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Wie alle Lebewesen wurde der Mensch in langen Ausleseprozessen geformt. Damit hat auch sein Gewissen einen biologischen Ursprung; dies scheint der Evolutionstheorie zu widersprechen, denn das Gewissen bremst rücksichtslosen Ellenbogen-Egoismus aus. Eine solche "Schwäche" produziert aber keine Sieger. Oder doch?Warum also hat sich beim Menschen ein Gewissen entwickelt? Ist es eine strategisch operierende Instanz zur Balance egoistischer und altruistischer Verhaltenstendenzen angesichts gesellschaftlicher Kooperation - wie landläufig vermutet wird? Oder liegt seine Funktion in der Intimität des…mehr

Produktbeschreibung
Wie alle Lebewesen wurde der Mensch in langen Ausleseprozessen geformt. Damit hat auch sein Gewissen einen biologischen Ursprung; dies scheint der Evolutionstheorie zu widersprechen, denn das Gewissen bremst rücksichtslosen Ellenbogen-Egoismus aus. Eine solche "Schwäche" produziert aber keine Sieger. Oder doch?Warum also hat sich beim Menschen ein Gewissen entwickelt? Ist es eine strategisch operierende Instanz zur Balance egoistischer und altruistischer Verhaltenstendenzen angesichts gesellschaftlicher Kooperation - wie landläufig vermutet wird? Oder liegt seine Funktion in der Intimität des sozialen Nahbereichs? Vieles weist darauf hin, dass die menschliche Moralfähigkeit entstanden ist, als unsere Vorfahren zu gemeinschaftlicher Betreuung der Kinder übergingen und in den Familien neuartige Konflikte, so genannte "Helfer-Konflikte" entstanden. Wenn diese Hypothese zutreffen sollte, stellt sich die keineswegs triviale Frage, wem eigentlich - in einem evolutionären Sinn - das Gewissen nützt: seinem Inhaber oder denjenigen, die es formen?
Autorenporträt
Prof. Dr. Eckart Voland lehrt Philosophie der Biowissenschaften an der Universität Gießen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören verschiedene Felder der evolutionären Anthropologie, insbesondere Soziobiologie, evolutionäre Ethik und evolutionäre Ästhetik. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen, von denen einige auch in andere Sprachen übersetzt wurden.

Renate Voland ist Psychologin und Leiterin einer Grundschule. Zusammen mit ihrem Mann Eckart Voland hat sie zu psychologischen Fragen publiziert, wobei es ihr vor allem um die evolutionären Hintergründe ontogenetisch früher Entwicklungen im menschlichen Verhalten geht und damit letztlich um ein verbessertes Verständnis von Lern- und Erziehungsprozessen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nach anfänglichem Interesse legt Thomas Thiel das Buch des Soziobiologen Eckart Voland und der Psychologin Renate Voland doch etwas ermüdet beiseite. Woher das Gewissen kommt, scheint Thiel zunächst einmal eine spannende Frage zu sein. Und wenn die Autoren den Ursprung im Eltern-Kind-Konflikt verorten, spitzt Thiel die Ohren. Dass die Sache derart knochenhart ist, Kinder als Langzeitinvestment und familiäres Zusammenleben als Kosten-Nutzen-Rechnung verstanden wird, wie hier vermittelt werden soll, möchte Thiel allerdings nicht glauben. Und weil die herangezogenen Beispiele vor allem aus dem Tierreich stammen und weniger aus der modernen Zivilisation, bleibt er lieber bei seinem Glauben, dass die Gesellschaft da auch noch ein Wörtchen mitzureden hat.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.06.2014

Eine schrecklich fitte Familie
Du sollst, denn du musst: Renate und Eckart Voland versuchen sich an einer soziobiologischen Kosten-Nutzen-Rechnung des Gewissens

Das Gewissen ist ein Irrläufer der Evolution. Schon Darwin stand ratlos vor diesem Wachtmeister der Moral, der im evolutionstheoretischen Gefüge nicht unterkommt. Ist es am Ende nur eine Laune der Natur, gewachsen aus dem Zusammenspiel von erwachendem Intellekt und kultureller Verfeinerung?

Mit der Moral hat es die Evolutionstheorie noch relativ leicht. Altruismus kann verkappter Egoismus sein. Wer sich durchweg egoistisch verhält, wird auf Dauer wenig Freunde finden. Langfristig ist es oft profitabel, sich kooperativ zu zeigen, umso mehr, je komplexer die Gesellschaft wird und je weniger die Folgen egoistischen Handelns zu berechnen sind. Die Moral ist der Skipper auf der See des Eigennutzes. Man ist so altruistisch wie nötig und so egoistisch wie möglich. Evolutionstheoretiker nennen das die Navigatortheorie.

Das Gewissen ist aus evolutionärer Sicht ein Störfaktor. Es bringt nur Nachteile. Wo die Navigatortheorie mit strikt opportunistischen Motiven operiert, folgt es starren Regeln, egal, ob es damit die Fitness stärkt oder schwächt. Meist tut es Letzteres. Das Gewissen straft oft und belohnt selten. Es fördert Scham und Schuld und mindert das Selbstwertgefühl. Der Gewissenstäter akzeptiert seine Strafe noch mit Stolz. Alles in allem hat das Gewissen eine ziemlich miese Fitnessbilanz. Warum ließ die Evolution das zu?

In ihrem Buch suchen Renate und Eckart Voland, sie Psychologin, er Soziobiologe, nach den vergessenen Gründe der Gewissensgenese und finden die Antwort im Kreis der Familie, genauer: dem Eltern-Kind-Konflikt, wo halb naturalistisch, halb freudianisch zu erfahren ist, wozu das Gewissen einmal gut war und bis heute ist.

Die in knochenhartem Ökonomiejargon verfassten soziobiologischen Planspiele über familiäre Investments, Netto-Fitnesseinbußen durch Kinderaufzucht oder Selbstmordattentate als lohnendes Langzeitinvestment in die Erblinie sind nichts für zarte Gemüter, entfalten aber doch einen schrägen Reiz. Aus naturalistischer Sicht verhält es sich mit dem Gewissen so: Der Homo sapiens schlug den evolutionären Sonderweg der kooperativen Fortpflanzungsgemeinschaften ein. Will heißen: Man kümmert sich gemeinsam um den Nachwuchs. Kinder verursachen Stress und mindern die Fitness. Damit sie zur lohnenden Anschaffung werden, müssen sie zur Mithilfe verpflichtet werden, wovon sie selbst wenig Nutzen haben.

Hier hat das Gewissen seinen Auftritt: Es ist die Keule, mit der die Eltern ihre Kinder in moralischer Haft und in der für sie unvorteilhaften Helferrolle halten. Eltern, die nur an der Weitergabe ihres eigenen Erbmaterials, vulgo ihrer Fitness, interessiert sind, ziehen es früh als internalisierten Zwang heran. Der Arm der Familie reicht weit. Wie Studien nahe legen, entsteht das Gewissen sehr früh in der Eltern-Kind-Beziehung, und es quält die Nachkommen ein Leben lang.

Zum Familienbild der Autoren lässt sich sagen: Hier möchte man nicht geboren sein. Wer sich Familie als geschützten Raum vorstellt, an dem man im Durchschnitt etwas rücksichtsvoller miteinander umgeht, wird unsanft geweckt. Das Zusammenleben ist hier eine nackte Kosten-Nutzen-Rechnung, die unter dem Primat erfolgreichen Gentransfers steht. Und der Kampf aller gegen alle wird perfide geführt. Liebe und Fürsorge, schreiben die Autoren, sind faktisch Formen von Dominanz. Geborgenheit bekommt nur, wer sie später vermutlich zurückzahlen kann. Im Fachjargon heißt dies differentielles Elterninvestment. Eltern bevorzugen gezielt die Kinder, die bessere Aussichten für die Reproduktion des eigenen Genmaterials versprechen.

Für die vom Gewissen erzwungene Selbstbescheidung zugunsten genetisch hoffnungsvollerer Verwandter bringen die Autoren manches Beispiel: aus dem heutigen Indien, aus dem Spanien des 17. Jahrhunderts, aus dem Tierreich. Oft reicht für die Erklärung des beschriebenen Phänomens schon der soziologische Verweis auf sexuelle Ungleichheit, ökonomische Rückständigkeit oder das Erbrecht. Zumindest im Sinn ihres eigenen Theoriedesigns wäre das den Autoren als mangelnde Ökonomie vorzuhalten. Es ist auch kein Zufall, dass sie ihre Belege vornehmlich in archaischen, rural geprägten oder Tiergesellschaften finden - und so gut wie nie in der modernen, individualisierten Zivilisation. Dass Kultur sich entwickelt und vom Absolutismus der Wirklichkeit emanzipiert, bleibt ein ferner Gedanke. Erklärbar wird andererseits, warum das Gewissen ausschließlich negativ erfahren wird. Es dient dem Erfolg anderer, belastet aber das eigene Konto.

Dass sie kontraintuitiv sind, ist gegen diese Thesen noch kein Einwand. Ist es ja gerade das Ziel der Autoren, die Instinktquellen der täuschungsanfälligen Alltagsmoral freizulegen. Dass Moral jedoch ohne jeden Vernunftbeitrag rein affektiv reguliert wird, bleibt eine schlichte Behauptung, genauso unausgeführt wie die schlecht sitzende Metapher von der Kultur als einem anderen Gewand der Natur.

Beides stellt die Weichen für die abschüssige Umdeutung des Gewissens zu einem reinen Schuld-und-Scham-Pranger. Das beruhigende Gefühl, sich im sozialen Kontakt auf eine Gewissensethik und nicht nur auf eine Mechanik des Instinkts beziehen zu können oder auf die implizite "Belohnung" durch ein gutes Gewissen, spielt keine Rolle. Bei der deterministischen Prägung des Gewissens in der Frühkindphase treffen sich schließlich die Dogmen von Soziobiologie und Psychoanalyse. Der Familie allen und der Gesellschaft gar keinen Einfluss auf die Gewissensbildung zuzuschreiben ist zumindest ein eigenwillig gesteckter Grenzpfahl. Nach zweihundert Seiten legt man das Buch nach anfangs wachsendem Interesse doch etwas ermüdet beiseite.

THOMAS THIEL

Eckart Voland und Renate Voland: "Evolution des Gewissens". Strategien zwischen Egoismus und Gehorsam.

Hirzel Verlag, Stuttgart 2014. 256 S., Abb., geb., 32,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"... erlebten wir das Buch als einen fruchtbaren und bereichernden Beitrag zur evolutionstheroretischen und psychologischen Auseinandersetzung mit den Phänomenen von Altruismus, Kooperation und Empathie." Luzerner Stiftung für Umweltinformation Info-Bulletin Nr. 46 Dezember 2014