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Wenn man genau hinsieht, werden die Dinge oft nicht schöner. Aber sie beginnen, Geschichten zu erzählen. Das ist auf der ganzen Welt so.
Vor der Geräuschkulisse Schnecken vernichtender Nachbarn im Württenbergischen wird mit Hilfe eines Teebeutels im Glas ein Geflecht aus Erinnerungen gewoben, in welchem die Brutalität provinzieller Kleingärtnerei ebenso Platz findet wie kindliche Sexualität und der Umstand, dass das älteste Haus am Ort durch einen Schneeballwurf zum Einwurf gebracht wurde. Die schönsten Beziehungen sind vielleicht die, die nicht zustande kommen. Deshalb erfahren wir die…mehr

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Produktbeschreibung
Wenn man genau hinsieht, werden die Dinge oft nicht schöner. Aber sie beginnen, Geschichten zu erzählen. Das ist auf der ganzen Welt so.

Vor der Geräuschkulisse Schnecken vernichtender Nachbarn im Württenbergischen wird mit Hilfe eines Teebeutels im Glas ein Geflecht aus Erinnerungen gewoben, in welchem die Brutalität provinzieller Kleingärtnerei ebenso Platz findet wie kindliche Sexualität und der Umstand, dass das älteste Haus am Ort durch einen Schneeballwurf zum Einwurf gebracht wurde. Die schönsten Beziehungen sind vielleicht die, die nicht zustande kommen. Deshalb erfahren wir die isländische Geschichte von Gylfi, dem Harleyfahrer, und Björk, der Malerin. Die schönsten Geschichten sind vielleicht aber doch die, die vom Verlust des Geliebten erzählen. Also erfahren wir etwas von der grauen großen Stadt Moskau, in der die Vergangenheit sich in jedem Schnipsel zu erkennen gibt. Christina Griebels Geschichten locken von Rom in die Nähe von Dresden, aufs Land, wo der Boden unter den Füßen nachgibt, wegen der alten Bergwerkschächte darunter. Wenn da eine Kastanie vom Baum fällt, dann raschelt es kurz im Laub und man ist froh, dass sonst nichts passiert ist.

Und was länger hält: das frisch gestochene Ohrloch oder der nette neue Freund, beide aus Paris, bleibt bis zum Schluss offen.

...Klar und einfach, vertraut und erschreckend wie der Blick in einen Vorgarten.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.08.2003

Vogelnest auf dem Kopf
Christina Griebels Debüt als Meistererzählerin
„Quickstep”, „Vergiss nicht” oder „Wenn es regnet”, drei Erzählungen aus dem ersten Buch von Christina Griebel, wirken, als wären sie früh geschrieben. Sie scheinen, auch wenn sie es nicht immer tun, den Leser mit „Du” anzusprechen. Sie versuchen, ein Einverständnis mit ihm zu erzielen. Da geht es, in der banalsten Geschichte, um Ohrenstechen in Paris und andere aufregende Erlebnisse von Austauschschülern, oder, wie in „Vergiss nicht”, um eine Schnelltherapie gegen Liebeskummer: „Dass der Kieferchirurg mich schließlich doch nicht liebte, hat mir zu schaffen gemacht. Sein Haus, sein Auto, sein Boot.”
Doch schon hier passt die Sprache nicht ganz zum öden Thema. Sie ist stilisiert, knapp und klar. Und das Thema wird interessant gewendet: „Dass dir ein Vogel auf den Kopf scheißt, kannst du nicht verhindern”, sagt Greta, die Freundin und Liebeskummer-Assistentin, „aber dass er dort ein Nest baut, dagegen kannst du was tun”. Greta meint, dass die Ich-Erzählerin für andere arbeiten solle, dann werde sie ein Mensch. „Greta hat Karottenhaare, Greta ist Sozialarbeiterin, Greta lebt vorwärts”. Damit ist die Besserwisserin hingerichtet. Und das Problem mit dem Vogel ist danach noch ziemlich dasselbe. Kein Gruppen- und Generationengetue, Griebel unterstützt ein widerborstiges Ich.
Doch vor allem ist der erste Eindruck von diesem Erzählen einer der präzisen, sinnlichen Wahrnehmung. Die Autorin legt nicht nur Wert auf Details, sie kultiviert die Aufmerksamkeit für sie konsequent: „Auf der Treppe vor dem Tschaikowski-Konzertsaal liegt ein Stückchen graues Toilettenpapier”. Ziemlich belanglos, aber es ist „sorgfältig gefaltet” und das hat seinen Grund: „eben noch nah am Körper getragen, doch dann aus dem Loch in der Innentasche, dem Strumpfhalter, dem Unterhosengummi gerutscht. Es wird bald jemandem fehlen. In den Toiletten gibt es keines.” Doch mit diesen, die Nähe von Armut und Hochkultur in Moskau knapp charakterisierenden Bemerkungen, wird das Papierchen noch nicht los gelassen. „Eine feuchte Ledersohle” nimmt es mit, „ein paar Stufen weiter hinauf, um von einem Pfennigabsatz durchbohrt zu werden”, der streift „das graue Blättchen an einer Wade in hautfarbenem Seidenstrumpf ab”. Die Ich-Erzählerin tritt knapp daneben, es bleibt auf einem Gitterrost liegen, dort wird es erzählerisch geschickt vergessen, beinahe bis zum Ende des Texts.
Zahnlos im Schmelzkäsekeller
Die schon mit dem Walter-Serner-Preis ausgezeichnete Erzählung „Und sie geigen Schostakowitsch” ist einer der gelungensten Texte dieses Debüts der 1973 geborenen Schriftstellerin. Aber einige andere Stücke sind nicht schwächer. Was gleich auffällt, ist der Variantenreichtum der Sujets: „Harte Sache” spielt in einer Schmelzkäsefirma. Es wird detailliert aufgezeichnet, wie was gemacht wird. Aber eigentlich geht es um etwas anderes: um die Macht von Meister Leder, der die Arbeitsplätze zuweist, von der Stanze, ganz in seiner Nähe, bis zum Keller, wo Leute ohne Zähne und solche, die Fehler machen, hinkommen. Erst auf der letzten Seite wird klar, dass der Keller in der Fertigungshalle der Schmelzkäseverpackungsanstalt der einzige Ort der Freiheit ist. Hier kann keiner mehr fallen.
Auch dramaturgisch überzeugen die meisten Texte. Was dem Text wichtig ist, bleibt oft bis zum Schluss ausgespart. Kombiniert mit Griebels Detailgenauigkeit, ergibt dies eine vielen Geschichten gemeinsame Erzählhaltung. So kann es in „Zwittrige Burschen”, das etwas an Ingo Schulzes Altenburger Erzählungen erinnert, an der Textoberfläche um Schnecken und Gift in deutschen Provinzvorgärten gehen, oder in „Die Magdalena” um einen Mann, der die Ich-Erzählerin vor einer finnischen Insel auf sein Boot locken will: Das Erzählprinzip von Detail und Lücke führt in jedem Fall zur beabsichtigten Irritation des Lesers, der immer zu viel erfährt, und das Eigentliche spät oder nie. Ganz selten verliert die Erzählerin selber den Blick fürs Ganze ihrer Geschichten und ein Überdruss an Selbstzweck-Details entsteht.
Ein induktives, spannungsförderndes Erzählen – das wirkt unter Meistererzählern von Tschechow bis Poe wie ein alter Trick. Aber bei einer Debütantin fällt schon auf, wie gut und selbständig sie ihn beherrscht, ohne in wiederholendes Handwerk zu verfallen. Auch die isländischen Erzählungen „Ob sie” und „Grashalm für Grashalm”, in denen Griebel von ihrem Detailrealismus abkommt und mit Naturmystik- und Märchenelementen spielt, leben davon.
Selten glaubt man von einer Erzähl-Debütantin so deutlich, ihr könne ein guter Roman gelingen. Doch zum Eindruck thematischer Breite und der spürbaren Neugier auf allerhand Welten, kommt hier auch jener der kompositorischen Freiheit.. Wie in den Romanen des achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhunderts entwickelt Griebel hier schon auf kleinstem Raum ein großzügiges Erzählen, das Themen wie Figuren verlieren und gewinnen kann, dem es nicht darum geht, den hinfälligen Leser zu stützen und ihn per Suggestion in eine geschlossene Zelle zu führen.
HANS-PETER KUNISCH
CHRISTINA GRIEBEL: Wenn es regnet, dann regnet es immer gleich auf den Kopf. Erzählungen. Collection S. Fischer. Frankfurt a. Main 2003. 157 Seiten, 10 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.08.2003

In der Schmelzkäsefabrik
Lauter unverdaute Kränkungen: Christina Griebels Erzählungen

Gehetzte Beobachtungen, vorbeirauschende Details sind es, die den Ich-Erzählerinnen von Christina Griebels Erzählband in Erinnerung bleiben und dort enorme Bedeutung entfalten. Ihre Figuren, allesamt junge, empfindliche Frauen, sind auf dem Sprung, regelrecht auf der Flucht und auf der Suche nach etwas, das sie schon allein deshalb nicht finden können, weil es bei ihnen keinen Namen trägt.

"Solange man irgendwie heißt und irgendwo herkommt", heißt es in einer Episode, "kann man fischen gehen, aber wenn man schlingert, weil man eigentlich gar nicht irgendwie heißen oder irgendwo herkommen wollte, dann öffnet sich das weiße Gesprudel zwischen hier und dort." Unverdaute Kränkungen quirlen tatsächlich in Christina Griebels Heldinnen. Stets berichten sie vom Scheitern eines Herzenswunschs, doch tun sie es in auffällig gefilterter Form, mit deutlicher Verschiebung der Perspektive, wie unter Schock. Statt des großen Ganzen nehmen sie belanglose Dinge in den Blick, statt folgenreiche Gesten und Worte kramen sie nebensächliche Bemerkungen und einfachste Verrichtungen hervor. Beiläufigkeiten rücken ins Zentrum ihrer Betrachtung, werden zu letzten Haltegriffen ihrer schlingernden Existenz. Die Katastrophe dahinter klingt allenfalls an.

Da erzählt eine deutsche Austauschstudentin in Moskau in "Und sie geigen Schostakowitsch", wie sie einem unbekannten Mann durch die Stadt hinterherläuft, "jenem, dem ich immer nachrannte, seit Jahren, und immer war er schneller". Dieser Schatten, aus dem kein Liebhaber wird, bleibt für sie unerreichbar. Die schmählich Zurückgelassene muß schließlich erkennen, daß es noch eine andere Frau in seinem Leben gibt. Doch das nimmt sie nur aus den Augenwinkeln wahr. Denn stehenbleiben, ihrem Unglück begegnen, möchte sie nicht. Hektisch stürzt sie davon, besucht das Schostakowitsch-Konzert allein, um dort ausgerechnet im Anblick eines "Stückchen grauen Toilettenpapiers" Trost zu finden. "Es wird bald jemand fehlen", mutmaßt die Erzählerin, "in den Toiletten gibt es keines." Ein zertretener Schnipsel wird zum gewagten Sinnbild ihres eigenen, durch Zurückweisung irritierten Lebens.

Erzählen bedeutet für Griebels Protagonistinnen Therapie. Mantrenhaft wiederholen sie Worte und Sätze und versuchen so, einen inneren Schrecken zu bannen. Wobei plastische Metaphern eines "Verdauungsvorgangs" eine große Rolle spielen. In allen Episoden tauchen Utensilien und Plätze der Notdurft auf. Mal wird eine Schiffsfähre als schwimmendes "WC" bezeichnet, mal schließt eine "Badezimmertür nicht richtig". Dann wieder wird eine "Stuhlprobe" vor Arbeitsantritt verlangt oder klagt die Patientin einer psychiatrischen Klinik in der Titelgeschichte, daß das Mittagessen "ein Griff ins Klo" war. Mag sein, daß diese Fokussierung auf körperliche Ausscheidungen gewollt ist, um zu betonen, wie sehr demgegenüber der seelische Austausch stockt, wie tief die Protagonistinnen im Rinnstein der Gefühle dahinstrudeln. Mag auch sein, daß die sanitären Anlagen als Gegenwelten zu jenen Tempelbezirken einer geglückten Liebesintimität gedacht sind, die den Figuren verwehrt bleibt. Gleichwohl wirkt der verbale Rückzug aufs Klo wie eine effekthascherische Marotte.

Traumatische Erfahrungen werden nicht dadurch anrührender, daß man sie mit drastischen Ausdrücken auflädt. Sie werden auch nicht unbedingt dadurch spektakulärer, daß man sie an so fremdartige Orte wie Moskau, Island oder in ein Kaff nahe der finnischen Grenze verlegt. Und sie werden bestimmt nicht dadurch geheimnisvoller, daß man sie möglichst geheimnisvoll erzählt. Wenn die erwähnte Austauschstudentin aus Liebeskummer gleich sechshundertmal "Blutkultur" auf verschiedene Zettel schreibt, wenn die Psychiatrie-Patientin aus Wehmut nach einem Kindergartenfreund ausschweifend über dessen Spucke nachsinnt und wenn die Wartende an einer Schiffsanlegestelle in Gedanken von "einem Teller aus Arabia-Porzellan" zum eigenen "Nabel" hinüber zum letzten Friseurbesuch springt, dann ist Papier bei Christina Griebel schon ziemlich geduldig - und sind ihre Heldinnen zu sehr um die Hervorkehrung leidender Besonderheit bemüht.

Den Juroren des Walter-Serner-Preises hat der selbstreflexive Ton einer rätselhaften Lebenslähmung in "Und sie geigen Schostakowitsch" 2001 zwar gefallen. Nicht jeder Leser aber wird bei diesem Kummermonolog, der vieles andeutet und nichts bewältigt, bei der Stange bleiben. Was schade wäre um jene folgenden Geschichten, die weniger im eigenen Schmerz verharren. Mehr Entwicklung und auch mehr Seitenblicke auf andere Personen bietet vor allem "Harte Sache", in der ein rigides Beschäftigungsszenario vorgeführt wird, das Kafka alle Ehre machte. An die Spitze einer Schmelzkäsefabrik stellt Griebel hier den sadistischen "Meister Leder", der seine Untergebenen jeden Morgen neu nach ästhetischen Gesichtspunkten einteilt. Da für Meister Leder "äußere Mißgestaltung mit innerer Fehlhaltung" einhergeht, bildet sich eine für totalitäre Regime typische Hierarchie der Inhumanität heraus. Wer körperliche Mängel wie "Hasenscharte", "Kropf" oder "Klumpfuß" aufweist, wird zum Arbeiten in den "Keller" verbannt. Das klingt mitunter etwas plakativ. Doch findet Griebel für ihre Parabel einer altbekannten Drangsalierung erstaunliche Bilder und einen überraschenden Schluß. Selbst die schlimmste Demütigung, stellt die Heldin dieser Geschichte fest, birgt immer noch eine andere, ungeahnte Perspektive. Leider teilt sie diese Erkenntnis nicht mit allen Erzählerinnen des Bands.

GISA FUNCK

Christina Griebel: "Wenn es regnet, dann regnet es immer gleich auf den Kopf". Erzählungen. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. Main 2003. 160 S., br., 10,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Obwohl die Collection Fischer neuerdings - "die Verlage müssen sparen", meint Martin Krumbholz - auf "fühlbar billigem Papier gedruckt" werde, habe diese Reihe für Nachwuchsautoren doch nichts an literarischer Qualität eingebüßt. Nachdem der Rezensent seine lobende Besprechung von Christina Griebels Erzählungen so eingeleitet hat, geht es weiter mit einem Lob für Griebels Sprache: Diese sei "robust, ungekünstelt und dialogreich", ihr Beobachtungstalent "scharf ausgeprägt". Wie in dieser Reihe üblich, gehe es auch bei Griebel vorwiegend um "Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht". Wenn auch Krumbholz' abschließendes Urteil, in Griebels Texten geschehe wenig, das einen "für länger als eine Schrecksekunde aus der Fassung bringen könnte", etwas zwiespältig klingt, so zeigt ein von ihm zitiertes Beispiel aus dem Band immerhin, dass diese Schrecksekunden wohl, obwohl recht harmlos und trocken daherkommend, mitunter einer gewissen Abgründigkeit und Boshaftigkeit nicht entbehren: "Wirst Du mich vergessen", fragt da ein Claude die Erzählerin, die gerade als Austauschschülerin in Frankreich weilt. "Ich werde Dich nie vergessen", sagt diese darauf, "denn diesen Satz konnte ich sprachlich ganz gut bewältigen."

© Perlentaucher Medien GmbH