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Wolfgang Bialas konzentriert sich in diesem Buch auf Plessners politische Philosophie und Anthropologie und seine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Die deutsche Spezifik des bürgerlichen Werte- und Gesellschaftssystems hatte Deutschland aus Plessners Sicht in den Sonderweg einer "verspäteten Nation" geführt. Von übergreifender Bedeutung ist dabei der Zusammenhang von Ideologie, Politik und Moral. Mit der Metapher von Deutschland als der "verspäteten Nation" wurde Plessner zum Stichwortgeber eines wirkungsmächtigen Diskurses über einen "deutschen Sonderweg".

Produktbeschreibung
Wolfgang Bialas konzentriert sich in diesem Buch auf Plessners politische Philosophie und Anthropologie und seine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Die deutsche Spezifik des bürgerlichen Werte- und Gesellschaftssystems hatte Deutschland aus Plessners Sicht in den Sonderweg einer "verspäteten Nation" geführt. Von übergreifender Bedeutung ist dabei der Zusammenhang von Ideologie, Politik und Moral. Mit der Metapher von Deutschland als der "verspäteten Nation" wurde Plessner zum Stichwortgeber eines wirkungsmächtigen Diskurses über einen "deutschen Sonderweg".
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Autorenporträt
PD Dr. Wolfgang Bialas ist als freiberuflicher Dozent und Übersetzer in Berlin tätig.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.10.2011

Niedergang der Vernunft
Wie war das noch mit dem „deutschen Sonderweg“?
Michael Bialas liest nach bei Helmuth Plessner
Vom „deutschen Sonderweg“ redet heute fast niemand mehr. Der Begriff sollte in den 1970er und 1980er Jahren erklären, wieso sich in Deutschland nicht wie in Großbritannien oder Frankreich die bürgerliche Demokratie durchgesetzt, sondern 1933 der Nationalsozialismus triumphiert hatte. Die häufigste Annahme war dabei die einer Ungleichzeitigkeit von gesellschaftlichen und staatlichen Entwicklungen. An der Sonderwegs-Theorie wurde vor allem kritisiert, dass sie von einem Normalweg westlicher Demokratien ausging, mithin einen Idealtypus gegen einen Realtypus stellte, während doch alle Wege in die Moderne Eigenwege gewesen seien.
Über der Erledigung des Begriffs als analytisches Instrument ist leider aus dem Blick geraten, dass bereits seit den 1930er Jahren ein verbreitetes Gefühl entstanden war, dass mit den Deutschen etwas nicht stimme und sie einen anderen historischen Weg eingeschlagen hätten als ihre europäischen Nachbarn.
Ein wichtiges Buch, das der Idee einer deutschen Eigenart anhing, war Helmuth Plessners „Die verspätete Nation“, das zuerst 1935 unter dem Titel „Das Schicksal des deutschen Geistes im Ausgang seiner bürgerlichen Epoche“ im niederländischen Exil erschienen war und 1959 unter dem neuen, griffigen Titel wiederveröffentlicht wurde. Wie so oft, sollte der Titel ein Eigenleben führen, ohne dass das Werk wirklich gelesen worden wäre. Es ist ein Buch über die Selbstzerstörung bürgerlicher Vernunft in Deutschland aus philosophiegeschichtlicher Perspektive, das die im Vergleich zu den westeuropäischen Nationen späte Nationalstaatsgründung als Fatum für Freiheit und Humanismus verantwortlich machte.
Wolfgang Bialas, ein ausgewiesener Kenner der politischen Philosophie der Intellektuellengeneration Plessners und Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung, hat die „verspätete Nation“ neu gelesen und Plessners Auseinandersetzung mit Deutschland und dem Nationalsozialismus ein Buch gewidmet. Er will die Verkürzungen von Plessners Argumentation auf die Schlagworte von „Sonderweg“ und „verspätete Nation“ durch eine „differenzierte und komplexe Argumentation“ überwinden. Dabei ist es für ihn zum einen naheliegend, die geschichtsphilosophischen Analysen des Nationalsozialismus mit Plessners philosophischer Anthropologie zusammenzulesen.
Zum anderen bettet Bialas diese in andere zeitgenössische Debatten ein: neben der „Sonderwegsdebatte“ (die allerdings damals so nicht hieß), die „Humanismusdebatte“, die „Rationalitätsdebatte“ und die Debatte um „deutsche Kultur“. In allen diesen Diskussionen ging es um das Verhältnis zwischen dem Nationalsozialismus und den jeweiligen Konzepten von Menschsein, Vernunft oder Kultur. Bialas zeigt, dass Plessner den Nationalsozialismus nicht nur als deutsche, sondern als europäische Zäsur der bürgerlichen Moderne ansah. Er legt dar, dass Plessner gleichzeitig selbst geprägt war von dem, was er als lebensphilosophisch-völkische Substanz des Nationalsozialismus identifiziert hatte. Und er führt aus, dass der Nationalsozialismus für Plessner weder Zufall, noch Unfall, sondern Ausfluss der nationalgeschichtlichen Spannungen war, die sich vor allem im Niedergang der Vernunftphilosophie gezeigt habe.
Wenn die Plessner-Rezeption, wie Bialas annimmt, unterkomplex war, so ist sein Plessner-Buch überkomplex. Es ist in einem philosophischen Zirkel gefangen, den er eigentlich analysieren sollte. Was lernt man eigentlich, wenn man sieht, dass ein Philosoph das „deutsche Problem“ philosophisch deutet und diese Deutung mit seiner Anthropologie tatsächlich korrespondiert? Plessners Fragen sind auch Bialas’ Fragen. Ihre beiden Antworten kommunizieren mit den Antworten anderer Philosophen wie Horkheimer, Arendt oder Gehlen. Ein interpretierendes Textreferat löst das andere ab, ohne dass ein distanzierter Blick von außen dieses imaginierte Philosophengespräch mit einer Perspektive ordnen würde, die nicht von den Protagonisten selbst stammt.
Der philosophische Nebel wird durch die Struktur des Buches noch verdichtet: Die einzelnen Teile liegen zueinander wie sich überschneidende Kreise. In verschiedenen Varianten und Kontexten werden Plessners Philosophiegeschichte und Geschichtsphilosophie ausgebreitet, wie „die philosophische Interpretation des Nationalsozialismus“, „Imaginationen deutscher Eigenart“ oder „Ideologie“. So liest man das Immergleiche in unzähligen Variationen. Unverständlich ist zudem, dass Bialas auf den Gebrauch des Konjunktivs weitgehend verzichtet, so dass man oft nicht weiß, wer spricht. Und unhistorisch ist es schließlich, alle Texte so zu behandeln, als seien sie gleichzeitig entstanden. Das Buch mäandert durch Texte anderer politischer Philosophen. Die Perlen, die es gleichwohl enthält, sind nur durch eine anstrengende Suche zu bergen.
JÖRG SPÄTER
WOLFGANG BIALAS: Politischer Humanismus und „Verspätete Nation“. Helmuth Plessners Auseinandersetzung mit Deutschland und dem Nationalsozialismus. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2010. 295 S., 44, 95 Euro.
Jörg Später ist wissenschaftlicher Redakteur am Freiburg Institute for Advanced Studies und Lehrbeauftragter am Historischen Seminar der Universität Freiburg.
Plessner betrachtete das
NS-System als Teil eines
gesamteuropäischen Problems.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Nach neuen Erkenntnissen musste Jörg Später in diesem Buch suchen. So richtig fündig aber scheint er nicht geworden zu sein. Seiner Meinung nach bleibt Wolfgang Bialas bei dem Versuch einer Neulektüre und argumentativen Erweiterung von Helmuth Plessners "Die verspätete Nation" in einem philosophischen Zirkel gefangen, in dem eine philosophische Interpretation die andere ablöst. Ein distanzierter Blick, meint Später, hätte wohl besser geholfen, das Philosophengespräch auf seine Bedingungen hin zu überprüfen. Stattdessen jedoch muss sich Später auch noch mit einer Textstruktur herumschlagen, die Variante über Variante von Plessners Geschichtsphilosophie und Philososophiegeschichte schichtet und den Nebel weiter verdichtet.

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