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Aus Gedankensplittern, Reportagen, Fragmenten und Essays vieler Jahre formt sich eine Welt, die wir zu kennen meinen - die wir so aber noch nie gesehen haben.

Produktbeschreibung
Aus Gedankensplittern, Reportagen, Fragmenten und Essays vieler Jahre formt sich eine Welt, die wir zu kennen meinen - die wir so aber noch nie gesehen haben.
Autorenporträt
Ryszard Kapuscinski ist 1932 in der ostpolnischen Stadt Pinsk geboren, die heute zu Weißrußland gehört. (Das war damals, wie er selber sagt, "Dritte Welt").
1945 kam seine Familie nach Warschau, wo er studierte. In den fünfziger Jahren wurde er als Korrespondent nach Asien und in den Mittleren Osten, später auch nach Lateinamerika und nach Afrika entsandt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2000

Es ist so kalt, da bleibt nur der Tunnel
Wie der Reporter Ryszard Kapuscinski sich selbst historisch wird / Von Christoph Bartmann

Fünfundzwanzig Jahre lang hat Ryszard Kapuscinski im Auftrag der polnischen Nachrichtenagentur PAP von den historischen Umstürzen in Afrika, Asien und Lateinamerika berichtet. Später, 1981, wurde er freier Schriftsteller und noch später, etwa zu Beginn der neunziger Jahre, eine internationale Berühmtheit. Inzwischen ist Kapuscinski nicht nur zum "Polnischen Journalisten des Jahrhunderts" gewählt worden, er gilt auch anderswo als Champion der politischen Reisereportage. In den Jahren als Reporter bestand Kapuscinskis OEuvre zu einem guten Teil aus Kabelberichten, die mal den Weg nach Warschau fanden und ein andermal der unzuverlässigen Stromversorgung an diesem oder jenem Krisenherd zum Opfer fielen. In den achtziger Jahren schrieb Kapuscinski dann die großen Reportagebücher, die seinen Ruhm begründeten, den "Fußballkrieg" oder "König der Könige", ehe er schließlich ganz aufhörte, Reporter zu sein und sich in einen Literaten verwandelte. Das ist der Kapuscinski von heute, und von diesem Literatendasein handeln nunmehr seine Bücher.

Zwei neue Bücher von Kapuscinski sind anzuzeigen, und sie geben zu erkennen, daß der Reporter von einst sich selbst historisch geworden ist. Das eine Buch ist ein Album mit den besten Geschichten aus vierzig Jahren; wer die früheren Bücher gelesen hat, wird sich an diese Geschichten erinnern und an Dinge, die einen schon damals, beim ersten Lesen, stutzig machten. Eine typische Kapuscinski-Geschichte ist die vom sogenannten "Korridor"; sie stammt aus seinem "Imperium"-Buch über die zerfallende Sowjetunion. In Jakutsk, berichtet er, sei es so kalt, daß die Menschen im eisigen Nebel für eine Weile ihre Silhouette, den "Korridor", zurückließen. Dank dieser sibirischen Einrichtung könne etwa die Schülerin Tanja erkennen, ob ihre Freundinnen den Schulweg angetreten hätten, ja mehr noch: "Ein breiter, niedriger Korridor mit präzisen Konturen" besage, "daß die Schuldirektorin Klawdija Matwejewna vorbeigegangen ist." Das ist schön erzählt, aber wahrscheinlich zu schön, um wahr zu sein.

Doch mit solchen atmosphärisch dichten, wenngleich sachlich zweifelhaften Beschreibungen hat sich Kapuscinski einen Ruf als poetischer Reise-Essayist erschrieben. Mit seiner Art zu reisen und zu schreiben ist er tatsächlich Bruce Chatwin viel näher als irgendeinem politischen Journalisten. Von Ferne erinnert seine Haltung auch an Reinhold Messner. So wie Messner das Bergsteigen existenziell umgewertet hat, so tat es Kapuscinski mit dem Reisen in der Dritten Welt. Und so wie Messner alle vierzehn Achttausender ohne Sauerstoff genommen hat, so hat Kapuscinski eine ähnliche Zahl von Bürgerkriegen mit nichts als Mut und Schläue überlebt. Die meisten Geschichten handeln von Situationen, in denen der Reporter wieder einmal mit dem Rücken zur Wand steht und wieder einmal heil davonkommt. Ryszard Kapuscinski kultiviert den Nimbus des Unverwundbaren.

Das zweite neue Buch trägt den Titel "Die Welt im Notizbuch" und ist die Fortsetzung des "Lapidariums", das 1993 auf deutsch erschien. Nun, da Kapuscinski ein berühmter älterer Herr ist, häufen sich die Einladungen zu Lesungen und Podiumsdiskussionen. In Rotterdam wird über die Rolle des Auslandskorrespondenten in der modernen Welt debattiert, in Hildesheim ist eine Veranstaltung gemeinsam "mit einem Holländer, Professor Jan Hoet aus Genf", zu bestreiten. Immer häufiger ergeht an Kapuscinski die Nötigung, sich öffentlich zu äußern, und er kommt ihr mit dem Eifer des Spätberufenen nach.

Notizbuch" heißt dieses Buch sehr zu Recht. Es enthält vorwiegend Notizen für kommende Auftritte, Exzerpte aus internationalen Journalen und Gesprächsprotokolle aus der Welt der Autoren und Verleger. Ist das Grund genug, Kapuscinski zu lesen? Wie gut ist dieser Autor abseits seiner Lebens-Schauplätze: Asien, Polen, Rußland? Als Intellektueller, als Kulturkritiker, der er in diesem Buch sein will, kann Kapuscinski nicht recht überzeugen. Überdies weiß man nicht, an welches Publikum sich sein Buch richtet. An ein polnisches vielleicht, aber muß man dem noch beibringen, daß Roland Barthes neben Levi-Strauss, Foucault und Lacan "der bedeutendste Humanist des modernen Frankreich" ist, berühmt unter anderem für seine Losung "Tod den Autoren!"?

Banalität ist eine der Gefahren, die Kapuscinskis Reflexionen bedrohen; die anderen sind das Ressentiment und die Eitelkeit. Das Ressentiment tritt immer da zutage, wo Kapuscinski, Afrozentriker von Herzen, gegen die "frustierten, neurotischen Gesellschaften" des Westens zum Streich ausholt, und die Eitelkeit ist dort nicht zu übersehen, wo der Autor die eigenen stilistischen Gaben auf das Vorbild einer Theorie bezieht, es gebe eine Relation zwischen kulturräumlicher Ausdehnung und der zu ihrer Beschreibung angemessenen Satzlänge. Weite Räume wie der russische, meint er, verlangten lange Sätze, andere, kleinteiligere Regionen hingegen nach kurzen. Man kann den Gedanken absurd finden, vielleicht aber auch apart. Kapuscinski liebt es nun einmal, seine Leser zu verblüffen, mit "Korridoren" oder mit einer Kultur-Geographie des Satzbaus, und warum sollte man sich nicht von ihm verblüffen lassen?

Man nehme den Abschnitt über Capri, "Der Abgrund des Tiberius". Von der Tiberiusvilla auf den Felsabsturz zum Meer und auf die mediterrane Herrlichkeit ringsum blickend, imaginiert Kapuscinski mit glühender, fast artaudscher Hingerissenheit die Verruchtheit dieses Herrschers, um mit der Frage zu enden, warum sich in all den Jahren keiner fand, der den Tyrannen mit einem leichten Stoß ins Jenseits befördert hätte. Manchmal, in seinen besten Momenten, ist Ryszard Kapuscinski mehr als ein Reporter, sicher kein Soziologe, aber ein erzählender, reisender, fantasierender Geschichtsdenker.

Ryszard Kapuscinski: "Die Welt im Notizbuch". Aus dem Polnischen übersetzt von Martin Pollack. Verlag Eichborn Berlin, Berlin 2000. 352 S., geb., 44,- DM.

Ryszard Kapuscinski: "Die Erde ist ein gewalttätiges Paradies. Reportagen, Essays, Interviews aus vierzig Jahren". Aus dem Polnischen übersetzt von Martin Pollack, Renate Schmidtgall und Edith Heller. Verlag Eichborn Berlin, Berlin 2000. 316 S., geb., 28,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

"Ulrich Stock knöpft sich in einer Doppelrezension seine schreibenden Kollegen mit viel Witz und ohne Gnade vor.
1) "Schreib das auf! Egon Erwin Kisch-Preis 2000"
Stock beherrscht meisterlich die Kunst, das Schlechteste auszuwählen und das Beste wegzulassen: Er zitiert ausgiebig Reportageanfänge und kann gar nicht glauben, wieviel Banalität, Großmäuligkeit, hohle Phrasen und gähnend langweilige Reportagen in die Endrunde des großen Kisch-Preises gelangt sind und somit in dieses Buch. Zugegeben, Stocks Einstieg ist auch nicht bravourös, aber der Verriss ist preiswürdig!
2) Ryszard Kapuscinski: "Die Welt im Notizbuch"
Kapuscinskis Buch enthält zwar keine einzige Reportage, meint Ulrich, aber ihre besten Ingredienzen: "Es erklärt und führt vor, was beim Schreiben zählt, als Sammelsurium aus dem Nähkästlein". Nur leider bleibt es nach Stocks Ansicht nicht dabei, Kapuscinski will auch noch die Welt erklären - und zwar mit einem Satz wie "Was die aktuellen Tendenzen der globalen Politik angeht, kann man von drei großen Konfliktlinien sprechen", wie Stock gemeiner Weise und völlig aus dem Zusammenhang gerissen zitiert. Aber nicht zu Unrecht weist der Rezensent darauf hin, dass es für solch "sterbliche Übersätze" kein Kapuscinski-Buch braucht, ein Zeit-Leitartikel tut’s auch.

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