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Radio, Fotografie und Film, U-Bahn und Flugzeug gehören heute zu den Selbstverständlichkeiten unserer Kommunikation und Mobilität. Rückblickend läßt sich jedoch erahnen, wie stark diese Medien im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts auf die soziale und politische Gemeinschaftsstiftung und kulturelle Selbstwahrnehmung gewirkt haben. Dies für die russische Moderne zu erkunden, ist das Ziel der dreizehn Einzelstudien dieses Bandes. Sie fragen nach den Wechselwirkungen zwischen alten und neuen Medien und untersuchen, wie sich Kunst und Kultur im Bann der medialen Revolution artikulieren, um dabei…mehr

Produktbeschreibung
Radio, Fotografie und Film, U-Bahn und Flugzeug gehören heute zu den Selbstverständlichkeiten unserer Kommunikation und Mobilität. Rückblickend läßt sich jedoch erahnen, wie stark diese Medien im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts auf die soziale und politische Gemeinschaftsstiftung und kulturelle Selbstwahrnehmung gewirkt haben. Dies für die russische Moderne zu erkunden, ist das Ziel der dreizehn Einzelstudien dieses Bandes. Sie fragen nach den Wechselwirkungen zwischen alten und neuen Medien und untersuchen, wie sich Kunst und Kultur im Bann der medialen Revolution artikulieren, um dabei mit neuen Technologien verstärkt auch archaische Formen der Kommunikation zu reetablieren. Der Band, der unter verschiedenen Blickwinkeln die komplexen Beziehungen zwischen den ästhetischen und technischen Avantgarden und dem sowjetischen Traditionalismus der dreißiger Jahre ausleuchtet, versteht sich zugleich als ein Beitrag zum medientheoretischen Verständnis der Genese totalitärer Systeme.
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Autorenporträt
Jurij Muraov ist Professor für Literaturwissenschaft an der Universität Konstanz; Georg Witte ist Professor für ostslawische Literaturen an der Humboldt-Universität Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung

Ein Film für Stalin
Jurij Murasows und Georg Wittes Band „Musen der Macht”
Der Film „Das Gesetz des Lebens” fiel durch: Stalin sah ihn 1940 und putzte den Drehbuchautor Alexander Awdejenko in einer verheerenden Sitzung des ZK herunter. Und die Regisseure, fragten ihn danach schadenfroh die Genossen, was soll mit Alexander Stolper und Boris Iwanow geschehen? Da kurbelte Stalin demonstrativ mit der Hand in der Luft: „Was soll’s? Sie haben ja nur gedreht, was dieser geschrieben hat.” Dass das Wort alles zählte und das Bild nichts, genauer: dass die filmische Darstellung bis zu Ejsensteins ziegenbärtigem „Iwan, der Schreckliche” weniger Misstrauen erregte als das Drehbuch, hatte seinen Grund: Filmemachen galt generell nicht als eigenständige Kunst, bestenfalls als Medium, um Propaganda oder andere Künste wie Oper zu verbreiten.
Damit aber, so legt Oksana Bulgakowa in ihrem Beitrag zum Sammelband „Musen der Macht” überzeugend dar, wurde der Film im Stalinismus zum Exempel für eine neue Utopie des Synkretismus, der Verschmelzung verschiedener Kulturtechniken. So lange noch nicht klar war, ob Mündlichkeit oder Schriftlichkeit, Bild oder Ton die Epoche prägen würden, so lange schriftliche Losungen die Parks pflasterten, aber niemand sie las, Fotografien übermalt wurden, aber gemalte Bilder fotografisch wirkten und massenhaft reproduziert wurden, so lange bot der Film eine Möglichkeit, eines durch das andere zu ersetzen und die Grenzen zu verwischen. Oksana Bulgakowas Artikel ist einer der gelungensten – und lesbarsten – in dem Sammelband von Jurij Murasov und Georg Witte, der aus einer Ringvorlesung entstand und dessen Leserschaft angesichts eines gelegentlich kaum verständlichen Stils den engeren akademischen Kreis kaum verlassen dürfte.
Dabei ist die Frage danach, welchen Beitrag die Medien der Moderne – Radio, Fotografie, aber auch Architektur und moderne Mittel der Fortbewegung wie die Metro – zur Installierung und Stabilisierung des Stalinismus geleistet haben, mehr als spannend. Immerhin fiel die Inkubationszeit der totalitären Regimes in Europa mit dem Aufblühen moderner Kommunikation, Fortbewegung und künstlerischen Ausdrucks zusammen.
So beschreibt Boris Groys die Versuche, der Kunst jeden Anschein stilistischer, kunsthistorischer oder auch nur individueller Prägung auszutreiben, sie zu „neutralisieren”, um jede Möglichkeit zu unterlaufen, sie überhaupt zu beurteilen. Der Kampf um den totalitären Raum duldete keinen objektiven Betrachter – und deshalb auch keine Kritik. Margarita Tupitsyn untersucht die Fabrik-Fotografien von Alexander Rodtschenko und Boris Ignatowitsch, die mit ihren extremen Perspektiven, mit der Zerstückelung von Figuren und Maschinen die Arbeitslust des Kollektivs überhöhen sollten. Dirk Uffelmann analyisert den „Tod des Architekten”, Jurij Murasow das Radio, und am Ende der dreizehn Beiträge, so Georg Witte, ließe sich vielleicht sogar die Frage nach dem ästhetischen Unterschied von Avantgarde und Stalinismus neu aufwerfen: Nicht als Stilkritik, sondern als Analyse ihres Medienbegriffs. Die Arbeit hat gerade erst begonnen.
zri
JURIJ MURASOV, GEORG WITTE (Hrsg.): Musen der Macht. Medien in der sowjetischen Kultur der 20er und 30er Jahre. Wilhelm Fink Verlag, München 2003. 308 Seiten, 39,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Sonja Zekri bedauert den akademischen Zugriff auf dieses so wichtige oder spannende Thema, das im Rahmen einer Ringvorlesung behandelt worden ist. Der manchmal kaum verständliche Stil werde das Buch wohl kaum in den Genuss einer größeren Leserschaft kommen lassen, vermutet die Rezensentin, wie wohl umgekehrt die darin versammelten Aufsätze für die wenigen tapferen Leser kaum einen Genusdarstellen würden. Mit einer Ausnahme, konzidiert Zekri: dem äußerst spannenden - und lesbaren! - Beitrag der Filmwissenschaftlerin Oksana Bulgakowa, die der Rolle des Films im Stalinismus nachgeht. Zunächst zählte das Wort alles und galt das Bild nichts, berichtet Zekri, weil der Film nicht als eigenes Medium verstanden wurde, sondern nur als Mittel zur Propaganda diente. So eignete sich dieses Medium besonders für eine Utopie des Synkretismus, der Verschmelzung verschiedener Kulturtechniken, referiert die Rezensentin. Denn eine ganze Zeitlang blieb es wohl in der Schwebe, welche moderne Medien welchen Beitrag zur Installierung und Stabilisierung des Stalinismus leisten könnten. Die Arbeit an dem Thema habe mit diesem Band gerade erst begonnen, ruft Zekri zu weniger akademischen Beiträgen auf.

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