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Vom Januar 1971 bis zu seinem Tod im Juni 1984 hatte Michel Foucault den Lehrstuhl für die Geschichte der Denksysteme am Collège de France in Paris inne. Zu seinen Pflichten gehörte es, öffentliche, für jedermann zugängliche Vorträge zu halten. In diesen Vorträgen präsentierte er jeweils seine neuesten Forschungen. In den Vorlesungen vom Jahre 1975, die thematisch in engem Zusammenhang mit überwachen und Strafen stehen, beschäftigt sich Foucault mit Personengruppen, die gesellschaftlich als anormal stigmatisiert worden sind. Dazu zählen, in der Reihenfolge ihres historischen Auftretens, die…mehr

Produktbeschreibung
Vom Januar 1971 bis zu seinem Tod im Juni 1984 hatte Michel Foucault den Lehrstuhl für die Geschichte der Denksysteme am Collège de France in Paris inne. Zu seinen Pflichten gehörte es, öffentliche, für jedermann zugängliche Vorträge zu halten. In diesen Vorträgen präsentierte er jeweils seine neuesten Forschungen.
In den Vorlesungen vom Jahre 1975, die thematisch in engem Zusammenhang mit überwachen und Strafen stehen, beschäftigt sich Foucault mit Personengruppen, die gesellschaftlich als anormal stigmatisiert worden sind. Dazu zählen, in der Reihenfolge ihres historischen Auftretens, die Monstren wie z.B. Hermaphroditen oder siamesische Zwillinge, die Korrektionsbedürftigen wie z.B. Straftäter und schließlich die Onanisten. An ihnen untersucht er das Auftauchen von Normalisierungstechniken zusammen mit den neu entstehenden Machtformen. Dabei geht er von dem Prinzip aus, daß diese Techniken und die damit entstehenden Normalisierungsmächte nicht nur einfach die Wirkung einer Begegnung des medizinischen Wissens mit der gerichtlichen Macht sind, sondern einen eigenständigen Typus der Macht ausbilden. Diese Macht kolonialisiert und verdrängt medizinisches Wissen und die Macht der Rechtsprechung und wirkt bis in die Neuformierung der Humanwissenschaften hinein. Die Art und Weise, wie sie sich ausgebildet und installiert hat, ohne sich jemals auf eine einzige Institution zu stützen, das Spiel, das sie zwischen den verschiedenen Institutionen betreibt, hat, so Foucault, unsere Gesellschaft bis heute zutiefst geprägt.
Autorenporträt
Paul-Michel Foucault wurde am 15. Oktober 1926 in Poitiers als Sohn einer angesehenen Arztfamilie geboren und starb am 25. Juni 1984 an den Folgen einer HIV-Infektion. Nach seiner Schulzeit in Poitiers studierte er Philosophie und Psychologie in Paris. 1952 begann seine berufliche Laufbahn als Assistent für Psychologie an der geisteswissenschaftlichen Fakultät in Lille. 1955 war er als Lektor an der Universität Uppsala (Schweden) tätig. Nach Direktorenstellen an Instituten in Warschau und Hamburg (1958/1959) kehrte er 1960 nach Frankreich zurück, wo er bis 1966 als Professor für Psychologie und Philosophie an der Universität Clermont-Ferrand arbeitete. In diesem Zeitraum erschien 1961 seine Dissertationsschrift Folie et déraison. Histoire de la folie à l'âge classique (dt.: Wahnsinn und Gesellschaft). Er thematisierte darin die Geschichte des Wahnsinns und das Zustandekommen einer Abgrenzung von geistiger Gesundheit und Krankheit und die damit einhergehenden sozialen Mechanismen. 1965 und 1966 war er Mitglied der Fouchet-Kommission, die von der Regierung für die Reform des (Hoch-)Schulwesens eingesetzt wurde. 1966 wurde Les mots et les choses - Une archéologie des sciences humaines (dt.: Die Ordnung der Dinge) veröffentlicht, worin er mit seiner diskursanalytischen Methode die Wissenschaftsgeschichte von der Renaissance bis ins 19. Jahrhundert untersuchte. Nach einem Auslandsaufenthalt als Gastprofessor in Tunis (1965-1968) war er an der Reform-Universität von Vincennes tätig (1968-1970). 1970 wurde er als Professor für Geschichte der Denksysteme an das renommierte Collège de France berufen. Gleichzeitig machte er durch sein vielfältiges politisches Engagement auf sich aufmerksam. In diesem Kontext entstand die Studie Surveiller et punir (dt.: Überwachen und Strafen). 1975-1982 unternahm er Reisen nach Berkeley und Japan sowie in den Iran und nach Polen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.06.2003

Wie wird der Mensch gemacht?
In seinen Vorlesungen über die Anormalen sprach Michel Foucault von Herrschaft und Psychiatrie
Diskursanalyse, so hieß das Zauberwort der intellektuellen Avantgarde im Deutschland der späten siebziger und frühen achtziger Jahre. Dieses Konzept wurde in einem Zwei-Fronten-Kampf eingesetzt: Es richtete sich einerseits gegen die späten Ausläufer einer idealistischen Geistesgeschichte, andererseits gegen die ideologischen Beschränktheiten spätmarxistischer Verkündigungen. Gefunden hatte man dieses Zauberwort in den Schriften eines Denkers, der zwischen allen Stühlen saß: Michel Foucault, weder Historiker noch Soziologe, weder Philosoph noch Literaturwissenschaftler, weder Politologe noch Ethnologe – und doch von allem etwas. Geboren 1926, gestorben 1984, seit 1971 Inhaber des Lehrstuhles für die Geschichte der Denksysteme am Collège de France.
Zu den so genannten Poststrukturalisten wurde er mit Roland Barthes, Jacques Lacan und anderen gezählt, obwohl niemand wusste, ob dieser Begriff irgendeiner Wirklichkeit entsprach. Von Jürgen Habermas und Manfred Frank wurde er in einem dunklen Kapitel der deutschen intellektuellen Geschichte als Protagonist einer Philosophie der Unvernunft diffamiert, weil er es gewagt hatte, darauf hinzuweisen, dass die Regeln des Diskurses, dass die Regeln, nach denen Wahrheit bestimmt wird, selber Mechanismen von Macht sind.
Die Vorlesungen zu den „Anormalen” aus dem Jahre 1974-75 schreiben Foucaults Studien zur Geschichte des Wahnsinns fort und stehen zugleich in engem Bezug zu jener Forschung, die in „Überwachen und Strafen” 1975 Buchform gefunden hat. Der schräge Begriff der „Anormalen” zeigt schon den wesentlichen Gewinn dieser Forschung. In der Norm und der ihr entsprechenden Normalisierung macht Foucault den Kern dessen aus, was Walter Seitter im Anschluss an Foucault „Menschenfassung” genannt hat. Der Mensch ist nicht einfach unschuldiges Material, doch ebenso wenig ist er eine feste Größe. Der Mensch ist nicht, was er macht, der Mensch ist, was er gemacht wird. Die Treiber dieser Menschengeschichte der Neuzeit sind Statistiker und Mediziner. Die Statistik stellt die Masse fest, die Medizin formiert das Individuum. Die Vorlesungen zu den „Anormalen” setzen mit einer Diskussion der Funktion psychiatrischer Gutachten im Rechtswesen ein. Und sie münden in eine große, gleichsam Foucaults Forschung der vorherigen Jahre abschließende Theorie des Diskurses.
Ideologiekritik als Volkssport
Der Diskurs ist mehr als nur Rede. Die Apologeten der kommunikativen Vernunft, die in Deutschland so viel Gehör gefunden haben, hatten darauf gehofft, im Raum der Rede werde Macht überwunden: an ihrer Stelle werde der notwendige Konsens der Vernunft sich einstellen. Foucault hat dagegen seit seiner Antrittsvorlesung am Collège de France darauf beharrt, dass Vernunft selbst ein Effekt und ein Mechanismus der Macht ist. In diesem Sinne hat Michel Foucault das Misstrauen gesät, an dem zuletzt noch der beliebte deutsche Intellektuellensport „Ideologiekritik” zugrunde gegangen ist. Denn die Kritik von Ideologie setzt voraus, dass es eine Wahrheit gebe, die selber nicht mehr als Überbau gedeutet werden kann.
Michel Foucaults Diskursanalyse ist kein Selbstzweck. Sie ist ein Instrument, mit dem Foucault die Bedingungen und die Entstehung unserer Kultur erforscht hat. Und diese Kultur wird allererst durch Mechanismen des Ein- und Ausschlusses bestimmt. Die alte humanistische Frage: Was ist der Mensch, wird von Foucault mit Hilfe der Diskursanalyse neu gestellt: Wie wird der Mensch gemacht? Gegen die ahistorische existenzialistische Deutung des Menschen stellt Foucault eine neue historische Anthropologie, welche den Zusammenhang zwischen „lachhaften theoretischen Ausarbeitungen und harten wirklichen Effekten” zu analysieren versucht.
Die Syndrome der Anomalie werden in den späten sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts entfaltet. An ihnen entsteht eine ganz neue Wissenschaft: die Psychiatrie. Ausgehend vom großen Onaniediskurs der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert gelingt es Foucault zu zeigen, in welchem Sinne die Medizinisierung des Anormalen sich als entscheidender „Redefilter der Existenz” erweist. Foucault bezieht – und das bildet den Hintergrund der Diskursanalyse überhaupt – seine Forschungen zu diesem Redefilter auf die Techniken von Beichte und Buße. Mit Blick auf die Entwicklung des Bußrituals wird deutlich, in welchem Sinne der Mensch dazu angehalten ist, seine Existenz im Reden erst zu entfalten. Nicht als etwas, was vorher schon da wäre und nun durch Rede ans Licht gebracht würde, sondern als die Verortung und Entwicklung der menschlichen Existenz im Horizont einer als Rede erscheinenden Wahrheit. Foucaults Hinweis, dass das Geständnis anfänglich gar nicht zum Bußritual gehörte, zeigt den Weg, den die Diskursanalyse nehmen wird.
Indem die Psychiatrie das Konzept der Anomalie entfaltet, wird sie zur beherrschenden Menschenwissenschaft: der theologische Diskurs findet kein Echo mehr, jetzt wird der Mensch festgestellt durch eine Wissenschaft, die eine immer größere Rolle auch im Bereich des Rechtes spielt. Das medizinische Wissen stellt einen neuen Typus der Macht dar. In diesem Sinne stellen die Vorlesungen zu den Anormalen vornehmlich eine Geschichte der Macht dar. Eine Geschichte ihrer Techniken und ihrer Effekte. Dass die Psychiatrie nicht einfach der Macht begegnet, sozusagen durch die Macht funktionalisiert wird, sondern dass sie selber durch den „technologischen Ertrag ihrer großen Gebäude” eine spezifische Gestalt von Macht konstituiert: diese These ordnet die Vorlesungen zu den Anormalen in die Entfaltung der Diskursanalyse ein.
Der Medizinisierung des Anormalen nachzuspüren, bedeutet eine Archäologie der Gesellschaft des 20. Jahrhunderts. Der Überlagerung von Recht und Medizin entspricht der „Wille zum Wissen”: Wir sind, so die Lehre aus Foucaults Forschungen, in einem ganz anderen Sinne Mitglieder von Wissensgesellschaften, als man es uns unter Verweis auf PISA und IGLU glauben machen will. Unsere Gesellschaft ist eine Wissensgesellschaft, weil der Mensch jenseits des Wissens vom Menschen keine Existenz hat. Und weil es das Wissen um den Menschen erst ist, welches Gesellschaft konstituiert. Foucaults Anti- Humanismus, Gegenstand und Anlass der oben erwähnten Attacken, steht in der Linie Nietzsches. Allein: Foucault hätte für Nietzsches Übermenschenpathos nur ein sanftes Lächeln übrig. Denn Foucaults Forschungen offenbaren, dass der Mensch als Täter seiner eigenen Geschichte ihr Opfer ist.
ARMIN ADAM
MICHEL FOUCAULT: Die Anormalen. Vorlesungen am Collège de France 1974-75. Aus dem Französischen von Michaela Ott. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 2003. 462 Seiten, 38 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.06.2003

Foucault brilliert in seiner Sackgasse

Die derzeit hohe Frequenz von neuen Foucault-Büchern verdankt sich der engen Zeitspanne zwischen fünfundsiebzigstem Geburtstag (2001) und zwanzigstem Todestag (2004). So werden in diesen vier Jahren sämtliche vier voluminösen Bände der "Dits et écrits" auf deutsch erscheinen, und um die Wartezeit auf deren für den Herbst angekündigten dritten Teil zu überbrücken, schob der Suhrkamp Verlag eine bereits vor vier Jahren im Original publizierte Vorlesung ein (Michel Foucault: "Die Anormalen". Aus dem Französischen von Michaela Ott. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 476 S., geb., 38,- [Euro]). Sie stammt aus Foucaults Lehrtätigkeit als Professor für die Geschichte der Denksysteme am Collège de France und wurde im Winter 1975 gehalten, also just zu dem Zeitpunkt, als "Überwachen und Strafen" erschien und "Der Wille zum Wissen" in Arbeit war. Motive aus beiden Büchern finden sich reichlich. Trotzdem hat das Erscheinen des Bandes - erfreulich reich kommentiert, allerdings mit ein paar redaktionellen Fehlern zuviel belastet - seine Berechtigung, und das nicht nur für Foucault-Fanatiker.

Denn man geht kaum fehl, wenn man die Vorlesung als Wendepunkt im akademischen Leben Foucaults bezeichnet. Das wird im Text deutlich, als der Dozent am Ende der ersten Sitzung eine Abweichung vom erhaltenen Vorlesungsmanuskript macht: Statt einer "Archäologie", wie Foucault in Anknüpfung an seinen eigenen bisherigen Zentralbegriff notiert hatte, kündigte er an, eine "Untersuchung" der Normalisierungsmacht durchzuführen. Diese Wendung ins Zurückhaltende, Offenere ist ein frühes Anzeichen jenes Wandels, den sein Denken in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre vollziehen sollte und ihn zeitweise von seinen Anhängern entfremdete.

Schon die Vorlesung zu den "Anormalen" führte er nur mühsam zu Ende, die Abweichungen von der Ankündigung zu Beginn der Veranstaltung machen das deutlich. Ein Jahr später, als er unter dem Titel "In Verteidigung der Gesellschaft" las (diese Vorlesung erschien 1999 auf deutsch), erklärte er zum Auftakt der ersten Sitzung, er habe sich im Vorjahr in eine Sackgasse manövriert: "All das tritt auf der Stelle und kommt nicht vorwärts; alles wiederholt sich und bleibt unverbunden nebeneinander stehen. Im Grunde wird immer dasselbe gesagt und besagt vielleicht gar nichts; es verknäult sich zu einem kaum zu entziffernden Wirrwarr, der sich schwerlich organisieren läßt; kurz: Es führt, wie man so schön sagt, zu nichts."

Härter dürfte kaum ein Philosoph jemals mit sich selbst ins Gericht gegangen sein. Das Prinzip des Disziplinierung, das Foucault als bestimmenden Zug der modernen Gesellschaft erkannt hatte, wandte er auf sich an. Nach "Der Wille zum Wissen", das im Dezember 1976 erschien, sollte er fünf Jahre lang kein Buch mehr publizieren, und Teile der auf sechs Bände angelegten Studie zu "Sexualität und Wahrheit" wurden wieder vernichtet, darunter auch ein Manuskript, das eine zentrale Passage der Vorlesung zu den "Anormalen" weiterentwickelt hätte: die Ausführung zum christlichen Prinzip der Beichte.

So ist "Die Anormalen" das einzige Zeugnis zu dieser Arbeit Foucaults. Seine Erörterung der historischen Entwicklung von der Buße zur Beichte ist ein minutiöser Nachvollzug der wachsenden institutionellen Macht der Kirche - getreu der zentralen Äußerung der Vorlesung: "Alle für das Hervortreten der Sexualität auf dem Feld der Medizin so wichtigen Phänomene kann man, glaube ich, nicht in Begriffen der Wissenschaft oder Ideologie begreifen, in Begriffen einer Geschichte der Mentalitäten oder einer Sozialgeschichte der Krankheiten, sondern bloß in einer historischen Untersuchung der Machttechnologien."

Die Beichte mit ihren immer detaillierteren Vorschriften zur Befragung, in denen Foucault den beginnenden Diskurs über als abnorm definierte Sexualität erkennt, ist eine grandiose Veranschaulichung seiner Argumentationslinie. Als es den Kirchenoberen zu heikel wurde, weil die Beichtenden durch zu genaue Befragung vielleicht erst zu sündigem Handeln angeregt werden könnten, wurde das Prozedere ins bewußt Vage verschoben. Aus dieser Tatsache folgert Foucault, daß nun das Anomale in der Welt war: als Setzung seitens der Macht. Die Verantwortung für sexuelle Verfehlungen vor allem der Kinder wurde fortan den Eltern zugesprochen. Nunmehr gab es die zwei Körper des Kindes: Denn dafür, daß der sexuelle Körper den Eltern überlassen blieb, erhob die Macht in Gestalt von Staat und Kirche Anspruch auf den anderen Körper, auf den der Fähigkeiten des Kindes. Es paßt in diese Argumentation, daß die Söldnerarmeen der Vergangenheit im späten achtzehnten Jahrhundert durch Volksheere abgelöst wurden und das Schulsystem in den Folgejahrzehnten gravierende Modifikationen erfuhr.

In "Die Anormalen" ist Foucault sich selbst treu bis zum Mißtrauen geblieben. Deshalb blieb später fast alles auf der Strecke, was hier auf dem Höhepunkt seiner Phase als "Archäologe" vorgetragen wurde. Gerade dem, was er kaum in den elf Sitzungen unterbrachte, die Figur des "widerspenstigen Kindes", widmete er sich dann in "Der Wille zum Wissen" näher, der Rest aber wurde nie mehr ausgeführt. In einer der wunderbaren Metaphern, die ihm immer wieder gelangen, spricht Foucault im Zusammenhang eines scheinbar unmotivierten Mordes von jener "ungeheuerlichen Tat, die einfach so in dieses städtische Milieu ... hereinbricht und die vor den Augen der Zuschauer niedergegangen ist wie ein phantastischer, rätselhaft schwarzer Meteor, über den niemand etwas sagen konnte". Genauso war die Wirkung von Foucaults Wende im philosophischen Milieu in der Zeit nach seiner Vorlesung über "Die Anormalen". In ihr aber kündigt sich dieses Ereignis schon an.

ANDREAS PLATTHAUS

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Die Vorlesungen zu den "Anormalen" aus dem Jahre 1974-1975 bilden für Rezensent Arnim Adam eine Fortschreibung von Michel Foucaults Studien zur Geschichte des Wahnsinns und stehen zugleich in "engem Bezug" zu "Überwachen und Strafen" (1975). Beginnend mit einer Diskussion der Funktion von psychiatrischen Gutachten im Rechtswesen, berichtet Adam, münden die Vorlesungen in eine Theorie des Diskurses, in der Vernunft - im Unterschied zur Habermasschen Theorie des kommunikativen Handelns - als Effekt und Mechanismus der Macht erscheint. Adam beschreibt Foucaults Diskursanalyse als Instrument zur Erforschung der Bedingungen und Entstehung unserer Kultur: Foucault stelle die "alte humanistische Frage": "Was ist der Mensch?" neu, wenn er frage: "Wie wird der Mensch gemacht?" und setzte so eine neue historische Anthropologie gegen eine ahistorische existenzialistische Deutung. Konkret wird das für Adam insbesondere in Foucaults Analyse der Psychiatrie. Indem die Psychiatrie das Konzept des Anomalen entfaltet, so Adam zusammenfassend, "wird sie zur beherrschenden Menschenwissenschaft". Das medizinische Wissen erweise sich als neuer Typus von Macht. Die Vorlesungen zu den "Anormalen" versteht Adam somit vor allem als eine Geschichte der Macht, ihrer Techniken und ihrer Effekte.

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