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Produktdetails
  • Verlag: Nomos Verlag
  • ISBN-13: 9783789072987
  • ISBN-10: 3789072982
  • Artikelnr.: 25275431
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.02.2002

Mein ganzes Leben ist verdorben!
Ungeliebter Brotberuf: Theodor Storm als Richter

Theodor Storm war ein bedeutender Dichter und ein durchschnittlicher Jurist. Das ist bekannt. Bekannt sind auch die Umrisse seiner beruflichen Laufbahn und sein Verhältnis zur Juristerei. Er studierte in Kiel und Berlin und hat dann seinen Beruf bis zur Pensionierung mit 63 Jahren ausgeübt: Rechtsanwalt im damals noch dänischen Husum, nach seinem politisch motivierten Berufsverbot Wechsel nach Preußen, Assessor in Potsdam, Kreisrichter in Heiligenstadt, nach dem Ende der dänischen Herrschaft wieder in Husum, zuerst als Landvogt, dann als preußischer Richter, alles in allem 43 Jahre Justizwesen.

Gemocht hat er Materie und Beruf nicht sonderlich. In verdrossenen Äußerungen spricht er vom Amt als einer "Tortur, die Kräfte und Besinnung raubt", ihm gar sein "ganzes Leben verdirbt". Ein andermal beklagt er, daß er seine "besten Kräfte" an etwas hingeben müsse, was "tausend Andere auch statt meiner tun könnten, und dass für meine individuelle Lebensaufgabe, die nur ich erfüllen kann, mir fast keine Zeit übrig bleibt und keine Stille und Gemütsruhe". Dichtung und Beruf: für Storm zwei getrennte Sphären.

Heiner Mückenberger geht kein kleines Wagnis ein, wenn er jetzt auf nicht weniger als 250 großformatigen Seiten eine "rechtsgeschichtliche Lebensbeschreibung" Storms vorlegt. Aber das Buch ist ein Gewinn. Es faßt das Bekannte zusammen und wertet eine ganze Reihe von Dokumenten zum ersten Mal aus. Als ehemaliger Vorsitzender einer Jugendstrafkammer ist Mückenberger für die juristischen Aspekte seines Themas ungleich besser und für die menschlichen offenkundig mindestens so gut gerüstet wie ein Germanist. Schärfer konturiert erscheint nun die Rechtskultur, in die der junge Storm hineinwächst und die noch ganz durch ein vielfach zersplittertes, vormodernes und rein kasuistisches Gewohnheitsrecht geprägt war. Mit dem preußischen Rechtswesen, in das sich der dreifache Familienvater nach 1853 in bitterer Lehrzeit, immer am Rande des Zusammenbruchs, einarbeiten mußte, konnte sich Storm nie recht anfreunden und kanzelt auch schon mal das "schlechte Strafgesetzbuch" Preußens ab.

Mückenberger stellt hier manches in ein anderes Licht, was vor dreißig Jahren etwa Hartmut Vinçon einseitig als reaktionäre preußische Klassenjustiz gedeutet hatte. In Wirklichkeit hatte Preußen bei allen Mängeln nicht nur ein leistungsfähiges, sondern auch im politischen Sinne fortschrittliches Rechtswesen. Storm bequemte sich ihm an, aber seine Aufgeschlossenheit für juristische Reformen hielt sich in Grenzen. Seine eigenen richterlichen Urteile, resümiert Mückenberger, atmen einen "eigentümlichen Hauch von bürgerferner Amtlichkeit, auch von Kühle", wie etwa ein menschlich erstaunlich gleichgültiger Bescheid der Unterhaltsklage einer sitzengelassenen Mutter zeigt. Minutiös zeigt der Autor auch, wie geschickt Storm, nach Husum zurückgekehrt, seine Gehaltsforderungen durchzufechten verstand - keine Kleinigkeit bei einem so knauserigen Kontrahenten wie dem preußischen Staat.

Mückenbergers Darstellung von Storms Berufsleben ist gerade in ihrer Ausführlichkeit und ihrer von Menschenkenntnis geprägten pragmatischen Sicht eine gute Fallstudie über das drückende Gewicht des Joches "Brotberuf" auf den Schultern eines künstlerisch hochbegabten Menschen.

Storm hat es getragen. Anders als beispielsweise seine Kollegen Grabbe oder Georg Heym dachte er nie daran, sich einem antibürgerlichen Geniekonzept zu verschreiben und dann zu erwarten, daß die Welt das Genie alimentiere. Er hat sich ihren Ansprüchen tapfer gebeugt und sein dichterisches Hauptgeschäft in den engen Käfig der knappen Nebenstunden gezwängt. Nicht auszuschließen, daß auch dies sein Scherflein zur Atmosphäre von grauer Schicksalsschwere, Entsagung und Scheitern beigetragen hat, die Storms Werk grundieren.

Im alten Streit, welche Haltung der Dichter Storm zur rasch fortschreitenden Modernisierung aller Lebensbereiche einnahm, schlägt sich Mückenberger in einem knappen Schlußkapitel über Juristisches im literarischen Werk auf die Seite der Skeptiker: Handlungsschemata und Wertesystem von Storms Erzählungen sieht er von nichtrationalen Ideen beherrscht, denen der Autor selbst zuneige. An der traurigen Geschichte des ehemaligen Zuchthäuslers John Glückstadt ("Ein Doppelgänger") könne man gut sehen, wie Storm eine realistische und rationale Behandlung des Themas "Rehabilitationschancen eines Vorbestraften" zugunsten eines affirmativ benutzten mythischen Schuld-Sühne-Schemas unterlasse. Das ist natürlich anfechtbar; andere haben Storm gerade als Kritiker solcher vorrationalen Deutungsmuster gesehen. Über den Juristen Storm wird nach diesem Buch wenig Neues mehr zu sagen sein, über den Dichter in diesem Juristen ist die Akte dagegen noch lange nicht geschlossen.

MATTHIAS RICHTER

Heiner Mückenberger: "Theodor Storm - Dichter und Richter". Eine rechtsgeschichtliche Lebensbeschreibung. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2001. VIII, 255 S., geb., 32,- .

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Matthias Richter sieht in dem Buch über Theodor Storms juristische und künstlerische Lebensbeschreibung eine nicht ganz einfache, aber durchaus geglückte Fallstudie. Der Autor Heiner Mückenberger, da selbst Jurist, verstehe es, durch Zusammenfassung und Neubewertung zahlreicher Dokumente die "rechtsgeschichtliche Lebensbeschreibung" Storms nachzuzeichnen, ohne dabei die menschlichen und künstlerischen Aspekte zu vernachlässigen. Die Meinung des Autors, dass Storms Literatur nur von "nichtrationalen Ideen" geprägt sei, hält der Rezensent für umstritten und kommt zu dem Schluss, dass über den Dichter Storm noch lange nicht alles gesagt ist.

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