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Der neue Gedichtband von Ulrike Draesner über das kostbarste menschliche Gefühl und über die Schauplätze, zu denen es führt: lieben, kriegen, später. Mit großem Bildreichtum, mit frappierender musikalischer Intensität loten Ulrike Draesners neue Gedichte die Möglichkeiten sinnlichen Sprechens aus.

Produktbeschreibung
Der neue Gedichtband von Ulrike Draesner über das kostbarste menschliche Gefühl und über die Schauplätze, zu denen es führt: lieben, kriegen, später. Mit großem Bildreichtum, mit frappierender musikalischer Intensität loten Ulrike Draesners neue Gedichte die Möglichkeiten sinnlichen Sprechens aus.

Autorenporträt
Ulrike Draesner, geboren 1962 in München, studierte Germanistik, Anglistik und Philosophie in München und Oxford, Promotion 1992 mit einer Arbeit über Wolframs Parzival. 1993 stieg sie aus der Wissenschaft aus, um schreiben zu können. Neben ihren wissenschaftlichen Publikationen veröffentlichte sie Gedichte, Erzählungen, Hörspiele sowie einen ersten Roman. Sie lebt als freie Schriftstellerin, Übersetzerin und Literaturkritikerin in Berlin. 1997 erhielt sie den "foglio-Preis für junge Literatur" sowie den "Bayrischen Staatsförderpreis" für Literatur, 2010 den hochdotierter "Solothurner Literaturpreis". 2013 wurde sie mit dem "Roswitha-Preis" ausgezeichnet und 2014 mit dem "Cuxhavener Joachim-Ringelnatz-Preis für Lyrik".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.06.2005

Aus dem Handschuhfach
Ungeeignet als Fingerfood: Gedichte von Ulrike Draesner

Kürzlich, in einem Zeitungsartikel, hat die Dichterin Ulrike Draesner ihren Lesern glücklicherweise erklärt, was Gedichte eigentlich sind: "Sie sind Handschuhe mit tausend Fingern, tausendundeinem Schlupfloch." Wer hätte das gedacht! Eigentlich müßten solche märchenhaften Übergrößen uns Otto-Normalbefingerten reichlich Platz bieten, uns in die Gedichte einzugliedern, auch wenn sie uns zunächst gar nicht zu passen scheinen.

Daß die offerierten lyrischen Handschuhe der Ulrike Draesner nicht der neuesten Mode entsprächen, kann man allerdings von ihren Artikeln, Marke "Kugelblitz", nicht behaupten: Die konsequente Kleinschreibung, der fast vollständige Verzicht auf jede Interpunktion und auf den Reim, die partielle Preisgabe der grammatischen Korrektheit signalisieren durchaus ihre Zugehörigkeit zum modischen Outfit. Zugleich sind sie aber unverkennbar an Draesners Fingervermehrungsprogramm beteiligt, das dazu dient, dem Leser stets mehrere Schlupflöcher für seine persönliche Lesart der Texte anzubieten. So öffnen die Gedichte dem Leser einen weiträumigen Meditationsraum.

Schon bei der Betrachtung der Gliederung des Buches kann er dementsprechend ins Grübeln geraten: "(lieben)", "(kriegen)" und "(später)" heißen die drei Kapitel des Gedichtbandes. Erwartet den Leser vielleicht eine Geschichte von Liebenden, die sich zuerst "kriegen" und die es "später", wie Erich Kästner gesagt hat, "beide nicht fassen" können, daß ihre Liebe zu Ende gegangen ist? Aber so böse folgerichtig und eindeutig verläuft der Gedichtband nicht. Darauf weisen schon die Klammern hin, in die die Kapitelüberschriften gestellt sind. Sie schränken die verwendeten Leitwörter ein, stellen sie in Frage oder heben sie gar auf: Ist das "(lieben)" wirklich eine Liebe, ist das "(kriegen)" nicht vielmehr ein Einander-Bekriegen - darauf deuten mehrere Texte hin ("coventry", "der nachkrieg, wie er tappt", "männergewebe, verwirktes bild") - und ist das "(später)" ein Nachdenken über das, was nach oder außer dem Krieg vielleicht doch noch der Rede wert ist?

Mehrdeutigkeit, ja Vieldeutigkeit ist Trumpf in diesen Gedichten, und der Leser wird zumeist zu der frustrierenden Einsicht gelangen, daß er mit seinen ärmlichen fünf Fingern pro Hand stets nur einen minimalen Bruchteil des Angebots der Tausendundeinfingerhandschuhe wird ausfüllen und begreifen können, er mag es anstellen, wie er will. Schlüpft er beispielsweise verständnisbereit in eine sich ihm anbequemende Folge von Wörtern, die es im Gedicht "ontologie" mit dem Öffnen und Schließen einer Tür zu tun haben, so wird er sich zwar gern mit der tiefgreifenden Frage auseinandersetzen, ob die Tür weiß, was sie ist und was sie tut, "wenn sie sich öffnet oder schließt" (da geht es offenbar um einen Abschied ohne Rückkehr), doch bleibt ihm der Zusammenhang dieser Situation mit den von Genitivmetaphern gesättigten Schlußversen dieses Gedichts rätselhaft: "die quadratischen stauden der zeit / die treibenden büschel des raums / anarch der kautschuk des herzens".

Oder er nimmt, zunächst mit Vergnügen, das Gedicht "u" zur Kenntnis, das als ein "gerumpftes gespräch mit benn" entschlüsselt werden will. Wer einmal Benns Autographen gesehen hat, weiß, daß er in Briefen und Gedichthandschriften das Wort "und" als "u" abzukürzen pflegte. Und wenn man dann in diesem Gedicht auch noch den berühmten Astern ("schwälende Tage"), dem Satzbau ("die wenigen, die davon was erkannt"), dem ("ersoffenen") Bierfahrer begegnet und dem "saft der 33", womit auf Benns vorübergehendes Einverständnis mit dem Nationalsozialismus angespielt wird, dann glaubt man schnell zu wissen, woran man ist. Auch mit dem "Puff" und den Gärtnern nebst den Gärten wird der Benn-Leser etwas anzufangen wissen, und vielleicht wird er sogar die beiden kursiv gesetzten Zitate aus Benns nachgelassenen Kladden ausfindig machen, die von Us nur so wimmeln. Doch eine solche Entzifferung stößt spätestens dann an ihre Grenzen, wenn die Wortfolge "hyper hypo thalamam" mit Benn in irgendeine sinnvolle Beziehung gebracht werden soll.

Blitzartig dagegen erkennt man den Blitz im Piktogramm, das wortlos zum Titel eines Textes dient. Doch dann setzen für den Leser sofort wieder die Mühen ein: Er findet, in zwei Spalten gedruckt, zwei Fassungen eines Gedichtes vor, wobei einzelne Zeilen der ersten Fassung in der zweiten, kürzeren Fassung an anderer Stelle erscheinen, so daß sich, eigentlich nicht sehr überraschend, eine ganz neue Situation oder Geschichte ergibt. Wie es im einzelnen dazu kommt, welche Auslassungen und Umstellungen vorgenommen werden, das kann, wer die philologische Lust dazu hat, nachvollziehen.

Ulrike Draesners Gedichte eignen sich für solche Tüftler, die damit leben können, nicht alles herauszubekommen, was in den Texten steckt. Sie werden zu ihrer Dechiffrierarbeit kräftig animiert durch die Kunstmittel der Destruktion der Grammatik, der variierenden Wiederholung ("tempelhof"), der Neologismen, des Spiels mit der Phonetik, der Verwendung von Fremdwörtern und Wörtern aus fremden Sprachen, des Zitats. Das alles und mehr beherrscht Ulrike Draesner souverän. Sie ist zweifellos eine gelehrte, mit allen Wassern gewaschene Autorin, die für ihre lyrischen Arbeiten nicht ohne Grund eine Reihe ansehnlicher Literaturförderpreise erhalten hat. Wollte man sie literaturtopographisch verorten, so würde man wohl, wäre es nicht "zu spät für ein haus", Friederike Mayröcker, Thomas Kling und Elke Erb als ihre Nachbarn namhaft machen. Doch alle Zusammengehörigkeiten bleiben fragwürdig: "da, wo wir sind, wie wir / ein stückchen älter, ein stück auf / der flucht, der unterboden einer idee / angerostet von wintern - da / schlagen die wetter den blitz / gehören zusammen wir da?"

WULF SEGEBRECHT

Ulrike Draesner: "kugelblitz". Gedichte. Luchterhand Literaturverlag, München 2005. 93 S., br., 10,- [Euro].

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"Diese Lyrik macht den Leser reich." -- Frankfurter Rundschau

"Erstaunlich an den Gedichten ist mindestens zweierlei: die ungeheure Energie, die aus ihnen spricht, ihre seltene rhythmisierte Sprachwut, und der radikal weite lyrische Wortschatz." -- Neue Zürcher Zeitung