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»Seit langer Zeit empfinde ich so etwas wie Glück, und da kommt das schlechte Gewissen - denn sobald ich an Dich denke und an die Umstände, unter denen Du existierst, habe ich das instinktive, anerzogene oder angeborene Pflichtgefühl, ich hab da zu sein, wo Du bist.« Der Wunsch, wieder bei ihrem Ehemann zu sein, erfüllte sich für Annemarie Meier-Graefe indes nicht. Im Juni 1950 hatte sie das Passagierschiff »Queen Mary« nach Europa genommen. Hermann Broch wollte bald folgen. Zwei Jahre lebte das Ehepaar durch den Atlantik voneinander getrennt, dann stirbt Broch im amerikanischen Exil. Der Tod…mehr

Produktbeschreibung
»Seit langer Zeit empfinde ich so etwas wie Glück, und da kommt das schlechte Gewissen - denn sobald ich an Dich denke und an die Umstände, unter denen Du existierst, habe ich das instinktive, anerzogene oder angeborene Pflichtgefühl, ich hab da zu sein, wo Du bist.« Der Wunsch, wieder bei ihrem Ehemann zu sein, erfüllte sich für Annemarie Meier-Graefe indes nicht. Im Juni 1950 hatte sie das Passagierschiff »Queen Mary« nach Europa genommen. Hermann Broch wollte bald folgen. Zwei Jahre lebte das Ehepaar durch den Atlantik voneinander getrennt, dann stirbt Broch im amerikanischen Exil.
Der Tod im Exil ist der bewegende Briefwechsel des in den USA innerlich vereinsamenden Autors Broch mit seiner wesentlich jüngeren Frau, die in Europa ihre Heimat wiederfindet und sich mit viel Energie und Lebensmut eine neue Existenz aufbaut. Nur selten finden die zwei Stimmen zu einem Gleichklang. Ihre Lebenserwartungen und Zukunftspläne erweisen sich als unvereinbar. Mit seinen Sehnsüchten, Befürchtungen, Vorwürfen und Hoffnungen ist dieser Briefwechsel auch ein beeindruckendes Zeitdokument der Jahre 1950/51 - Annemarie Meier-Graefes Berichte aus Frankreich und Deutschland lesen sich wie zeitkritische Feuilletons -, als die Folgen von Krieg und Holocaust noch überall sichtbar waren und in Korea eine neue Weltkrise begann.
Autorenporträt
Broch, HermannHermann Broch wuchs in Wien auf, leitete zwanzig Jahre lang die Textilfabrik seiner Familie, begann 1927 mit dem Leben als freier Schriftsteller, musste als Jude nach dem 'Anschluss' von 1938 aus Österreich fliehen. Er emigrierte im gleichen Jahr in die USA, wo er anfänglich in New York lebte. 1942 wurde Princeton, New Jersey, sein fester Wohnsitz. 1949 siedelte er über nach New Haven, Connecticut, wo er Kontakte zur Fakultät der Yale University hatte; im dortigen German Department wurde er Lektor ehrenhalber. 1951 erlag er einem Herzschlag.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.06.2001

Atlantisches Ehebündnis
Der Briefwechsel zwischen Hermann Broch und Annemarie Meier-Graefe · Von Eberhard Rathgeb

Der Schriftsteller Hermann Broch sitzt in New Haven und arbeitet sich zu Tode. Am 30. Mai 1951 stirbt er mit vierundsechzig Jahren. Seine Frau ist nicht bei ihm. Annemarie Meier-Graefe ist neunzehn Jahre jünger als er. Sie hat ihn vor rund einem Jahr verlassen. Seit Juni 1950 wartet sie in Frankreich darauf, daß ihr Ehemann nach Europa reist. Broch verspricht es ihr immer wieder. Doch er verläßt seine Arbeitszelle nicht. Er findet keine Verschnaufpause: Seine Intellektualität ist dialogisch und verweigert sich der Gegenwart nicht. Seine Hilfsbereitschaft ist ausufernd, und er beantwortet jeden Brief. Er leidet unter seinem unbeugsamen Pflichtbewußtsein, das ihn seit seiner Jugend an die Kandare nimmt. Seine Geldnot ist beklagenswert, noch im Alter muß er schuften wie ein Dreißigjähriger.

Ein Jahr schreiben Hermann Broch und Annemarie Meier-Graefe einander Briefe. Sie schreiben häufig, weil sie sich um den anderen sorgen, und sie schreiben ausführlich, weil sie sich vor dem anderen behaupten möchten. In diesem einen Jahr werden sie schaffen, was sie in den über zehn Jahren, die sie sich kennen, nicht geschafft haben: Sie werden einsehen, daß sie nicht füreinander gemacht sind. Die Briefe sind lang, doch zu kurz für die Strecke, die beide trennt. Aus den Sätzen werden rasch Bastionen, hinter denen zwei Ehe-Gespenster sich verschanzen.

Der Herzschlag, der Brochs Leben beendet, kommt nicht aus heiterem Himmel. Schon vier Wochen zuvor wird der ruhelose Schriftsteller mit einer Herzattacke ins Krankenhaus gebracht. Dort aber halten ihn die verordneten Schlaftabletten nicht lange im Bett. Die Panik, sein Arbeitspensum nicht zu schaffen, sowie die Geldnot treiben ihn bald wieder zurück zum Dienst am Schreibtisch in seinem kleinen Appartement.

Seine Frau hat in Saint-Cyr-sur-Mer ein einsam gelegenes Landhäuschen erworben und hergerichtet. Hier möchte sie mit ihrem Mann leben. Broch aber wittert darin den Moder des lichtlosen Ehekäfigs und schiebt die Reise nach Frankreich immer wieder hinaus: Die Arbeit an den Romanen, die etwas Geld bringen, und an deren schwierigen Übersetzungen sowie - die größte seiner späten Hoffnungen - der Abschluß der Erkenntnistheorie verhinderten die Abfahrt. Seine Frau ahnt die Nöte ihres berühmten Mannes, möchte sich aber einem Arbeitsprogramm nicht opfern, das zum gemeinsamen Glück nicht taugt. "Ich führe ein Hundedasein, mit all meinem Können und all meinem sogenannten Ruhm. . . All das ist Dir bekannt, und daß Du es mich, ungeachtet meiner Anstrengungen, wiederholen läßt, ist verwunderlich", schreibt Broch am 5. Dezember 1950.

Annemarie Meier-Graefe und Hermann Broch lernen sich 1937 in Wien kennen. Sie ist zweiunddreißig Jahre alt, Broch einundfünfzig. Mit neunzehn Jahren hatte sie den Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe geheiratet. Der Mann war rund dreißig Jahre älter als sie. Er stirbt 1935. Auch Hermann Broch kennt die Ehe aus eigener Erfahrung. Im Jahr 1909 heiratete er Franziska von Rothermund. Die Ehe wird 1923 geschieden. Broch verläßt Österreich 1938 und kommt über England und Schottland in die Vereinigten Staaten. Zwei Jahre lebt er in Kalifornien. Darauf zieht er nach Princeton, lebt abwechselnd in New York. Er trifft hier Annemarie Meier-Graefe wieder, die 1941 nach Frankreich geflohen war. Sie verdient sich ihren Lebensunterhalt als Graphikerin für Modehäuser. Bei ihr wohnt er, wenn er in New York ist.

Annemarie Meier-Graefe besteht 1949 auf einer Heirat. Damit hat sie nichts gewonnen. Broch besteht ein halbes Jahr vor der Eheschließung auf einem Ehe-Abkommen. Damit hat er nichts verloren. Auf eine wirkliche Ehegemeinschaft mit ihren Zwängen und Zumutungen, unter denen seine schriftstellerischen Aufgaben leiden würden, möchte Broch sich nicht einlassen. Die beiden Eheleute versprechen sich gegenseitig völlige Freiheit in der Lebensführung.

Nur sechs Monate nach dieser überflüssigen Heirat packt Annemarie Meier-Graefe die Koffer. Einige Jahre lebt sie nun schon in falscher Zweisamkeit. Broch nimmt seine Frau nur wahr, wenn er vom Manuskript aufschaut, was selten geschieht. Die intellektuellen Kapazitäten der beiden sind inkompatibel. Die Heirat hat daran nichts geändert. Das hätte sie voraussehen können. Die hektische Flucht ist der einzige Weg, sich aus einer Randexistenz vor dem Schreibtisch Brochs zu retten. "Dieses sich Nur-Sehen unter äußerster Gehetztheit, unter äußerster Überanstrengung, ist ein solches Unrecht, daß es besser ist, ich bin gegangen, und so komm ich immer wieder auf den Anfang all unserer Diskussionen, und das einzige, was ich weiß, ist, daß ich nicht so weiterleben kann, weil es mich zerbricht." Das schreibt sie ihrem Mann am 25. Juni 1950, und zwar auf dem Schiff, das sie nach Europa bringt.

Noch hofft sie auf ein Wiedersehen. Nicht in New York, wo sogar die Luft dem Leben nicht bekommt, sondern in Südfrankreich, wo sie schon mit ihrem ersten alten Ehemann lebte. Es kommt das erste Weihnachten in der Einsamkeit, und die Traurigen werden noch trauriger, und Annemarie Meier-Graefe begräbt den Gedanken, daß sie und Broch zusammenfinden werden. Das schreibt sie ihm. Zwei Wochen darauf leuchten wieder die Sterne: "Ich hab dich geliebt, wahrscheinlich bis zum Wahnsinn, und folglich bin ich geblieben und bleibe weiter, weil ich sonst überhaupt nicht leben will, und deshalb weil ich immer noch hoffe, daß es nicht zu spät ist, nehme ich auch jetzt dies alles auf mich." Broch ist gerührt, hadert mit den Göttern seines Lebenswerks und bewegt sich nicht vom Fleck.

Am 22. Mai 1951 nutzt er die Stunde, da die unerbittlichen Götter ein Nickerchen halten. Er zieht Bilanz, rechnet fest damit, nur noch ein, zwei Jahre zu leben. An dieser Aussicht läßt er seine Frau teilhaben und schwenkt milde und todmüde in den gefürchteten Ehe-Alltag ein: "Mein Fehler bei alldem: ich meinte, wenigstens einiges verwirklichen zu können, ehe ich wegfahre, d. h. ich überschätze meine Energie und unterschätze die äußeren Schwierigkeiten." Er werde in einigen Tagen seine Sachen, die er nicht mitnehme, in Kisten packen und sich um einen Schiffsplatz kümmern. Ein geschlagener Broch - auch der Nobelpreis wurde ihm nicht verliehen - macht sich auf, die Fron des Geistes zu verlassen und in die niedrigen vier Wände des Ehelebens einzuziehen. Der Tod fährt dazwischen. Hermann Broch bleibt in New Haven.

Er hätte ihr Vater sein können: Nicht nur der Altersunterschied verhindert, daß Hermann Broch und Annemarie Meier-Graefe ein Ehepaar werden. Das Glück der Zufriedenheit ist ihm ein Fremdwort, weil sein Arbeitsethos Gedankenlosigkeit nicht zuläßt. Seine Frau dagegen übersetzt das Glück in ein intellektuell bescheidenes Leben und findet Freude beim Malen. Der Ort seiner unruhigen Existenz liegt gefährlich nahe am Tod, der die Erlösung bringt. Sie schwärmt vom naturbelassenen Nest in einer unwirtlichen Welt, in dem man die Erfüllung finden kann. An seiner Grundstimmung, sich den Anforderungen seiner künstlerischen und philosophischen Werkes bedingungslos zu stellen und seiner Mitwelt gerecht zu werden, brechen sich die kleinmütigen Daseinsfreuden. Dafür nimmt sie für sich und andere am Leben der selbstgenügsamen Katzen Maß.

Broch teilt manchmal herb aus, weil er nichts wortlos einstecken mag, was die Maßstäbe zwischen ihnen beiden verrückt. Empört weist der Alte, der seinen Schwächen unerbittlich nachgeht, seine Frau wegen ihrer "Ignoranten-Ansichten" über seine Neurose in die Ecke. Damit bagatellisiere sie seine "schwere Ernsthaftigkeit". Broch kennt die Psychoanalyse aus der eigenen Therapie. Vor der Seele seiner Frau schließt er nicht die Augen. Hinter ihren fahlen Ansichten über seine psychische Konstitution lodere das Rachebedürfnis der Frau, das durch den altersbedingten "Sexualzusammenbruch" des Mannes angeheizt werde.

Broch zieht alle psychoanalytischen Register: Ihre Psyche sei von einem Tochter-Vater-Komplex beherrscht, sie suche im Mann nur den Gebieter. Das merke man auch an ihrem "Sexualgehabe". Annemarie Meier-Graefe wankt, weicht einen Schritt zurück und bietet darauf Paroli. Broch sei hochmütig und nicht in der Lage, ein Gespräch mit ihr zu führen. Er verheddere sich in einem Monolog mit einem Geisterwesen. Sie schreiben und streicheln sich, nicht gegenseitig, sondern selbst. Sie umarmen sich wie treue Freunde, und sie balgen und schlagen sich - er nennt es "zupfen", sie spürt darin die Trennungsschmerzen. Sie winken einander zu, während sie sich immer weiter voneinander entfernen. Sie beteuert überschäumend ihre Liebe, und er hält konstant seine Zuneigung fest. Die Probleme des Alltags sind Lücken, durch die man sich noch sehen kann.

Sie erzählt mehr als er, unter anderem von ihrem Haus, wo sie allein wohnt. Sie beobachtet Land und Leute. Der Schriftsteller lobt diese Reisefeuilletons, nennt sie "pastellös". Er berichtet von Vorfällen, den Darmbeschwerden, denen er mit Buttermilch nicht beikommen kann, und seinem Bluthochdruck, den er senkt, indem er das Pfeifenrauchen einschränkt. Gespräche mit gemeinsamen Bekannten und Freunden werden zusammengefaßt. Gerne wiederholt er, daß die Arbeit und die Korrespondenz ihm über den Kopf wachsen. Er zählt seine kleinen beruflichen Aussichten an der Universität auf, weil mit ihnen die Chancen steigen, den Nobelpreis zu erhalten. Ein intellektuelles Gespräch führen die beiden nicht.

Daß Hermann Broch und Annemarie Meier-Graefe Tausende von Kilometern getrennt voneinander leben, scheint die wichtigste Bedingung dafür zu sein, daß sie noch aneinander festhalten. Der rege Postverkehr aber täuscht. Die Briefe sind Abschiedsbriefe. Sie geht weg, weil sie nicht zu ihm findet. Er geht weg, weil er sich alleine auf das Sterben vorbereitet. Es sind nur noch ein paar Schritte, bevor sie ganz voneinander loskommen werden. Sie möchten einander nicht wirklich weh tun. Sie schreiben mit Kummer, zwei Menschen im Exil ihrer Einsamkeit. Paul Michael Lützeler, der verdienstvolle Herausgeber der Werke Hermann Brochs, die leider nicht mehr vollständig lieferbar sind, hat dieses Gespräch über den Atlantik hinweg zum fünfzigsten Todestag des Schriftstellers dankenswerterweise herausgegeben.

Hermann Broch/Annemarie Meier-Graefe: "Der Tod im Exil". Briefwechsel 1950-51. Herausgegeben von Paul Michael Lützeler. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001. 450 S., geb., 58,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Peter Böthig gesteht dem Briefwechsel, den Broch in seinem letzten Lebensjahr mit seiner Ehefrau geführt hat, zwar zu, "bemerkenswerte Einsichten in den Alltag" des Schriftstellers zu bieten. Doch stellt er etwas enttäuscht fest, dass die Briefe keinerlei Erkenntnisse zu seinem schriftstellerischen Werk bieten und Broch in ihnen eher eine "klägliche" Figur abgibt, die mit dem alltäglichen Leben kaum noch zurecht kommt. Zu den lesenswerten Teilen des Buches zählen für Böthig die Briefe von Annemarie Meier-Graefe, die er für ihre "analytische Schärfe" und die "bezaubernden" Beschreibungen der Vorzüge ihres Wohnsitzes in Südfrankreich lobt. Viel interessanter als die Briefe sei aber insgesamt gesehen die "hervorragende Kommentierung", sie sei "spannender als der Haupttext", so der Rezensent abschließend.

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