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Ob in Dur oder Moll - mit ihrem opulenten Roman um die Geschichte einer deutschen Familie treffen Udo Jürgens und Michaela Moritz mit beinahe traumwandlerischer Sicherheit den Ton einer bewegten Zeit.
Bremen 1891: Nachdenklich schlendert Udo Jürgens'Großvater, Heinrich Bockelmann, über den Weihnachtsmarkt. Er steht vor einer schwierigen Entscheidung. Soll er nach Amerika aufbrechen, um sein Glück zu suchen, oder nach Russland, das sein Vater ihm als Land der unbegrenzten Möglichkeiten geschilderthat? Da hört er den anrührenden Klang eines Fagotts, der ihm wie das Echo seiner eigenen Gefühle…mehr

Produktbeschreibung
Ob in Dur oder Moll - mit ihrem opulenten Roman um die Geschichte einer deutschen Familie treffen Udo Jürgens und Michaela Moritz mit beinahe traumwandlerischer Sicherheit den Ton einer bewegten Zeit.

Bremen 1891: Nachdenklich schlendert Udo Jürgens'Großvater, Heinrich Bockelmann, über den Weihnachtsmarkt. Er steht vor einer schwierigen Entscheidung. Soll er nach Amerika aufbrechen, um sein Glück zu suchen, oder nach Russland, das sein Vater ihm als Land der unbegrenzten Möglichkeiten geschilderthat? Da hört er den anrührenden Klang eines Fagotts, der ihm wie das Echo seiner eigenen Gefühle erscheint: die russische Weise »Kalinka« - für Heinrich Bockelmann ein Zeichen des Schicksals ...

Udo Jürgens-Bockelmanns biographischer Roman, in dem die faszinierende Geschichte seiner Familie sowie sein eigenes Leben die großen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts widerspiegelt: Der Bogen spannt sich dabei vom Glanz der Zarenzeit über die russische Revolution, die beiden Weltkriege, das Dritte
Autorenporträt
Udo Jürgens-Bockelmann, geboren am 30.9.1934 in Klagenfurt, Komponist, Interpret, Musiker und Entertainer. 2004 erhielt Udo Jürgens den Deutschen Musikerpreis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2004

Wir sind eben Reisende
Der bewegende Lebens- und Familienroman des Sängers und Komponisten Udo Jürgens

Seit es Künstler gibt, zumindest aber seit dem neunzehnten Jahrhundert, in dem sie sich zu Außenseitern stilisierten, beneiden oder fürchten wir anderen sie. Ihr vermutetes Freisein von allen Normen und Konventionen, die scheinbare Mißachtung, mit der sie Herkunft beiseite schieben, vor allem die Unbekümmertheit, mit der sie lieben und hassen, sich binden und lösen, führen uns vor Augen, was wir oft genug wollen, uns aber kleinmütig versagen.

Doch gibt es unter den Reihen der bürgerlich Gezähmten immer einige, meist Wohlhabende, die sich zumindest Teile solcher Künstlerfreiheiten aneignen. Sie werden gewöhnlich Exzentriker genannt, so wie 1912 der deutschstämmige Moskauer Bankier Heinrich Bockelmann. Die ganze Stadt sprach eines Morgens über seinen Auftritt im mondänen Hotel Metropol. Bockelmann hatte dort einen Tisch für sich und seine Familie bestellt, um nach einer Schwanensee-Premiere im Bolschoi zu dinieren. Ein Pulk plaudernder Gäste versperrte den Weg zum Speisesaal. Heinrich Bockelmann, nach kurzem Zögern, wählte nicht irgendeinen Umweg, sondern ging schnurgerade auf den Saal zu - mitten durch die Verblüfften und mitten durch einen flachen Springbrunnen, Hauptattraktion des Foyers. Ohne seine triefnassen Lackschuhe und Hosenbeine zu beachten, nahm er Platz und bat um die Speisekarte. Ungerührt eilten befrackte Kellner mit Handtüchern herbei, um diskret das ramponierte Schuhwerk zu trocknen.

Auf den Gängen werden die Bediener um so mehr Kommentare zum exzentrischen Verhalten abgegeben haben, werden - die Vorbeben der Revolution erschütterten Rußland unablässig - gehöhnt oder geflucht haben über den Dünkel des Ausbeuters und seiner Samt-und-Seide-Familie. Sofort nach Kriegsausbruch sollte Bockelmann die Folgen des schwelenden Hasses zu spüren bekommen. Einer seiner scheinbar treuesten Angestellten verriet ihn an die Staatspolizei, die alle Deutschen und viele Juden, insbesondere die reichen unter ihnen, wegen des Verdachts des Hochverrats, der Sabotage und Kollaboration inhaftierte. Staatsgefängnis, Verbannung in eine sibirische Strafkolonie. Bockelmann kann seine guten Verbindungen zum russischen Innenminister nutzen, um eine Ausreisegenehmigung wenigstens für seine Frau und seine vier Söhne zu bekommen. Auf dem Bahnhof begleitet er sie in den Waggon, der gleich darauf plombiert und erst in Finnland wieder geöffnet werden soll. Die Chance zur Flucht scheint auf, der Bankier gibt dem Drängen seiner Frau nach und bleibt sitzen. Die Söhne klagen über Durst, der älteste springt auf den Bahnsteig, wo ein Limonadenverkäufer ruft. Es gibt Probleme mit dem Wechselgeld. Der Vater kommt nach draußen, löst den Jungen aus, der Nachbarwaggon wird schon plombiert. Als Bockelmann seinem Sohn ins Abteil folgen will, packt ihn ein Herr in Zivil, ein Staatspolizist, der ihn wegen Fluchtversuchs verhaftet. Der letzte Blick Bockelmanns fällt auf das angstverzerrte Gesicht seiner Frau.

Das alles steht in der Autobiographie des Entertainers Udo Jürgens, eines Enkels des Moskauer Bankiers. Eine der sattsam bekannten Ich-Erzählungen, in denen der Verfasser, den Leser zunehmend langweilend, von Erfolg zu Erfolg eilt, ist dieses Buch nicht, sondern ein Roman auf der Basis historischer Ereignisse, die Schicksalsschilderung einer Familie, deren drei Generationen umfassende Geschichte die aller Deutschen und Österreicher spiegelt.

Wie bei Adalbert Stifter, Wilhelm Hauff oder E.T.A. Hoffmann stellt Udo Jürgens seinen Lesern einen rätselhaften Cicerone und einen faszinierenden Gegenstand zur Verfügung, die durch ein Kaleidoskop aus mal ferne, mal jüngste Vergangenheit erzählenden Kapiteln geleiten. Führer ist der titelgebende "Mann mit dem Fagott", der anfangs in einer schön-traurigen Episode in den winterlich verschneiten Gassen Bremens dem jungen, zum Aufbruch nach Moskau entschlossenen Heinrich Bockelmann begegnet. Immer wieder wird er ihn auf seinem Lebensweg unvermutet treffen, mal als Person, mal als Bronzeminiatur, immer wieder wird ihn die klagende Musik des Anonymus (der keiner bleibt) bannen. Fesselnd wie diese Zweigestalt aus Apollon und Rattenfänger ist die goldene Taschenuhr, ein Wunderding mit Schlagwerk, das, immer dem Zweitgeborenen bestimmt, durch alle Epochen und Lebenswechsel von Hand zu Hand geht, Leben rettet, dem jeweiligen Nutzer gelegentlich Halt gibt und manchmal in die Rolle des quälenden Gewissens wächst.

Zweifel und Ängste, für die das Wort Gewissensbisse zu verharmlosend wäre, sind immer wieder Thema, wenn Udo Jürgens über den eigenen Werdegang schreibt. So wichtig wie der jahrelange, oft beschämende Schlingerkurs des Anfängers zwischen Klassik, dem bewunderten Jazz und dem opportunistisch akzeptierten Schlager ist dabei die eingestandene Unfähigkeit zu dauerhafter Bindung. Was der Entertainer darüber erzählt, hat wenig zu tun mit jenem Voyeurismus, der kürzlich mit Jürgens-Spekulationen die Regenbogenpresse beschäftigte, und ebensowenig mit den versierten bigotten öffentlichen Selbstentblößungen, die Prominente von Bill Clinton bis zu Dieter Bohlen in unserer Mediengesellschaft betreiben oder zu betreiben sich gezwungen glauben.

"Mehr Entertainment als musikalische Kunst" lautet ein En-passant-Urteil über einen schwarzen Saxophonspieler, dem er im New York der fünfziger Jahre während einer zusammengesparten Amerika-Reise zuhörte. Gleich darauf folgt die furiose Schilderung des ersten Count-Basie-Konzerts, das Jürgens hörte - so begeistert und anschaulich, daß ihn jeder Musikkritiker beneiden muß. Da schimmert noch immer die Zerrissenheit des Künstlers Udo Jürgens durch, der sich auch nach vierzig Jahren großer Karriere reumütig an jeden Kompromiß erinnert, der aus dem Jazzer den Entertainer hat werden lassen.

Seine Erfolge spart Jürgens nicht aus. Aber sie bleiben - bewundernswerte Bescheidenheit - im Hintergrund, sind Folie für eine Zeit- und Familiengeschichte, die ihrem Verfasser wenig erspart: Zunehmend impressionistisch erzählt Jürgens vom "Dritten Reich", das er als Bub auf dem österreichischen Familiensitz Schloß Ottmanach bei Klagenfurt erlebt, dann von der Flucht erst in eine Familienvilla in Berlin, dann nach Barendorf bei Lüneburg. Der Aufschwung wird gestreift, die "Schokoladenseite", und die beklemmende Spießigkeit einer neu formierten Kleinbürgergesellschaft.

Oft gemahnt der eilig-prägnante Stil nun an Jürgens' Schlagertexte. Wie sie klebt er auf und an der Oberfläche - Lüster blitzen, Trümmer rauchen, Flüsse rauschen oder murmeln und Flakgeschütze dröhnen. Immer wieder aber, wie eben bei guten Schlagertexten, bewegen prägnante Formulieren, die schlagartig eine Situation, ein Schicksal erhellen. Die Mahnung des Vaters 1943 zum Beispiel: "Bis es so weit ist, sehen und hören wir nichts, und wir diskutieren nicht über all das."

Jürgens erschüttert, wenn er von sich als dem schreckensstarren Jungen erzählt, der in einer Wiese vor einem Helm steht, in dem ein abgerissener blutender halber Kopf steckt. Und er ergreift auch in scheinbar Beiläufigem mit Offenheit: in der Episode beispielsweise, die die Trennung von der ersten langjährigen Liebe schildert. Sie hat ein Foto mit Widmung der verheimlichten Geliebten entdeckt, erst zerrissen, aber dann mit großer Würde ein letztes Gespräch geführt. Schon monatelang habe er sie betrogen, gesteht ihr Jürgens, und das werde immer so sein. Sie entscheidet sich ruhig für "bürgerliche Zuverlässigkeit".

Wie weit es mit dieser her ist, erhellt eine Begebenheit mit dem damaligen Frankfurter Oberbürgermeister Werner Bockelmann. Bockelmann erzählt dem Neffen von seiner ersten Liebe Ruth. Er habe sie, plötzlich verliebt in eine andere, verlassen trotz des Wissens, was der Jüdin in Nazideutschland bevorstehe. Mutig ist dieser Werner Bockelmann, sieht seinem Versagen und seiner Schuld ins Gesicht. Auf seine Weise ebenso mutig gesteht Udo Jürgens, daß er zeitlebens, wenn auch tief bedauernd, den bequemeren Weg gegangen sei, den die meisten wählen: das Leid, das man dem anderen zufügt, das zerstörte Leben ignorieren und in den Armen eines neuen Partners vergessen. "Brücken hinter mir nicht einreißen, aber sie doch sich selbst überlassen. Ein ewig Reisender." So faßt Udo Jürgens das zusammen. Dann erscheint sein Familienroman als das, worum er sich bei den besten seiner Songs erfolgreich bemüht hat: traurig und hellsichtig "wie ein Schubert-Lied".

Udo Jürgens / Michaela Moritz: "Der Mann mit dem Fagott". Roman. Limes Verlag, München 2004. 699 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als "traurig und hellsichtig 'wie ein Schubert-Lied'" feiert Rezensent Dieter Bartetzko den Lebens- und Familienroman des Sängers und Schlagerkomponisten Udo Jürgens. Für den Rezensenten spiegelt sich in dieser romanhaften Schilderung des Schicksals dreier Generationen sogar die Geschichte aller Deutschen und Österreicher. Die Geschichte beginnt Bartetzko zufolge in Moskau, wo Jürgens' Großvater Heinrich Bockelmann vor der russischen Revolution Bankier war, und folgt den Zeitläufen bis in die Gegenwart. Wenn Jürgens' über seine eigenen Erfolge schreibt, dann tut er es "in bewundernswerter Bescheidenheit", so der Rezensent. Überhaupt bildeten sie lediglich die Folie für eine Zeitgeschichte, die auch ihrem Verfasser wenig erspart habe. Der Rezensent zeigt sich immer wieder beeindruckt von Jürgens' Offenheit seinen eigenen Schwächen gegenüber, ergriffen und von mancher Erzählung sogar erschüttert. Auch was der Entertainer Jürgens über seine Bindungsunfähigkeit zu erzählen hat, hat für den Rezensenten nichts zu tun mit Voyeurismus oder der "bigotten öffentlichen Selbstentblößung" a la Dieter Bohlen.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Eine unglaubliche Familienchronik." Die Presse