Herz und Hoffnung der SPD
Wohin steuert die SPD nach der Bundestagswahl? Welche Perspektiven kann sozialdemokratische Politik den Menschen anbieten? Andrea Nahles blickt kritisch auf die Politik der Neuen Mitte zurück und entwirft das Bild einer Guten Gesellschaft , in der soziale Verantwortung selbstverständlich und demokratische Teilhabe unverzichtbar ist. Sie tut dies auf ihre Art und gewährt Einblicke in den Alltag einer Politikerin, die sich in vielfacher Weise für andere Menschen engagiert und nichts so sehr liebt wie ihre Familie und ihr Dorf in der Eifel. Denn dort ist sie den Menschen nah
Wohin steuert die SPD nach der Bundestagswahl? Welche Perspektiven kann sozialdemokratische Politik den Menschen anbieten? Andrea Nahles blickt kritisch auf die Politik der Neuen Mitte zurück und entwirft das Bild einer Guten Gesellschaft , in der soziale Verantwortung selbstverständlich und demokratische Teilhabe unverzichtbar ist. Sie tut dies auf ihre Art und gewährt Einblicke in den Alltag einer Politikerin, die sich in vielfacher Weise für andere Menschen engagiert und nichts so sehr liebt wie ihre Familie und ihr Dorf in der Eifel. Denn dort ist sie den Menschen nah
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.12.2009Nahles definiert sich neu
SPD-Politikerin präsentiert sich in ihrem Buch als Gläubige
Sie lacht kurz dieses Nahles-Lachen, tief und trotzdem laut, abgehackt, und sagt: „Okay.” Soll heißen: Jetzt ist es gut mit den Fotos, es reicht. Andrea Nahles, immer noch recht neue Generalsekretärin der SPD, hat ein Buch geschrieben – über sich. So jedenfalls steht es auf dem Titel: „Frau, gläubig, links. Was mir wichtig ist”.
Jetzt steht sie im schwarzen Nadelstreifenanzug auf karminrotem Teppichboden und hält strahlend ihr Œuvre in die Kameras. Geschrieben hat die mittlerweile mächtigste Frau der Sozialdemokraten über ihre „Motive”, über das, was sie antreibt. In ihrem Buch geht es aber nicht nur – Nahles wäre sonst nicht, was sie ist – um ihre ureigenen Prinzipien, sondern auch um Parteiprogrammatik. Was bedeutet die größte aller Miseren, die schmachvoll verlorene Bundestagswahl, für die SPD? Wer zeichnet hauptverantwortlich für das verheerende Ergebnis von 23 Prozent? „Septembersturm” heißt das bei Nahles fast lyrisch. Gar nicht blumig allerdings fällt ihre Antwort auf diese Schuldfrage aus: Es war die Politik von Ex-Kanzler Gerhard Schröder und Ex-Parteichef Franz Müntefering, die die SPD in die Krise geführt habe, schreibt Nahles. Das Schlüsselwort der Katastrophe ist für sie – wenig überraschend – die Agenda 2010. Nun gelte es, sich „vom Ballast der Vergangenheit befreien”.
Mit der alten Parteispitze wird also abgerechnet, ihre Generation übernimmt das Ruder. Und von dieser will Nahles erzählen: „Man weiß noch viel zu wenig über uns.” Dass sich die 39-Jährige berufen fühlt, über den Generationenwechsel zu schreiben, und sich selbst dabei als Beispiel oder besser Idealtypus eines Machtmenschen um die vierzig stilisiert, wundert nicht. Schließlich hat sie bereits bei den Großen von einst Spuren hinterlassen. „Gottesgeschenk” hat Oskar Lafontaine sie vor vielen Jahren genannt. Mit ihren Vorgängern springt sie generell nicht sehr glimpflich um, die Achtundsechziger hat Nahles nämlich satt: „Ich habe genug Heldengeschichten gehört”, sagt sie. Ansonsten handelt Andrea Nahles in den acht Kapiteln ihres Buches das Wesentliche ab: „Von der Würde der Arbeit” bis zu „Freiheit und Verantwortung”, selbst „Für eine Kultur des Zweifels” setzt sie sich schriftlich ein.
„Mach es wie Jesus, werde Mensch” sei ihr Leitmotiv, sagt Nahles bei der Buchvorstellung in Berlin. Dank ihres Glaubens habe sie das göttliche Prinzip im Alltag entdeckt. Überhaupt der Glaube – er ist die Quelle Nahlescher Kraft und ihres politischen Engagements. Innerparteiliche Grabenkämpfe hin oder her, als Katholikin werde man „nicht so schnell müde”. Bei Nahles wird positiv gedacht: Der Mensch ist eben nicht des Menschen Wolf! Etwas Persönliches darf auf 238 Seiten natürlich nicht fehlen, deshalb geht es auch darum, wie sie, die Arbeitertochter vom Land, zur SPD, dieser großen Partei für „umfassende Gerechtigkeit”, gefunden hat. Wo das Gemeinwohl noch mehr bedeutet als rein rhetorisches Kalkül. Intimere Einsichten der Privatperson Nahles sollte man allerdings nicht erwarten. Das sei dann doch eher etwas für „Fernsehsternchen”, sagt sie.Julia Amalia Heyer
Andrea Nahles kritisiert in ihrem Buch Gerhard Schröder. Foto: AFP
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
SPD-Politikerin präsentiert sich in ihrem Buch als Gläubige
Sie lacht kurz dieses Nahles-Lachen, tief und trotzdem laut, abgehackt, und sagt: „Okay.” Soll heißen: Jetzt ist es gut mit den Fotos, es reicht. Andrea Nahles, immer noch recht neue Generalsekretärin der SPD, hat ein Buch geschrieben – über sich. So jedenfalls steht es auf dem Titel: „Frau, gläubig, links. Was mir wichtig ist”.
Jetzt steht sie im schwarzen Nadelstreifenanzug auf karminrotem Teppichboden und hält strahlend ihr Œuvre in die Kameras. Geschrieben hat die mittlerweile mächtigste Frau der Sozialdemokraten über ihre „Motive”, über das, was sie antreibt. In ihrem Buch geht es aber nicht nur – Nahles wäre sonst nicht, was sie ist – um ihre ureigenen Prinzipien, sondern auch um Parteiprogrammatik. Was bedeutet die größte aller Miseren, die schmachvoll verlorene Bundestagswahl, für die SPD? Wer zeichnet hauptverantwortlich für das verheerende Ergebnis von 23 Prozent? „Septembersturm” heißt das bei Nahles fast lyrisch. Gar nicht blumig allerdings fällt ihre Antwort auf diese Schuldfrage aus: Es war die Politik von Ex-Kanzler Gerhard Schröder und Ex-Parteichef Franz Müntefering, die die SPD in die Krise geführt habe, schreibt Nahles. Das Schlüsselwort der Katastrophe ist für sie – wenig überraschend – die Agenda 2010. Nun gelte es, sich „vom Ballast der Vergangenheit befreien”.
Mit der alten Parteispitze wird also abgerechnet, ihre Generation übernimmt das Ruder. Und von dieser will Nahles erzählen: „Man weiß noch viel zu wenig über uns.” Dass sich die 39-Jährige berufen fühlt, über den Generationenwechsel zu schreiben, und sich selbst dabei als Beispiel oder besser Idealtypus eines Machtmenschen um die vierzig stilisiert, wundert nicht. Schließlich hat sie bereits bei den Großen von einst Spuren hinterlassen. „Gottesgeschenk” hat Oskar Lafontaine sie vor vielen Jahren genannt. Mit ihren Vorgängern springt sie generell nicht sehr glimpflich um, die Achtundsechziger hat Nahles nämlich satt: „Ich habe genug Heldengeschichten gehört”, sagt sie. Ansonsten handelt Andrea Nahles in den acht Kapiteln ihres Buches das Wesentliche ab: „Von der Würde der Arbeit” bis zu „Freiheit und Verantwortung”, selbst „Für eine Kultur des Zweifels” setzt sie sich schriftlich ein.
„Mach es wie Jesus, werde Mensch” sei ihr Leitmotiv, sagt Nahles bei der Buchvorstellung in Berlin. Dank ihres Glaubens habe sie das göttliche Prinzip im Alltag entdeckt. Überhaupt der Glaube – er ist die Quelle Nahlescher Kraft und ihres politischen Engagements. Innerparteiliche Grabenkämpfe hin oder her, als Katholikin werde man „nicht so schnell müde”. Bei Nahles wird positiv gedacht: Der Mensch ist eben nicht des Menschen Wolf! Etwas Persönliches darf auf 238 Seiten natürlich nicht fehlen, deshalb geht es auch darum, wie sie, die Arbeitertochter vom Land, zur SPD, dieser großen Partei für „umfassende Gerechtigkeit”, gefunden hat. Wo das Gemeinwohl noch mehr bedeutet als rein rhetorisches Kalkül. Intimere Einsichten der Privatperson Nahles sollte man allerdings nicht erwarten. Das sei dann doch eher etwas für „Fernsehsternchen”, sagt sie.Julia Amalia Heyer
Andrea Nahles kritisiert in ihrem Buch Gerhard Schröder. Foto: AFP
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.01.2010Maria hilft
SPD-Generalsekretärin
Seit vergangenem November ist Andrea Nahles Generalsekretärin der SPD; mit 69,6 Prozent der Stimmen bekam sie auf dem Bundesparteitag das schlechteste Ergebnis der engeren Parteiführung. Das wird ihr kaum etwas ausgemacht haben, weil ihre Generation "nicht so machtversessen" sei wie die Achtundsechziger in den eigenen Reihen. Mit ihnen geht sie jetzt ins Gericht. Unter Gerhard Schröder sei die SPD auf neoliberale Positionen eingeschwenkt. Außerdem habe eine der größten Schwächen seiner Regierung bis 2005 in der "mangelhaften Kommunikation" bestanden. Aber auch in der großen Koalition bis zum Wahldesaster vom Herbst 2009 habe die SPD vergessen, die Interessen der "kleinen Leute" zu vertreten. Dabei bleibe die Schaffung einer gerechten Gesellschaft eine "dauernde Aufgabe". Ihr Motto lautet: "Weniger Spin, mehr Sinn." Im offenen Dialog sieht sie die Zukunft: "Die vielen Menschen, die ihre kostbare Freizeit in die Arbeit für die SPD vor Ort investieren, müssen von uns, die wir an der Spitze der Partei stehen, wieder ernst genommen werden."
Interessanter als solche allgemeinen Botschaften sind Einblicke, die Frau Nahles in ihre Biographie bietet. Sie bezeichnet sich als gläubige und bibelkundige Katholikin: "Mein zweiter Vorname ist Maria" und "Ich war Christin, bevor ich Sozialdemokratin wurde". Sie war schon mit neun Jahren Messdienerin in dem kleinen Eifel-Dorf Weiler, wo ihr Vater - ein Maurermeister - den Kirchenchor leitete und die Mutter sich im Verwaltungsrat der Pfarrgemeinde engagierte. Sie geht "heute noch regelmäßig in die Kirche", glaubt "an die göttliche Kraft in unserem Leben" und sieht im christlichen Glauben das Bekenntnis zur Gemeinschaft. Auf einem solchen "Wertehintergrund" beruhe ihr politischer Einsatz. Im Alter von 18 Jahren trat sie 1988 in die SPD ein, als Bewunderin von Willy Brandt und Oskar Lafontaine - der 1999 mit seinem Rücktritt als SPD-Vorsitzender und Bundesfinanzminister "und dem, was folgte", der "linken Politik und ihrer Mehrheitsfähigkeit in Deutschland massiven Schaden zugefügt" habe. Jedoch habe sie nie verstanden, warum die damalige SPD-Führung keine ernsthaften Versuche machte, ihn zurückzugewinnen. Lange nach Lafontaines Abgang sei die Agenda 2010 zum innenpolitischen Markenzeichen der Regierung Schröder/Fischer geworden. Die Bundestagswahl von 2009 lege die Auffassung nahe, dass die SPD "den Unmut und die Wut der Menschen vor allem auf sich" gelenkt habe. Außerdem habe "Die Linke" mit Lafontaine die Mär von der Alleinverantwortlichkeit der SPD für alles Schlechte "wie eine Monstranz" vor sich her getragen. Der SPD sei es nicht gelungen, "ihr Versprechen einzuhalten, dass sie auch in Zeiten der Globalisierung erfolgreich den Ausgleich von Kapital und Arbeit organisieren könne". Da gibt es eine Menge zu tun.
RAINER BLASIUS
Andrea Nahles: Frau, gläubig, links. Was mir wichtig ist. Pattloch Verlag, München 2009. 238 S., 16,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
SPD-Generalsekretärin
Seit vergangenem November ist Andrea Nahles Generalsekretärin der SPD; mit 69,6 Prozent der Stimmen bekam sie auf dem Bundesparteitag das schlechteste Ergebnis der engeren Parteiführung. Das wird ihr kaum etwas ausgemacht haben, weil ihre Generation "nicht so machtversessen" sei wie die Achtundsechziger in den eigenen Reihen. Mit ihnen geht sie jetzt ins Gericht. Unter Gerhard Schröder sei die SPD auf neoliberale Positionen eingeschwenkt. Außerdem habe eine der größten Schwächen seiner Regierung bis 2005 in der "mangelhaften Kommunikation" bestanden. Aber auch in der großen Koalition bis zum Wahldesaster vom Herbst 2009 habe die SPD vergessen, die Interessen der "kleinen Leute" zu vertreten. Dabei bleibe die Schaffung einer gerechten Gesellschaft eine "dauernde Aufgabe". Ihr Motto lautet: "Weniger Spin, mehr Sinn." Im offenen Dialog sieht sie die Zukunft: "Die vielen Menschen, die ihre kostbare Freizeit in die Arbeit für die SPD vor Ort investieren, müssen von uns, die wir an der Spitze der Partei stehen, wieder ernst genommen werden."
Interessanter als solche allgemeinen Botschaften sind Einblicke, die Frau Nahles in ihre Biographie bietet. Sie bezeichnet sich als gläubige und bibelkundige Katholikin: "Mein zweiter Vorname ist Maria" und "Ich war Christin, bevor ich Sozialdemokratin wurde". Sie war schon mit neun Jahren Messdienerin in dem kleinen Eifel-Dorf Weiler, wo ihr Vater - ein Maurermeister - den Kirchenchor leitete und die Mutter sich im Verwaltungsrat der Pfarrgemeinde engagierte. Sie geht "heute noch regelmäßig in die Kirche", glaubt "an die göttliche Kraft in unserem Leben" und sieht im christlichen Glauben das Bekenntnis zur Gemeinschaft. Auf einem solchen "Wertehintergrund" beruhe ihr politischer Einsatz. Im Alter von 18 Jahren trat sie 1988 in die SPD ein, als Bewunderin von Willy Brandt und Oskar Lafontaine - der 1999 mit seinem Rücktritt als SPD-Vorsitzender und Bundesfinanzminister "und dem, was folgte", der "linken Politik und ihrer Mehrheitsfähigkeit in Deutschland massiven Schaden zugefügt" habe. Jedoch habe sie nie verstanden, warum die damalige SPD-Führung keine ernsthaften Versuche machte, ihn zurückzugewinnen. Lange nach Lafontaines Abgang sei die Agenda 2010 zum innenpolitischen Markenzeichen der Regierung Schröder/Fischer geworden. Die Bundestagswahl von 2009 lege die Auffassung nahe, dass die SPD "den Unmut und die Wut der Menschen vor allem auf sich" gelenkt habe. Außerdem habe "Die Linke" mit Lafontaine die Mär von der Alleinverantwortlichkeit der SPD für alles Schlechte "wie eine Monstranz" vor sich her getragen. Der SPD sei es nicht gelungen, "ihr Versprechen einzuhalten, dass sie auch in Zeiten der Globalisierung erfolgreich den Ausgleich von Kapital und Arbeit organisieren könne". Da gibt es eine Menge zu tun.
RAINER BLASIUS
Andrea Nahles: Frau, gläubig, links. Was mir wichtig ist. Pattloch Verlag, München 2009. 238 S., 16,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Lesenswert und gescheitert zugleich findet Peter Dausend das Buch der neuen SDP-Generalsekretärin. Ein grundsätzliches Problem des Buches sieht er in dem Umstand, dass Andrea Nahles es allein schon sprachlich nicht gelingt, aus dem "selbstreferenziellen Politiksystem" auszubrechen, weshalb sich diese, in "Berufspolitikersprech" verfasste Publikation aus seiner Sicht grundsätzlich kontraproduktiv zum wachsenden Wunsch "der Menschen" nach Authentizität verhält. "Die Form verhindert" so Dausend also, "was der Inhalt versucht". Nächster Punkt auf seiner Mängelliste ist die Tatsache, dass es ihm äußerst schwer fällt, Andrea Nahles ihre diversen "Selbstbeschreibungen" abzunehmen. Zwar begegnet ihm in den Passagen über Nahles' katholische Prägung im heimatlichen Umfeld der Eifel eine völlig unbekannte Andrea Nahles, aber auch eine, die auf ihn wie erfunden wirkt. Lesenswert machen das Buch für ihn allerdings einige hellsichtige und provokante Äußerungen der SDP-Politikerin zur historischen Einordnung von elf Regierungsjahren ihrer Partei. Hier erscheint dem Kritiker die Autorin dann auch so authentisch, wie sie auch im Ganzen gerne wirken wolle.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH