ihm bis zum Bauch gegangen, dann sank die Flut, und seither habe der Steinbock einen weißen Bauch.

Ein Unternehmen also, das gleichzeitig so halsbrecherisch wie leichtsinnig, so größenwahnsinnig wie herausfordernd ist. Die Erstbesteigung scheitert, auch in einem zweiten Anlauf gelingt es den beiden Freunden nicht: Hundert Höhenmeter fehlten noch zum Gipfel; bis heute wartet der Mir Samir, wenn nicht alles täuscht, auf seine Erstbesteigung. (In den Katalogen von Trekking-Anbietern ist Nuristan, wohl nicht erst seit dem Afghanistan-Feldzug, Terra incognita.)

Als endlich der Einstieg in das geheimnisvolle Nuristan geschafft ist, entpuppen sich Gegend und Bewohner als so wenig anheimelnd, daß an einen längeren Aufenthalt nur bei Gefahr für Leib und Leben zu denken ist: Eine latente Bedrohung geht von den Dorfbewohnern aus, sie sind nicht das, was man gastfreundlich nennt, ein ums andere Mal trifft die Expedition auf Menschen mit dem "gleich irren Gesichtsausdruck kaum gezügelter Brutalität": "So, als könnten sie die abscheulichsten Verbrechen begehen und sich im nächsten Moment zu einer kräftigen Mahlzeit hinsetzen. Der Mann war ein Killer. Vielleicht waren sie alle Killer." Die beiden Engländer fühlen sich mit einem mal im düstersten Mittelalter gefangen. Sie sind, wie auf einer Zeitreise, in ein Lehrstück über den tatsächlichen Zusammenprall der Zivilisationen geraten.

Dieser sehr englische Bericht einer romantischen Sehnsucht nach unerforschten Gegenden, wie Evelyn Waugh in seinem Vorwort zur Erstausgabe schreibt, ersetzt viele Bände schöngeistiger Literatur. Hier hat einer ganz genau hingeschaut und sich auf seinen Menschenverstand verlassen. In Verbindung mit den historischen und sprachwissenschaftlichen Exkursen ergibt sich ein Bild, das heute noch von staunenswerter Frische ist. Am Ende seiner Tour sitzt Newby an einem Gebirgsfluß, vollkommen ausgelaugt und doch euphorisiert. Er wagt sogar eine Prophezeiung: "Hier am Arayu, einem der abgeschiedensten Orte der Welt, über den sämtliche Winde Asiens hinwegfegten und wo die Berge aussahen, als würden die Knochen der Welt hervorbrechen - hier war mir, als tauchte ich aus einem Land auf, das mehr oder weniger unverändert fortbestehen wird, ganz gleich, von welchen Katastrophen der Rest der Welt heimgesucht würde."

Eric Newby: "Ein Spaziergang im Hindukusch". Aus dem Englischen übersetzt von Matthias Fienbork. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2002. 359 S., 24 Fotografien und 1 Karte, geb., 29,50 .

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

"Das Buch ist so köstlich, dass man sich fragt, weshalb es erst jetzt übersetzt wurde", offenbart Georg Sütterlin seine Bewunderung für den bereits 1958 in englischer Sprache erschienenen Reisebericht "Ein Spaziergang im Hindukusch" von Eric Newby. Der heute 83-jährige Reiseschriftsteller hatte sich in jüngeren Jahren - nicht ohne eine gehörigen Portion Leichtsinn - mit mehreren anderen Laien vorgenommen, den Gipfel eines afghanischen Sechstausenders zu stürmen. Das Unternehmen scheiterte zwar kurz vor den Ziel, aber die Beschreibung der haarsträubend abenteuerlichen Expedition gelinge Newby ganz hervorragend, schwärmt Rezensent Sütterlin. Das sei vor allem dem stets humorvollen und bescheidenen Tonfall des Autors im Buch zu verdanken. Newby entwerfe "vergnügliche Charakterskizzen seiner Begleiter" und zeige außerdem eine "hervorragende Beobachtungsgabe", wenn es darum geht, die Eigenheiten von Land und Leuten zu konturieren. Kurzum: In der Geschichte des Genres Reiseliteratur beschreibe "Ein Spaziergang im Hindukusch", der ja in Wirklichkeit gar keiner war, einen "Wendepunkt", ist Sütterlin überzeugt.

© Perlentaucher Medien GmbH