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In Lobo Antunes' neuem Roman spricht eine junge Frau, Maria Clara, über ihre Gefühle, während ihr Vater - vielleicht - im Sterben liegt. Ein grandioses Mosaik aus vielen möglichen Wahrheiten, ein Buch, das sich zwischen den Polen Schöpfung und Tod bewegt, ein Großgedicht, in dem Lobo Antunes die Worte funkeln läßt. Maria Clara fühlt sich fremd in ihrer Familie, und sie flüchtet sich in ihre eigene Welt, die nicht die ihrer Schwester ist, der schönen blonden "Prinzessin", und auch nicht die ihrer Eltern, die in unglücklicher Ehe nebeneinander herleben. Als ihr Vater, ein Waffenhändler, wegen…mehr

Produktbeschreibung
In Lobo Antunes' neuem Roman spricht eine junge Frau, Maria Clara, über ihre Gefühle, während ihr Vater - vielleicht - im Sterben liegt. Ein grandioses Mosaik aus vielen möglichen Wahrheiten, ein Buch, das sich zwischen den Polen Schöpfung und Tod bewegt, ein Großgedicht, in dem Lobo Antunes die Worte funkeln läßt.
Maria Clara fühlt sich fremd in ihrer Familie, und sie flüchtet sich in ihre eigene Welt, die nicht die ihrer Schwester ist, der schönen blonden "Prinzessin", und auch nicht die ihrer Eltern, die in unglücklicher Ehe nebeneinander herleben. Als ihr Vater, ein Waffenhändler, wegen eines Herzinfarkts ins Krankenhaus kommt, steigt sie heimlich auf den Dachboden der großbürgerlichen Villa in Estoril, kramt in alten Truhen und erfindet anhand der dort entdeckten Andenken eine Familie für ihn, der stets behauptet, keine zu haben. Den bedeutenden Vorfahren ihrer Mutter (Urgroßvater Großgrundbesitzer in Mosambik, Großvater General) setzt sie ein ganz anderes Szenario entgegen:Adelaide, das Dienstmädchen ihrer Großmutter, soll die Mutter ihres Vaters sein, ein Lehrer, der mit seiner kranken Frau und seiner Enkelin in der Nähe wohnt, der Vater. Diese Figuren werden lebendig und selbständig, erinnern sich an Ereignisse in ihrem Leben oder widersprechen Maria Clara, sagen, so sei das alles aber nicht gewesen.
Aus dem Neben- und Übereinander all dieser verschiedenen Stimmen, die doch auf eine einzige Person - Maria Clara - zurückführen, entsteht ein faszinierendes Tableau von Gefühlen und Erinnerungen, ein facettenreiches Bewußtseinslabyrinth, das mit Worten etwas darzustellen sucht, das vor den Worten da war. Geh nicht so schnell in diese dunkle Nacht variiert den
Titel von Dylan Thomas' Gedicht Do not go gentle into that good night, und der Roman ist auch sprachlich der kunstvollste dieses bedeutenden Schriftstellers, ein weiterer Schritt hin zu seinem Ziel, der puren
Sprache.

Autorenporträt
António Lobo Antunes, geb. 1942 in Lissabon, studierte Medizin, war während des Kolonialkrieges 27 Monate lang Militärarzt in Angola und arbeitete danach als Psychiater in einem Lissabonner Krankenhaus. Heute lebt er als Schriftsteller in seiner Heimatstadt. Lobo Antunes zählt zu den wichtigsten Autoren der europäischen Gegenwartsliteratur. In seinem Werk, das mittlerweile zwanzig Titel umfasst und in über dreißig Sprachen übersetzt worden ist, setzt er sich intensiv und kritisch mit der portugiesischen Gesellschaft auseinander. Er erhielt zahlreiche Preise, darunter den 'Großen Romanpreis des Portugiesischen Schriftstellerverbandes', den 'Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur', den 'Jerusalem-Preis für die Freiheit des Individuums in der Gesellschaft' und zuletzt 2007 den Camões-Preis.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Kaum jemand hat so traurige, düstere, pessimistische Figuren entworfen wie der portugiesische Schriftsteller Antonio Lobo Antunes, schreibt Katharina Döbler, und man weiß nicht so recht, ob sie nun eher schwärmt oder stöhnt. Von einem "Gefängnis von Buch", ist bei ihr die Rede, sprachgewaltig, aber sehr hermetisch; es beschert den Lesern ein reiches Innenleben, aber jedes Wort gerät zur Chiffre, analysiert sie Antunes' Stil: "alles Erzählen ist auf diese Bedeutungen reduziert" und "beschreibt gleichzeitig ihre Entstehung". Konsequenterweise setzt sich dieser Roman aus einem inneren Monolog zusammen, den die eher ungeliebte Tochter einer einst wichtigen Familie am Krankenbett ihres Vaters hält, wo sie sich eine Biografie dieses ihr eigentlich unbekannt gebliebenen Mannes zusammenphantasiert. Erinnerungsfetzen, Träume, Ängste - keiner hat die Technik des inneren Monologes so perfektioniert, fasst Döbler zusammen, und die Sprache in solche Höhen getrieben. Aber, so schreibt sie auch, "die Luft wird dünn".

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001

Von den Vögeln verhöhnt
António Lobo Antunes geht auf Trödelsuche / Von Martin Halter

Der "Familienroman der Neurotiker" ist, wie wir von Freud wissen, die phantasierte Wunscherfüllung der ödipal Traumatisierten. Die Möglichkeit, ein verwunschener Prinz, ein verleugneter Bankert von Königen zu sein, ist der Traum derer, die unter der Wirklichkeit ihres legitimen Vaters leiden. António Lobo Antunes kennt als gelernter Psychiater seinen Freud. Seine Romane erzählen immer auch Fallgeschichten von neurotischer Regression und Depression, aber sie enthalten mehr historische, soziale und vor allem sprachliche Substanz, als sich zwischen der Hintertreppe der Kolportage und der Couch der Psychoanalyse abhandeln ließe.

In seinem neuen Roman "Geh nicht so schnell in diese dunkle Nacht" ist es eine deklassierte höhere Tochter, die sich ihren Familienroman zusammenfabuliert, und das hat Folgen für die soziale Färbung ihrer Neurose: Weil Maria Clara in eine Familie zombiehafter Kolonialveteranen und großbürgerlicher Marionetten hineingeboren wurde, die Kinder und Diener mit demselben verächtlichen Dünkel behandelte, will sie, die ein Leben lang vergeblich um Anerkennung bettelte, zum Gesinde am Katzentisch gehören: Der "Armeleutegeruch" ist allemal wärmer und wohlriechender als die Miasmen "fauliger Stagnation" und kalter Zigarrenasche, die aus den Häusern der Bourgeoisie aufsteigen, um vom Leichengeruch in ihren Kellern zu schweigen. Die Kiefern im Lissabonner Armenviertel Alcoitão duften nach Leben und Liebe, die Palmen und Levkojen im Villenvorort Estoril nach Untergang und Tod: Was also, wenn Clarinha dort, als Enkelin ihres Dienstmädchens Adelaide, zur Welt gekommen wäre?

Maria Clara vertraut ihren Traum von einer niederen Abkunft außer ihrem Tagebuch auch einem Psychiater an, aber sie wartet vergeblich auf Antwort. Kein Analytiker ordnet das Puzzle ihrer abenteuerlichen Phantasien, kein Therapeut weist ihrem monomanisch in sich kreisenden Bewußtseinsstrom einen Weg ins Freie. Im Gegenteil: Eingesponnen in ein Gespinst aus Träumen und Albträumen, fingierten Beichten und retuschierten Erinnerungen, verstrickt sie sich immer tiefer in die Widersprüche von Dichtung und Wahrheit, Wahn und Wirklichkeit. Antunes macht aus Maria Claras Gespenstern Menschen, aus formlosen Ängsten Erfahrungen und Bilder, aber er verweigert sich jeder Traumdeutung. Er verzahnt Figuren, Schauplätze und Zeitebenen bis zur Ununterscheidbarkeit, montiert Dialog- und Erinnerungsfetzen, bange Fragen und Tötungsphantasien in komplexe innere Monologe. Er läßt seine Sätze gelegentlich mitten im Wort abbrechen und folgt den assoziativen Gedankengängen seiner Unglücklichen bis in die subtilsten Verästelungen und Geheimcodes: ein polyphones Stimmengewirr, in dem sich Wiederholungen, Ungleichzeitigkeiten und Echos, Metaphern und Realitätspartikel überlagern, relativieren und verstärken.

Vermutlich läßt sich Maria Claras Familienroman nicht besser wiedergeben; aber es bedarf schon großer Geduld und Konzentration, um in diesen reich instrumentierten Überblendungen von Unter- und Oberstimmen, Re- und Dissonanzen, Alltagsszenen und apokalyptischen Visionen nicht den Überblick zu verlieren. Selbst nach sechshundert - von Maralde Meyer-Minnemann wieder brillant übersetzten - Seiten bleibt manches im dunkeln: Ist Adelaide alias Leopoldina nun Schwester oder Komplizin, Mutter oder Geliebte des Vaters, Schutzengel oder nur die mißhandelte Dienstmagd?

Maria Clara jedenfalls ist die Idiotin der Familie: schüchtern, ungeschickt, häßlich, mißtrauisch, trotzig und verbittert bis zur Ungenießbarkeit. Hat man sie nicht ein Leben lang gedemütigt, verletzt, betrogen? Der Großvater, der einst Portugals strahlende Größe in Mosambik repräsentierte, befindet sich "auf dem halben Weg zwischen Hindernis und Mensch": ein stumm und blind dahindämmernder Greis, der seiner verwaisten Enkelin Angst einflößt. Die Großmutter reißt in ihrer Verwirrung alle Fassaden der Frau aus besseren Kreisen ein: Sie verspielt im Casino den Familienschmuck oder, noch peinlicher, wertlose Klunker und Adelaides karges Gehalt. Der Vater ist offenbar ein sinistrer Waffenschieber, der Terroristen empfing und seine Familie vergaß; jetzt liegt er als sprachloses Wrack im Krankenhaus. Die Mutter ist eine hochmütige, bigotte Hysterikerin; Maria Claras verhätschelte Schwester Ana ein mannstolles Zierpüppchen. Kein Wunder, daß Clarinha, der "Mann im Haus", eifersüchtig, mürrisch und menschenfeindlich wurde: "Sehnsucht ist ein Stirnrunzeln aus Ärger." Schon als Kind hat sie Tiere gequält und ihre Puppen zerstört; jetzt, verarmt und vollends vereinsamt, behandelt sie in ihren Phantasien die Menschen um sich herum wie die Puppen und Tiere, die sie auch sind: Seelenlose Kreaturen, die man nach Belieben verkuppeln, hätscheln oder töten darf.

So erschafft Maria Clara sich aus geborgten Erinnerungen und dem vergessenen Plunder des Dachbodens - Medaillons, verblichene Familienalben, Jagdtrophäen, "Armeleutenippes" und "Dienstmädchenmüll" - eine Schöpfungsgeschichte von eigenen Gnaden, die weniger Allmachtsphantasie als der Hilfeschrei einer Frau ohne Identität und Selbstbewußtsein ist. Die Menschen erscheinen ihr fremd und bedrohlich, und selbst die Dinge in ihrer "grauenhaften Reglosigkeit" führen ein unheimliches Eigenleben, das Maria Claras unglückliches Bewußtsein zur schizophrenen Selbstentzweiung steigert. "Bin ich das da, bin ich du da, bin ich wir beide?"

Nicht genug damit, daß die Toten reden und die erfundenen Ahnen ihr widersprechen: Die Gabel führt ihre Hand zum Mund; die Vögel verhöhnen sie, die Büsche draußen schütteln ihr Laub vor Empörung. "Jemand klopfte auf meinem Kopf Teppiche, die Schere des Gärtners schnitt mir erbarmungslos lebendige Nervenzweige ab: So fallen Innen- und Außenwelt, Subjekt und Objekt ineinander und schlagen über ihrem armen Kopf zusammen.

Maria Clara will immer Kind und unschuldig bleiben. In Wahrheit ist sie längst eine frustrierte, hypochondrische Hausfrau, die mit einem ungeliebten Mann und einem unerwünschten Kind in einer tristen Sozialwohnung haust und alle ererbte Schmach und Schuld weiterzugeben im Begriffe ist. In ihren Aufzeichnungen will sie ihr verpfuschtes Leben ad infinitum verbessern, verleugnen oder auch auslöschen. Aber ihr Tagebuch zerstört zwischen den Zeilen ihre Lebenslügen, und ihre Litanei von Eifersucht, Haß und Wut gibt sich als Sehnsucht nach Liebe zu erkennen.

Lobo Antunes erhebt sich nicht über diese delirierende, gelegentlich auch geschwätzige Lebensbeichte, die eine Allegorie portugiesischer Tristesse und Stagnation ist. Er erteilt Maria Clara weder Lehren noch Absolution. Er leiht ihr nur seine berückend musikalische Sprache, die noch Wahn, Verzweiflung und Tod in eine insistierende, irisierende Schönheit taucht. Und doch bleibt sein Abgesang auf den lusitanischen Popanz seltsam schal. So nah uns Maria Claras Schicksal geht: Es ist das alte Lied. So wie sie, weil "uns das Vergessen zu sehr vergißt", immer wieder auf den Dachboden steigt, um sich aus zerbrochenen Schaukelpferden und Spiegeln eine Biographie zu basteln, komponiert er aus dem morbiden Plunder der portugiesischen Geschichte eine quälende Sinfonie von Krankheit, Trauer und Verfall. Die Sprache von Doktor Antunes, magischer und reiner denn je, mag von der unverwüstlichen "Gesundheit der Agonie" zeugen. Aber auch grandiose Obsessionen und ästhetisch versöhnte Depressionen ermüden, wenn der Weg in die dunkle Nacht so lang und steinig ist.

António Lobo Antunes: "Geh nicht so schnell in diese dunkle Nacht". Roman. Aus dem Portugiesischen übersetzt von Maralde Meyer-Minnemann. Luchterhand Verlag, München 2001. 592 S., geb., 49,80 DM.

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"Die Romane von Antonio Lobo Antunes sind vielstimmige, reich instrumentierte Gesänge auf die Vergänglichkeit des Menschen. Und sie folgen dem Paradox großer Literatur: Sie handeln von der Hoffnungslosigkeit, und sie lassen uns doch reicher zurück - trotz alledem. (Süddeutsche Zeitung)
"Antunes folgt den Lebensspuren einer jungen, von den Gespenstern der Familie gejagten Frau. Er beschreibt das so verführerisch, wie Pan flötet." Verena Auffermann, Süddeutsche Zeitung