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Die christlichen Wurzeln der modernen Demokratie
Der freiheitliche Verfassungsstaat ist ein säkularer Staat. Dieses Charakteristikum verdankt sich einer grundlegenden Unterscheidung von Politik und Religion, von irdischer und transzendenter Sphäre, die in den biblischen Erzählungen ihre Grundlage findet. Tine Stein will die politiktheoretische Bedeutung der biblischen Erzählungen und der christlichen Tradition bergen und zeigen, wie sehr das für den demokratischen Verfassungsstaat konstitutive Leitbild des Menschen als frei, gleich und mit unverfügbarer Würde ausgestattet hiervon geprägt…mehr

Produktbeschreibung
Die christlichen Wurzeln der modernen Demokratie

Der freiheitliche Verfassungsstaat ist ein säkularer Staat. Dieses Charakteristikum verdankt sich einer grundlegenden Unterscheidung von Politik und Religion, von irdischer und transzendenter Sphäre, die in den biblischen Erzählungen ihre Grundlage findet. Tine Stein will die politiktheoretische Bedeutung der biblischen Erzählungen und der christlichen Tradition bergen und zeigen, wie sehr das für den demokratischen Verfassungsstaat konstitutive Leitbild des Menschen als frei, gleich und mit unverfügbarer Würde ausgestattet hiervon geprägt ist. Neben dem genealogischen Befund wird diskutiert, ob eine metaphysische Geltungsgrundlage des Rechts im Verfassungsstaat behauptet werden kann und ob die Sphäre des Unverfügbaren für die Aufrechterhaltung einer freiheitlichen Rechtsordnung konstitutiv ist.
Autorenporträt
Tine Stein ist Privatdozentin an der FU Berlin (Otto-Suhr- Institut für Politikwissenschaft) und vertritt zurzeit eine Professur für Politische Theorie an der Universität Bremen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.12.2007

Mit prophetischem Schwung

Wie lässt sich christlicher Geltungsanspruch im freiheitlichen Verfassungsstaat begründen? Tine Stein rührt an den Nerv gegenwärtiger religionspolitischer Auseinandersetzungen. Eine Gratwanderung zwischen historischer Darstellung und Apologie.

Blickt man auf die uferlose Literatur zur Vorgeschichte und Geschichte der Menschenrechte und des freiheitlichen Verfassungsstaats, dann lässt sich der bestimmende Eindruck am besten auf die Formel bringen: Der Erfolg hat viele Väter. Unzweifelhaft stellt der Siegeszug der Menschenrechte und der Grundprinzipien der freiheitlich-demokratischen Ordnung eine der großen Erfolgsgeschichten im Bereich der Werte und Normen dar, und selbst wer zu skeptischeren Einschätzungen neigt, weil der große Abstand zwischen Verfassung und Verfassungswirklichkeit oder ein zynischer Missbrauch hehrer Prinzipien unübersehbar seien, wird immerhin noch in der Heuchelei ein Indiz für die Geltung der Normen sehen können.

Von ebendiesem Triumph fällt dann Licht auf ältere "Visionen", auf Keime oder Wurzeln moderner Errungenschaften in einzelnen religiösen und kulturellen Traditionen. So gibt es historische Darstellungen, die diese Errungenschaften mit einem erfolgreichen Säkularisierungsprozess in Verbindung bringen; andere führen aus, dass ohne die jüdisch-christliche Tradition die modernen Errungenschaften unvorstellbar seien, und zunehmend gibt es Versuche, in allen großen Religionen emphatische Stellungnahmen zur Würde aller Menschen und zur Pflicht, allen Leidenden zu helfen, zusammenzutragen und zum Ursprung der Menschenrechte zu erklären.

In dieser äußerst vielfältig gewordenen Landschaft stellt sich Tine Stein, Verfasserin der im vorliegenden Buch publizierten Berliner politikwissenschaftlichen Habilitationsschrift, ganz unumwunden auf eine Seite. Sie beginnt ihr Buch mit dem Trompetenstoß, es sei "sub specie divinitatis", unter göttlichem Blickwinkel, geschrieben. Sie will zeigen, "wie sehr das für den demokratischen Verfassungsstaat konstitutive Leitbild des Menschen als frei, gleich und von einer unverfügbaren Würde ausgestattet von den biblischen Erzählungen geprägt ist, die von dem Ereignis der geschichtlich situierten Gottesoffenbarung ausgehen".

Deshalb zeichnet sie die Entstehung von Vorstellungen über "Freiheit und Verantwortung" sowie "Gleichheit und Solidarität", die Trennung von Herrschaft und Heil und die Positivierung als vorstaatlich gedachter Menschenrechte nach. Diese Teile sind mit dem Schwung ehrlicher katholisch-christlicher Überzeugung geschrieben; die Verfasserin stützt sich dabei auf Standardwerke etwa von Harold Berman, Ernst Wolfgang Böckenförde und Theo Kobusch und die zu wenig bemerkte "Genealogie des Staates" von Klaus Roth.

Nicht eigentlich Neues wird dadurch hier geboten, aber es entsteht eine umsichtige fortlaufende Erzählung mit beträchtlicher Überzeugungskraft. Dabei ist das Ziel ausdrücklich nicht nur das einer ideengeschichtlichen Rekonstruktion. Die Genesis soll auch einen Geltungsanspruch plausibel machen, dem zufolge ohne die Bewahrung der religiösen Wurzeln moderner politischer Ordnung deren Gefährdungen nicht bewältigt werden können. Es ist deshalb konsequent, dass in einem abschließenden Teil die fortwährende Bedeutung des religiösen Erbes verteidigt und insbesondere auf bioethischem Gebiet auf energische Weise eine strikte Position hinsichtlich umfassenden "Lebensschutzes" aus dem Menschenwürde-Postulat abgeleitet wird.

In drei Hinsichten hat es sich Tine Stein aber zu leicht gemacht. Ich halte es für spektakulär, dass ihr die Thematik der "Achsenzeit" völlig entgangen zu sein scheint, also die seit Karl Jaspers' Buch von 1949 so bezeichnete, aber schon längst vorher vielfach erörterte Frage, ob der Durchbruch zur Transzendenz denn wirklich nur eine Sache der jüdisch-christlich(-islamisch)en Tradition sei und nicht auch der chinesischen, indischen, altiranischen und antik-griechischen. Wohlgemerkt, es geht nicht darum, dass dieses ohnehin schon historisch enorm weit ausholende Buch auf alle diese Religionsgeschichten auch noch hätte eingehen müssen; es geht nur darum, dass die Einmaligkeitsansprüche, die hier für die eigene "abendländische" Tradition erhoben werden, erst durch einen Vergleich zu rechtfertigen wären. Sonst besteht ja immer die Gefahr eines eurozentrischen Triumphalismus und einer simplen Tautologie; alles, was in einem christlichen Land entstand, bevor es überhaupt säkulare Optionen gab, muss ja christlich begründet worden sein, aber was sagt das dann schon über die kausale Rolle des Christlichen bei dieser Entstehung?

Daraus ergibt sich das zweite Bedenken. Wie stellt sich Tine Stein nun eigentlich die Rolle des Christlichen im geschilderten Entstehungsprozess genau vor? Ihre Lieblingsmetapher ist die der "Wurzel", was ja wohl eine Idee organischen Wachsens nahelegt; sie spricht aber auch vom "realhistorischen Niederschlag", ja sogar von einer logischen Implikation, um das Verhältnis von religiösem Inspirationskern und modernem Recht zu beschreiben. Tine Stein sieht die Gefahr sehr wohl, dass solche Geschichtsschreibung nichts anderes ist als gegenwartsmotivierte Rückprojektion, bleibt aber auf halbem Wege stehen zwischen einer solchen Ideengeschichte und einer Sicht, die ernst nimmt, dass Ideen nicht handeln, sondern nur Menschen, die in ihren jeweiligen Kontexten die Ideen neu artikulieren, in Interpretationskämpfen verfechten und in Handlungen umsetzen.

Weil sie nicht die gleichzeitige Vielfalt der Berufungen politischer Richtungen auf das Christentum in den Blick nimmt, sondern einen Längsschnitt durch Jahrtausende legt, kann die Verfasserin auch der Gefahr der Apologetik nicht entgehen. Redlich führt sie an, wie wenig Kraft in der Geschichte des Christentums diejenigen politisch-ethischen Vorstellungen oft hatten, die wir heute verteidigen.

Weder Demokratie noch Religionsfreiheit hatten es in dieser Hinsicht leicht, und Sklaverei, Frauenunterdrückung, Umweltzerstörung, Todesstrafe konnten christlich gerechtfertigt werden. Sie weiß das alles, behandelt aber das, was Jahrhunderte bestimmte, wie kleine und vereinzelte Abweichungen von einem dennoch klar erkennbaren Weg. Das wäre in prophetischer Rede, in der zur Rückkehr zum wahren Glauben aufgefordert wird, am Platze, ist aber in einer historischen Darstellung verfehlt, weil damit unerkannt bleibt, dass es nicht um Abweichungen geht, sondern um eigene politische Ordnungsvorstellungen von großem Anspruch und lang anhaltender Kraft.

Schließlich wird von diesen Einwänden, die sich auf die "Genesis", die Herleitung, richteten, auch die "Geltung" berührt. Dem Buch liegt die "anthropologische Hypothese" zugrunde, "dass das Bedürfnis nach Transzendenz zur menschlichen Grundausstattung gehört" - wobei sie sich hier auf mich beruft, der ich diese Einschätzung gerade nicht teile. Sie wäre angesichts der sozialen Wirklichkeit radikal säkularisierter Gesellschaften doch begründungsbedürftig gewesen.

Die Unterstellung unvermeidlicher Religiosität führt dann dazu, dass Denker, die eine rationale Wertbegründung gefunden zu haben behaupten, nicht sorgfältig widerlegt, sondern vorschnell "eingemeindet" werden. Kant etwa und Habermas werden damit nicht so ernst genommen, wie sie es verdienten, weil der Gedanke einer Unverfügbarkeit, die nicht in göttlicher Setzung fundiert ist, von vornherein für unplausibel gilt. Dabei übersieht Tine Stein, dass doch auch jede Behauptung über eine göttliche Setzung eine menschliche Behauptung ist. Mit dieser ernüchternden Feststellung soll nicht in Frage gestellt werden, dass es göttliche Setzung gibt; allerdings gilt mein Zweifel der Selbstgewissheit, mit der von ihr die Rede ist.

Die bioethische Argumentation am Ende des Buches spricht jeder anderen Position auf dem Gebiet des Lebensschutzes implizit den christlichen Charakter, ja gar die Vereinbarkeit mit einem Glauben an die Unantastbarkeit der Menschenwürde ab. Ein Versuch wie der vorliegende, auch denen etwas zu sagen, "die von der Wahrheit der Gottesoffenbarung nicht ausgehen", wird besser gelingen, wenn er auch hörend aufnimmt, was diejenigen behaupten, die eine andere Gottesoffenbarung zu kennen meinen oder keine.

HANS JOAS

Tine Stein: "Himmlische Quellen und irdisches Recht". Religiöse Voraussetzungen des freiheitlichen Verfassungsstaates. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2007. 372 S., geb., 32,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.09.2007

Sachbücher des Monats Oktober
Empfohlen werden nach einer monatlich erstellten Rangliste Bücher der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften sowie angrenzender Gebiete.
1. RÜDIGER SAFRANSKI: Romantik. Eine deutsche Affäre. Carl Hanser Verlag, 432 Seiten, 24,90 Euro.
2.HOWARD ZINN: Eine Geschichte des amerikanischen Volkes. Übersetzt von Sonja Bonin, Verlag Schwarzer Freitag, 689 Seiten, 28,80 Euro.
3. ERIC HOBSBAWM: Die Banditen. Räuber als Sozialrebellen. Übersetzt von Rudolf Weys und Andreas Wirthensohn, Carl Hanser Verlag, 240 Seiten, 19,90 Euro.
4. HANNO RAUTERBERG: Und das ist Kunst?! Eine Qualitätsprüfung. S. Fischer Verlag, 304 Seiten, 16,90 Euro.
5. TINE STEIN: Himmlische Quellen und irdisches Recht. Religiöse Voraussetzungen des freiheitlichen Verfassungsstaates, Campus Verlag, 372 Seiten, 32,90 Euro.
6. KARL HEINZ BOHRER:Großer Stil. Form und Formlosigkeit in der Moderne, Carl Hanser Verlag, 280 Seiten, 21,50 Euro.
7.-8. BÉATRICE FONTANEL/CLAIRE D’HARCOURT: Babys in den Kulturen der Welt. Übersetzt von Cornelia Panzacchi und Andrea Unseld, Gerstenberg Verlag, 280 Seiten, 36,00 Euro.
LUTZ HACHMEISTER: Nervöse Zone. Politik und Journalismus in der Berliner Republik, Deutsche Verlags-Anstalt, 288 Seiten, 16,95 Euro.
9. FRED PEARCE: Das Wetter von morgen. Wenn das Klima zur Bedrohung wird. Übersetzt von Gabriele Gockel und Barbara Steckhan, Verlag Antje Kunstmann, 320 Seiten, 19,90 Euro.
10. HANS KÜNG: Umstrittene Wahrheit. Erinnerungen, Piper Verlag, 720 Seiten, 24,90 Euro.
Besondere Empfehlung des Monats Oktober 2007 von Rainer Blasius: HARRY GRAF KESSLER: Das Tagebuch 1880-1937, Band 7, 1919-1923, herausgegeben von Angela Reinthal unter Mitarbeit von Janna Brechmacher, Christoph Hilse, Günter Riederer und Jörg Schuster, Verlag Klett-Cotta, 1095 Seiten, 58,00 Euro.
Redaktion: Andreas Wang (NDR Kultur)
Die nächste SZ/NDR/BuchJournal-
Liste der Sachbücher des Monats erscheint 31.Oktober 2007.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Hans Joas' Respekt angesichts dieser "weit ausholenden" Studie und der "ehrlichen katholisch-christlichen" Position der Autorin Tine Stein wird relativiert durch die Skepsis angesichts eines allzu göttlichen Blickwinkels und "prophetischer Rede". Seiner Meinung nach hat es sich Stein zu leicht gemacht bei ihrer Verteidigung des religiösen Erbes als Basis modernen Rechts: Durch die Missachtung der "Thematik der 'Achsenzeit'", durch Ungenauigkeiten in der Darstellung der Rolle des Christlichen und durch apologetische Tendenzen. Historische Darstellungen funktonieren anders als mittels unerschütterlicher Selbstgewissheit, meint Joas.

© Perlentaucher Medien GmbH
Mit prophetischem Schwung
"Tine Stein rührt an den Nerv gegenwärtiger religionspolitischer Auseinandersetzungen." (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.12.2007)