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Produktdetails
  • Verlag: Residenz
  • Seitenzahl: 302
  • Abmessung: 27mm x 133mm x 212mm
  • Gewicht: 478g
  • ISBN-13: 9783701712557
  • ISBN-10: 3701712557
  • Artikelnr.: 09865598
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.07.2001

Aufforderung zum Kopftanz
Echoklang: Barbara Frischmuths Lyrik variiert ihre Lebensmotive

Die "Grazer Gruppe" des "Forums Stadtpark" war Barbara Frischmuths literarische Schule. Und unvergessen blieb der Autorin ihr Mentor und "Forthelfer", wie zwei Widmungsgedichte zum fünfzigsten und sechzigsten Geburtstag von Alfred Kolleritsch zeigen. Sieht man von einem Büchlein mit Kindergedichten von 1975 ab, so ist ihr jetzt erschienener Lyrikband eine Premiere und ein Spätling und deshalb eine Überraschung.

Vor allem als Erzählerin hat sich Barbara Frischmuth durchgesetzt. Die im steiermärkischen Altaussee geborene Autorin erhielt als Schülerin ihre prägenden Eindrücke in einem Gmundner Schwesternseminar, wo ihr Widerspruchsgeist allerdings die Erziehung zu religiösem Gehorsam unterlief. Im ersten Roman, "Die Klosterschule" (1968), revoltiert die Schülerin gegen abgegriffene Formeln erbaulicher Belehrung. Kritik der konventionell-konfessionellen Erziehung und Sprachkritik verschränken sich. Doch verschanzt sich die Autorin nicht hinter jugendlichem, kirchenfeindlichem Trotz, meldet gleichfalls Zweifel am Fortschrittsdenken an, was andererseits das Abwägen von Alternativentwürfen zum gegenwärtigen Zustand nicht ausschließt. Verworfen werden aber, so im Roman "Kopftänzer" (1984), wirre Weltanschauungsmodelle und naiv-gefährliche Heilslehren, die auf einer allgemeinen geistigen Verunsicherung schmarotzen.

Die im Lyrikband "Schamanenbaum" vereinigten Gedichte entstammen zum weitaus überwiegenden Teil den Jahren von 1959 bis 1966. Danach tröpfelt die lyrisch-kastalische Quelle nur noch, und wie verirrt wirken in der Gedichtsammlung die kaum zehn Einzelläufer. Anscheinend versteht sich Barbara Frischmuth nicht mehr als "geborene" Lyrikerin wie noch am Ende der Schulzeit und in den Jahren, da sie Türkisch und Ungarisch am Dolmetscherinstitut in Graz und Orientalistik an der Universität Wien studierte. Die Aufsässigkeit gegen den Erziehungsdruck, gegen die Riten der Glaubenspraxis in der Klosterschule spitzte sich noch einmal zu in Versen wie "Schon lange sind die Engel / Ikonen" oder "Man gebe uns Gerechtigkeit / nicht Auferstehung".

Neuen Antrieb vermittelten Reiseeindrücke im Vorderen Orient. Konkret wird im Gedicht "Istanbul" die Atmosphäre einer Stadt, die "an einem Übermaße / der Geschichte" leidet. Erstaunlich früh, längst bevor sich der Kampf der Kurden um Autonomie Aufmerksamkeit in der Weltöffentlichkeit verschaffen konnte, entdeckt sie die unglückliche Situation eines Kurdistan, das "an mehrere Staaten verteilt" ist. Wie der Drehbuchtext für eine Filmsequenz liest sich das scharf konturierende Gedicht "Kurdin am Fuße des Ararat". Provoziert fühlt sich weibliches Bewußtsein durch Szenen männlicher Gewalt unter dem vermeintlichen Schutz des Korans.

Ein "Afrika-Zyklus" bezieht seine Themen vor allem aus den Irritationen beim Zusammentreffen der europäischen und der afrikanischen Kultur. Hart mit "Europas Fleischbeschau", mit ihrer Schamlosigkeit geht einer der späteren Texte ins Gericht. Daß sich unter dem Sowjetstern listig wieder alte Gewohnheiten und Lebensgenuß, unter dem Leiden wieder Hoffnung einnistet, wird mit Sympathie und mit - selten bleibendem - Humor in "Budapest" registriert.

Den Duktus der Gedichte bestimmt die Kürze der reimlosen Verse. Dem Gedicht ist ein Rhythmus unterlegt, der es von bloßer Prosa unterscheidet. Manchmal aber erzeugen Einwortverse ein etwas künstliches Stakkato. Wie Biographie und Motive der Erzählprosa ihr Echo in die Gedichte werfen, zeigt das Nachwort von Gerhard Melzer. Eine Sensation wird man diesen Band nicht nennen können, zumal die Gedichte zum Teil schon in Zeitschriften veröffentlicht wurden. Er ist eine Rückschau auf ein lyrisches Talent, das (mit geringen Ausnahmen) seine Anfänge nicht überdauert hat - insofern aber auch ein wichtiges Dokument für eine Entwicklung, in der das Erzählen offenbar nur seine Stärke finden konnte, indem es das Gedicht auf einen Nebenplatz verwies.

Welcher Art von Prosa das Gedicht weichen mußte, zeigt ein soeben erschienener Band im Überblick. "Barbara Frischmuth. Fremdgänge", herausgegeben von Daniela Bartens und Ingrid Spörk, bietet den bislang unveröffentlichten Text "Fahrt durch Anatolien" (1960/61) und verknüpft in acht Etappen Auszüge aus verschiedenen Werken Barbara Frischmuths mit literaturwissenschaftlichen Betrachtungen. Heute wird die Autorin sechzig Jahre alt.

WALTER HINCK

Barbara Frischmuth: "Schamanenbaum". Gedichte. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Gerhard Melzer. Verlag Droschl, Graz/Wien 2001. 110 S., geb., 58,- DM.

"Barbara Frischmuth. Fremdgänge. Ein illustrierter Streifzug durch einen literarischen Kosmos". Hrsg. von Daniela Bartens und Ingrid Spörk. Residenz Verlag, Salzburg / Wien / Frankfurt 2001. 303 S., geb., 48,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Zwei Bücher von Barbara Frischmuth bespricht Walter Hinck anlässlich ihres 60. Geburtstages.
1) Barbara Frischmuth: "Schamanenbaum" (Droschl)
Der jetzt erschienene Lyrikband der Erzählerin Barbara Frischmuth ist nach Ansicht des Rezensenten zwar eine Premiere, aber doch keine Sensation. Vielmehr sieht er in den überwiegend zwischen 1959 und 1966 entstandenen Gedichten eine "Rückschau auf ein lyrisches Talent", das seine Anfänge nicht überdauert habe. Die meisten Gedichte nimmt unser Rezensent mit Wohlwollen auf. Mal stellt er anerkennend fest, dass Frischmuth die "unglückliche Situation" der Kurden "erstaunlich früh" beschrieb. Ein anders Gedicht liest er wie den "Drehbuchtext für eine Filmsequenz" und freut sich an seiner scharfen Konturierung. Der Duktus der Gedichte wird als "durch einen reimlosen Vers bestimmt" beschrieben. Lediglich der Rhythmus unterscheide sie von der Prosa. Manche "Einwortverse" erzeugen für Hincks Geschmack allerdings ein "etwas künstliches Stakkato".
2) dies.: "Fremdgänge" (Residenz)
Dieser Band zeigt im Überblick, "welcher Art von Prosa das Gedicht weichen musste", schreibt Hinck. Er enthalte den bislang unveröffentlichten Text "Fahrt durch Anatolien" aus den Jahren 1960/61. Ein Motiv, das auch in den Gedichten verarbeitet werde. In acht Etappen verknüpfe das Buch Auszüge aus dem Werk von Barbara Frischmuth mit "literaturwissenschaftlichen Betrachtungen".

© Perlentaucher Medien GmbH"
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