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Die Hauptakteure des Kunstsystems - Sammler, Kunsthistoriker und Künstler - haben eines gemein: Sie alle sind hyperimage -Bildner. In Ausstellungen, illustrierten Kunstbüchern und im Unterricht werden Bilder oder ihre fotografischen Reproduktionen als kalkulierte Ensembles mit eigener Bedeutung arrangiert. Für deren Untersuchung ist die Kunstgeschichte bislang kaum gerüstet. Felix Thürlemann entwirft eine Theorie dieser besonderen Form des pluralen Bildgebrauchs, die charakteristisch ist für den Umgang der westlichen Kultur mit dem Bild. Jede Zusammenstellung von Bildwerken zu einem größeren…mehr

Produktbeschreibung
Die Hauptakteure des Kunstsystems - Sammler, Kunsthistoriker und Künstler - haben eines gemein: Sie alle sind hyperimage -Bildner. In Ausstellungen, illustrierten Kunstbüchern und im Unterricht werden Bilder oder ihre fotografischen Reproduktionen als kalkulierte Ensembles mit eigener Bedeutung arrangiert. Für deren Untersuchung ist die Kunstgeschichte bislang kaum gerüstet. Felix Thürlemann entwirft eine Theorie dieser besonderen Form des pluralen Bildgebrauchs, die charakteristisch ist für den Umgang der westlichen Kultur mit dem Bild. Jede Zusammenstellung von Bildwerken zu einem größeren Ganzen kommt - dies ist die Hauptthese des Buches - einer Deutung und ästhetischen Wertung der beteiligten Werke gleich. Da die hyperimages nicht auf Dauer gestellt sind, erweist sich ihr Studium als wichtige, bislang vernachlässigte Quelle für die wechselnden historischen Konzepte von 'Kunst'.
Autorenporträt
Felix Thürlemann ist seit 1987 Professor für Kunstwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität Konstanz.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.02.2014

Schmeling wieder
in Berlin
Bilder im Plural: Eine Kunstgeschichte des „Hyperimage“
Picasso war sich seiner Sache sicher. Er wusste um die Tragweite dessen, was er geschaffen hatte, als er im Dezember 1912 eine aus Karton geschnittene Gitarre an seine Atelierwand pinnte. Um das rohe Objekt gruppierte er eine Reihe abstrakter Stillleben auf Papier, darunter auch einige papiers collés, aus denen kurz darauf die Collage hervorgehen sollte, sowie eine Ausgabe der Zeitschrift L’Illustration théâtrale. Auf dem Cover kündigte sie eine Geschichte unter dem Titel „Le Vieil Homme“ an: Der alte Mann. Wiederholt variierte Picasso das Arrangement mit dem Musikinstrument in der Mitte und nahm jeweils die Kamera zur Hand, um es festzuhalten.
  Schon bald sollte die besondere Gitarre eine bahnbrechende Wirkung auf die moderne Skulptur hervorrufen. Picasso begründete mit ihr eine konstruktive Form völlig eigener Geltung, ist doch das Schallloch als Röhre und der Resonanzkörper als offener Raum gestaltet. Die Skulptur beflügelte auch seine eigene Malerei, die „synthetische“ Spielart des Kubismus. Warum aber arrangierte er sie, gleich mehrfach, mit dem Magazin und den Zeichnungen? Und weshalb war ihm diese Kombination der eigenen Arbeiten so wichtig, dass er sie der Nachwelt überlieferte?
  In seiner Studie „Mehr als ein Bild“ interpretiert Felix Thürlemann das denkwürdige Bildcluster an Picassos Atelierwand auf kongeniale Weise. Schon 1903 malte Picasso einen greisen Gitarrenspieler und zitiert das eigene Bild (heute im Art Institute Chicago) nun in Gestalt der Zeitschrift und des darin erscheinenden alten Mannes. Durch die Paarung der Werke lässt er die Kartongitarre metaphorisch erklingen: Der Melodie des Instruments entsprechen die Zeichnungen, die es umkreisen, womit Picasso zugleich jene Metapher in Erinnerung ruft, die sich mit dem Lautenspieler in Giorgiones „Concert champêtre“ verbindet: Giorgione hat sich, einer Interpretation Vasaris zufolge, in dem Musikanten selbst dargestellt.
  Das Bildbeispiel aus dem Atelier am Boulevard Raspail dient Thürlemann als künstlerisches Argument in seinem Plädoyer „für eine Kunstgeschichte des hyperimage“ – für ein methodisches Vorgehen, das die Zusammenhänge von Kunstwerken stärker berücksichtigt und von vornherein in „Bildsystemen“ (Wolfgang Kemp) denkt, anstatt sich nur auf das einzelne Werk zu konzentrieren.
  „Hyperimage“: Der Begriff klingt nach Postmoderne und Computerzeitalter, wo in jedem Bild ein anderes gespeichert ist und, wie beim „hypertext“, alles mit allem verlinkt wird. Doch meint Thürlemann, der Konstanzer Kunsthistoriker und Semiotiker, nicht die kontingente und rhizomatische, also heillos vor sich hinwuchernde Vernetzung. Hypertext steht vielmehr für die „kalkulierte Zusammenstellung von ausgewählten Bildobjekten – Gemälden, Zeichnungen, Fotografien und Skulpturen – zu einer neuen, übergreifenden Einheit“. Maßgeblich für Thürlemanns „hyperimage“ ist der Umstand, dass die Bildkontexte variierbar und damit flexibel für neue Zusammenhänge bleiben wie in Museumssammlungen, Ausstellungen, Bildbänden oder auch der Power Point Präsentation: Mit jedem neuen Arrangement, so Thürlemanns plausibel vorgetragene These, werden die Objekte neu gedeutet, entstehen andere Bedeutungsregister.
  Exemplarisch bespricht Thürlemann hyperimages, die durch Sammler, Kunsthistoriker und Künstler hergestellt werden. Am Ursprung steht die – aufs Altarbild zurückgehende – Pendanthängung, bei der Bilder um eine Mittelachse spiegelbildlich einander zugeordnet sind. Was sich in einem einzigen Gemälde wie dem des „Erzherzogen Leopold Wilhelm in seiner Brüsseler Galerie“ von David Terniers d. J. aus dem Jahr 1653 zuerst als bloßes Bildergewimmel darstellt, ist wohl geordnet nach Gattungen und Schulen.
  Schon im früheren 17. Jahrhundert hatte ein Maler wie Frans Francken d. J. das Prinzip der Wunderkammer in das vielschichtig gegliederte Einzelwerk integriert. In der Grande Galerie des Louvre werden um 1800 dann die Wände nach den Maßgaben von „Ordnung, Unterricht und Gliederung“ gestaltet, um die Heroen der Kunstgeschichte, so Thürlemann, in „diagrammatischer Logik“ zu inthronisieren, voran Raffael oder eben auch Guido Reni. Die einfühlende und die analytische Betrachtung der Bilder ergänzen und steigern sich wechselseitig.
  Per se zielt jedes hyperimage auf vergleichendes Sehen ab. Wie ergiebig es sich methodisch instrumentalisieren lässt, demonstriert Thürlemann anhand der kunst- und kulturhistorischen Ansätze von Heinrich Wölfflin, Aby Warburg und André Malraux. In seinen suggestiven Bildpaaren stellte Wölfflin (1864-1945) den Barock als Reaktion auf die Renaissance dar. So kontrastreich er die Epochen in den von ihm gewählten Bildern voneinander abgegrenzt habe, in so „subtiler Spracharbeit“ habe Wölfflin andererseits die stilistische Entwicklung hervorgehoben: Dieses „dialektische Zusammenspiel“ begründe bis heute die Faszination des Klassikers „Kunstgeschichtliche Grundbegriffe“ von 1915.
  Anschaulich schildert Felix Thürlemann die Gereiztheit des späten Warburg (1866-1929) über den „Bildersalat“, der den Zeitgenossen neuerdings in den Zeitungen zugemutet werde. Der Urheber des großen Atlanten über die Pathosformeln seit der Antike sah hier „barbarische Stillosigkeit“ am Werk, auf die er am Ende seines Werks, so Thürlemann, nur mehr mit dadaistisch angehauchtem „Revoluzzergeist“ zu reagieren wusste: Warburg zerschnitt einzelne Artikel mit Fotos und Schlagzeilen und kombinierte sie so, dass die Sportnachricht über „Schmeling am Mittwoch wieder in Berlin“ das Foto von Außenminister Stresemann beim Unterzeichnen des Vertrags von Locarno zu kommentieren schien. So kommentierte Warburg seinerseits den Bilderwahn des Zeitgeists. Malraux (1901-1976) schließlich bekräftigte mit dem hyperimage ein „imaginäres Museum“, in dem er einen Universalismus über alle kulturellen und historischen Grenzen hinweg propagierte.
  Abschließend schlägt Thürlemann den Bogen in die Gegenwartskunst: Die essayistischen Bildbeziehungen von Wolfgang Tillmans weist er als Resultat einer eigenen Grammatik nach. Der Fotograf kombiniert Bilder keineswegs nur in freischwebender Intuition, er stellt sie gezielt aus den Untergruppen seines Œuvres zusammen: „People“, „Still Lives“, „Struktur“, „Photographic/Light“. So eröffnen sich am Ende dieser Abhandlung über das Bild im Plural schlüssige Kontexte sogar noch zwischen dem Kaffee in der Tasse und dem Urinstrahl, der sein Ziel, die Toilette, großzügig verfehlt: „Der Sprung in der Haut des abgestandenen Getränks bekommt dadurch, dass er wie eine symmetrische Antwort auf den ,Strahl‘ wirkt, ein noch stärkeres Eigenleben.“
GEORG IMDAHL
Aby Warburg klagte über den
„Bildersalat“ in den
Zeitungen – und griff zur Schere
      
    
    
  
Felix Thürlemann: Mehr als ein Bild. Für eine Kunstgeschichte des hyperimage, Wilhelm Fink Verlag,
München 2013. 224 Seiten, 34,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dass kein Bild jemals für sich allein steht, erfährt Anne Kohlick bei der Lektüre von Felix Thürlemanns alternativer Kunstgeschichte. Wenn der Autor sein Konzept des hyperimage, also die von Künstlern, Sammlern und Kunsthistorikern etwa für Ausstellungen kreierten Bildzusammenstellungen, durch die Geschichte der Kunst seit dem 17. Jahrhundert bis heute zu erläutern sucht, geht Kohlick ein Licht auf. Nicht nur erkennt sie dank Thürlemanns müheloser wie ansprechender Führung die neue Einheit in der Addition autonomer Bilder. Auch über das Kunst- und Werkverständnis von Künstlern und Kunsthistorikern wie Picasso, Wolfgang Tillmans, Aby Warburg und Andre Malraux gibt ihr der Band Aufschluss.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.04.2014

Dem Gespräch der Bilder zuhören

Auf die Komposition kommt es an, ob mit Gemälden im Museum oder mit Postkarten an der Atelierwand: Felix Thürlemann plädiert für eine Kunstgeschichte des "hyperimage".

Sie thront über allem wie eine Königin - Picassos "Femme assise dans un fauteuil". Der Maler Pierre Bonnard hat die Reproduktion des Gemäldes von 1941 an die Wand seines Ateliers gepinnt. Unterhalb des Porträts mit den deformierten Gesichtszügen sind weitere Bilder aufgereiht: Postkarten mit antiken Statuen, mit Gemälden von Gauguin und Monet, die Ölskizze eines weiblichen Akts von Renoir mit persönlicher Widmung an ihn, Bonnard, und ein gezeichneter Entwurf für ein Stillleben. Als der junge Fotograf Henri Cartier-Bresson Bonnard 1944 in seinem Atelierhaus bei Cannes besucht, fällt ihm die Bilderwand ins Auge. Dank seines Fotos - und einer weiteren Aufnahme, die Brassaï zwei Jahre später macht - ist das Arrangement aus Originalen und Reproduktionen, das Bonnard täglich beim Malen vor Augen hatte, überliefert.

Der Kunsthistoriker Felix Thürlemann nutzt Bonnards Assemblage in seinem Buch geschickt als Beispiel. Er analysiert, was die Kombination von Bildern über den Nabis-Maler aussagt: Einerseits diene sie Bonnard dazu, "sein eigenes Werk in der Welt und im Universum der Kunst zu verorten" - in einer Traditionslinie mit den französischen Impressionisten. Andererseits verdeutliche die Bilderwand das ambivalente Verhältnis des Malers zu Picasso, über den Bonnard einmal sagte: "Dieser Mann hat nicht die gleichen Augen wie der Rest der Welt." Die "Frau im Fauteuil" wirke im Kontext der anderen Bilder "fremd und gleichzeitig dominant".

Thürlemann klassifiziert Bonnards Bildarrangement als hyperimage. Darunter versteht er eine Zusammenstellung von Bildobjekten zu einer neuen übergreifenden Einheit. Nach dieser Definition sind zum Beispiel Hängungen in Ausstellungen oder Zusammenstellungen von Bildern in Büchern hyperimages; aber auch Powerpoint-Präsentationen oder Bilderwände wie in Bonnards Atelier fallen unter den Begriff. Charakteristisch ist für Thürlemann dabei eine nicht permanente Verbindung der einzelnen Objekte, dass die jeweiligen Bilder - ob nun als Originale oder Reproduktionen - also für neue Arrangements offenbleiben.

Die Wortschöpfung hyperimage lässt mit ihrer Nähe zu Hypertext an Links und digitale Welten denken. Doch diese bleiben in Thürlemanns Analysen außen vor. Der Autor begründet seinen Verzicht mit der schier unüberschaubaren Präsenz von Kunst im Internet und der Interaktivität, die ein neues Verhältnis zu den Bildern hervorgebracht habe. Sein Begriff des hyperimage passe dazu nicht. Trotz dieser Reduktion bleibt der Bogen, den Thürlemann spannt, beachtlich: Vom 17. Jahrhundert reicht er bis in die Gegenwart. Exemplarisch werden Bilderzusammenstellungen aus drei Kategorien untersucht - kreiert von Sammlern, Kunsthistorikern oder Künstlern.

Den Ausgangspunkt von Thürlemanns Überlegungen bildet allerdings keine reale Kunstsammlung, sondern eine fiktive. Sie findet sich auf dem Gemälde "Der Triumph der Malerei", geschaffen um 1620 von Frans Francken dem Jüngeren. Die Tafel zeigt eine Wand, an der Bilder hängen, und eine vorgelagerte Tischplatte, auf der sich Wunderkammerobjekte wie Muscheln und Porzellangefäße befinden. Während die Gegenstände in der unteren Bildhälfte keine Ordnung erkennen lassen, sind die Gemälde an der Wand systematisch gehängt: Zwei Werke, die einander kompositorisch und inhaltlich entsprechen, flankieren ein zentrales Bild.

Das einem Triptychon ähnelnde Schema ist das Grundprinzip der Pendanthängung, die sich im Laufe des 17. Jahrhunderts als Ordnungsprinzip für Kunstsammlungen durchsetzt. Thürlemann verfolgt die Entwicklung dieses Systems anhand zweier weiterer Beispiele bis ins 19. Jahrhundert. In seinen Erörterungen belegt er geschickt seine Eingangsthese. Die lautet: Hyperimages sind keine bloße Addition autonomer Bilder, sondern Bedeutungsträger eigener Geltung, die als solche auch analysiert werden können.

Wer das tut, gewinnt Erkenntnisse - zum Beispiel darüber, dass mit der Neuhängung der Abschlusswand der Grande Galerie des Louvre 1802 eine Neubewertung Raffaels einherging. Das von Thürlemann untersuchte hyperimage führt vor Augen, dass Raffael dem verantwortlichen Museumsdirektor Vivant Denon als "vorzüglichster aller Maler" galt - zuvor hatte Guido Reni diese Position eingenommen.

Auch über die Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin und Aby Warburg oder den Kunstschriftsteller André Malraux verraten die von ihnen zusammengestellten Abbildungen Interessantes: einschließlich Warburgs harschem Urteil über die "barbarische Stillosigkeit" der Bildpraxis von Illustrierten. Ebenso aufschlussreich sind Thürlemanns Analysen der von Künstlern entworfenen Bildzusammenstellungen. Neben Bonnards Atelierwand erörtert er Werkassemblagen des jungen Picasso rund um seine dreidimensionale Gitarre aus Karton von 1912 sowie die Hängung für Wolfgang Tillmans' Turner-Prize-Ausstellung, die der Fotograf im Jahr 2000 selbst konzipierte.

Thürleman bewegt sich in seinem ansprechend geschriebenen Buch mühelos durch die Jahrhunderte und demonstriert dabei, was eine Kunstgeschichte des hyperimage leisten kann. Sein Ansatz lässt ein breites Forschungsfeld erkennen, jenseits der Idee des einen Meisterwerks - denn kein Bild steht jemals für sich allein.

ANNE KOHLICK.

Felix Thürlemann: "Mehr als ein Bild".

Für eine Kunstgeschichte des hyperimage.

Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2013. 224 S., Abb., br., 34,90 [Euro].

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