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Benthiens Buch lotet die vielfältigen Dimensionen des Barocken Schweigens in Literatur, Künsten und anderen Diskursen aus. Die Studie begreift Schweigen nicht nur als diskursives Anderes, als nonverbale Kommunikation und rhetorische Kontrafaktur, sondern untersucht seine konkrete Eigendynamik. Auf fundamentalere Weise als in nachfolgenden Epochen berührt Schweigen im Barock das Problem der Repräsentation. Als 'Entzug von Darstellung' ist es im Zeitalter der Eloquenz ein Grenzphänomen, das sich besonders in Paradoxien offenbart. Benthien berücksichtigt Quellen aus ganz unterschiedlichen Feldern…mehr

Produktbeschreibung
Benthiens Buch lotet die vielfältigen Dimensionen des Barocken Schweigens in Literatur, Künsten und anderen Diskursen aus. Die Studie begreift Schweigen nicht nur als diskursives Anderes, als nonverbale Kommunikation und rhetorische Kontrafaktur, sondern untersucht seine konkrete Eigendynamik. Auf fundamentalere Weise als in nachfolgenden Epochen berührt Schweigen im Barock das Problem der Repräsentation. Als 'Entzug von Darstellung' ist es im Zeitalter der Eloquenz ein Grenzphänomen, das sich besonders in Paradoxien offenbart. Benthien berücksichtigt Quellen aus ganz unterschiedlichen Feldern wie Literatur, Emblematik, Bildende Kunst, Theater, Oper, Philosophie, Theologie, Mystik, Moralistik, Klugheitslehren, Enzyklopädik und Naturwissenschaften. Den Schwerpunkt bildet die deutschsprachige Literatur des 17. Jahrhunderts, insbesondere die Bereiche des Dramas und der Lyrik.
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Autorenporträt
Claudia Benthien ist Professorin für Neuere deutsche Literatur mit dem Schwerpunkt Gender-Forschung an der Universität Hamburg.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.12.2006

Ob sie noch so brummen
Claudia Benthiens beredtes, kluges Buch über das Schweigen
In Zeiten einer sich vervielfachenden Medienkultur kann von Schweigen nicht die Rede sein. Längst ist man daran gewöhnt, dass immer irgendjemand öffentlich redet, auch wenn er nicht viel zu sagen hat. Wer heute schweigt, leidet mitnichten unter Sprachskepsis: Distanznahme zur Sprache ist uns fremd geworden, und auch Stille ist schwer zu ertragen. Wer schweigt, dem wurde das Recht der Rede entweder nicht erteilt oder entzogen oder der steht gerade vor dem Mikrofon, um eine Rede zu beginnen. Vor diesem Hintergrund erscheint es fast als Provokation, dass sich ein Buch mit der Ästhetik des Schweigens befasst, auch wenn darin ein längst vergangenes Zeitalter in den Blick tritt, das Barock. Das Thema, das sich die Hamburger Kultur- und Literaturwissenschaftlerin Claudia Benthien gestellt hat, fordert dazu auf, mit ihr die Motivation des Schweigens, den Sinn der Stille und die Topoi der Unsagbarkeit zu erkunden.
Doch was bedeutet es in einer Zeit zu schweigen, die uns doch als Zeitalter der Eloquenz bekannt ist? Schweigen, so könnte man meinen, war damals, im Barock, noch eine weibliche Tugend – was auch zutrifft. Schweigen gehörte in der frühen Neuzeit aber auch zur Strategie politischer Machtausübung. Man verschwieg seine Absichten, hielt Informationen zurück, versteckte Gefühle. Die Absenz der Rede gehörte ferner zur Selbst- und Fremddisziplinierung. Wer an der richtigen Stelle schwieg, dem wurde ein klarer Geist nachgesagt und ein sicheres Gespür für situatives Handeln. Die Studie entfaltet in vier großen Kapiteln die Facetten einer bislang mehr beiläufig gewürdigten Kommunikationsform und erinnert uns daran, welch große Wirkung einst ein unausgesprochenes Wort haben konnte.
Benthien beginnt mit den Figuren des Schweigens und ihren Bildern. Das „Silentium” wird in den Emblembüchern als Gelehrter personifiziert, der, umgeben von Büchern oder lesend, seinen Zeigefinger vor die Lippen hält. Der ägyptische Gott Hor, griechisch Harpokrates, war schon in der Renaissance eine Allegorie der Verschwiegenheit, mit der man geheimes und tabuisiertes Wissen verband. Für Athanasius Kircher ist er dann die Figur politischer Klugheit, in der sich Weisheit, Stille und Seelenruhe vereinen. Harpokrates ist jung, weil er die unvergängliche Wahrheit repräsentiert, und lebt kontemplativ in Einsamkeit, die Dinge des alltäglichen Lebens verachtend.
Im barocken Theater sind die stummen Protagonisten vielfältig eingesetzt. In ihnen intensiviert sich nicht nur das Visuelle, da Gesten die fehlende Sprache ersetzen. Zuweilen wird die Spaltung von Körper und Stimme regelrecht inszeniert, sodass Mimik und Gestik den Stummen zur „Rede” befähigen, man ihn gar für die Herrschaft geeignet hält. Im Trauerspiel ist die Enthauptung – eine Tötungsart, die das Barock liebte – auch eine Form der Kollektivkörper-Symbolik. Benthien kann am Beispiel von Andreas Gryphius zeigen, dass der Tod des Helden nicht als ein tragisches Verstummen verstanden wurde. Vielmehr ist das Verstummen des Herrschers im Tod ein kontrollierter und ritualisierter Akt. Auch in der Lyrik bedeutet der Tod nicht unbedingt Sprachverlust, wenn der Tote zwar der mündlichen Worte beraubt, aber sich mit schriftlichen, die Zeit überdauernden Worten artikuliert und so den stummen Tod überwindet.
Mit „Verschwiegenheit und Macht” ist ein dritter Themenkomplex dieser Kulturgeschichte des Schweigens betitelt. Eine besonders raffinierte Form ist das maskierte Schweigen oder das listige Dissimulieren, wie es Baltasar Gracian mit Bezug auf Machiavelli ausführte. Es geht hier um die Moral der Staatsräson, die Frage, ob ein Herrscher oder Höfling, indem er schweigt, betrügen und täuschen darf, um politische Ziele zu erreichen. Verschwiegenheit ist nach Gracian ein probates Verfahren, Fehler und Schwächen zu verbergen. Die Wahrheit zu sagen sei wie ein Aderlass des Herzens. Man müsse eine Form des Aussprechens entwickeln, die zugleich verschwiegen ist. Um eine Verhehlung glaubhaft zu machen, muss die Körpersprache die sprachliche Verschwiegenheit unterstützen.
Reiche Rede, stummer Schmerz
Dass Schweigen als eine performative Macht eingesetzt wurde, zeigt Benthien am Beispiel von Rechtshandlungen, wenn etwa Stillschweigen vor Gericht als Geständnis aufgefasst wurde. Als Handlung kommt dem frühneuzeitlichen Schweigen, so resümiert Benthien, eine der Sprache vergleichbare Macht, aber auch Ohnmacht zu: Schweigen kann töten, kann Unrecht legitimieren, kann Ausdruck des Widerstands bedeuten oder einer Minderheit aufoktroyiert werden. Das Fehlen der Worte aufgrund affektischer Überwältigung manifestiert sich im Trauerspiel wie in der Liebeslyrik, hier in der Pathosformel des unaussprechlichen Schmerzes, dort in der stummen Sprache der Augen oder im stillen Abschiedsschmerz. Das Barock wird nicht müde, das affektische Verstummen wortreich zu beschreiben.
Das Buch schließt mit der „mystischen Stille” (griechisch „myo” bedeutet schließen, verschweigen). Die Unfähigkeit, Gott in angemessene Worte zu fassen, rührt an das Tabu, Gott überhaupt in menschliche Worte und Bilder fassen zu dürfen. Hier, im Gotteslob der mystischen Lyrik, kulminiert die Rhetorik der Unaussprechlichkeit, reflektiert und widerlegt sich zugleich im beredten Zweifel an der sprachlichen Kompetenz. Das barocke Schweigen ist, in allen Teilbereichen der Kultur, ein hochdifferenzierter sprachkritischer Metadiskurs, den diese kluge und höchst anregende Studie anschaulich macht. CHRISTIANE KRUSE
CLAUDIA BENTHIEN: Barockes Schweigen. Rhetorik und Performativität des Sprachlosen im 17. Jahrhundert. Wilhelm Fink Verlag, München 2006. 463 Seiten, 58 Euro.
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Eine "kluge und höchst anregende Studie" erblickt Christiane Kruse in Claudia Benthiens Buch über die Bedeutung des Schweigens im Barock. Wie sie berichtet, untersucht die Literaturwissenschaftlerin in vier großen Kapiteln sämtliche Facetten dieser bislang nur ungenügend erforschten Kommunikationsform, erkundet die Motivation des Schweigens, den Sinn der Stille und die Topoi der Unsagbarkeit: der Analyse von Bildern und Figuren des Schweigens folgt eine Darstellung des Motivs des Schweigens in Literatur und Theater, ein Kapitel über den Themenkomplex "Verschwiegenheit und Macht" und schließlich ein Kapitel über die "mystische Stille". Dabei gelingt es der Autorin nach Ansicht Kruses, das barocke Schweigen als einen hochdifferenzierten sprachkritischen Metadiskurs zu erhellen.

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