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Cambara, eine willensstarke Frau, beschließt, aus ihrer Wahlheimat Toronto in ihr Geburtsland Somalia zurückzukehren. Ihr geliebter Sohn ist durch die Unachtsamkeit ihres Mannes ums Leben gekommen, doch die Reise ist nicht nur eine Flucht: Cambara will das alte Anwesen ihrer Familie den Händen eines Warlords entreißen. Das Mogadischu, in das sie kommt, ist schwer gezeichnet vom Bürgerkrieg: Jugendliche mit automatischen Waffen patrouillieren die Straßen, Clan-Rivalitäten, Langeweile und das allgegenwärtige Kaat haben die einstmals lebendige Stadt im Griff, islamistische Gruppen nutzen die…mehr

Produktbeschreibung
Cambara, eine willensstarke Frau, beschließt, aus ihrer Wahlheimat Toronto in ihr Geburtsland Somalia zurückzukehren. Ihr geliebter Sohn ist durch die Unachtsamkeit ihres Mannes ums Leben gekommen, doch die Reise ist nicht nur eine Flucht: Cambara will das alte Anwesen ihrer Familie den Händen eines Warlords entreißen. Das Mogadischu, in das sie kommt, ist schwer gezeichnet vom Bürgerkrieg: Jugendliche mit automatischen Waffen patrouillieren die Straßen, Clan-Rivalitäten, Langeweile und das allgegenwärtige Kaat haben die einstmals lebendige Stadt im Griff, islamistische Gruppen nutzen die Lähmung, um Einfluß zu gewinnen. Doch nach und nach gelingt es Cambara, Verbündete zu gewinnen - Heldinnen der Vernunft in einer Welt der Zerstörung.Netze ist ein bestürzendes und zugleich hoffnungsvolles Buch mit einer unvergeßlichen Hauptfigur, deren persönliche Reise in die Vergangenheit ein Zeichen für eine bessere Zukunft setzt. Ein Roman über die Realitäten hinter dem Schlagwort vom "Zerfallenen Staat".
Autorenporträt
Farah, NuruddinNuruddin Farah wurde am 24. November 1945 im südsomalischen Baidoa geboren. Er gilt als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Schriftsteller Afrikas und veröffentlichte unter anderem einen Romanzyklus über seine somalische Heimat, den er mit seinem 2013 erschienenen Roman Gekapert abschloss. Heute lebt Farah in Kapstadt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.2009

Mogadischu glaubt den Tränen nicht

Die Schrecken der Gegenwart für eine bessere Zukunft einfangen: Der somalische Schriftsteller Nuruddin Farah will mit seinem Roman "Netze" seine von Gewalt und Korruption verwüstete Heimat schreibend am Leben erhalten.

Auf der Skala der Schreckensorte dieser Welt rangiert Mogadischu ganz oben, die von Bürgerkrieg und Elend bis zur Unkenntlichkeit gezeichnete, einstmals kosmopolitische Hafen- und Hauptstadt des notorisch versagenden Staates Somalia, der in jüngster Zeit als Piratennest Schlagzeilen macht. Kein Flug lässt sich im Internet in diesen Vorhof der Hölle buchen, schon beim Eingeben des Städtenamens versagen die Masken der Websites. Wir wissen nur, dass dort Menschen leben, mehr als zwei Millionen sollen es sein, aber wie sie leben, das entzieht sich längst unserer Kenntnis, nachdem Mitte der neunziger Jahre die letzten internationalen Hilfsorganisationen und Hunderttausende Flüchtlinge das Land verlassen haben. Gegen Mogadischu ist selbst Kabul ein Hort der Glückseligkeit.

In dieses urbane Inferno schickt der im südafrikanischen Exil lebende somalische Autor Nuruddin Farah Cambara, die Hauptfigur seines neuen Romans. Bereits vor Ausbruch des Bürgerkrieges 1991 hatten sich ihre geschäftstüchtigen Eltern ins kanadische Exil absetzen können, so dass Mogadischu für die junge Rückkehrerin nur als vage Kindheitserinnerung existiert. In Toronto konnte sie sich zur Schauspielerin und Visagistin ausbilden lassen und war zweimal die Ehe mit somalischen Landsmännern eingegangen, eine von der Mutter arrangierte fiktive mit einem Cousin, um diesem die Einbürgerung im Westen zu ermöglichen, und eine Liebesheirat mit traumatischen Folgen. Denn der gewalttätige Ehemann ließ den gemeinsamen Sohn im Pool des Hauses einer Geliebten unbeaufsichtigt, und der Junge ertrank. Um ihren Schmerz zu vergessen, begibt sich Cambara auf eine Himmelfahrtsmission in ihre zerstörte Geburtsstadt, wo sie die einst noble Villa der Familie den Klauen eines Warlords zu entreißen sucht.

Vergiss Somalia, es ist tot und begraben, soll der eigene Bruder Nuruddin Farah Mitte der siebziger Jahre mit auf den Weg ins Exil gegeben haben, als dieser vor den Schergen des Diktators Siad Barre in den Westen fliehen musste. Seither hat der 1945 in Baidao geborene Farah in mehr als einem Dutzend Ländern gelebt und den fatalistischen Geleitspruch von einst in ein kämpferisches Credo gekehrt: Er wolle sein Land am Leben erhalten, sagte er einmal, indem er darüber schreibe. Dazu hat er sich die englische Sprache geliehen, die er neben Somali, Amharisch, Italienisch und Arabisch wie eine Mutterzunge beherrscht. "Netze", im englischen Original 2007 unter dem Titel "Knots" erschienen, ist sein dreizehntes Buch. Alle handeln ausnahmslos von Somalia und den Somalis im Exil. Seit 1996 kehrte Farah immer wieder nach Mogadischu zurück, ähnlich den Helden seiner letzten beiden Romane.

Während Jeebleh in "Links" (deutsch 2005) in dem von zwei verfeindeten Warlords umkämpften Mogadischu der späten neunziger Jahre nach einem verschwundenen Mädchen fahndet, sucht sich Cambara im neuen Roman einige Jahre später einen Weg durch das Chaos einer Stadt zu bahnen, in der Dutzende Warlords mittels hungriger, zerlumpter und ununterbrochen Kat kauender Kindersoldaten um die kargen Ressourcen kämpfen. Gerüstet ist sie mit einem Messer und einem Koffer voller US-Dollar. Die Islamisten - die Union of Islamist Courts - sind bereits auf dem Sprung an die Macht, die Menschen sehnen sich nach Ruhe und Frieden, wenn es sein muss auch mittels der Scharia.

Hinter den von Kugeln zersiebten Ruinen, hinter Müllbergen und von Söldnern im Sicherheitsdienst bewachten Hotels und Residenzen eröffnet sich Cambara ein überraschendes Bild. Die Freundin einer Freundin und Kopf einer Frauenselbsthilfeorganisation nimmt die Rückkehrerin unter ihre Fittiche, nachdem der Cousin und einstige Schein-Ehemann, ihr erster Anlaufpunkt in Mogadischu, auf voller Linie versagt hat. Es sind - wie in fast allen Romanen Farahs - die Frauen, auf denen seine ganze in Literatur gefasste Hoffnung ruht, Frauen, die unter widrigsten Umständen schier Unvorstellbares leisten, während die schwitzenden, stinkenden, vom Kat berauschten Männer spätestens ab mittags ziellos durch die Gegend ballern.

Die Frauen betreiben Krankenhäuser und schaffen Schutzräume für andere Frauen, richten Schulen ein und helfen einander, wo es nur geht. Denn anders als man denkt, gibt es in Mogadischu, wenn man dafür bezahlt und Beziehungen hat, so ziemlich alles - beste Internet- und Telefonverbindungen, Lehrer, die aus dem Ausland für viel Geld eingeworben werden, Handwerker, die Häuser reparieren können, und saubere Hotels, in denen Klimaanlagen und Bäder funktionieren. Mittels eines solchen Beziehungsnetzwerks will Cambara nicht nur ihr Haus zurückgewinnen, sondern dort als Zeichen der Hoffnung ein Theaterstück aufführen. Dabei stehen ihr am Ende sogar ein paar männliche Robin Hoods zur Seite, darunter ein alter Bekannter aus dem Roman "Links", in den Cambara sich zaghaft verliebt.

Ihre Kraft beziehen die Bücher Farahs aus ihrem Stoff, wer sonst schreibt aus und über diesen Ort, wer kennt die Menschen, ihren Alltag, ihre Nöte? Wie seine Vorgänger, so ist auch dieser Roman einer der Visionen, denn afrikanische Autoren, so der Autor, schrieben nicht für die Gegenwart, sondern für die Zukunft. Darin, und nicht nur darin, liegt die Crux des Buches. Die Utopie war schon immer ein Stiefkind der Literatur, zumal dann, wenn sie ganz ohne Ironie, ganz ohne Hintersinn auskommen muss. Wie ein Mantra beschwört Farah die weibliche Zivilgesellschaft, wobei der Leser ahnt, dass der Koffer voller US-Dollar bei der Mission keine ganz unwichtige Rolle spielt und die beschworene Frauengemeinschaft sehr wohl status- und zweckgebunden ist. Alles scheint klar, alles ist stringent geplant und erzählt, bis hin zur Theateraufführung mit Kindersoldaten hinter drei Sicherheitskordons. Das Elend bleibt weitgehend hinter den Scheiben der gepanzerten Fahrzeuge, mit denen Cambara durch Mogadischu chauffiert wird. Das Buch gewinnt immer dann an Dichte, wenn die Heldin die Gutmenschelei hinter sich lässt und gehüllt in eine einengende, aber schützende Burka durch die zerschossenen Straßen von Mogadischu streift.

Die mythischen Geschichten über Familie, Clan und Sexualität, mit denen Farah besonders in seinem Roman "Geheimnisse" (deutsch 2000) die Leser in den Bann zog, mussten der Banalität eines Bürgerkrieges weichen. Dem magischen Realismus von einst folgte ein nüchterner Stil, den dieses Mal Reinhild und Gunter Böhnke ins Deutsche übertragen haben. Der Suhrkamp Verlag erweist seinem Autor, der seit Jahren als Anwärter für den Nobelpreis gehandelt wird, keinen guten Dienst, indem er ihm immer wieder neue Übersetzer zur Seite stellt. Farahs OEuvre, das eine Enzyklopädie des Überlebenswillens in Afrika darstellt, hätte Besseres verdient. Die alten weisen Frauen und Männer aus früheren Romanen wurden entzaubert und durch eine Garde bis an die Zähne bewaffneter moderner Geschäftsfrauen ersetzt, die - eine vielleicht unfreiwillige Botschaft - nicht etwa aus Hilflosigkeit an einem Ort wie Mogadischu verharren, sondern auch, weil man hier gute Geschäfte machen kann.

SABINE BERKING

Nuruddin Farah: "Netze". Roman. Aus dem Englischen von Reinhild und Gunter Böhnke. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 490 S., geb., 28,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Sehr interessant fand es Karl-Markus Gauß, aus diesem Roman Nuruddin Farahs mehr über die Zustände in Somalia zu erfahren, als die Schreckensmeldungen in den Medien berichten. Der Schriftsteller, der, wie der Rezensent weiß, selbst lange Zeit als somalischer Flüchtling in Italien, Deutschland und den USA verbrachte, lässt seine in Kanada lebende Protagonistin Cambarra in das Land ihrer Herkunft zurückkehren. Wie Gauß berichtet, erzählt das Buch von der Konfrontation der gebürtigen und von zahllosen Schicksalsschlägen heimgesuchten Somalierin mit den Zuständen in ihrem Heimatland, in dem "skrupellose Kriegsfürsten und islamistische Sittenwächter" das Sagen haben. Von Drogen berauschte Kindersoldaten und Frauen in Ganzkörperschleier bilden laut dem Rezensenten die Kulisse von "Netze". Doch einen Hoffnungsschimmer erkennt Gauß in dieser schrecklichen Szenerie: die Frauen. So naiv das auch klinge, meint der Rezensent, so zeige Farah in seinem Roman eine Form von weiblichem Widerstand, der lebensbejahend wirke. Trotz einigen umständlichen und detailreichen Beschreibungen lobt Gauß den Roman, in dem laut ihm "kleine Inseln der Zivilisation im Meer der Barbarei" entstünden.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.01.2010

Armee der Frauen
Nuruddin Farahs fesselnder Roman über seine Heimat Somalia
Lange hat Cambara, eine auffallend groß gewachsene und selbstbewusste Frau, in Kanada gelebt, jetzt kehrt sie heim in ein Land, das sie kaum wiedererkennt. Aus Somalia, der Vorhölle auf Erden, versucht zu fliehen, wer kann, doch diese Somalierin mit kanadischem Pass, wohlhabend und geschäftstüchtig, hat sich von Toronto auf den beschwerlichen Weg nach Mogadischu gemacht, das von keiner anerkannten Fluggesellschaft mehr angeflogen wird. Ihr Ziel ist verwegen, möchte sie doch das Haus der Eltern wieder in Besitz nehmen, das diese in einem einst bürgerlich gepflegten Viertel der mittlerweile fast vollständig zerstörten Metropole errichtet hatten. Aber um bis zum Haus vorzudringen, muss sie die Reviere rivalisierender Warlords passieren, die Grenzstationen mitten in der Stadt, die von unberechenbaren Milizionären bewacht werden, und Straßensperren, errichtet von Schutzgelderpressern, umgehen. Gesetzt, sie würde, mutig und raffiniert wie sie ist, mit Bestechung und Kühnheit all dies zuwege bringen, auch dann wäre noch nichts gewonnen, denn das Haus hat sich der berüchtigte Warlord Gudcur unter den Nagel gerissen.
Warum verlässt Cambara Kanada aus freien Stücken, um nach Somalia zurückzukehren? Zum einen ist diese Frau von Natur aus trotzig, rebellisch, durchsetzungsstark. Zum anderen hält sie nichts mehr in Kanada; ihr Sohn ist im Swimmingpool ertrunken, während sich ihr Mann, der ihn beaufsichtigen sollte, mit einer Geliebten im Haus vergnügte. Da ihr eigenes Kind gestorben ist, macht sie sich auf in jene Welt, die sie selbst als Kind mit ihren Eltern verlassen hat.
Nuruddin Farah, 1945 in Somalia geboren, ist einer der bekanntesten Erzähler Afrikas. Vom Diktator Siad Barre in Abwesenheit zum Tod verurteilt, lebte er seit seinem 30. Lebensjahr als Flüchtling in Italien, Deutschland, den USA, in Nigeria, Gambia, Äthiopien. Gerade wurde er in die Jury der diesjährigen Berliner Filmfestspiele berufen. In zwei Romantrilogien, die in viele Sprachen übersetzt wurden und ihn zum seriösen Anwärter auf den Nobelpreis machten, hat sich Farah mit Somalia auseinandergesetzt; mit einem Land, dem die Vergangenheit von den Kolonialherren und ihrem Kampf gegen afrikanische Traditionen geraubt wurde und dem eine Zukunft droht, in der sich die Schlächterei endlos fortsetzt. Die Briten, Italiener und Franzosen hatten das Land einst willkürlich aufgeteilt – bald nach der Wiedervereinigung der Landesteile von 1960 ist Somalia jedoch ausgerechnet entlang dieser abstrusen Grenzen in die Reviere der großen Clans mit ihren zahllosen Unterclans zerfallen. Was von den Europäern blieb, ist der Hass der Somalis aufeinander. Wo der Staat als Erfindung einer gewaltsam ins Land gebrachten Moderne zerschlagen wurde, gewährte vorerst nur der Clan dem Einzelnen noch Schutz.
Nuruddin Farah hat in seinen Romanen die Kolonialherren stets kompromissloser Kritik unterzogen. Voller Wut und Enttäuschung geht er aber auch mit den afrikanischen Machthabern zu Gericht, und namentlich das Clan-Wesen, jene Herrschaftsform, die den Mythos der Blutsverwandtschaft blutige Realität werden ließ, wurde er nicht müde anzuprangern. In seinem großen Roman „Links” hat er 2005 gezeigt, was die totale Familiarisierung der Gesellschaft gebracht hat: ein aberwitzig kompliziertes System von Abhängigkeiten, das jede demokratische Regung im Keim erstickt.
Mit „Links” hängt sein neuer Roman „Netze” über manche Figur zusammen. Farahs ganze Verachtung gilt jetzt nicht mehr den Clanhäuptlingen, deren Macht in den letzten Jahren niederging, sondern zwei miteinander verfeindeten Usurpatoren. Mogadischu ist eine Stadt, „die einerseits den Machenschaften der Warlords zum Opfer gefallen ist, andererseits den seltsamen Verfahren der Mullah-Gerichte, die sich auf göttliche Unterstützung berufen”. Skrupellose Kriegsfürsten und islamistische Sittenwächter – diese zwei teilen sich die Beute Somalia, Cambara kann es schon bei der Fahrt vom Flughafen in die Stadt erkennen. Überall Straßensperren, Jugendliche in phantastischer Montur, berauscht vom fortwährenden Khat-Kauen, aus der Bahn geworfene, gefährliche Kinder, die bereit sind, jederzeit zu morden: „Da sind sie und schwenken ihre Gewehre über dem Kopf, zwei von ihnen sind fast nackt, und ein dritter stolpert, weil er sich in seinem Sarong verheddert hat, der ihm bis auf die Knöchel gerutscht ist. Sie haben die Gewehre schussbereit im Anschlag, und einer von ihnen spielt offenbar eine Szene aus einem Film nach.” Die jungen Burschen gefallen sich in obszönen Gesten, von den Frauen wird jedoch erwartet, dass sie die Augen sittsam niederschlagen und sich unter einer Kleidung verbergen, die „wie ein Zelt den ganzen Körper umschließt”. Seltsame Straßenmärkte fallen der entsetzten Cambara auf, Second-Hand-Läden, die gebrauchte Schleier verkaufen, sind aus dem Boden geschossen, seitdem die Islamisten versprechen, sie würden die Warlords richten, und dem Land ihren bigotten Frieden aufzwingen.
Cambara geht ihren Weg, und je weiter sie sich in den Moloch Mogadischu vorwagt, umso zuversichtlicher wird sie. Denn wo die Gangsterbanden, die bewaffneten Trupps, die Meute der religiösen Wächter unübersehbar sind, dort gibt es auch eine unsichtbare Armee: die Frauen. Eines ihrer Netzwerke heißt „Frauen für den Frieden”, in ihm haben sich wirtschaftlich erfolgreiche, gebildete Frauen, die es in Somalia offenbar noch immer gibt, zusammengeschlossen, um mit ihren unwissenden und armen Schwestern eine andere Gesellschaft heranzubilden. Somalia, davon ist Nuruddin Farah überzeugt, wird neu erstehen, wenn nur erst die Frauen, denen die Warlords und die Islamisten gleichermaßen verhasst sein müssen, das Sagen haben. Die Warlords rauben den Frauen die Söhne, die Männer, aus denen sie marodierende Gardisten machen, den Islamisten gelten sie als minderwertig, als das bedrohliche Geschlecht.
Werden die Frauen Somalia retten? So plakativ gesagt, klingt das naiv. Doch zeigt Nuruddin Farah in unzähligen Episoden, wie sich ein spezifisch weiblicher, dem Leben zugewandter Widerstand rührt. Als Erstes heuert Cambara, die viel Geld hat, einen abenteuerlichen Haufen junger Leibwächter an. Sie hat selbst erfahren, wie gewissenlos diese Jugendlichen sind, von denen jeder bereits Morde, Plünderungen, Gewalttaten auf dem Kerbholz hat. Sie stellt sie als Leibwächter ein, aber sie beginnt sie zu erziehen, und siehe, schon nach wenigen Tagen schlüpfen aus den wilden Killern ängstliche, verletzte, sich nach Zuneigung und Belehrung sehnende Kinder, die staunend zur Kenntnis nehmen, dass man sich auch waschen und seine Unterkunft sauber halten kann. Dann beginnt Cambara die Aufführung eines Theaterstücks zu planen, ein ungeheurer Skandal für die Islamisten und ein Projekt, dem sich immer mehr Leute anschließen. Kleine Inseln der Zivilisation entstehen so im Meer der Barbarei ringsum, und was sich unwiderleglich erweist, ist dies: dass die Menschen sich nach Frieden sehnen und es sich nicht auf ewig gefallen lassen werden, dass unablässig zum Nutzen weniger Gewinnler Krieg geführt wird.
„Netze” ist ein spannender Roman, der uns Dinge einprägsam vor Augen führt, von denen wir sonst nur ratlos aus den Schreckensmeldungen der Medien erfahren. Leider versammelt der psychologisch fein nuancierte Roman auch fast alle Schwächen, für die der Erzähler Farah bekannt ist. Dieser Autor hat kein Auge für erzählerische Ökonomie, er muss alles so detailreich wie möglich ausbreiten, neigt zur Umständlichkeit und zu Vergleichen, die im Einzelnen originell, in Serie aber enervierend wirken. Wenn Cambara sich ärgert, heißt es ebenso unmotiviert wie kryptisch: „Unerklärlicherweise ist sie verärgert, als wäre sie ein Naturschützer, den der Gedanke beunruhigt, unwissentlich für die Einschleppung fremder Pflanzen verantwortlich zu sein, die das Überleben der indigenen Arten gefährden.” Auf so hochkomplexe und moralische Weise werden sich wahrscheinlich nicht viele ärgern. Farah aber hat eine Vorliebe für derlei Vergleiche, seitenweise könnten sie hier zitiert werden. Das mindert ein wenig die Wirkung dieses vielschichtigen Romans, der an einem Ort der Verdammnis spielt und doch von Rettung erzählt. KARL-MARKUS GAUSS
NURUDDIN FARAH: Netze. Roman. Aus dem Englischen von Reinhild und Gunter Böhme. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 484 S., 28,80 Euro.
Ein Land im Würgegriff von skrupellosen Kriegsfürsten und islamistischen Sittenwächtern
Im Meer der Barbarei ringsum entstehen kleine, hoffnungsvolle Inseln der Zivilisation
Nuruddin Farah ist einer der bekanntesten Erzähler des modernen Afrika. Gerade wurde er in die Jury der Berliner Filmfestspiele berufen. Foto: action press
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»Ihre Kraft beziehen die Bücher Farahs aus ihrem Stoff. Wie seine Vorgänger, so ist auch dieser Roman einer der Visionen, denn afrikanische Autoren, so der Autor, schrieben nicht für die Gegenwart, sondern für die Zukunft.« Sabine Berking Frankfurter Allgemeine Zeitung 20091204