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Dem überlieferten Bild Adele Schopenhauers (1797-1849) als glücklose Schwester ihres Philosophen-Bruders und ältliche verbitterte Jungfer setzt Gabriele Büch das überzeugende Porträt einer Frau mit speziellen Fähigkeiten und eigenen Bestrebungen entgegen. Begabt zur Freundschaft auch mit schwierigen Menschen wie Ottilie von Goethe, blieb ihre Hoffnung auf Liebe und Ehe unerfüllt. Als unverheiratete Frau begegnet sie allen Vorurteilen mit dem Entschluß, durch Schreiben und Publizieren ihren Lebensunterhalt zu sichern.

Produktbeschreibung
Dem überlieferten Bild Adele Schopenhauers (1797-1849) als glücklose Schwester ihres Philosophen-Bruders und ältliche verbitterte Jungfer setzt Gabriele Büch das überzeugende Porträt einer Frau mit speziellen Fähigkeiten und eigenen Bestrebungen entgegen. Begabt zur Freundschaft auch mit schwierigen Menschen wie Ottilie von Goethe, blieb ihre Hoffnung auf Liebe und Ehe unerfüllt. Als unverheiratete Frau begegnet sie allen Vorurteilen mit dem Entschluß, durch Schreiben und Publizieren ihren Lebensunterhalt zu sichern.

Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.08.2002

Das Köpfchen der Madame Medusa weckte die Kastrationsangst der Weimarer Geistesgrößen
Im Halbschatten der bunten Welt: Gabriele Büch vollbringt das Kunststück, Adele Schopenhauer quicklebendig zu machen

Adele Schopenhauer, "das war doch jener unglückliche Blaustrumpf, den sich niemand unter den männlichen Zeitgenossen an- oder zuziehen mochte, auch der ,große Bruder' nicht" (Ludger Lütkehaus, F.A.Z. vom 13. Juni 1998). War sie das wirklich? Oder ist das nur eines jener Klischees, die eine mißgünstige Zeitgenossenschaft der an Nebenpersonen ohnedies eher uninteressierten Nachwelt überliefert? Eine aus der Distanz von zwei Jahrhunderten geschriebene Biographie hat es naturgemäß mit Schemata und Schemen, mit der Schattenwelt der Toten zu tun, und es bleibt der Einbildungskraft überlassen, den Silhouetten, die aus dem Quellenmaterial hervortreten, scheinbare Plastizität zu verleihen. Wo freilich die Biographie einer Christiane Vulpius, einer Cornelia Goethe oder einer Adele Schopenhauer zu schreiben ist, potenziert sich das Schemenhafte dadurch, daß diese Frauen schon zu Lebzeiten ein Schattendasein führten: ein Dasein im Schatten ihrer berühmten Männer oder Brüder. Bei Adele Schopenhauer kommt überdies noch der Schatten der Mutter, Johanna Schopenhauer, hinzu, der berühmten Bestsellerautorin und Salondame.

Gabriele Büchs Biographie ist nun das Kunststück gelungen, den dreifachen Schatten, den der Bruder, die Mutter und die tote Epoche auf Adele Schopenhauer werfen, in ein lebensnah wirkendes Frauenporträt zu verwandeln. Das Buch beginnt mit der Schilderung von Adeles Sterbelager, und diese Schilderung, verteilt auf elf Sequenzen, durchzieht die gesamte Biographie. Die Autorin überschreitet dabei die geschichtliche Distanz und versetzt sich in den agonalen "Schwebezustand", in die letzten Gedanken und Visionen der an Unterleibskrebs Leidenden. Der Leser glaubt die Bruchstücke eines biographischen Romans, eines inneren Monologs vor sich zu haben, und durch diese Komposition von historischen Fakten und fiktionaler Intensivierung erlangt das Buch eine Dichte, die für die Rhapsodik und zeitweilige Redundanz der Darstellung reichlich entschädigt. Gabriele Büch bietet darüber hinaus das facettenreiche Porträt einer Epoche und ihrer Menschen, zumal der Frauen.

Es ist die Epoche der Goethezeit, und Adele Schopenhauer verbrachte den Großteil ihres Lebens im Brennpunkt dieser Epoche: in Weimar. Der Salon ihrer Mutter wurde zum Treffpunkt der Klassiker und Romantiker, doch das eigentliche Glanzlicht des Schopenhauer-Kreises war Goethe. Dankbar für die Ungezwungenheit, mit der Johanna Schopenhauer seiner Frau, der vom vornehmen Weimar gemiedenen Fabrikarbeiterin Christiane Vulpius, begegnete, wurde Goethe ein regelmäßiger Gast und treuer Freund der Familie. Adele redete ihn mit "lieber Vater" an. Noch enger wurde der Kontakt, als sich Adeles beste Freundin, Ottilie von Pogwisch, zur Heirat mit Goethes Sohn August entschloß.

Das Kapitel "Freundinnen" ist eines der umfangreichsten von Büchs Biographie, und das mit Recht, denn im Gegensatz zu ihrem misanthropisch veranlagten Bruder war Adele stets auf der Suche nach der "Sternen-Blume der Freundschaft". Die ebenso leichtlebige wie geistreiche Ottilie entzückte Adele, zugleich aber wurden ihre "geistigen Kräfte" durch die Ruhelosigkeit der Freundin "zersplittert". Auch auf die Entwicklung von Adeles Liebesleben wirkte sich die Freundschaft negativ aus: Äußerlich unattraktiv, sah sich Adele stets von Ottilie in den Schatten gestellt; als Botschafterin in deren heimlichen Liebesabenteuern war sie aber zu sehr in "die Atmosphäre heimlichen Geflüsters und versteckter Tändeleien" involviert, um nicht selbst in "Liebesrausch und Liebessehnsucht" versetzt zu werden.

Während sie in der Realität zugunsten der Freundin entsagte, kompensierte Adele ihre Enttäuschungen in der Phantasie und kultivierte ihre Gefühle "auf dem Altar einer mystifizierten Liebe": "Alles Leben ist Traum". Zwar traten auch reale Männer in Adeles Leben - darunter der Chemiker Gottfried Wilhelm Osann, über den die Chemikerin Büch auf Adele Schopenhauer und ihren Freundeskreis gestoßen ist -, doch Adeles Hoffnungen auf eine erfüllte Liebe wurden regelmäßig enttäuscht. Mit 45 Jahren zog sie die bittere Bilanz: "Männer sehen Frauen nur für bestimmte Thätigkeiten, zur Pflege und Haushaltung. Frauen verlieren ihre Zeit, ihren Geist, ihre Talente in Mägde-Arbeiten und Mägde-Sorgen."

Gegen Ende ihres Lebens rang sich Adele dazu durch, ihr Glück nicht mehr ausschließlich von anderen zu erwarten. Allzu lange hatte sie "die bunte Welt" gehemmt, "in der ich wohl eigentlich ein Halbschatten bin"; nun will sie "ausruhen von den ewigen Bevormundschaften Anderer". Ist es ein Zufall, wenn eine Frau, die sich als "Halbschatten" bezeichnete, ihre größten Erfolge in der Kunst des Schattenrisses erlangte? Doch sosehr sich Adele mit ihren zierlich-filigranen Scherenschnitten zu identifizieren vermochte, wollte sie sich doch nicht damit zufriedengeben: Sie beschloß, literarisch tätig zu werden. 1843 publizierte sie die "Wald-, Haus- und Feldmärchen", die von der Kritik unterschiedlich aufgenommen werden, wobei sowohl die Befürworter als auch die Skeptiker das Geschlecht der Autorin betonten: Das "Literaturblatt" kritisierte die mangelnde Konsequenz und Logik der Geschichten; doch seien dies Qualitäten, die "vielleicht nur einem männlichen Dichtergeist zugemuthet werden können". Dagegen schrieb der Dichter Alexander von Sternberg: "Wenn so viele Frauen dichten u. so dichten, was sollen wir Männer noch?"

1845 erschien der Roman "Anna", der keine Anerkennung fand; 1847 folgten der zum Großteil in Italien geschriebene Roman "Eine dänische Geschichte" sowie zahlreiche Novellen über das italienische Künstlerleben. Adele, so bilanziert Büch, hat "endlich zu sich selbst gefunden, den Rahmen ihres Wirkungsfeldes abgesteckt und das Geflecht aus Zweifeln entwirrt". Das gilt ansatzweise auch für Adeles Selbstfindung als Frau, für ihre gespaltene Haltung gegenüber dem Geschlechtsrollendiktat der Zeit. In ihren Augen kam es darauf an, "sich im abgezirkelten Kreis von Normen zu bewähren", zugleich aber die verbleibenden "Freiräume" so intensiv wie möglich zu nutzen.

Einfach war dieser Balanceakt nicht, denn häufig provozierten Adeles Versuche einer geistigen oder schöpferischen Selbstverwirklichung den Spott der Männerwelt, die derlei Unternehmungen für das "Geistesgepolter" eines geltungssüchtigen "Gänschens" hielt. Schon Arthurs "Die Welt als Wille und Vorstellung" hatte Adele heimlich gelesen: " . . . doch wollte ich lieber gestehen das sittenloseste Buch gelesen zu haben als ein Werk dieser Art - du kennst die Narren nicht, mit denen ich lebe." Als eigentlicher Garant des patriarchalen Machterhalts fungierte aber die weibliche Selbstentfremdung, die Adele zu der Ansicht verleitete: " . . . uns Frauen kleidet vieles Wissen schlecht." Auch und gerade die Weimarer Geistesgrößen fiel angesichts einer allzu gebildeten Dame, angesichts von Madame Medusas Köpfchen die Kastrationsangst an, und so beugten die liebreichen kleinen Schwestern der Angst ihrer großen Brüder vor, indem sie sich selbst das Anrecht auf Wissen und geistige Produktivität absprachen. Indessen dokumentiert Büchs Biographie der Adele Schopenhauer und ihrer Freundinnen, daß nicht immer, aber immer öfter auch das Gegenteil der Fall war.

SANDRA KLUWE

Gabriele Büch: "Alles Leben ist Traum". Adele Schopenhauer. Eine Biographie. Aufbau Verlag, Berlin 2002. 418 S., 22 Abb., br., 10,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Adele Schopenhauer aus dem Schatten ihres Bruders Arthur hervorgeholt zu haben und sie für die Leser "quicklebendig" zu machen - dieses Kunststück ist Gabriele Büch gelungen, erklärt Rezensentin Sandra Kluwe. Besonders die Mischung aus nachempfundenen Szenen, wie die auf dem Sterbebett Adeles, und historischen Fakten führt zu einer außerordentlich dichten Lebensbeschreibung, so die Rezensentin begeistert. Die Autorin zeichnet dadurch nicht nur ein lebendiges Porträt einer Schriftstellerin, sonders auch ein "facettenreiches" Bild der Zeit, schwärmt Kluwe, die dafür auch "die Rhapsodik und zeitweilige Redundanz" der Darstellung in Kauf nimmt. Dass dem Kapitel über Freundinnen so breiten Raum gewährt wird, findet Kluwe richtig und wichtig, da Freundschaft, nicht nur zur Schwiegertochter Goethes, für Adele Schopenhauer eine große Rolle spielte. Das eigentliche Verdienst dieser Biografie besteht jedoch für die Rezensentin darin, dass die Autorin Adele aus ihrem dreifachen Schattendasein hervortreten lässt: aus dem Schatten des Bruders, der Mutter, die ebenfalls Schriftstellerin war, und aus der Schattenexistenz, die Frauen in jener Zeit ohnehin führten.

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