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Percy Ernst Schramm ist einer der bedeutendsten Historiker Deutschlands. Sein vielschichtiges Leben in Wissenschaft, Gesellschaft und Politik sowie die unverminderte Attraktivität seiner wissenschaftlichen Arbeiten verleihen dieser umfassenden Biographie seine besondere Aktualität. Geprägt wird Schramms Schaffen durch seine Beziehung zu Aby Warburg, dem Vordenker der modernen Kulturwissenschaft. Mit ihm ebenso wie mit Fritz Saxl stand Percy Ernst Schramm in engem Kontakt. Die Bindung zerbrach 1935 an Schramms Haltung zum nationalsozialistischen Regime. Wesentliche Schriften von Percy Ernst…mehr

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Produktbeschreibung
Percy Ernst Schramm ist einer der bedeutendsten Historiker Deutschlands. Sein vielschichtiges Leben in Wissenschaft, Gesellschaft und Politik sowie die unverminderte Attraktivität seiner wissenschaftlichen Arbeiten verleihen dieser umfassenden Biographie seine besondere Aktualität. Geprägt wird Schramms Schaffen durch seine Beziehung zu Aby Warburg, dem Vordenker der modernen Kulturwissenschaft. Mit ihm ebenso wie mit Fritz Saxl stand Percy Ernst Schramm in engem Kontakt. Die Bindung zerbrach 1935 an Schramms Haltung zum nationalsozialistischen Regime. Wesentliche Schriften von Percy Ernst Schramm waren noch nicht publiziert, doch zeigen sich die Spuren des Bruchs in Schramms späterem Werk. Diesen Spuren geht David Thimme ebenso nach wie den Hintergründen, die zu dem Zerwürfnis führten.
Autorenporträt
Dr. David Thimme ist Historiker und Lehrer an einem Gymnasium in Hessen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.01.2007

Wer wär’ nicht gerne schattenlos wie Karl der Große
Keine spukhafte Nachwelt, keine graue Vorzeit: David Thimmes subtile Biographie des staunenswerten Mediävisten Percy Ernst Schramm
Für Percy Ernst Schramm hielt das Jahr 1968 etwas Besonderes in petto. Es brachte ihm die feierliche Bestätigung von Theorien, die er zwölf Jahre zuvor in einem seiner Hauptwerke formuliert hatte. Am Abend des 26. November versammelte sich ein exklusiver Kreis von Gelehrten, dem der Göttinger Mediävist angehörte, vor dem 1666 von Bernini geschaffenen Bronzethron des heiligen Petrus. Sie sollten erleben, wie das sechs Meter hohe Monument zerbrochen wurde, um einen kleinen Holzthron freizugeben, die „Cathedra Petri”, welche der Legende zufolge der Stuhl des Petrus gewesen war. Schramm, auf den die Initiative zur Bildung der Untersuchungskommission wesentlich zurückging, hatte 1956 im dritten Band von „Herrschaftszeichen und Staatssymbolik” behauptet, der Holzthron sei um 870 für Karl den Kahlen hergestellt worden. Anlässlich seiner Kaiserkrönung habe ihn Karl der Große dem Papst geschenkt. Die Öffnung des Bronzethrons und die folgenden Untersuchungen gaben Schramm recht. Stolz präsentierte er im folgenden Jahr die Befunde auf der öffentlichen Sitzung des Ordens pour le Mérite, dem er seit 1963 als Kanzler vorstand. Es war der letzte, glänzende Triumph in einem an wissenschaftlichen Erfolgen ungewöhnlich reichen Leben. Ein Jahr später war Percy Ernst Schramm tot.
Seiner furchteinflößenden Arbeitsleistung stand seine Originalität wenig nach. Viele der bahnbrechenden Ansätze und Ideen, die man mit den Namen seiner wissenschaftlichen Confratres Marc Bloch, Ernst Kantorowicz und Gerhart Ladner verbindet, finden sich, unabhängig von jenen und gelegentlich schon früher, auch bei Schramm. Die Ausbildung der mittelalterlichen Herrscherikonographie, überhaupt die Entdeckung und konsequente Nutzung des Bildes als historische Quelle, die Erforschung von Ornat und Insignien, sowohl ihrer Bedeutung wie ihrer Genealogie nach, all das war Schramms Werk. Hinzu kam die enorme, die gesamte europäische Welt umspannende Weite seiner Komparatistik, seine profunde Kenntnis der byzantinischen Geschichte, der Antike und ihrer Herrscherkulte.
Tribut der Anpassung
Nicht nur als Mediävist lehrte Schramm seine akademische Mitwelt das Staunen und manchmal das Fürchten. Aufbauend auf seiner Tätigkeit als Kriegstagebuchführer der Wehrmacht in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs mauserte sich Schramm zu einem der führenden Experten für die Geschichte des Weltkriegs, dessen öffentliche Vorträge in den fünfziger Jahren die Säle der Republik füllten. Als wäre es damit nicht genug, glänzte der Hamburger Patrizierssohn, der 1943, im selben Jahr, in dem seine Vaterstadt im Feuersturm versank, einen 800-Seiten-Wälzer über „Hamburg, Deutschland und die Welt” veröffentlicht hatte, nach dem Krieg mit weiteren Studien zur hamburgischen und zur Kolonialgeschichte. In ihnen knüpfte der alte Schramm an seine frühen genealogischen Forschungen zu den hamburgischen Geschlechtern an, die der junge Percy einst zum Missvergnügen seines Vaters obsessiv betrieben hatte.
Man könnte die Aufzählung seiner Leistungen noch eine Weile weiter fortsetzen und käme so zu einem Bild des Historikers, das sich durch ähnliche „Schattenlosigkeit” (David Thimme) auszeichnete, wie jenes Bild Karls des Großen, das Schramm Anfang der sechziger Jahre der bundesdeutschen Öffentlichkeit vermittelte. Gottlob hat sich sein Biograph für eine kritische Darstellungsweise entschieden, die die problematischen Züge im Leben und Werk des großen Historikers und Opportunisten nicht unterschlägt, sondern differenziert und sprachlich präzise entwickelt.
Wie so viele der bedeutenden Gelehrten und Humanisten, denen der Arierpass die Emigration ersparte, unter ihnen honorige Leute wie Ludwig Curtius und sein Namensvetter Ernst Robert, hatte Schramm sich angepasst und zahlte für die Fortsetzung seiner akademischen Karriere in Hitlerdeutschland linguistischen Tribut. Ein kleiner Parteieintritt durfte nicht fehlen, dem derjenige in die Reiter-SA voranging; Schramm hatte im Ersten Weltkrieg als Kavallerist gedient. Das alles wären in den Augen der Nachwelt lässliche Sünden gewesen – und waren es natürlich auch in Schramms eigener Sicht, der immer der Überzeugung war, sich in seinen wissenschaftlichen Prinzipien nicht verbogen zu haben. Aber etwas kam in seinem Fall hinzu, worunter andere nicht zu leiden hatten, ein Schmerz, eine nie verheilte Wunde. Diese Wunde hieß Fritz Saxl.
Joist Grolle, ein Schüler Schramms, hat schon vor Jahren den Fall geschildert. Percy war noch als Schüler an Aby Warburg geraten und von diesem dauerhaft inspiriert worden. Viele seiner besten Intuitionen, auch in reifen Jahren, lassen sich, wie jetzt David Thimme zeigt, unmittelbar auf seine Lehrjahre beim Magier der Ikonologie zurückführen (was Schramm übrigens dankbar anerkannt hat). Anfang der zwanziger Jahre, als Warburg in der Nervenheilanstalt sitzt, wird sein Stellvertreter Fritz Saxl zu Schramms wichtigstem Gesprächspartner. Das bleibt so bis Mitte der dreißiger Jahre, bis nach der Emigration der Bibliothek Warburg nach England. Dann kommt es zum Bruch. Schramm, der empfindet, was er am wenigsten erträgt und sich durchgehen lässt, nämlich Angst, führt ihn herbei – auch wenn er in späteren Jahren die Schuld dem 1948 verstorbenen Saxl zuschiebt.
Die Geschichte dieses Bruches, seine näheren Umstände, vor allem aber der Preis, den Schramm dafür bezahlt – das fortgesetzte Schweigen, Herumdrucksen, Sich-dümmer-stellen-als-man-ist – hat David Thimme jetzt meisterhaft dargestellt, auch wenn er, dem sympathisierenden Biographen sei’s verziehen, seinem Protagonisten gelegentlich sehr viel Verständnis entgegenbringt. Angesichts der Leichtigkeit, mit der sonst eine moralisch überlegene Nachwelt den Stab bricht, mutet diese Verstehensleistung eines jungen Historikers sympathisch an.
Auch in wissenschaftshistorischer Sicht hat die intellektuelle Biographie Thimmes ihre Meriten. Noch einmal leistet die Darstellung des Erkenntnisinteresses der Warburgianer am „Nachleben der Antike” dem Biographen gute Dienste, um die ähnlich aussehende, aber ganz anders ausgerichtete Grundfrage Schramms zu differenzieren: „Das Entscheidende war für Schramm nicht das im Mittelalter fortwirkende antike Erbe. Entscheidend war für ihn das Neue, das im Mittelalter entstand.” Sehr überzeugend zeigt sein Biograph, wie politisch heikel, aber auch wie fruchtbar Schramms konservatives Bemühen um eine erkenntnistheoretische Position war, die das Mittelalter weder als spukhafte Nachwelt der Antike, noch als graue Vorzeit der Moderne ansah.
Wenn es noch eines Beweises für den wissenschaftshistorischen und ideengeschichtlichen Wert einer subtil abschattierten Gelehrtenbiographie bedurft hätte, David Thimme hätte ihn erbracht. Kritisch zu vermerken bleiben die Länge des Werks, seine Redundanzen und akademischen Umständlichkeiten. Ein bisschen mehr Formbewusstsein auf Seiten des Lektorats, und ein wirklich gutes Buch wäre entstanden. ULRICH RAULFF
DAVID THIMME: Percy Ernst Schramm und das Mittelalter. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006. 670 S., 39,90 Euro.
Großer Historiker, großer Opportunist: Percy Ernst Schramm Foto: dpa
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2006

Auch ich bin ein Buchmaler
Die Legende vom Historiker: Percy Ernst Schramm und die Bibliothek Warburg / Von Patrick Bahners

Wenn die Geschichtswissenschaft um die Ecke des "iconic turn" biegt, kommt sie an, wo ein weltläufiger Historiker aus dem Hamburger Bürgertum vor Jahrzehnten schon war: Percy Ernst Schramm, Schüler Aby Warburgs.

Die Gedenkrede auf der Feierstunde des Landes Niedersachsen am Volkstrauertag des Jahres 1959 hielt der Ordinarius für mittlere und neuere Geschichte der Universität Göttingen Percy Ernst Schramm (1894 bis 1970). Der Redner forderte die Politiker auf, einem Mangel des historischen Wissens abzuhelfen. Vierzehn Jahre nach Kriegsende konnte man noch nicht beziffern, "wie viele Deutsche im und infolge des Zweiten Weltkrieges zugrunde gingen". Die exakte Zahl sollte von Staats wegen ermittelt und dann "in jeder Stadt, in jedem Dorf als das dem letzten Kriege angemessene Denkmal an unübersehbarer Stätte angebracht werden; denn die unüberhörbare, gar nicht mißzuverstehende Lehre, die diese Zahl uns zu geben hat, darf nie, nie vergessen werden".

Wer Schramms Worte heute liest, ist zunächst irritiert. Würde dieses flächendeckende Gedenkkonzept in die gegenwärtige Debatte eingeführt, wäre es eine andere Ziffer, aus der ohne jede Erläuterung die unmißverständliche Lehre des Krieges spräche: die Zahl nicht der deutschen Opfer, sondern der jüdischen Opfer der Deutschen. Das Konzept als solches beeindruckt freilich noch immer durch seine Modernität. Der Göttinger Historiker schlug einen Bruch mit der sentimental-bombastischen Konvention des Kriegerdenkmals vor. Es sollte nicht mehr in jedem Ort eine eigene Germania weinen, es sollte ein Ende haben mit der verlogenen Individualisierung der bürgerlichen Gebrauchskunst, die über die Realität des massenhaften Sterbens hinwegtröstete. Auf jedem Marktplatz hätte ein Exemplar desselben Monuments gestanden.

Percy Ernst Schramm war ein Hamburger Bürger. Er schrieb ein Buch über neun Generationen seiner Vorfahren, in dem steht, wie er 1943 seine alte Mutter aus der zerstörten Vaterstadt rettete. Weltberühmt war er als Fachmann für Rituale und Bilder. Das Denkmal, das ihm vorschwebte, wäre kein Werk der Bildhauerkunst mehr. Die Epoche, die Schramms gelehrte Heimat war, das Mittelalter, sah er "durch das Bestreben beherrscht, das Unsichtbare sinnfällig zu machen". Mitte der fünfziger Jahre publizierte er drei gewaltige Bände über "Herrschaftszeichen und Staatssymbolik", denen er noch eine Monographie über eines dieser Zeichen, den Reichsapfel, hinterherschickte. Die Menge der Toten, die der Untergang des Deutschen Reiches produziert hatte, ließ sich nicht sichtbar machen und nicht sinnvoll darstellen. Kein anderes Zeichen konnte die Masse der Abwesenden vertreten als die nackte Zahl. Absehen mußte das Totengedenken von allen Pathosformeln.

David Thimmes Gießener Dissertation untersucht die Mittelalterbilder Percy Ernst Schramms und entdeckt in den Publikationen eines halben Jahrhunderts Diskontinuitäten, wo der Autor mit einer bildungsidealistischen Figur behauptete, seine Sicht des päpstlich-kaiserlichen Weltalters habe sich nicht geändert, nur entfaltet. Den Schlüssel zum uneingestandenen Auffassungswandel findet Thimme in Schramms traumatischem Verhältnis zur Bibliothek Warburg. Aby Warburg war ein Freund des Vaters, eines Kaufmannssohnes, Rechtsanwalts und Senators. Als der siebzehnjährige Percy den Eltern Sorgen machte, weil es ihm gefiel, die Namen in der Familienchronik zu sortieren und zu katalogisieren wie zuvor seine Briefmarkensammlung, war es Warburg, der sich für die Unbedenklichkeit dieses Hobbys verbürgte - er selbst betreibe "noch gelegentlich eigene Familienforschung".

Max Schramm war kein Philister. Er hatte gar nichts dagegen, daß sein Sohn Historiker wurde, denn er kannte nach Thimmes kaum glaublicher Angabe sämtliche Werke Leopold von Rankes und hatte in diesem abendrotgoldenen Zeitalter des gebildeten Bürgertums sogar die "Historische Zeitschrift" abonniert. Sein Ideal des Historikers war Erich Marcks, der in seinem Haus verkehrte, Biograph der Königin Elisabeth von England. Die Genealogie, mag Max Schramm sich vor diesem Horizont gedacht haben, konnte man den Dienstboten überlassen. Warburg nobilitierte die Andacht zum Unbedeutenden: "Sie glauben gar nicht, wie selten es ist, daß sich die Liebe zur Forschung so früh in der loyalen Gesinnung der Einzeltatsache gegenüber verbunden mit dem Willen und dem Geschick zur Zusammenfassung äußert." So kam der selten begabte Knabe in den Genuß des exklusivsten Mentorenprogramms der deutschen Wissenschaftsgeschichte: "Percy ist all right: er braucht nur ,leise Hülfen'."

Nach Warburgs Erkrankung wurde Fritz Saxl zur wichtigsten intellektuellen Bezugsperson für den Studenten Schramm, der Saxl Ende 1920 bei der Ausarbeitung der Denkschrift assistierte, die den Plan der Umwandlung von Warburgs Bibliothek in ein Forschungsinstitut ausbreitete. Hier wurde als Gegenstand der Institutsarbeit das "Nachleben der Antike" proklamiert. Ein Kapitel dieses Nachlebens stellte das Buch dar, das 1929 in den Studien der Bibliothek Warburg erschien und Schramm in der Gelehrtenrepublik berühmt machte: "Kaiser, Rom und Renovatio". Im Zentrum steht Otto III., der nach allen Maßstäben der Realpolitik unglückliche junge Kaiser der Jahrtausendwende.

Nach der Emigration der Bibliothek Warburg führte Schramm geradezu mutwillig den Bruch herbei. Im Januar 1935 kündigte er die Mitarbeit an der "Kulturwissenschaftlichen Bibliographie zum Nachleben der Antike" auf, weil die Autorenliste auch den Namen eines Mannes enthielt, der sich, wie ihm zugetragen worden war, "in ausgesprochen antideutschem Sinne geäußert" hatte. Es handelte sich um Raymond Klibansky, der in Rom angeblich eine Einladung von Ludwig Curtius mit der Begründung abgelehnt hatte, das Haus eines deutschen Professors betrete er nicht mehr. Saxl hielt Schramm vor, ein Historiker seines Ranges dürfe sich doch nicht vom Hörensagen leiten lassen. Tatsächlich kann man den Eindruck gewinnen, Schramm habe gleichsam bewußt die Grundregel der Quellenkritik gebrochen und sich mit aller Macht das Verständnis für die Situation des Emigranten Klibansky verboten - um sich selbst zu nötigen, sich zwischen Deutschland und den vertriebenen Kollegen zu entscheiden.

Schramms Verhältnis zum neuen Regime war nämlich keineswegs so klar, wie die Geste dieser Absage glauben machen könnte. Als Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, hielt Schramm sich als Gastprofessor in Princeton auf. Sogleich entfaltete er eine rege Vortragstätigkeit, um den Amerikanern zu erklären, daß sich in Deutschland eine Revolution vollzog, mit den aus der Geschichte bekannten, aber vorübergehenden Begleitumständen. Diese Propagandatätigkeit ohne Auftrag war für Schramm eine patriotische Ehrensache. Auf seinen hohen Begriff von den Ehrenpflichten eines Mannes seines Standes verweisen andererseits auch sein freimütiges Auftreten vor Parteifunktionären und sein Einsatz zumindest für diejenigen Emigranten, die den Umgang mit deutschen Professoren nicht abgebrochen hatten. Seine Herkunft schenkte ihm eine Selbstsicherheit, die seinen Kollegen zumal in der plebejischen Umwelt des Hitlerstaates als Naivität erscheinen wollte. Stilbewußtsein und Taktlosigkeit gehörten zusammen.

1937 nahm Schramm in London an der Krönung Georgs VI. teil. Auf Einladung eines Oxforder Fachgenossen hatte er seine Geschichte des englischen Königtums im Spiegel der Krönung niedergeschrieben, die pünktlich in deutscher und englischer Ausgabe erschien. Schramm hatte den Höhepunkt seines internationalen Ansehens erreicht. Bei diesem London-Besuch traf er noch einmal mit Saxl zusammen. Der bewunderte Experte für alle Probleme des Zeremoniells fand keine Form für eine Verständigung mit seinem alten Freund und Förderer. Thimme spekuliert, Schramm habe es aus Befangenheit darauf angelegt, daß die Begegnung unverbindlich blieb. Wo Thimme Schramms großbürgerlichen Habitus psychologisch interpretiert, bedauert man, daß er Schramms umfangreiche Schriften zur Geschichte des hamburgischen Bürgertums nicht heranzieht. Dabei sind das Generationenbuch und im übertragenen Sinn auch die Studien zum Überseehandel der Ertrag jener genealogischen Forschungen, denen Warburg seinen Segen gegeben hatte.

Insgesamt können die Gewichtungen der Untersuchung nicht überzeugen. Schramms Tätigkeit als Kriegstagebuchführer im Oberkommando der Wehrmacht wird nur gestreift, da mediävistisch unergiebig. Aber in der von ihm selbst veranstalteten Edition des Kriegstagebuchs schrieb Schramm, es sei seine Aufgabe gewesen, "das fortschreitende Verhängnis rein annalistisch festzuhalten". Man müßte den Text einmal neben mittelalterliche Annalen legen, die scheinbar ohne heilsgeschichtlichen Hintersinn Mißernten, Hunneneinfälle, Aufstände und Kometen aneinanderreihen. Immerhin kann Thimme einige Erfindungen Norman Cantors richtigstellen, in dessen Schmöker über die Mediävistik Schramm und Ernst Kantorowicz als "The Nazi Twins" auftreten.

Thimmes Doktorvater Peter Moraw ist ein Meister, ausweislich dieses Buches allerdings leider kein Lehrer der Zuspitzung. Die Schriften Schramms werden zweimal vorgestellt: Zunächst wird ihre Publikationsgeschichte abgehandelt, in einem weiteren Kapitel erfolgt die Interpretation. Gestaltete Verdichtung sieht anders aus. Die Interpretationen sind über weite Strecken Referate. Thimme überschätzt die Bedeutung allgemeiner Desideratformeln für die Praxis von Forschung und Historiographie. Auf der Ebene von "deutschem Wesen" und "Geist des Mittelalters" lassen sich leicht "Widersprüche" auffinden; das ist bei den Programmsätzen heutiger Gesellschafts- oder Kulturgeschichte nicht anders. Die Historie ist eine begriffsschwache Disziplin, der ihr Material, allen konstruktivistischen Gerüchten zum Trotz, zu großen Teilen vorgegeben ist. Das Spezifische von Schramms Methode könnte nur im Vergleich hervortreten.

Schramm war mit Kantorowicz befreundet und hielt das Friedrich-Buch für staunenswert. Wie verhält sich denn die "Schau", zu der Kantorowicz sich gegen den höhnischen Widerspruch der Zunftmehrheit bekannte, zu Schramms Streben nach Veranschaulichung der Kaisergeschichte? Thimme resümiert Kantorowicz nach Otto Gerhard Oexle. Demnach entsprach Kantorowicz den "Grundsätzen des George-Kreises", indem sein Held "für das Deutschland seiner Gegenwart Vorbildcharakter haben sollte" - als hätte George nationalliberale Volksschriftsteller herangezogen. Der Nachweis, daß wegen des Abbruchs der Beziehungen zur Bibliothek Warburg Schramms Lebenswerk sozusagen Fragment geblieben sei, gelingt Thimme nicht, weil nicht deutlich wird, was Schramms Forschungen, jenseits eines universalistischen Interesses an Bildquellen und Überlieferungsfragen, eigentlich mit den Arbeiten Warburgs und Saxls verband. Der von Warburg selbst ausgelegten Spur der Genealogie, der Beschäftigung mit Herkunft und Abstammung, geht Thimme nicht nach.

Es ist keine Kunst, zu demonstrieren, daß in den Schriften eines produktiven Historikers nicht alles Entfaltung ist. Ausgerechnet die Urszene von Schramms Bildungsroman unterwirft Thimme keiner quellenkritischen Betrachtung. Alle seine Themen will Schramm dem "Eindruck eines Bildes" verdankt haben - des Widmungsbildes im Reichenauer Evangeliar Ottos III. Die Stilisierung ist offenkundig: Der Historiker schuf sich ein Pendant zu den Künstlerlegenden. Die erstaunlichste Leerstelle von Thimmes Buch ist die politische Ikonographie von Schramms Lebenszeit. Das Buch über die englische Krönung erwähnt den Aufmarsch unter dem Hakenkreuz als moderne Form des Staatsfestes, was Thimme lediglich als politische Aussage erörtert. Hatte Schramm, als er die Herrschaftszeichen für die historische Forschung entdeckte, Fasces und Swastika wirklich nicht im Blick? Dann wäre er, der sich als Augenmenschen sah, am Ende doch ein Exempel der Blindheit.

David Thimme: "Percy Ernst Schramm und das Mittelalter". Wandlungen eines Geschichtsbildes. Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 75. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006. 670 S., geb., 39,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Großes Lob zollt Rezensent Ulrich Raulff dieser von David Thimme verfassten Biografie des Mediävisten Percy Ernst Schramm, die sehr gut die Gratwanderung meistert, dem Wissenschaftler allen Respekt zu zollen, der ihm gebührt, aber nicht die dunklen Stellen seines Lebens auszusparen. Wie Raulff in seiner Besprechung wiedergibt, waren die Arbeitsleistung, Originalität und weltumspannenden Kentnisse des Mittelalterforschers Schramm nahezu "furchteinflößend", zu seinen größten Erfolgen gehört der Nachweis, dass der von Bernini geschaffene Bronzethron des heiligen Petrus im Petersdom auf dem Holzthron beruht, den Karl der Große dem Papst anlässlich seiner Kaiserkrönung vermacht hat. Aber ebenso unheimlich war schließlich der Opportunismus, mit dem sich Schramm schließlich den Nazis andiente. Nach Raulffs Informationen liefert Biograf Thimme vor allem Erhellendes zu dem Bruch, den Schramm mit den Protagonisten der nach London ins Exil gegangenen Bibliothek Warburg herbeigeführt hatte. Geradezu "meisterhaft" findet Raulff, wie Thimme Schramms anschließendes "Schweigen, Herumdrucksen, Sich-dümmer-stellen-als man-ist" nachzeichnet. Als überzeugend und wissenschaftshistorisch verdienstvoll lobt Raulff abschließend diese Arbeit, die allerdings unter einigen "Redundanzen und akademischen Umständlichkeiten" leidet.

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