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Francisco Ayala gilt in seiner Heimat längst als literarische Jahrhundertgröße. Sein polyphones Werk spiegelt und gestaltet ein an Erfahrungen reiches Leben. Der spanische Erzähler und Essayist ist mit "Der Kopf des Lammes" nun auch hierzulande als einer der großen modernen Klassiker zu entdecken. Ein Frühgereifter: Schon mit neunzehn Jahren schrieb er seinen ersten Roman und gehörte in Madrid dem Kreis um Ortega y Gasset an. Von der Franco-Diktatur ins Exil getrieben, wurde Ayala zu einem Wanderer zwischen den Welten. Sein sieben Jahrzehnte umspannendes Schaffen hat die moderne Literatur…mehr

Produktbeschreibung
Francisco Ayala gilt in seiner Heimat längst als literarische Jahrhundertgröße. Sein polyphones Werk spiegelt und gestaltet ein an Erfahrungen reiches Leben. Der spanische Erzähler und Essayist ist mit "Der Kopf des Lammes" nun auch hierzulande als einer der großen modernen Klassiker zu entdecken.
Ein Frühgereifter: Schon mit neunzehn Jahren schrieb er seinen ersten Roman und gehörte in Madrid dem Kreis um Ortega y Gasset an. Von der Franco-Diktatur ins Exil getrieben, wurde Ayala zu einem Wanderer zwischen den Welten. Sein sieben Jahrzehnte umspannendes Schaffen hat die moderne Literatur Spaniens nachhaltig geprägt. Die Bandbreite reicht vom Surrealismus der Jugend über den experimentellen Stil der großen Romane bis hin zur gereiften Klassizität des Spätwerks.
Der Auswahlband belegt Ayalas Stilvielfalt mit fünfzehn repräsentativen Erzählungen, allesamt hellsichtige Illustrationen der Moderne. In ihnen erweist sich der Autor ebenso als Meister der untergründigen Melancholie wieals kritischer Chronist unserer Zeit. Hinter der "herb-süßen Erinnerung an sehr glückliche Tage" verbergen sich innere Leere und gesellschaftliche Entfremdung einer Epoche, in der es keine verbindlichen Werte mehr zu geben scheint. Diesem Schmerz steht eine tiefe Sehnsucht entgegen, ein humaner Einspruch.
Das uvre Francisco Ayalas ist hier erstmals in deutscher Übersetzung zugänglich gemacht: mit "Jasminduft", "Der Bernini-Engel", "Ein Weihnachtsfest im Land der Ungläubigen", "Unser Garten", "Eine Affengeschichte", "Nachahmung und Vergeltung", "Der Verhexte", "Die Entführung" u.a.
Autorenporträt
Francisco Ayala wurde 1906 in Granada geboren. Schon während des Jurastudiums widmete er sich der Erzählkunst und Essayistik. Am Ende des Spanischen Bürgerkriegs floh er nach Argentinien, später als Literaturprofessor in die USA.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.2003

Bürgerkrieg in den Herzen
Die Erzählungen des Francisco Ayala / Von Paul Ingendaay

Fangen wir damit an, was das Los aller ernsthaften Künstler zu allen Zeiten sein könnte, mit Schattierungen hier oder dort, kleinen Abweichungen im Maß der Demütigung, aber nicht mehr. Beginnen wir mit der Erzählung "Der unbekannte Kollege", erschienen 1952, in der Francisco Ayala von einem Arrivierten seiner Zunft spricht: "Reif an Jahren, massig an Statur, erfahren im Geschmackskitzel literarischer Erfolge, gewandt in der Kunst, sein Verhalten würdevoll dem wachsenden Ruhm anzupassen, immer noch ein ,junger Meister' - trotz einzelner vielleicht verfrüht ergrauter Haare -, doch unentrinnbar dazu bestimmt, alle Ruhmesbezeugungen, Lorbeeren und Auszeichnungen einzuheimsen, womit die Gesellschaft die anerkannten Verdienste im Literaturbetrieb zu schmücken pflegt . . ." - derartig ausgestattet und gleichsam wattiert durch die Bestätigung der gebildeten Mitwelt, entdeckt der Schriftsteller Pepe Orozco eines Tages, daß es neben seinem eigenen noch ein viel größeres literarisches Universum gibt, nämlich das der inferioren Bestsellerautoren, welches von Typen wie diesem glatten Alberto Stéfani bewohnt wird, der sich Orozco eines Tages bei einem Botschaftsempfang vorstellt.

Die plötzliche Erkenntnis - das Wissen um den Erfolg, die hohen Auflagen und fetten Einkünfte eines Mannes, den die Buchindustrie den "Philosophen der Herzen" nennt - treibt Orozco in eine Krise. War er viele Jahre in einer Selbsttäuschung gefangen? Müßte er seinen künstlerischen Erfolg nicht am Kontostand ablesen können wie die pomadisierten Vertreter der "stefanischen" oder "stefanilen" Literatur? Ayala begleitet seinen grüblerischen Helden durch diese Wirrungen wie jemand, der sehr genau kennt, wovon er spricht. Ein halbes Jahrhundert nach der Entstehung der Erzählung darf man noch weiter gehen: Francisco Ayala, geboren 1906 in Granada, gehört selbst zur Schar der Orozcos, die unbekümmert weitermachen und alles andere der Zeit überlassen. Daß er in der spanischsprachigen Welt berühmt ist und vom Cervantes-Preis bis zum Prinz-von-Asturien-Preis so ziemlich alles erhalten hat, was der Betrieb an Ehrungen ausschüttet, von deutschen Verlagen aber fast vollständig ignoriert wird, ist dafür der beste Beweis. Francisco Ayala war nie in Mode, sonst hätten wir etwas mehr von ihm gehabt als Kostproben wie in der Anthologie spanischer Exilschriftsteller, die Erna Brandenberger 1973 in der Reihe "dtv zweisprachig" herausgegeben hat.

Dieselbe Dame hat jetzt unter dem Titel "Der Kopf des Lammes" mit Sorgfalt und Intelligenz eine Reihe von Erzählungen übersetzt, deren Entstehungsdaten den Zeitraum von 1927 bis 1985 umspannen. Normalerweise bedeutet das Manesse-Etikett so etwas wie "Greatest Hits of Dead Classics", von Turgenjew über Balzac bis Clarín, den größten spanischen Romanautor des neunzehnten Jahrhunderts, dessen Erzählungen wir übrigens auch nicht hätten, wenn es Erna Brandenberger nicht gäbe. Ayala lebt aber noch, nämlich in Madrid, und demnächst soll der Siebenundneunzigjährige sogar zu einem Kongreß nach Argentinien reisen. Was macht man mit so einem kuriosen Debüt, das der deutsche Buchherbst einem in die Hände weht?

Blättern. Staunen. Schwärmen. Sich unter den Erzählungen bewegen wie unter alten Freunden, die man aus den Augen verloren hatte. Francisco Ayala schrieb schon als sehr junger Mann ein wunderbares Spanisch, präzis in jedem Wort, nur daß er anfangs (wie er später selbst betonte) noch kein rechtes Thema hatte. Für diese Etappe der zwanziger Jahre stehen in der Manesse-Auswahl zwei winzige Texte, die man als avantgardistische Übungen betrachten könnte. Damals hatte Ayala schon seine ersten beiden Romane geschrieben und gehörte zum Kreis um Ortega y Gasset und dessen Zeitschrift "Revista de Occidente". 1929 ging er nach Deutschland (wo er Philosophie und Völkerrecht studierte sowie Rilke und Thomas Mann übersetzte), 1932 erwarb er in Madrid den Doktortitel. Als Professor für Völkerrecht unternahm er 1936, kurz vor Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges, eine Vortragsreise in vier Länder Lateinamerikas. Dort, in Buenos Aires, erreichte ihn die Nachricht vom Aufstand der nationalistischen Rebellen. Als der Bürgerkrieg im Frühjahr 1939 zu Ende war und General Franco als Sieger feststand, ließ sich der Republikaner Ayala in der Neuen Welt nieder: Bis 1950 lebte er als Professor für Soziologie in Argentinien, danach in Puerto Rico, später übernahm er Professuren an zahlreichen amerikanischen Universitäten von Chicago bis New York. Die Ausnahme unter den Exilschriftstellern, verbrachte er von 1970 an, noch zu Lebzeiten Francos, mehrere Monate im Jahr in Madrid. Die Daheimgebliebenen, nicht ganz unbegreiflich, begrüßten Ayala als lebendes Symbol für das "Unternehmen Rückkehr".

Doch wenn Ayala irgend etwas symbolisiert, dann Abstand und persönliche Unabhängigkeit. Als er jung war und viel gelesen hatte, verschrieb er sich den entfesselten Wortschöpfungen der frühen Moderne. Als der Bürgerkrieg ihn vertrieb, widmete er sich dem akademischen Unterricht, schrieb Lehrbücher und Zeitungsartikel. Erst mit zehnjährigem Abstand zur spanischen Tragödie setzt das Prosawerk ein, dem er seinen heutigen Ruf verdankt. Der einzige kleine Einwand gegen die Manesse-Auswahl gilt dem Umstand, daß aus dem fundamentalen Band "La cabeza del cordero" (Der Kopf des Lammes), den 1949 in Buenos Aires erschienenen Geschichten über den Spanischen Bürgerkrieg, nur die Titelerzählung ausgewählt und diese ganz ans Ende gestellt wurde, so daß die moralisch-politische Dimension von Ayalas Schreiben nicht ganz so stark leuchtet, wie sie es verdient. Uns Deutsche interessiert ja besonders, wie Diktatur und Komplizentum literarisch verarbeitet werden.

Die Erzählung "Der Kopf des Lammes" kommt auf leisen Sohlen daher. José Torres, ein spanischer Unternehmer aus Andalusien, erfährt auf einer Geschäftsreise in Marokko von "maurischen" Verwandten. Die in Fes ansässige Familie begrüßt den verblüfften Torres als Verbindungsglied zu ihrer verschütteten spanischen Herkunft, bewirtet ihn und fragt neugierig nach dem Schicksal ihrer andalusischen Linie. Torres geht in einer Mischung aus Amüsement und Befremden darauf ein. Seine unfreiwillige Zeitreise ruft Anekdoten, Vermutungen und verblaßte Familienporträts wach. Erst in der folgenden Nacht, als er sich im Bett wälzt, weil ihm das ölige Essen seiner Gastgeber schwer im Magen liegt, wenden sich seine Erinnerungen seinem eigenen Duckmäusertum in den Tagen des Bürgerkrieges zu, als er seinen Onkel um der Karriere willen im Stich ließ. Das Monströse scheint auf, wird beiseite geschoben und versinkt wieder: Ruhe den Toten, die keine Anklage mehr erheben können. Vor allem aber: Ruhe den Überlebenden. Es geht Ayala bei der Analyse dieser nächtlichen Erschütterung weniger um Katharsis als um den flüchtigen Blick auf die eigene Feigheit, die Langzeitwirkung einer geschichtlichen Katastrophe auf das Bewußtsein des einzelnen oder, wie er 1949 schrieb, den "Bürgerkrieg in den Herzen der Menschen".

Der Kopf des Lammes", "Eine Affengeschichte" (1952) und "Die Entführung" (1965) bilden als lange Erzählungen oder Novellen - achtzig Seiten im Taschenformat - das Rückgrat des Manesse-Bandes. Jede von ihnen betreibt die Rekonstruktion der Vergangenheit, beleuchtet etwa die kollektive moralische Verkommenheit einer kolonialen Gemeinschaft oder einen aufsehenerregenden Tabubruch in der Provinz. Oft versuchen Ayalas Erzähler, durch tastendes Reden zu sich selbst Klarheit zu gewinnen und dem Berichteten einen Sinn abzuringen, der ihnen am Ende aber wieder entgleitet. Damit demaskieren sie sich unfreiwillig vor dem Leser, und was dieser ihnen an Erkenntnis voraushat, ist der Ertrag, den Ayala durch geschickt kalkulierte Zeitsprünge und die Transparenz seines Stils einfährt. Obwohl er es gar nicht auf Oberflächenbrillanz abgesehen hat, sondern die Dinge lediglich mit aufmerksamem, kultiviertem Blick zu betrachten scheint (darin erinnert er an Bassani), vertraut man Ayalas Stil von der ersten Seite an. Wer so hinschaut, denkt sich etwas dabei. Und wer dramatische Ausgänge und andere einfache Tricks des Gewerbes so selbstsicher verschmäht, erst recht.

Zeit, der heimliche Mitspieler, wird in den kurzen Meditationen des Spätwerks zum Gesprächspartner. Jemand sieht sich in einer Straße um, in der einmal ein Restaurant stand, mit dem er schöne Erinnerungen verknüpft. Jemand versucht sich den Garten aus Kindertagen zurückzurufen, der heute hinter der Mauer fremder Bewohner verborgen liegt. Skepsis und Weichheit durchdringen sich, der Erzähler vermerkt die unerbittliche Verschleißarbeit der Zeit, doch er widersetzt sich ihr nicht. Das klingt schon nach letzten Worten, aber Ayalas Diskretion läßt keinen schiefen oder pathetischen Ton entschlüpfen. Gut, daß er endlich im Deutschen angekommen ist. Mit fünfzig Jahren Verspätung können wir einen Schriftsteller von hohen Graden entdecken, der zum Bestand der europäischen Moderne gehört.

Francisco Ayala: "Der Kopf des Lammes". Erzählungen. Aus dem Spanischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Erna Brandenberger. Manesse Verlag, Zürich 2003. 381 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.01.2004

Glückliche Tage, teuflische Welt
Erstmals in deutscher Sprache: Eine Auswahl aus dem Erzählwerk des großen spanischen Autors Francisco Ayala
Bald wird er ein ganzes Saeculum überblicken können, der spanische Erzähler Francisco Ayala, geboren 1906, und achtzig Jahre poetischer Produktion hat er dann hinter sich: seine ersten Texte stammen aus dem Jahr 1925, und nach Jahren des Exils zwischen 1936 und 1970 wird der große alte Herr, im „Zivil”-Beruf Völkerrechtler, endlich in Spanien so gefeiert, wie es sich gebührt, z. B. mit der Mitgliedschaft in der Madrider Akademie und dem „Premio Cervantes”.
So verdienstvoll es ist, diesen Autor in Deutschland bekannt machen zu wollen durch eine Auswahl aus dem so vielgestaltigen Prosawerk aus vielen Jahrzehnten – eine solche Kostprobe kann nicht anders als divergent sein. Ein Autor hat schließlich das Recht, in fast 80 Jahren das Allerverschiedenste zu probieren. Das erste im vorliegenden Auswahlband von Erzählungen abgedruckte Stück ist von 1927, das neueste von 1989, und da die Stücke nicht chronologisch angeordnet sind, muss man sich im Kopf und mit Hilfe des Nachworts der Übersetzerin Erna Brandenberger ein Bild von der Entwicklung des Autors zusammensetzen. Nicht die günstigsten Startvoraussetzungen für einen unbekannten spanischen „Klassiker” des letzten Jahrhunderts.
Doch: Möge es gelingen! Denn Ayala ist kein modernistischer Autor, zum Teil, wenigstens in den Erzählungen, noch nicht einmal ein moderner; er ist umständlich, langsam im Tempo, lässt sich oft behaglich viel Zeit, und es passiert nicht selten , dass man die Geduld zu verlieren droht, müsste man sich nicht selbstkritisch sagen, dass Ayala ja nichts dafür kann, dass wir alle inzwischen an hohe Erzähltempi gewöhnt und einer soliden epischen Behaglichkeit durchaus entwöhnt sind.
Auch das Nette einiger Sujets ist zum Kopfschütteln rührend: Da bemerkt ein Schriftsteller eines Tages, dass ein schnöseliger, gefälliger jüngerer Autor, den er auf einer Party trifft, ganz andere Auflagen und eine viel größere Popularität, also – partytechnisch gesprochen – Wiedererkennbarkeit hat, als er selbst, der er doch um der strengen Kunst willen gewissermaßen im Angesicht Gottes und nicht opportunistisch für die gerade herrschenden Markt- und Mentalitätsbedingungen schreibt. Da setzt es natürlich allerlei melancholische Reflexionen, aber – keine Angst! – einen versöhnlichen, wenn auch doppelbödig schmeichlerischen Schluss. Als erwünschte Reaktion ist offenbar ein tiefer wissender Seufzer des Lesers einkomponiert: Ja, der Literaturbetrieb und die Künstlereitelkeit!
Eine heimliche Hure
Und wenn in „Jasminduft. Huldigung an Espronceda” ein älterer Mann sich weise von einer sehr viel jüngeren Geliebten trennt, sie frei setzt, um dem Unausweichlichen zuvorzukommen, dass nämlich sonst sie ihn verlassen würde, dann ist dies wohl doch ein bittersüßes Stückchen Society-Literatur, wie auch ein Prosastück wie „Der Garten” gar zu leicht durchschaubar ist als Gleichnis vom verlorenen Paradies der Kindheit.
Nun gut. Dafür gibt es dann aber in der Titelerzählung „Der Kopf des Lammes” ein Rencontre zwischen einem Spanier namens Torres mit einer marokkanischen Familie Torres, welche bizarrerweise behauptet, mit den spanischen Torres zusammenzuhängen – und dann biegt die geradezu Unbehagen verursachende läppische Geschichte ganz unheimlich ab in den Komplex von Schuld, den Spanier durch Verrat, Feigheit, Mutlosigkeit, Taktieren und Sich-ducken im Bürgerkrieg sogar gegenüber engsten Mitgliedern der Familie auf sich geladen haben können.
Oder: Einer führt die (vor allem männliche) Gesellschaft einer Kolonialstadt an der Nase herum, indem er sie glauben macht, seine Frau betrüge ihn: so ungefähr jeder darf mal ’ran (um so grob zu formulieren wie die Kolonialbeamten denken) – dabei ist sie eine Prostituierte, mittels derer er die Herren sich mal blamieren lässt, und wie die Blamage dann noch eine weitere Wendung nimmt und zugleich mit dem letzten Satz der Erzählung ins Bodenlose stürzt, das hat atemberaubendes Format und ganz beiläufige Kühnheit.
Die beiden durchtrieben-nonchalanten und erzählökonomisch ganz strikten Meisterstückchen aber sind erstens die Umarbeitung eines Kapitels aus dem „Don Quichote”, eine Geschichte namens „Entführung”, die im tiefsten Sinne zweideutig und psychologisch bodenlos ist (über diese Aktion „Augenöffner” kann nichts verraten werden; das müssen Sie schon selbst lesen!), und zweitens die völlig pointenlose, zunächst scheinbar öde Geschichte der Reise einer Touristengruppe in Ägypten, bei deren Erzählung alle Platitüden und philiströsen Klischees eingesetzt werden, welche diese Reiseteilnehmer im Hirn haben.
Eigentlich sind diese Leute erlebnis- und erfahrungsunfähig und bekennen sich mit schamloser Naivität auch noch fröhlich dazu. Ohne es zu merken, natürlich. Gustave Flaubert, erfahren im Umgang mit der französischen Bourgeoisie und mit Orientreisen, würde sagen: Voilà, ich hab’s Euch ja schon vor 150 Jahren gesagt, wie es ist mit den Bourgeois. Die Erzählung ist noch böser, als es eine eifernde Satire überhaupt sein könnte, sie ist gewissermaßen von negativer Großartigkeit.
Damit aber genug von den ‚amuse-gueules‘, den Appetithäppchen dieses Autors. Manesse sei Dank, der Übersetzerin sei großer Dank, aber jetzt müssen geschlossene, stringentere Erzählsammlungen dieses Autors her, und vor allem muss komplett das gattungsmäßig gar nicht rubrizierbare Buch „Der Garten der Lüste” übersetzt werden – erst durch diesen bildlich-erzählerischen „Jardin de las delicias” werden die deutschen Leser sich ganz überzeugen lassen vom Rang des Francisco Ayala.
JÖRG DREWS
FRANCISCO AYALA: Der Kopf des Lammes. Erzählungen. Aus dem Spanischen und mit einem Nachwort von Erna Brandenberger. Manesse Verlag, Zürich 2003. 380 Seiten, 24,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

"Was ist Literatur?" Nach einer Reihe von Frontalangriffen auf diese Frage, so Rezensent Kersten Knipp, hat Francisco Ayala sich ihr in einem seiner Texte anders genähert, und eine Abgrenzung ex negativo versucht: Literatur darf niemals "billige Vorlage für den Kitsch, eilfertige Anbiederung ans Naheliegende" sein. Da er sich selbst als Autor so "konsequent" an diese Maxime gehalten hat, so der Rezensent, war er lange kein Lieblingskind der spanischen Literaturlandschaft beziehungsweise Bestsellerlisten. Dies sei zwar inzwischen ganz anders, aber aus eben dieser Zeit des Außenseitertums stammen die von Erna Brandenberger versammelten Erzählungen, denen die Bitterkeit, wenn auch immer durch Ayalas zuweilen "feinen", zuweilen "sarkastischen" Humor "abgefedert", anzumerken ist. Und gerade der Humor, und die Weigerung, sich geschlagen zu geben, die sich bei sämtlichen Figuren wiederfinden, machen diese Texte für den Rezensenten so anziehend. Aller Melancholie und Schwermut zum Trotz, so Knipp, "Exil ist, wenn man trotzdem lacht".

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«Erzählungen, die zur besten spanischen Prosa des Jahrhunderts gehören ...Was macht man mit so einem kuriosen Debüt, das der deutsche Buchherbst einem in die Hände weht? Blättern. Staunen. Schwärmen. Francisco Ayala schrieb schon als sehr junger Mann ein wunderbares Spanisch, präzis in jedem Wort.» FAZ