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In 116 Dokumenten zeigt dieser achte Band der Berliner Ausgabe das breite Spektrum internationaler Themen auf, mit denen sich Willy Brandt als Präsident der Sozialistischen Internationale und als Vorsitzender der Nord-Süd-Kommission von Mitte der 1970er Jahre bis zu seinem Tod 1992 befasste.Nachdem Willy Brandt 1974 als Bundeskanzler zurückgetreten war, wurde 'Über Europa hinaus' zum Leitmotiv seiner vielfältigen Aktivitäten in der internationalen Politik. 1976 wählte ihn die Sozialistische Internationale(SI) zu ihrem Präsidenten. 1977 übernahm er den Vorsitz der Nord-Süd-Kommission, die neue…mehr

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Produktbeschreibung
In 116 Dokumenten zeigt dieser achte Band der Berliner Ausgabe das breite Spektrum internationaler Themen auf, mit denen sich Willy Brandt als Präsident der Sozialistischen Internationale und als Vorsitzender der Nord-Süd-Kommission von Mitte der 1970er Jahre bis zu seinem Tod 1992 befasste.Nachdem Willy Brandt 1974 als Bundeskanzler zurückgetreten war, wurde 'Über Europa hinaus' zum Leitmotiv seiner vielfältigen Aktivitäten in der internationalen Politik. 1976 wählte ihn die Sozialistische Internationale(SI) zu ihrem Präsidenten. 1977 übernahm er den Vorsitz der Nord-Süd-Kommission, die neue Vorschläge für eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung unterbreitete. Der so genannte Brandt-Report stieß auf große internationale Resonanz und war so zukunftsweisend, dass er bis heute an Aktualität nichts eingebüßt hat. Dieser achte Band der Brandt-Edition zeigt in 116 Dokumenten, dass der Friedensnobelpreisträger in vielen Fällen zwar nur mahnen und warnen konnte, aber seine Stimme immer wieder dazu beitrug, Frieden zu stiften und auszugleichen statt Konflikte und Kriege eskalieren zu lassen.
Autorenporträt
Gregor Schöllgen, geboren 1952 in Düsseldorf, Professor für Neuere Geschichte in Erlangen und Gastprofessor in New York, Oxford und London. Autor zahlreicher zeitgeschichtlicher Bücher und Mitarbeiter von Presse, Rundfunk und Fernsehen. Seine 2001 im Propyläen Verlag erschienene Biographie Willy Brandts wurde zum vielbeachteten Bestseller.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.01.2007

Brandts zweiter Frühling
Nach dem Ende seiner Kanzlerschaft kämpfte der SPD-Politiker für eine „Weltinnenpolitik”
Vorsitzender der Sozialistischen Internationale (SI) – das klingt, bei aller Ehre, doch nicht unbedingt nach einem Traumjob. Willy Brandt zögerte deshalb auch, als ihm nach seinem Rücktritt als Bundeskanzler das neue Amt angetragen wurde. Das Londoner Büro der SI, des Zusammenschlusses linker, demokratischer Parteien, litt unter politischer Bedeutungslosigkeit und chronischer Finanznot – so sehr, dass es bisweilen nicht einmal seine Telexrechnungen bezahlen konnte. Als Brandt diese neue Aufgabe 1976 trotzdem übernahm, hatte er sich vom Schock der Guillaume-Affäre erholt. Er war ein international angesehener Gesprächspartner, der sein ganzes politisches Gewicht als Friedensnobelpreisträger in die Waagschale werfen konnte. 16 Jahre sollte er der SI vorstehen und aus ihr eine ebenso geachtete wie einflussreiche Größe der „Weltinnenpolitik” machen.
Der neue Band der Willy-Brandt-Edition gibt Aufschluss über Brandts Wirken als SI-Präsident und Vorsitzender der von der Weltbank ins Leben gerufenen Nord-Süd-Kommission. In ihrem Auftrag erarbeitete der Altbundeskanzler seit 1977 Vorschläge für eine Reform der Entwicklungszusammenarbeit: mehr Mitsprache und finanzielle Unterstützung für die Entwicklungsländer, eine gerechtere Gestaltung des Weltwährungssystems und ein umfassendes Welternährungsprogramm gehörten schon damals zu seinen Vorschlägen. Er sei Teil einer Generation, die zweimal Hunger erlebt habe, so Brandt. „Deshalb möchte ich nicht, dass eine neue Generation erlebt, wie aus Hunger Krieg wird. Wenn es uns nicht gelingt, den Hunger von Hunderten von Millionen zu überwinden, können sich daraus gewaltsame Auseinandersetzungen ergeben, die in einen dritten Weltkrieg münden.”
Die sorgfältig kommentierten und eingeleiteten 116 Dokumente zeigen Brandt als Mann von außerordentlicher Kraft und internationalem Gewicht. Sein politisches Programm umriss er bei seiner Antrittsrede im November 1976: Eine „Offensive für den gesicherten Frieden”, die dem Rüstungswettlauf ein Ende setzen sollte; eine „radikale” Umgestaltung der Nord-Süd-Beziehungen; und schließlich eine „Offensive für Menschenrechte”, die in keine politische oder geografische Richtung blind sein dürfe. Das waren keineswegs nur politische Sonntagsreden. In Portugal und Spanien waren Brandt und die SI Geburtshelfer der demokratischen Linken, die den verfolgten Genossen ebenso politisch wie materiell zur Seite standen. Eine seine ersten Amtshandlungen führte Brandt im Dezember 1976 nach Spanien, um dort auf dem ersten Kongress der spanischen Sozialisten (PSOE) seit dem Bürgerkrieg zu sprechen. 37 Jahre war dies her, und der nicht gerade zu übertriebenen Gefühlsausbrüchen neigende Brandt, der selbst als politischer Beobachter den Sieg Francos erlebt hatte, bemerkte tief bewegt: „Wenn es zu den Pflichten eines guten Politikers gehört, seine Emotionen zu verbergen, so werde ich in diesem Augenblick kein Politiker sein.”
Brandt konnte sich während seiner Amtszeit auf ein Netzwerk enger politischer Freunde verlassen, zu denen vor allem der schwedische Ministerpräsident Olof Palme und Österreichs SPÖ-Bundeskanzler Bruno Kreisky gehörten. Aktiv unterstützten sie die Antiapartheidsbewegung in Südafrika und den Kampf der lateinamerikanischen Befreiungsbewegungen, allen voran in El Salvador und in Nicaragua. Dabei ging es ihm nicht nur um die Unterstützung sozialreformerischer Kräfte in ihrem Kampf gegen die Militärdiktaturen, sondern auch um den Versuch, den kommunistischen Einfluss in der „Dritten Welt” einzudämmen.
Doch anders als seine Vorgänger hatte Brandt gelernt, seinen Gesprächspartnern in Lateinamerika, Asien und Afrika zuzuhören und sie nicht mehr als hörige Empfänger von Entwicklungshilfegeldern zu betrachten. Die Überwindung einer allzu stark auf Europa fixierten Idee von „Entwicklung” gehört damit zu seinen bleibenden Leistungen – auch wenn sich manche Forderung als Illusion erwies und im Sand diplomatischer Kompromisssuche unterging.
Der „Brandt-Report”, wie der Bericht der Nord-Süd-Kommission hieß, verpuffte jedenfalls weitgehend. Aus Brandts Sicht waren deshalb die 80er Jahre ein „verlorenes Jahrzehnt”. Dafür machte er vor allem die USA und die „neoliberale” Reagan-Administration verantwortlich, die allen Reformvorschlägen des Berichts beim Nord-Süd Gipfel 1981 in Cancún eine Abfuhr erteilten. In die Kritik geriet Brandt während seiner Amtszeit nur ein Mal, als sein Protest an der Ausrufung des Kriegsrechtes in Polen am 13. Dezember 1981 allzu zaghaft ausgefallen war. Brandt war in seinem Amt alles andere als ein romantischer Schwärmer. Während er, ganz realpolitischer Pragmatiker, einen Einmarsch der Sowjetunion befürchtete und auf die Stabilisierung der Verhältnisse setzte, drangen vor allem französische und italienische Sozialisten auf eine scharfe Verurteilung des polnisches Regimes und ein deutliches Zeichen der Solidarität für die polnische Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc.
Eindringlich zeigen die Interviews, Briefe und Reden Brandts leidenschaftlichen Einsatz für Frieden, Solidarität und Gerechtigkeit, der nach seinem Ausscheiden aus dem Kanzleramt eine Art „zweiten” politischen Frühling erlebte. Man kann dabei nur staunen, wie sehr sich das Arbeitsfeld sozialdemokratischer Altbundeskanzler in den letzten Jahrzehnten verändert hat.
DIETMAR SÜSS
WILLY BRANDT: Über Europa hinaus. Dritte Welt und Sozialistische Internationale. Berliner Ausgabe, Band 8. Bearbeitet von Bernd Rother und Wolfgang Schmidt. Verlag J.H.W. Dietz, Bonn 2006. 688 Seiten, 27,60 Euro.
Netzwerk politischer Freunde: Willy Brandt mit Bruno Kreisky und Olof Palme (von rechts) im Mai 1975. Kreisky Archiv
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.10.2006

Bewegendes, das nichts bewegte
Willy Brandt als Leiter der Sozialistischen Internationale und der Nord-Süd-Kommission

Auf den elder statesman Brandt warteten nach seinem Rücktritt als Bundeskanzler 1974 zwei neue Herausforderungen: 1976 wurde ihm das Amt des Präsidenten der Sozialistischen Internationale (SI) anvertraut, das er 16 Jahre lang unangefochten ausüben sollte, und 1977 übernahm er auf Bitten des Weltbank-Präsidenten Robert McNamara den Vorsitz in der Nord-Süd-Kommission, die Vorschläge für eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung zu entwickeln hatte. Beide Bürden hatte Brandt, der sich mit Fragen der Entwicklungspolitik bisher nur am Rande beschäftigt hatte, nur zögerlich auf sich genommen. Denn zum einen lag die SI, deren Londoner Büro schlechter ausgestattet war als "jedes Bezirkssekretariat der SPD", in der Agonie. Zum anderen war der ebenfalls von der Weltbank in Auftrag gegebene und 1969 vorgelegte Pearson-Bericht, der die bisherigen weltweiten Entwicklungshilfeanstrengungen dokumentierte, in den Parlaments- und Universitätsarchiven verstaubt. Trotz aller Vorbehalte und Unwägbarkeiten ging Brandt mit großem persönlichen Einsatz an die Arbeit, die ihn an die Träume seiner Jugend erinnert haben mag - den Kampf für eine Welt des Friedens, der Freiheit, der sozialen Gerechtigkeit und der Solidarität.

In seiner programmatischen Antrittsrede als Präsident der SI im November 1976 rief er zu drei großen Offensiven auf: eine für "gesicherten Frieden", die dem Wettlauf der Rüstungen, von ihm als "Marathon des Irrationalismus" bezeichnet, ein Ende setzte; eine für "neue Beziehungen zwischen Nord und Süd", die er als Teil der Friedenspolitik verstand und einen "Feldzug gegen den Hunger, die Bevölkerungsexplosion und das Genozid der Not" einleiten sollte; und eine dritte für die Menschenrechte, wobei er sich zugleich von den "Falschmünzern" distanzierte, die die Menschenrechte gegen eine Politik der Entspannung auszuspielen versuchten. Als Verdienst konnte er sich anrechnen, die "Eurozentrik" in der internationalen Zusammenarbeit der SI aufgebrochen zu haben, indem er an alle Parteien ein Kooperationsangebot machte, die offen für die Ziele der SI waren. Insbesondere zahlreiche lateinamerikanische sozialreformerische Parteien gingen auf diese Offerte ein. Der SI-Präsident unterstützte auch die Befreiungsbewegungen in Lateinamerika, vor allem die Sandinisten in Nicaragua, um sie dem Einfluß Moskaus zu entziehen. Als die Sandinisten den Sirenenklängen Moskaus zu verfallen drohten, brachte er sie mit scharf formulierten Mahnungen dazu, für 1984 freie Wahlen anzukündigen, wodurch die Vereinigten Staaten von Amerika ihren Vorwand für eine Invasion in Nicaragua verloren.

Brandts Eintreten für die lateinamerikanischen Befreiungsbewegungen brachte ihn in scharfen Gegensatz zu Washington, dessen Unterstützung der "Contras" von ihm mit deutlichen Worten kritisiert wurde. Seine Hoffnung, daß die "Tage der Diktaturen" in Lateinamerika "gezählt" seien, erwies sich indes als ein allzu naiver Optimismus, der durch den erfolgreichen Kampf gegen die Diktaturen in Portugal und Spanien genährt worden sein dürfte, wo Brandt, unterstützt von der Friedrich-Ebert-Stiftung, zunächst dem portugiesischen Sozialistenführer Mário Soares und später auch seinem politischen Ziehsohn in Spanien, Felipe González, den Weg zur Regierungsmacht ebnen half.

Unter Brandts Präsidentschaft trat die SI aus ihrem Schattendasein heraus. Angefochten wurde seine Autorität nur 1981, als er nach der Verhängung des Kriegsrechts in Polen aus Furcht vor einer Intervention der Sowjetunion eine übervorsichtige Protesterklärung verfaßte, die insbesondere von den italienischen und französischen Mitgliedern der SI als eine moralisch nicht gerechtfertigte Leisetreterei gewertet wurde. Brandts Erfolge als SI-Präsident beruhten indes nicht zuletzt auf der hervorragenden Kooperation zwischen dem schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme und dem österreichischen Bundeskanzler Bruno Kreisky, über die man in der Edition leider nur wenig erfährt, da schriftliche Quellen über deren Zusammenkünfte nicht vorhanden sind. Es dürfte allerdings nicht zuviel gesagt sein, daß es ohne dieses Netzwerk der Freundschaft wohl kaum zu einem koordinierten Vorgehen etwa bei der Unterstützung der Befreiungsbewegungen oder der Vermittlung in Krisenregionen wie dem Nahen Osten gekommen wäre, wobei der Handlungsspielraum der Internationale für eine Nebenaußenpolitik immer sehr beschränkt blieb. Denn sie wirkte allein durch das Wort, ohne irgendwelche Machtmittel in der Hand zu haben.

Umstrittener als Brandts Arbeit als SI-Präsident war der von ihm 1980 vorgelegte Bericht der Nord-Süd-Kommission, der schon bald Brandt-Report hieß. Er war ein Plädoyer für eine neue Weltwirtschafts- und -finanzordnung, wobei Entwicklungshilfe als Konjunkturpolitik verstanden wurde. Keynes hatte bei der Ausarbeitung des Berichts oft Pate gestanden. Brandt verband die Vorlage des Berichts mit einem Millenniumsziel: Bis zum Jahre 2000 sollte der Hunger in der Welt besiegt sein. Daß dieses Ziel vielleicht zu ehrgeizig war, konnte Brandt nicht ableugnen. Er glaubte jedoch, daß der Nord-Süd-Konflikt "die wirtschaftliche und soziale Frage für den Rest unseres Jahrhunderts" sei, und erhob den Kampf gegen den Hunger zu einer Frage des Überlebens für die Menschheit: "Ich gehöre zu einer Generation, die zweimal erlebt hat, daß und wie aus Krieg Hunger wird. Deshalb möchte ich nicht, daß eine neue Generation erlebt, wie aus Hunger Krieg wird."

Der Brandt-Report fand zwar eine große Resonanz, aber letztlich ereilte ihn ein ähnliches Schicksal wie den Pearson-Bericht: Die Regierungen in Ost und West dachten gar nicht daran, die gemachten Vorschläge in die Praxis umzusetzen. Das galt auch für die Bundesregierung. Helmut Schmidt wünschte keine Umstrukturierung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank durch mehr Mitspracherechte der Entwicklungsländer, da sich dadurch das "Kreditstanding" verschlechtere. Er wußte sich in dieser Frage in Übereinstimmung mit den Finanzexperten der Bundesrepublik, die zudem kein gutes Haar an der anvisierten Gründung eines Weltentwicklungsfonds ließen, der auf den Kapitalmärkten einen "Schock" auslöse. Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Rainer Offergeld, monierte die "dirigistischen Vorstellungen" des Berichts und plädierte für mehr Eigenleistungen der Entwicklungsländer. Der Nord-Süd-Gipfel der Regierungschefs 1981 in Cancún gab sehr zur Enttäuschung Brandts nicht den Anstoß für verstärkte weltweite Anstrengungen auf dem Entwicklungshilfesektor. Der amerikanische Präsident Ronald W. Reagan hatte sich der Verantwortung entzogen, indem er mehr private Investitionen anmahnte, was Brandt für einen Irrweg hielt, denn diese erreichten nur selten die ärmsten Länder. Zudem vertrat Brandt grundsätzlich die Meinung, daß der ungezügelte marktwirtschaftliche Wettbewerb "wenige Schnellstraßen mit viel unwirtlichem Niemandsland" hervorbringe.

Daß die achtziger Jahre für die Entwicklungspolitik ein "verlorenes Jahrzehnt" wurden, lastete Brandt in einer zu einseitigen Sichtweise vor allem dem amerikanischen Präsidenten an, den er für das Scheitern einer Rüstungsbegrenzung verantwortlich machte, in der er weiterhin die Voraussetzung für eine Steigerung der Entwicklungshilfeleistungen sah. Brandt resignierte indes trotz der großen Rückschläge nicht; für ihn stand weiterhin das Überleben der Menschheit auf dem Spiel "auf einem Planeten, den unser Genie klein gemacht hat und unsere Weisheit bewohnbar machen muß". Seit Ende der achtziger Jahre setzte er seine Hoffnung verstärkt auf eine institutionelle Reform der UN, deren Kompetenzen er durch eine Art Sicherheitsrat für globale Umwelt- und Entwicklungsangelegenheiten erweitern wollte. Außerdem sollte der Internationale Gerichtshof größeres Gewicht erhalten. Das Reizwort Weltwirtschaftsordnung verwendete er jetzt nicht mehr, da sich mit ihm illusionäre Erwartungen verbunden hatten. Auch wuchs nach der Machtergreifung Ajatollah Chomeinis in Iran bei ihm das Bewußtsein für die innergesellschaftlichen Konflikte der Entwicklungsländer, wie etwa "atavistisch erscheinende Rassen- und Glaubenskämpfe". Die politische Entwicklung in Iran lehrte ihn, daß die fundamentalistischen Bewegungen einen politischen Sprengstoff bargen, "der einen gemeinsamen Nenner in Grundsatzfragen von Demokratie und Menschenrechten nur schwer erkennen läßt".

Die 116 Dokumente im achten Band der Berliner Willy-Brandt-Ausgabe sind nicht nur ein Zeugnis für Brandts Bemühen um eine Lösung der Nord-Süd-Problematik, sondern häufig auch für seinen lange Zeit unerschütterlichen Optimismus, daß sich Konflikte auf dem Wege des Dialogs und der Erkenntnis gegenseitigen Interesses lösen lassen. Das entsprach der Strategie, die Brandt bei der Ost- und Deutschlandpolitik angewandt hatte, die aber bei der Hilfe für die Dritte Welt nur geringe Erfolge zeigte. Die Edition bildet eine Ansammlung von Reden, Deklarationen, Appellen und Mahnungen, die - so bewegend sie sind - nichts bewegten und daher unausweichlich eine Vielzahl von Wiederholungen enthalten. Wenngleich wir viele von Brandts Hoffnungen und Konfliktlösungsvorschlägen auch heute nicht mehr teilen können, so bleibt doch seine Einsicht hochaktuell, daß wir uns ein "Schneckentempo nicht leisten" können, wenn die Wirtschaft das "Tempo der Internationalisierung" bestimmt.

PETRA WEBER

Willy Brandt: Über Europa hinaus. Dritte Welt und Sozialistische Internationale. Berliner Ausgabe, Band 8. Bearbeitet von Bernd Rother und Wolfgang Schmidt. Verlag J.H.W. Dietz, Bonn 2006. 688 S., 27,60 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Angetan berichtet Petra Weber über den achten Band der Berliner Willy-Brandt-Ausgabe, der Brandt als Leiter der Sozialistischen Internationale und der Nord-Süd-Kommission vorstellt. Die 116 Texte dokumentieren ihres Erachtens den engagierten Einsatz des Politikers für eine Lösung der Nord-Süd-Problematik. Neben den Erfolgen Brandts als Leiter der Sozialistischen Internationale geht Weber vor allem auf den 1980 erschienenen Brandt-Report ein, dessen Ziel der Sieg über den Hunger bis zum Jahr 2000 mittels einer neuen Weltwirtschafts- und -finanzordnung war. Die Dokumente bezeugen für sie auch den optimistischen Glauben Brandts, dass sich Konflikte auf dem Weg des Dialogs und der Erkenntnis gegenseitiger Interessen lösen ließen. Die Reden, Deklarationen, Appelle und Mahnungen, die der Band versammelt, findet sie durchaus "bewegend". Angesichts der Situation in der Dritten Welt kommt sie allerdings zu dem Urteil, dass sie "nichts bewegten". Nichtsdestoweniger unterstreicht sie Brandts Einsicht, wir könnten uns ein "Schneckentempo nicht leisten", wenn die Wirtschaft das "Tempo der Internationalisierung" bestimme.

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