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Der Raum, in dem wir leben, vermittelt uns ein Gefühl von Heimat und Geborgenheit und stiftet Identität.Wie haben Menschen in früheren Epochen den sie umgebenden Raum wahrgenommen? Wie empfanden sie die Räume, die sie durchquerten, wenn sie ihre gewohnte Umgebung verließen?

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Produktbeschreibung
Der Raum, in dem wir leben, vermittelt uns ein Gefühl von Heimat und Geborgenheit und stiftet Identität.Wie haben Menschen in früheren Epochen den sie umgebenden Raum wahrgenommen? Wie empfanden sie die Räume, die sie durchquerten, wenn sie ihre gewohnte Umgebung verließen?
Autorenporträt
Professor Dr. Axel Gotthard lehrt Geschichte an der Universität Erlangen-Nürnberg. 2003 erschien von ihm »Das Alte Reich 1495 - 1806«.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.11.2007

Drei bis sieben Kilometer pro Stunde ist das Tempo der Geschichte
Keine Wegweiser, Straßenschilder oder Naturschönheiten: Axel Gotthard beschreibt das Raumgefühl der Menschen vor dem Anbruch der Moderne
Wie die Menschen den Raum wahrnehmen, hängt davon ab, wie sie ihn überwinden können. So haben Postkutsche, Eisenbahn und Flugzeug tiefgreifende Veränderungen der Raumvorstellung zur Folge gehabt; Schrift, Druck, Telefon und Internet ebenso. Inzwischen ist Kommunikation fast völlig von körperlicher Anwesenheit getrennt und ohne Zeitverlust über beliebige Distanzen hinweg möglich. Das hat nicht nur die politischen, sozialen und ökonomischen Strukturen verändert, sondern auch das subjektive Raumgefühl – so sehr, dass man heute von einem „Verlust des Raumes” spricht. In den Kulturwissenschaften hat man zur gleichen Zeit eine Wendung zum Raum, einen „spatial turn” registriert. Beides widerspricht sich nicht: Man wird sich ja gerade dessen erst richtig bewusst, was man verloren hat.
Axel Gotthard, Autor des essayistisch angelegten Büchleins „In der Ferne”, ist Historiker der Frühen Neuzeit und ausgewiesener Spezialist für das Heilige Römisch-Deutsche Reich. Er fragt danach, wie die Menschen in der Vormoderne – genauer gesagt: im Alten Reich – sich im Raum orientierten, mit welchen Räumen sie sich identifizierten, welche Rolle Räume für ihr Selbstverständnis spielten.
Aber was heißt das eigentlich – Raum? Die Nationalsozialisten haben den Raum zu einem eigenständigen Akteur erhoben, der politische Forderungen stellt. Die Kulturwissenschaftler heute tun das Gegenteil; sie betrachten den Raum als kulturelles Konstrukt. Gotthard will weder das eine noch das andere tun. Vom postmodernen „spatial turn” distanziert er sich zwar, steht ihm aber näher, als er zugibt. Denn er betont zu Recht, dass die Räume, die er meint, „Kopfgeburten” sind. Siedlungen, Stämme, Länder, Reich, Europa – das sind zunächst einmal soziale und politische Einheiten, nichts Natürliches. Erst Deutungen und Zuschreibungen machen Räume für Menschen zur Heimat. Dass die politische Zugehörigkeit an einen physisch erfassbaren Raum gebunden wurde, so dass „die Gewalt einem Territorium anhaftete”, ist erst die Folge bestimmter Herrschaftstechniken, die am Ende eines langen historischen Prozesses den modernen Staat hervorgebracht haben.
Wie anders man den Raum vor dem Siegeszug des Nationalstaats und der Postkutsche wahrnahm, offenbaren Gotthards Quellen, vor allem Reisebeschreibungen.
Mein Vaterland heißt Biberach
Ein Reisender des 15., 16. oder 17. Jahrhunderts bewegte sich mit einer Geschwindigkeit von drei bis höchstens sieben Kilometern in der Stunde, meist zu Fuß auf schlechten Wegen, ohne Wegweiser, Straßenschilder, Grenzkontrollen. Was er registrierte, waren vor allem die Städte und Dörfer, die er passierte, und die Entfernungen dazwischen – nicht Sprachunterschiede oder politische Grenzen. Auf Landkarten gab es keine Grenzlinien. Trotzdem wusste der Reisende in der Regel sehr wohl, durch welcher Herren Länder er wanderte. Naturschönheiten sah er nicht, allenfalls bemerkte die fruchtbaren Felder und die wohl kultivierte Landschaft.
Selbst konfessionelle Unterscheidungen würdigte der Reisende selten eines Wortes, nur der Unterschied zwischen Christen und Heiden war ihm der Rede wert. Als „Teutsche” nahm er andere selten wahr – eher als Schwaben, Franken, Sachsen, Bayern oder Friesen. Und wenn, dann war es höchst variabel, wen er als deutschen Landsmann bezeichnete: Niederländer oder Schweizer waren für den einen „teutsch”, für den anderen nicht. Als „Vaterland” galt selten das Reich, sondern eher Biberach oder Innsbruck, das Herzogtum Württemberg oder die Grafschaft Wied-Runkel. Kurzum: Die Wahrnehmung des Raumes war punktuell und diskontinuierlich, die politische Zuordnung diffus und von wechselnden Perspektiven abhängig.
Das alles ist im wesentlichen schon länger bekannt, manches nicht unumstritten. Gotthard wirft unzählige interessante Fragen auf – zum Beispiel, woran es liegt, dass frühmittelalterliche Stammesnamen wie Sachsen oder Franken bis weit in die Neuzeit hinein zur politischen Identitätsstiftung dienten, obwohl sie schon für die Humanisten nur mehr „archaisierende Reminiszenzen” waren; aber er versucht keine dieser Fragen gründlich und systematisch zu beantworten. Er plaudert stattdessen in teils launigem („Es räumelt allenthalben”), teils akademisch-belehrendem Ton, greift mit beiden Händen in seine vollen Zettelkästen, reiht Lesefrucht an Lesefrucht und teilt auch gern kulturkritische Seitenhiebe aus. Ausufernde Anmerkungen nehmen ein Viertel des Buches ein. Das alles liest sich manchmal leider wie ein Google-Suchergebnis. Aber „ein Computer-Suchwort ist leider noch kein Forschungsprogramm” – wie wahr. BARBARA STOLLBERG-RILINGER
AXEL GOTTHARD: In der Ferne. Die Wahrnehmung des Raums in der Vormoderne. Campus Verlag, Frankfurt/New York 2007. 245 Seiten, 24,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Hochinteressant findet Barbara Stollberg-Rilinger das Thema von Axel Gotthards Buch zur Raumwahrnehmung des vormodernen Menschen, aber insgesamt ist sie damit dennoch nicht recht glücklich. Der Autor, Historiker der Frühen Neuzeit, zeigt vornehmlich an Reisebeschreibungen, dass der Raum hauptsächlich aus der Perspektive des Wanderers wahrgenommen wurde, der eher noch als politische oder konfessionelle Unterschiede verschiedener Gegenden Ortschaften und ihre Entfernungen voneinander registrierte, so die Rezensentin. In seinem essayistischen Streifzug spreche Gotthard viele interessante Punkte an, wie zum Beispiel das Heimatgefühl, das nicht an Herrschaftsgebiete, sondern an vertraute Landstriche gebunden war oder die unterschiedlichen Kriterien, was als "teutsch" empfunden wurde, meint Stollberg-Rilinger. Aber sie bedauert, dass der Autor diesen Fragen nicht systematisch auf den Grund zu gehen versucht und stattdessen mal im Plauderton, mal etwas lehrerhaft seine Lektürefunde zum Besten gibt. Und so wirkt das Buch auf sie so ein bisschen wie das Ergebnis einer Suchmaschinen-Recherche und die Beobachtung, dass ungefähr ein Viertel des Buches durch Anmerkungen eingenommen wird, facht ihre Leselust auch nicht gerade an.

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