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Seit Erscheinen der ersten deutschen Ausgabe von "Hundert Jahre Einsamkeit" (1970) gilt Gabriel García Marquez auch hierzulande als einer der ganz großen Autoren der Gegenwartsliteratur. Die weltweite Erfolgsgeschichte des Romanciers gipfelte in der Auszeichnung mit dem Nobelpreis 1982 und setzt sich nun fort mit der Veröffentlichung der mehrbändigen Autobiographie "Leben, um davon zu erzählen". Dabei neigen die europäischen Leser dazu, zwar die Magie der Dinge, von denen García Marquez erzählt, zu bemerken, die Wirklichkeit aber, die ihn inspiriert hat, nicht zu sehen. Harald Irnberger, der…mehr

Produktbeschreibung
Seit Erscheinen der ersten deutschen Ausgabe von "Hundert Jahre Einsamkeit" (1970) gilt Gabriel García Marquez auch hierzulande als einer der ganz großen Autoren der Gegenwartsliteratur. Die weltweite Erfolgsgeschichte des Romanciers gipfelte in der Auszeichnung mit dem Nobelpreis 1982 und setzt sich nun fort mit der Veröffentlichung der mehrbändigen Autobiographie "Leben, um davon zu erzählen". Dabei neigen die europäischen Leser dazu, zwar die Magie der Dinge, von denen García Marquez erzählt, zu bemerken, die Wirklichkeit aber, die ihn inspiriert hat, nicht zu sehen.
Harald Irnberger, der García Marquez seit über 30 Jahren kennt und sein Werk kritisch begleitet, rückt deshalb neben dem magischen Realisten auch den politischen Literaten und Journalisten García Marquez in den Mittelpunkt. So gelingt ein vielschichtiges und atmosphärisch dichtes Porträt, das zahlreiche Fakten und Interpretationen einer Neubewertung unterzieht und die lateinamerikanische Lebenswelt des Autors nahebringt.
Autorenporträt
Harald Irnberger, geboren 1949 in Kärnten, ist freier Autor und Journalist. Er hat lange Jahre in Zentralamerika gearbeitet und die Entwicklung von García Marquez drei Jahrzehnte lang u. a. mit zahlreichen Essays begleitet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.02.2004

Der Sommer des Patriarchen
Harald Irnberger wagt eine Biographie von Gabriel García Márquez

Große Bücher bleiben aus mancherlei Gründen bei ihren Lesern unvergessen - hauptsächlich wohl, aber nicht nur wegen ihrer literarischen Qualität. "Hundert Jahre Einsamkeit" von Gabriel García Márquez ist ein solches großes Buch: dank der Einfachheit und Präzision einer eigenen Literatursprache, des Nebeneinanders realer und phantastischer Geschehnisse, sicher auch dank der Einbeziehung von Legenden, Mythen, Vorzeichen und Aberglauben in einen neuen Wirklichkeitsbegriff, aus dem sich grundlegende Erkenntnisse über die politische und soziale Lage des lateinamerikanischen Halbkontinents ergeben.

Doch "Hundert Jahre Einsamkeit", ein Roman, der nach Meinung mancher Schriftsteller und Kritiker die zeitgenössische auf spanisch geschriebene Literatur, wie einst der "Don Quijote", in ein Davor und ein Danach aufteilt, verdankt seine schlagartige Wirkung auch dem Zeitpunkt seiner Veröffentlichung, der politischen und literarischen Situation in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre. Es waren Jahre, in denen tiefgreifende Veränderungen, ein Umsturz in Europa wie in Lateinamerika, nicht nur theoretisch diskutiert, sondern auch in der Praxis versucht wurden. "Hundert Jahre Einsamkeit": Das war damals der Einbruch der Phantasie in eine vom soziologischen und politologischen Jargon bestimmte Literatur. Hier entstand eine phantastische Welt, die sich keineswegs als unpolitisch präsentierte, sondern sich als Vorbereitung von Revolutionen in verschiedenen Bereichen verstand.

Um den schnellen Erfolg des Romans haben sich dessen erste prominente Leser sicher verdient gemacht: etwa Luis Buñuel, der die Fahnen bei seinem Landsmann und Kollegen Luis Alcoriza gelesen hatte, oder Carlos Fuentes, der wie so oft eine knappe und eingängige Formulierung fand: "Hundert Jahre Einsamkeit" - das sei von jetzt an die Bibel Südamerikas. Populär wurde das Buch aber in so vielen spanischsprachigen Ländern vor allem durch Mund-Propaganda.

Der Rezensent beispielsweise verdankt die Bekanntschaft mit diesem Jahrhundertbuch einer jungen spanischen Schauspielerin, die in einem Nachtclub nahe der Plaza de España auftrat und die ihm dort mit Begeisterung von dem kolumbianischen Dorf Macondo und der Sippe Buendía mit ihren José Arcadios und Aurelianos erzählte. Nicht, daß sie das in Argentinien veröffentlichte Buch selbst gehabt hätte; sie hatte es auch noch nicht lesen können. Doch in der Morgenfrühe, wenn der Club seine Türen schloß, ging sie zu einer in der Nachbarschaft wohnenden Freundin, wohin sie denn auch schon mal einen Bekannten mitnahm. Die Freundin gehörte zu den wenigen glücklichen Besitzern des Romans, und außerdem war sie die von zu Hause entwischte Tochter eines hohen Funktionärs des Franco-Regimes, der das schreckenerregende Amt eines Präsidenten des Sondergerichts zur Unterdrückung des Kommunismus und der Freimaurerei ausgeübt hatte. Die Tochter des schrecklichen Richters erzählte uns Nacht für Nacht das jeweils neueste Kapitel, das sie kurz vorher am Abend gelesen hatte. Die schönsten Stellen las sie uns noch einmal vor.

Die Stunden im Nachtlokal waren schließlich nur noch eine gierige Wartezeit, um zu erfahren, was sich in Macondo und bei der Großfamilie Buendía weiter getan hatte. Schließlich machte der Sondergerichtspräsident dem literarischen Nachtidyll ein brutales Ende: Er ließ seine Tochter von der Polizei abholen, denn die noch nicht Einundzwanzigjährige lebte dort mit einem Bildhauer und Architekten zusammen, was für die hohen Amtsträger der Diktatur sicher genauso schlimm war wie Kommunismus und Freimaurertum zusammen. Da kam der Roman aber schon in die Madrider Buchhandlungen, und wir konnten die letzten Kapitel in einem Zug lesen.

Schlimmer traf es damals manche hoffnungsvolle spanische Schriftsteller; sie waren von der Ausdruckskraft, dem Phantasiereichtum und der Variationsbreite des Vokabulars, die da von der anderen Seite des Atlantik herüberkamen, so überwältigt, daß sie in eine schwere Schaffenskrise gerieten. Einige gaben sogar - überzeugt, zu solchen literarischen Höhen, wie sie García Márquez erklommen hatte, nicht vorstoßen zu können - das Schreiben auf und suchten sich einen anderen Beruf.

Gabriel García Márquez hingegen sah sich in seinem Entschluß, Schriftsteller zu werden, endgültig bestätigt, als er am zweiten Tag seines Aufenthalts eine Frau aus einer Markthalle im Stadtzentrum kommen sah, die in ihrer Einkaufstasche neben einem Salatkopf, Orangen und Tomaten "Hundert Jahre Einsamkeit" stecken hatte. Das gerade erschienene Buch zwischen Obst und Gemüse - das war für den Schriftsteller der Beweis, daß er viel gelesen werden würde. Inzwischen wurde "Cien años de soledad" in 37 Sprachen übersetzt und weltweit über dreißig Millionen Male verkauft. Als García Márquez im Herbst 1968 nach Barcelona übersiedelte, hatte ihn das Buch bereits so berühmt gemacht, daß er dort nicht so zurückgezogen leben konnte, wie er wollte, um den geplanten Roman "Der Herbst der Patriarchen" schnell zu schreiben.

In der ersten großen auf deutsch geschriebenen Biographie des kolumbianischen Schriftstellers, der von Harald Irnberger, ist von dieser einschlagenden Wirkung von "Hundert Jahre Einsamkeit" wenig die Rede. Auch mit der Zeit in Barcelona beschäftigt sich der sonst sehr genaue, am Detail interessierte Biograph wenig. Dabei war in den beginnenden siebziger Jahren das sich ständig bewegende, sich nach und nach freikämpfende Spanien zu einer interessanten Exilheimat für zahlreiche lateinamerikanische Autoren geworden. Das intellektuell rebellierende Madrid etwa war genau das Gegenteil von dem, was ein anderer Biograph, Dasso Saldívar, in auffälliger Ignoranz das "dörfliche und mittelalterliche Madrid des Franquismus" nannte. In der auch ins Deutsche übersetzte Biographie Saldívars sind übrigens noch mehr - auch überflüssige - Details gesammelt als bei Irnberger.

Es kann zweifellos schon als ein Wagnis gelten, ein Jahr nach dem Erscheinen der Autobiographie von García Márquez eine Darstellung seines Lebens zu veröffentlichen. In "Leben um davon zu erzählen", García Márquez' eigener Darstellung aus dem Jahr 2002, ist auch Fiktion eingeflossen. Die Romane und Erzählungen stützen sich wiederum auf viel Selbsterlebtes und auf im karibischen Kolumbien seit Generationen überlieferte Legenden und Dorfgeschichten. Es mag für die Kenner und Freunde des Werkes von García Márquez besonders interessant sein, Autobiographie und die fiktiven Bücher zu vergleichen und somit nachzuvollziehen, wie das Erlebte, das im Volk Erzählte und das längst in das Reich der Phantasie Übergegangene zu Stoffen bedeutender literarischer Werke wurden. Der Österreicher Irnberger hat lange Jahre in Zentralamerika verbracht und lebt seit einiger Zeit in Südspanien; er hat eifrig Material gesammelt und inzwischen schon sehr umfangreiche Sekundärliteratur über das abwechslungsreiche Leben des Schriftstellers gesichtet.

Das Buch beginnt mit der Reise des Biographen in die Dörfer Aracataca und Ciénaga, in denen García Márquez groß geworden ist. Gegen Ende des Buches beschreibt Irnberger einen Aufenthalt in Cartagena und Umgebung, da, wo einige der späteren Romane spielen, so "Liebe in den Zeiten der Cholera" und "Von der Liebe und anderen Dämonen". Irnberger hat auch die Lehrveranstaltungen von García Márquez an dem von ihm gegründeten Institut für Neuen Journalismus in Cartagena besucht. Vor zahlreichen erfahrenen Journalisten aus Europa und Lateinamerika appellierte García Márquez dort an einen von vielen seiner Zeitgenossen praktizierten ehrlichen Journalismus, der sich auf das vom Berichterstatter selbst Gesehene und Gehörte stützt. Er warnt ausdrücklich vor den Gefahren der unkontrollierten neuen technologischen Hilfsmittel.

Der in Cartagena gelehrte "Neue Journalismus" ist eigentlich eher der alte, in einer möglicherweise verbesserten Form. Heftig wehren sich García Márquez und seine Mitarbeiter in Cartagena gegen die immer häufigere verdeckte Form des "Abschreib-Journalismus", gegen den verbreiteten Hang, mehrere Quellen so zu mischen, daß die Herkunft der Nachricht im dunklen bleibt und am Ende niemand mehr für ihren Wahrheitsgehalt verantwortlich ist: Wichtige Ereignisse in der Weltgeschichte gehen in ihrer Wiedergabe in der Presse vieler Länder häufig nur auf einen einzigen Augenzeugen zurück.

Irnberger gibt dem Journalisten García Márquez zu Recht viel Raum. Ob als Reporter, Kolumnist, Herausgeber oder finanzieller Förderer von Zeitungen und Zeitschriften - sein ganzes Leben lang galt eine der wichtigsten Sorgen des kolumbianischen Schriftsteller einer guten und wahrheitsnahen Information. Er sei mit dem gleichen Engagement Journalist wie "Geschichtenerzähler im Roman", hat er einmal gesagt.

Einen nicht unwesentlichen Teil der umfangreichen Biographie nehmen politische Betrachtungen ein; manchmal sind das Erklärungen zu politischen Positionen häufiger aber Exkurse, die Irnbergers Ansichten zur lateinamerikanischen Politik oder den Vereinigten Staaten verbreiten. Für eine kritische Einstellung zu der Lateinamerika-Politik Washingtons, vor allem unter den Regierungen republikanischer Präsidenten, gibt es ja gewiß gute Gründe; doch wird diese Kritik nicht glaubwürdiger, wenn man leichtfertig schreibt, der panamaische Präsident und Freund von García Márquez, Torrijos, sei "wahrscheinlich" vom amerikanischen Geheimdienst ermordet worden, wofür es nicht einmal Hinweise gibt (und was auch García Márquez nicht behaupten würde). Einen Schriftsteller wie Vargas Llosa, der politisch ganz andere Ansichten als García Márquez hat, tut Irnberger schlicht als "Gringo-Lakaien" ab.

Die engagierte Verteidigung Fidel Castros ist etwas zu lang und zu einseitig geraten. Irnberger hätte es auffallen müssen, daß García Márquez keineswegs alle politischen Maßnahmen Castros verteidigt, häufig schweigt er dazu beredt. Die Besprechung des bisher letzten Buches von García Márquez durch den Kommandanten Fidel Castro zeigt, daß der Politiker mit dem großen Rednertalent auch schreiben kann, sogar eine Literaturkritik.

Abgesehen von einigen nicht immer nützlichen politischen Exkursen, findet der Leser in der Biographie viele aus zahlreichen Quellen zusammengetragene und gut ausgewählte Einzelheiten, die ihm das Werk von García Márquez sicher näher bringen werden. Irnberger hat verstanden, warum García Márquez so schreibt, wie er schreibt, und weiß das dem Leser zu vermitteln. In der Sekundärliteratur zu Gabriel García Márquez liegen jetzt immerhin schon drei brauchbare auf deutsch geschriebene Buchveröffentlichungen vor: nach "Mythos und Wirklichkeit" (1985), dem von Tom Koenigs herausgegebenen Materialienband, und der von der hervorragenden García-Márquez-Übersetzerin Dagmar Ploetz erarbeiteten Monographie von 1992 jetzt auch diese Biographie.

WALTER HAUBRICH.

Harald Irnberger: "Gabriel García Márquez". Die Magie der Wirklichkeit. Biographie. Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf 2003. 390 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Vor einem Jahr erst hat der kolumbianische Schriftsteller Marquez seine Autobiografie vorgelegt, insofern ist es ganz schön mutig, meint Walter Haubrich, eine Biografie hinterher zu schieben. Haubrich porträtiert den Österreicher Harald Irnberger als profunden Kenner Lateinamerikas und Spaniens. Er "hat verstanden, warum Garcia Marquez so schreibt, wie er schreibt, und weiß das dem Leser zu vermitteln". Irnberger habe gut recherchiert, erklärt der Rezensent, lasse viele wissenswerte Details über das Werk des Schriftstellers einfließen und setze eigene Akzente, indem er den Journalisten Marquez ebenso ernst nehme wie den Schriftsteller Marquez. Allerdings verführt dies den Autor zu eigenen politischen Exkursen, kritisiert Haubrich. Auch bei der Verteidigung Fidel Castros sei Irnberger dem Schriftsteller und Journalisten auf den Leim gegangen, ganz so umfassend war dessen Rückhalt gar nicht, behauptet Haubrich und vermisst außerdem eine angemessene Würdigung des durchschlagenden Erfolgs von "100 Jahre Einsamkeit", ein Roman, der so manchen spanischen Schriftsteller in eine schwere Krise geraten ließ.

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