Marktplatzangebote
20 Angebote ab € 2,35 €
  • Gebundenes Buch

Der große Romancier und Reiseschriftsteller widmet seiner karibischen Heimatinsel Trinidad ein fulminantes Geschichtswerk. Abschied von Eldorado ist die unter die Haut gehende Chronik eines Landes, das stets zum Spielball der Mächtigen wurde.

Produktbeschreibung
Der große Romancier und Reiseschriftsteller widmet seiner karibischen Heimatinsel Trinidad ein fulminantes Geschichtswerk. Abschied von Eldorado ist die unter die Haut gehende Chronik eines Landes, das stets zum Spielball der Mächtigen wurde.
Autorenporträt
Vidiadhar Surajprasad Naipaul, geb. 17.8.1932 in Trinidad, lebt seit 1950 in Großbritannien. Der Romancier, Reiseschriftsteller und Journalist indischer Herkunft gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der englischsprachigen Literatur. Seine Romane 'Ein Haus für Mr. Biswas' und 'An der Biegung des großen Flusses' sowie das Sachbuch 'Eine islamische Reise' waren Welterfolge. Die meisten seiner Werke wurden ins Deutsche übersetzt. 2001 wurde V. S. Naipaul der Literatur-Nobelpreis verliehen.
Rezensionen
"Einer der besten Autoren, die es heute gibt." (NEWSWEEK)

"Naipaul schreibt, als würde er malen. Egal, welche literarische Form er wählt, er ist ein Meister." (NEW YORK TIMES BOOK REVIEW)

"Naipauls tief verankertes koloniales Bewußtsein verhilft ihm zur intimen Kenntnis jener Menschen und Zustände, die er beschreibt." (TAGESANZEIGER, Zürich)

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Schon früh verließ der Literaturnobelpreisträger V. S. Naipaul seine Heimat Trinidad, um in England ein besseres Leben führen und von dort seine Familie unterstützen zu können, weiß Georg Sütterlin. In diesen Tagen feiert der Schriftsteller seinen siebzigsten Geburtstag - ein Grund für den Rezensenten, eine ganze Reihe soeben im Deutschen erschienener Werke zu besprechen. "Abschied von Eldorado" ist für Sütterlin der "stärkste" Ausdruck von Naipauls Auseinandersetzung mit seiner Heimat. Auslöser für diese "historische Recherche" sei der Auftrag eines Verlages gewesen, für einen Reiseführer einen Text über die Insel vor der Küste Venezuelas zu schreiben. Schnell musste Naipaul feststellen, berichtet der Rezensent, dass es keine Geschichte Trinidads gibt, allenfalls eine "Kolonialgeschichte", die bei Naipaul im Jahr 1595 beginnt und um 1800 "kulminiert", als in London die Folter an einer Mulattin vor Gericht verhandelt wurde. Der Bericht zeichnet insgesamt, so Sütterlin, ein Bild der "Trostlosigkeit" und der "Gewalt", nämlich die nicht untypische Geschichte der Europäer, eine Insel zu unterwerfen, deren Bewohner zu vernichten und eine "auf Profit zielende Gesellschaft" zu gründen, in der Menschen zur Ware degradiert würden, denkt der Rezensent. "Abschied von Eldorado" lässt sich denn auch als "Beitrag zum Verständnis der Dritten Welt" verstehen, ist Sütterlin Überzeugt.

© Perlentaucher Medien GmbH
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2002

Dieses Buch soll ich geschrieben haben?
V. S. Naipaul erzählt von den Halbheiten des Lebens und von der Geschichte Westindiens / Von Joachim Kalka

Die Initialen des letzten Nobelpreisträgers lösen sich auf zu "Vidiadhar Surajprasad" - die indische Herkunft dieses in Trinidad aufwachsenden, in England studierenden Außenseiters besiegelt die von ihm empfundene Ortlosigkeit durch die doppelte Fremdheit des Asiaten aus Westindien in Europa. Früh bezeichnet er sich selbst als einen, der sich auf keine Seite stellen kann, kein Land hat, keine Gemeinschaft - "man ist ganz und gar Individuum". Andererseits schlägt immer wieder, unauslöschlich, das Spezifische dieser Ortlosigkeit durch: die eigenartige indische Kindheit in Trinidad.

Kein literarisches OEuvre hat so viel dazu beigetragen wie das Naipauls, uns naiven Europäern zu demonstrieren, daß die Dichotomie zwischen unserer und der sogenannten Dritten Welt nicht unbedingt immer die wichtigste ist - daß es andere Risse gibt, die zwischen anderen Kulturen und Existenzformen verlaufen.

Im umfangreichen Werk Naipauls wechseln die Fiktionen und die "factions" der Reisebeschreibungen einander ab - wobei letztere bei aller Sättigung mit realen Einzelheiten aus Politik und Alltag durchaus Kunstcharakter haben. Diese Reisebücher - bei denen die indischen Erfahrungen einen besonderen Platz einnehmen - sind immer auch, mit unausgesprochener Emphase, Teil der Autobiographie, Teil eines fortwährenden Reflexionsprozesses über die eigene Identität oder Nichtidentität. Ein Rezensent hat einmal bemerkt, daß es seit Yeats keinen großen Autor gegeben habe, der das Terrain eines eigenen Mythos mit solcher Hartnäckigkeit bearbeitet habe wie Naipaul: ein beharrlicher Selbstmythologisierer. Er war klug genug, diesen Mythos seiner selbst nicht auf einer scheinhaften "Authentizität" zu errichten, sondern ihn im freien Fall literarisch zu improvisieren.

Die lange Leidensgeschichte jener eigenartigen Institution, die der Nobelpreis für Literatur darstellt, hat dazu geführt, daß seine Zuerkennung nicht unbedingt Vertrauen in die literarische Bedeutung des Empfängers weckt. Naipaul aber war eine angemessene Wahl. Der Claassen Verlag hat jetzt zwei Titel vorgelegt, die zusammen dem deutschen Leser noch einmal die Eleganz und Eindringlichkeit seiner Prosa vorführen, ein altes und ein neues Buch: den jüngsten Roman "Ein halbes Leben" und die 2001 überarbeitete Version eines frühen Buches, das in gewisser Weise zu den Reiseberichten gehört - einer selektiven Chronik der Heimatinsel Trinidad, 1963 als "The Loss of El Dorado" erschienen, mit dem Untertitel: "Eine Kolonialgeschichte".

Naipaul erzählt die Geschichte Trinidads und seiner Hauptstadt Port of Spain, umkämpft zwischen englischen und spanischen Abenteurern und Administratoren (soweit diese Kategorien unterscheidbar sind). Er zentriert seine bis ins frühe neunzehnte Jahrhundert führende Chronik um zwei "zwei vergessene Geschichten": die Suche nach Eldorado (dem legendären goldenen Mann, der Goldstadt, dem Goldland) und den seinerzeit sensationellen Rechtsfall um die Folterung der jungen Mulattin Luisa Calderón im Jahre 1801.

Beide Geschichten sind voller Schrecken und Pein; beide sind absurd. Die erste berichtet vom ohnmächtigen Versickern der gierig-utopischen Anstrengungen, welche die Europäer seit Raleigh machen, um des fabelhaften Goldes habhaft zu werden. Sie enden in "Einsamkeit und Wahnsinn". Die zweite Geschichte nimmt - 1797 hat der spanische Gouverneur beim Auftauchen eines britischen Flottenkommandos die Insel abgetreten - den in London hohe Wellen schlagenden Justizskandal um Luisa zum Anlaß, um sardonisch die spezielle Dialektik der englischen Entrüstung über die sorgfältig juristisch gestaffelte Folter- und Verstümmelungsmaschinerie der Plantagenwirtschaft vorzuführen.

Ein halbes Leben", der 2000 abgeschlossene Roman, spielt in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts - was man fast als grimmigen Kommentar des Autors lesen möchte: Als rechnete sich die damals aus einem fiktiven Leben zwischen Indien, London und Afrika gezogene Summe nach wie vor ohne Rest, als habe sich nichts Wesentliches geändert. Der Held - ein Antiheld, aber am Ende vielleicht doch ein Heros der Resignation - trägt den Namen Willie Chandran: Den Vornamen verdankt er einer eigenartigen Begegnung seines Vaters mit W. Somerset Maugham. So ist Willie quasi von Europa stigmatisiert - durch den Namen eines Unterhaltungsschriftstellers, der vor allem durch melodramatischen Exotismus bekannt geworden ist. Die Kultur Europas erscheint vom Standpunkt des Protagonisten aus jedoch nicht einmal mehr als übergestülpte Hegemonie, die man abstreifen müßte, sondern sie erscheint von Anfang an fern, absurd, zugleich zwanghaft und irrelevant.

Naipaul zeichnet eine Welt, in der nicht klar ist, ob die Menschen unbedingt scheitern müssen, weil eine monströs-alltägliche Instanz, unsichtbar in ihrer Ubiquität (das Klima, die Geschichte, der Imperialismus), ihnen keine Wahl läßt - in der aber jedes Scheitern das unverwechselbare, unerbittliche Aroma eines bestimmten Orts hat. Diese mit großer Präzision geschilderten Lebenslandschaften sind zufällig und unentrinnbar. Das ist die Form, in welcher eine Kategorie wiederkehrt, die Naipaul ansonsten ruhig und souverän dekonstruiert: die der Authentizität. Eine "eigentliche" Existenz, zu der man zurückfinden oder die man sich als Zukunft erobern könnte, gibt es nicht. Das vollkommen Beliebige, grob und mit beiläufiger Verzweiflung Zusammengezimmerte der Identitäten wird "authentisch" nur in deren schmerzlichem Unbehagen: "All diese Fassaden, diese Vorspiegelungen - und dahinter echte Traurigkeit." Das hat als Grundexempel Naipauls immer wieder vorgetragene Analyse der westindischen Gesellschaften: Künstlichkeit, aus dem Nichts von den Kolonisatoren geschaffen, ohne den Hintergrund etwa der alten afrikanischen oder asiatischen Kulturen. Aber dieses Exempel hat auch anderswo Konsequenzen, überall, wo man näher hinsieht. Auch in der Schilderung Indiens oder des weißen London, der aufgeklärten Bohème von Notting Hill, greift diese Diagnose höhnisch zu, denn hier gilt meist ebenso, daß "Identität" sich zugleich als tolldreist improvisiert und tragikomisch angebunden an einen sozialen Ursprung zeigt. In jenem London schreibt Willie ein kleines Buch, das er später wieder vergißt.

Naipaul verwendet diesmal mit völliger Gelassenheit einen fast archaischen Romanstil, der auf alle modernistischen Züge verzichtet: "Eines Tages fiel Willie auf, daß er Percy Cato schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen hatte." Abgesehen davon, daß Anfang und Ende des Romans (die Geschichte von Willies Vater und seine eigenen Jahre in Afrika) in Form eigener Erzählungen im Erzählten stehen, und abgesehen von der kühnen flaubertschen Ellipsis bei der Ankunft in Afrika "Er blieb achtzehn Jahre", folgen wir dem langsamen Vorrücken einer klassischen Handlung (von weitgehender Ereignislosigkeit).

Wenn das afrikanische Dienstmädchen zu Willie sagt: "Wir essen jeden Tag dasselbe", so läßt Naipaul den Erzähler die großartige Bemerkung hinzufügen: "Ich wußte nicht, ob sie sich beklagte oder ob sie stolz darauf war oder ob sie lediglich auf eine Eigenart afrikanischer Lebensumstände hinwies." Eine solche Ungewißheit, die tief in die eigenen Lebenszusammenhänge hineinreicht, gehört zum eigentlichen Thema des Buches; sie gehört zur "Halbheit" des Lebens. Und Willies éducation sentimentale, die ihn von Indien nach England und dann nach Afrika führt, um zufällig in Deutschland zu enden - in einem mit wenigen Strichen angedeuteten schmutzig verschneiten Berlin, wo seine Schwester nach der Heirat mit einem arriviert-revolutionären deutschen Filmemacher wohnt und wo er ihr seine afrikanischen Jahre erzählt -, macht sein Leben, von einer kurzen erotischen Erfüllung abgesehen, nicht vollständiger.

Die Präzision, mit der Naipaul die kleinen Welten der Anomie schildert, ist ethnologisch. Oder zumindest ethnographisch im Sinne der "dichten Beschreibung". Seine Schilderung beispielsweise der nicht reinblütigen Mittelklasse-Portugiesen in Moçambique ist meisterlich. Sie zielt wie stets nie direkt auf Ökonomie oder Ideologie, obwohl auch hier en passant genaue Beschreibungen zu finden sind, sondern betätigt immer eine Art Goffmansches Beobachtungsinteresse: an den kleinen und für das soziale Funktionieren so unendlich wichtigen Formen der Selbstdarstellung im Alltag. Naipaul hat meist - es trug ihm manche Kritik ein - den Befreiungsbewegungen gegenüber Skepsis gezeigt. Aber niemals wird man in seinen Texten eine retrospektive Vergoldung der Kolonialherrschaft finden. Er schildert vielmehr das Groteske, Gelähmte, zwanghaft Theatralische dieser Lebensformen.

Als Willie in London eine Handvoll Erzählungen über Indien schreibt, stellt er fest, daß er nur dann etwas zu Papier bringen kann, wenn ihm mehr oder minder triviale westliche Modelle helfen, seine Erfahrungen zu entbinden: Die Hauptinspirationsquelle sind seine frühen Kinobesuche - seine indischen Geschichten sind "aus alten Hollywoodfilmen und der Maxim-Gorki-Trilogie aus Rußland abgestaubt". Die Alchemie der alten Filme, die Willie hilft, damit "der unbestimmte Ort" im Schreiben Gestalt annimmt, wiederholt diese Verknüpfung in betont trivialer Form: Auch die Trivialität gehört zu dieser Magie.

Das geheime Zentrum des Romans wäre vielleicht diese Inspiration Willies durch ein Halbbegriffenes, Fremdes, Unwirkliches. Er denkt bald nicht mehr an sein Buch. Aber was sein Freund Roger ihm einmal schreibt: "Ich glaube, dein Buch wird auf eine Art weiterleben, von der du jetzt noch nichts ahnst" - das wird von Naipaul nicht zurückgenommen. Das komische Ingenium, das in anderen Texten Naipauls so deutlich ausgeprägt ist - etwa in "Ein Haus für Mister Biswas" - ist hier leise geworden, aber vielleicht gehört es zur Komik des Romans, daß der Protagonist vergißt, ein bedeutendes Buch geschrieben zu haben.

Ein sehr schöner, leiser, entschiedener Roman; daneben Naipauls Buch über die qualvolle Geschichte Westindiens, das man fast beschämt "spannend" nennen kann. Es ist ein wenig schade, daß der Verlag für "The Loss of El Dorado" den falsch nostalgisch klingenden "Abschied von El Dorado" gesetzt hat. Aber es ist dankenswert, daß diese beiden sich schön ergänzenden Bücher nun in guter Übersetzung vorliegen. Übrigens: Hat eigentlich schon einmal ein Verlag daran gedacht, die Bücher des allzufrüh verstorbenen Bruders Shiva Naipaul (1945 bis 1985) auf deutsch herauszubringen? Werke wie "A Hot Country" oder "North of South" stehen denen von Vidiadhar Surajprasad Naipaul in nichts nach.

V. S. Naipaul: "Ein halbes Leben". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Sabine Roth und Dirk van Gunsteren. Claassen Verlag, München 2001. 223 S., 19,- .

V. S. Naipaul: "Abschied von El Dorado". Eine Kolonialgeschichte. Aus dem Englischen übersetzt von Bettina Münch und Kathrin Razum. Claassen Verlag, München 2001. 448 S., geb., 23,- .

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr