Marktplatzangebote
6 Angebote ab € 2,92 €
  • Gebundenes Buch

Als er zehn Jahre alt ist, erschießt eine flüchtige Terroristin seinen Vater, einen Polizisten. Seither leidet er unter Schlafstörungen. Alle Versuche, sich davon zu befreien, misslingen. Stattdessen führt er ein abgekapseltes Leben mit seiner Mutter. Er schafft es nicht, sich dauerhaft von ihr zu lösen und lebt ohne eigene Ziele dahin. Als er dreißig Jahre alt ist, plant er selbst einen Mord. Jetzt tötet er die Mörderin seines Vaters, die für ihre Tat nur eine Gefängnisstrafe von fünfeinhalb Jahren erhalten hat. Nach der Tat flieht er nach New York. Dreiundzwanzig Tage gibt er sich Zeit -…mehr

Produktbeschreibung
Als er zehn Jahre alt ist, erschießt eine flüchtige Terroristin seinen Vater, einen Polizisten. Seither leidet er unter Schlafstörungen. Alle Versuche, sich davon zu befreien, misslingen. Stattdessen führt er ein abgekapseltes Leben mit seiner Mutter. Er schafft es nicht, sich dauerhaft von ihr zu lösen und lebt ohne eigene Ziele dahin.
Als er dreißig Jahre alt ist, plant er selbst einen Mord. Jetzt tötet er die Mörderin seines Vaters, die für ihre Tat nur eine Gefängnisstrafe von fünfeinhalb Jahren erhalten hat. Nach der Tat flieht er nach New York. Dreiundzwanzig Tage gibt er sich Zeit - länger reicht das Geld nicht - , um vor sich und dem Leser Rechenschaft abzulegen. Ist die Tat irgendwie zu rechtfertigen? Soll er sich stellen? Oder wird es ihm endlich gelingen, ein eigenes Leben zu führen?
Zeitsprünge und eine fragmenthafte Erzählweise spiegeln im ersten Teil des Romans den Charakter des Protagonisten wider, als dessen Leben noch offen ist. Im zweiten Teil berichtet er kalt und präzise von der Vorbereitung und Durchführung der Tat. Diese Tagebucheinträge aus New York zeugen aber auch von seinem so naiven wie selbstgerechten Wunsch, mit dem vollzogenen Racheakt wieder inneren Frieden - und Schlaf - zu finden.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.12.2009

Die Stille nach dem Schuss
Helmut Marrats kluger Debütroman erzählt von den Folgen eines RAF-Attentats

Mehr als zehn Jahre sind vergangen, seitdem sich die RAF aufgelöst hat. Fast alle ihrer Mitglieder haben ihre Strafen abgesessen und sind aus der Haft entlassen worden. Abgeschlossen ist dieses bewegte Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte aber keineswegs. Meist pünktlich zu den Jahrestagen wird in der Diskussion an die Ereignisse erinnert und werden diese günstigstenfalls in ein neues Licht getaucht; zuletzt befassten sich die Medien eingehend mit den von der RAF Ermordeten und ihren Hinterbliebenen. Helmut Marrat gelingt es in seinem Debütroman "Das Ende der Schlaflosigkeit", an diese Erkundungen anzuschließen und gleichzeitig eine eigene Dimension der Beschäftigung mit den Attentaten, ihren Voraussetzungen und ihren Folgen zu eröffnen.

Die Schlaflosigkeit plagt Marrats Hauptfigur, seit er mit zehn Jahren seinen Vater verloren hat, der als Polizist beim Versuch, eine Terroristin festzunehmen, erschossen wurde. Um Ruhe zu finden, lernte er, der ohne realen Vater aufwächst, der sich aber ständig mit einer Vorstellung seines Vaters konfrontiert, später, lästige Gedanken wegzuschreiben. Diese Routine, die ihm ermöglicht, sich in seinem Alltag einzurichten, erscheint ihm mit einem Mal versperrt, als er liest, dass die Mörderin seines Vaters auf Bewährung entlassen wird und in einer Fernsehtalkshow auftreten wird. Johannes, der vieles versucht, aber nichts durchgehalten hat, der keinen Beruf erlernt und kein Studium abgeschlossen hat, der, schon über dreißig, noch immer bei seiner Mutter lebt, dessen Beziehungen zu Frauen und Männern lieblos bleiben, hat sein Leben bis zu diesem Zeitpunkt nicht geführt, sondern erduldet. Die Ermordung seines Vaters diente ihm wie selbstverständlich als Erklärung dafür, dass er seine Ziele nicht erreichen konnte.

Marrat hat das "Ende der Schlaflosigkeit" als "Geschichte in zwei Teilen" bezeichnet, die er allerdings in vier Abschnitte untergliedert: "Vorerzählung", "Haupterzählung", "Zwischenerzählung" und "Epilog". Während er in der "Vorerzählung" und im "Epilog" zwar die Perspektive seiner Figur übernimmt, aber distanzierend in der dritten Person erzählt, nimmt er im zweiten Teil eine Icherzähler-Perspektive ein: Johannes hat sich nun entschieden, sich, wie er es formuliert, zu wehren. Er plant, die Frau, die seinen Vater erschossen hat, selbst umzubringen. Er will sein Leben in die Hand nehmen, indem er das Leben eines anderen Menschen auslöscht - und während er sonst keinen Plan erfolgreich umsetzen kann, bereitet er diesen Mord höchst penibel vor und führt ihn schließlich durch. Anschließend taucht er in New York unter, das schon lange zuvor die Stadt seiner Träume ist. Hier möchte er aus der Entfernung und ungestört von den deutschen Medien nach der Tat seine Geschichte begreifen, um sich dann der Justiz zu stellen.

Die deutschen Medien, die er eigentlich meiden wollte, durchstreift er von dort aus aber dann im Internet. Seine Geschichte begreifen kann er jedoch nicht, er findet keine ausreichende Distanz dazu, und so gelingt es ihm nur, sie bitter und voller Schuldgefühle Revue passieren zu lassen. Seine Zerrissenheit zeigt sich auch darin, dass er stolz die Fahndung registriert, die nach dem der Polizei unbekannten Täter läuft; er zeigt sich aber auch über deren geringe Intensität enttäuscht und bereitet innerlich seinen Strafprozess vor, den er unweigerlich auf sich zukommen sieht und als Forum für sich nutzen will - darin seinem Opfer näher, als er sich bewusstmachen will.

Auch als Täter findet der Erzähler so nicht zu sich selbst, sondern bleibt in seiner Vergangenheit, die mehr noch die Gegenwart seiner Mutter und die Erinnerung an das Leben ohne Vater ist, gefangen: "Vielleicht ist es eine große Dummheit gewesen, diese Frau zu töten. Aus folgendem Grund: Ich beseitigte einen meiner Bezugspunkte. Lebte in einer Art künstlichem Dreieck, zwischen meiner Mutter, dieser Frau und mir. Hätte ich meine Mutter erschossen, stünde ich ebenso entleert, orientierungslos da. Am Ende nun, wo kaum noch etwas zu erzählen ist, werde ich unsicher. Was soll ich mit meiner Freiheit anfangen?"

Marrats Geschichte ist klug konstruiert und unprätentiös erzählt. Es gelingt ihm anschaulich, das Milieu, in dem seine Romanfigur gerade keine Entwicklung, sondern trotz einer Fülle von Ereignissen den Stillstand erlebt, zu beschreiben. Als Erzähler konzentriert er sich konsequent auf die Sicht und das Erleben seiner Figur Johannes; er bringt uns Lesern einen Menschen näher, der mit seinem radikal selbstgerechten Versuch, sich aus seiner Opferrolle zu befreien, scheitert - auch wenn es eine Geschichte ist, in der die RAF eine wichtige Rolle spielt, griffe es doch zu kurz und würde dem Autor nicht gerecht, den Roman bloß als Versuch einer zeitgeschichtlichen Verarbeitung zu lesen.

OLIVER TOLMEIN

Helmut Marrat: "Das Ende der Schlaflosigkeit". Eine Geschichte in zwei Teilen. Verlag Neue Kritik, Frankfurt a. M. 2008. 239 S., geb., 19,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der hier rezensierende Oliver Tolmein kann nur Gutes über diesen Debütroman sagen. Helmut Marrat erzählt darin eine RAF-Nachfolgegeschichte, die der Rezensent als klug konstruiert und unprätentiös erzählt findet. Es geht um den Sohn eines Polizisten, der bei einem Attentat der RAF ermordet wurde. In seinem eigenen Leben hat der Sohn nichts wirklich hinbekommen, er lebt noch bei seiner Mutter, und als die Frau, die seinen Vater erschossen hat, aus dem Gefängnis kommt, nimmt er zum ersten Mal in seinem Leben etwas in Angriff, nämlich sie zu töten. Dass dies nicht unbedingt einen Befreiungsschlag darstellt, scheint absehbar, aber der Rezensent findet es überzeugend, wie Marrat die Geschichte der RAF und eines Menschen verknüpft, der seiner Opfer-Rolle entkommen will.

© Perlentaucher Medien GmbH