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3 Kundenbewertungen

England, auf dem Höhepunkt der industriellen Revolution: Weil sie den Hunger und die Grausamkeiten im Waisenhaus nicht mehr länger ertragen, beschließen die Geschwister Joe und Annie in einer eisigen Frühlingsnacht zu fliehen. Nun sind sie völlig auf sich gestellt und müssen ohne einen Penny auf der Straße überleben. Schon bald empfindet Joe seine jüngere Schwester als Last. Denn: Annie ist etwas Besonderes - sie kann die Toten sehen und sogar mit ihnen sprechen. Als die beiden auf eine Schaustellertruppe treffen, lässt Joe sie in der Obhut von Ehrenmann Bob zurück, der Annie mit ihren…mehr

Produktbeschreibung
England, auf dem Höhepunkt der industriellen Revolution: Weil sie den Hunger und die Grausamkeiten im Waisenhaus nicht mehr länger ertragen, beschließen die Geschwister Joe und Annie in einer eisigen Frühlingsnacht zu fliehen. Nun sind sie völlig auf sich gestellt und müssen ohne einen Penny auf der Straße überleben. Schon bald empfindet Joe seine jüngere Schwester als Last. Denn: Annie ist etwas Besonderes - sie kann die Toten sehen und sogar mit ihnen sprechen. Als die beiden auf eine Schaustellertruppe treffen, lässt Joe sie in der Obhut von Ehrenmann Bob zurück, der Annie mit ihren Fähigkeiten als Zuschauerattraktion vermarkten will. Endlich ist er frei! In den Straßen von Manchester schließt er sich einer Kindergang an. Doch auch dieses Leben ist gefährlich ...
Autorenporträt
Salah Naoura wurde 1964 in West-Berlin geboren und studierte Deutsch und Schwedisch in Berlin und Stockholm. Nach dem Studium arbeitete er zwei Jahre lang im Lektorat eines Kinderbuchverlages, seit 1995 ist er freier Autor und Übersetzer für Kinder- und Jugendbuch. Er übersetzte zunächst aus dem Schwedischen, später vorrangig aus dem Englischen. Seine Übersetzungen wurden mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis (1992) und mit dem LUCHS des Jahres (2004) von DIE ZEIT und Radio Bremen. Als Autor veröffentlichte er Gedichte, Bilderbücher, Geschichten, Erstlesebücher und Romane für Kinder.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2005

Die Vagabundenkinder
Unterwegs mit Livi Michael auf der "flüsternden Straße"

Am Anfang und am Ende sind es Geschichten, die das erstarrte Leben zu neuer Bewegung lösen. Ohne Geschichten kein menschenwürdiges Leben - diese Wahrheit bestätigt Livi Michael ein ums andere Mal in ihrem Roman über Kinder im Manchester der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts. Den Anstoß zum Roman gab eine düstere Überlieferung von mörderischer Kinderausbeutung in einem abgelegenen Gehöft. Die Handlung wiederum wird in Gang gesetzt durch die Erinnerung an ein Märchen. Eine ausweglos wirkende Situation mobilisiert den Überlebenswillen und die Phantasie des Jungen Joe. Er erinnert sich an Jack, den Riesentöter, und diese Märchenfigur gibt ihm den tollkühnen Mut, sich gegen brutale Knechte zur Wehr zu setzen und ihnen mit seiner jüngeren Schwester Annie zu entfliehen. Auf abenteuerlichen Wegen und nach einer vor allem für Annie bitteren Zeit der Trennung kommen die verwaisten Kinder nach Manchester, wo sie endlich ein Zuhause finden.

Wege und Straßen sind Metaphern des Lebens wie des Romans als literarischer Gattung. Sie sind seine bevorzugten Schauplätze. Auf den Straßen erfahren die Romanhelden das Leben buchstäblich, begegnen sie den Menschen, die ihre Zukunft bestimmen. In Livi Michaels Roman verkörpert die "flüsternde" Straße den Geist der Erzählung. Wer auf ihr wandert und zuzuhören versteht, dem erzählt sie immer neue Geschichten. Das erfahren die Kinder Joe und Annie vom Vagabunden Travis. Er hat die hilflosen Flüchtlinge gefunden, schützt sie vor den Mordgesellen, verschafft ihnen Nahrung und warme Kleider und erzählt ihnen seinen eigenen Mythos des Vagabundenlebens. Er bringt sie zum großen Wald, durch den sie allein hindurch müssen wie die Märchenkinder und in dem seine Erzählung für sie zur erlebten Gegenwart wird.

Der historische Jugendroman hat es schwer, sich gegen die florierende phantastische Literatur zu behaupten. Livi Michael kommt dem Trend insofern entgegen, als sie ihre realistische Erzählung mit phantastisch anmutenden Elementen durchwirkt, dabei aber in der Schwebe läßt, ob und wie sie zu verstehen sind. Die Figur der "Hundfrau", die im Wald ein Rudel Wölfe und wilde Hunde anführt und manche Fäden der Erzählung zu entwirren vermag, erlaubt märchenhafte und mythische Lesarten, erinnert aber auch an die historischen Überlieferungen von Wolfskindern. Schwieriger ist der Fall der kleinen Annie, die als Medium in Trance die Stimmen und Bewegungen von ihr unbekannten Toten zum Hören und Sehen bringt. Die Autorin läßt sie dank ihrer ziemlich grusligen Begabung einige reale Knoten der Handlung lösen und beitragen zum glücklichen Ende. Die eingeschränkte Erzählperspektive des jungen Ich-Erzählers allein erklärt dies Rätsel nicht. Es bleibt ein geheimnisvoller, phantastischer Rest.

Dennoch erzählt Livi Michael in aufklärerischer Absicht von einem prekären Kapitel englischer Geschichte. Manchester um das Jahr 1830 - das heißt industrielle Ausbeutung und bitterste Armut, wie sie Friedrich Engels in seiner Schrift "Die Lage der arbeitenden Klasse in England" 1844/45 geschildert hat. In den viel zu dicht besiedelten Arbeitervierteln herrschen katastrophale Wohnverhältnisse, sind Alkoholismus, Kinderarbeit und -prostitution alltäglich. Die vielen Menschen, dazu die Baumwollfabriken, Spinnereien und Färbereien verschmutzen das Trinkwasser und verursachen Seuchen. Nach Joes Leben im Armenhaus und als Kindersklave auf dem Land lernt er hier das städtische Elend kennen. Dennoch glücklich über die gewonnene Freiheit, schließt er sich einer Kinderbande an, bis diese durch eine Choleraepidemie schrecklich dezimiert wird. Wie im traditionellen Jugendroman wird Joe durch einen reichen Mann gerettet. Allerdings durchschaut er dessen mildtätige Handlung als trügerische Fassade einer unbarmherzig biologistischen Sozialpolitik im Interesse der feudalen Oberschicht. Er lernt den (historischen) Zeitungsmacher und späteren Bürgermeister Manchesters, Abel Heywood, kennen und beginnt an dessen Seite gegen die Armut und für eine gerechtere Gesellschaft zu kämpfen.

Junge Leser ab dem zwölften Lebensjahr finden in diesem Buch eine spannende, so bewegende wie unaufdringlich belehrende Geschichte, in die sie sich hineinspinnen können und deren psychologisch differenziert gezeichnete Figuren sich einprägen. Der Roman ist eine Hommage an das große Vorbild Charles Dickens, dem Livi Michael in Stoff, Figurenzeichnung und Handlung verpflichtet ist. Im Unterschied zu Dickens' komplexen, vielfigurigen Handlungen macht ihre lineare Erzählstruktur und die lebhafte Erzählweise es den Lesern leichter, so daß das Buch eine Brücke zur späteren Lektüre seiner Romane zu schlagen vermag. Hervorzuheben ist die sorgfältige Übersetzung von Salah Naoura, die ohne die üblichen Anglizismen auskommt.

GUNDEL MATTENKLOTT

Livi Michael: "Die flüsternde Straße". Aus dem Englischen übersetzt von Salah Naoura. Bilder von Katrin Engelking. Carlsen Verlag, Hamburg 2005. 507 S., geb., 19,50 [Euro]. Ab 12 J.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Eine wahre Lesewonne (Sybil Gräfin Schönfeldt)

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.02.2006

Überleben
Eine Erzählung aus England
Wir sind in England und die Industrielle Revolution beginnt gerade die alte Welt zu verändern, besonders die der Kinder und der Armen. Für sie ist kein Platz, sie verkommen, verwaisen, nennen es Glück, wenn sie bei einem grausamen Bauern wie Sklaven schuften müssen. Wir folgen den Geschwistern Joe und Annie, die auf ihrer Flucht vor dem Bauern ihre verlorene Mutter suchen und einen beschützten Platz im Leben. Joe, energisch und der Realität zugewandt, schließt sich mit der zarten Annie einem Wanderzirkus an. Dessen Besitzer schätzt gerade jene Gabe des Mädchens als Zirkusattraktion, die Joe belastet: Annie hat Gesichter und versteht das Flüstern der geheimen Welt, das anderen verborgen ist. Darum verrät Joe seine Schwester, lässt sie zurück, flieht nach Manchester, gerät in eine Kinderbande, dann in die Hände eines pädagogischen Reformers. Schließlich kommt er zu einem Untergrund-Drucker, der für die Rechte des Proletariats kämpft und aus Joe, schon fast moralisch verwahrlost, einen Menschen macht, der wahrhaft zu denken beginnt und Recht und Unrecht erkennt - auch das Unrecht, das er selbst begangen hat. Er kann die Schwester wieder finden und seine Schuld abtragen und begreift, dass das Leben keine ewige Flucht sein muss, wenn man weiß, wer man ist und was man will, und sich nicht mehr verlocken, erpressen oder beirren lassen muss.
Doch die Welt der „flüsternden Straße” bezieht ihre Spannung und Dramatik nicht nur aus dem historischen Umbruch, aus der Verwandtschaft mit den sozialhistorischen Romanen von Charles Dickens oder aus dem authentischen Fall, auf den die Autorin Livi Michael vor Jahren gestoßen war und der sie so intensiv beschäftigte, dass sie ihre Waisengeschwister nicht ungeschützt durch Raum und Zeit geschickt hat. Sie gab ihnen starke Begleiter mit: einstige Engel, Waldfrauen, Weise und Einbeinige, und die Grenze zwischen krasser Realität und dieser mythischen Macht ist offen. Der Mensch braucht beides, sagt die Autorin, das Flüstern aus dem Namenlosen und den Schrei nach Gerechtigkeit in einer Welt, in der uns Tapferkeit und Treue sehr wohl zum guten Ende führen können. (ab 12 Jahre)
SYBIL GRÄFIN SCHÖNFELDT
LIVI MICHAEL: Die flüsternde Straße. Mit Illustrationen von Katrin Engelking. Aus dem Englischen von Salah Naoura. Carlsen Verlag 2005. 508 Seiten, 19,50 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Voll "Spannung und Dramatik" sei das Buch, findet Sybil Gräfin Schönfeldt. Zwei Geschwister, die zur Zeit der industriellen Revolution in England "einen beschützen Platz im Leben" suchen, finden bei einem Zirkus Unterschlupf. Annie hat eine besondere Gabe. Sie kann eine mystische Welt sehen, sie kann mit den Toten sprechen. Livi Michael gebe ihren Figuren mit Engeln, Waldfrauen, und Weisen "starke Begleiter" mit. Sie zeige dem Leser, dass der Mensch sowohl Realität als auch das Mystische brauche, und dass man mit "Tapferkeit" und "Treue" zu einem "guten Ende" käme. Diese "offene Grenze" der beiden Welten trage sehr zum Gewinn des Buches bei, freut sich die Rezensentin.

© Perlentaucher Medien GmbH