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Gyula Krúdy erzählt von der "schönen alten Welt" der k.u.k. Monarchie und dem zumeist vermögenslosen oder verschuldeten Adel.

Produktbeschreibung
Gyula Krúdy erzählt von der "schönen alten Welt" der k.u.k. Monarchie und dem zumeist vermögenslosen oder verschuldeten Adel.
Autorenporträt
Gyula Krúdy (1878 - 1933) war einer der bedeutendsten ungarischen Prosaautoren. Der Sohn eines kleinadeligen Anwalts und einer Bauerstochter konnte wie kaum einer Romantik und Realismus, den nostalgischen Impressionismus des Fin de siècle und feine Ironie verbinden.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.01.2000

Beim Gabelfrühstück von den alten Zeiten zehrend
Auf die Einzelheiten muss man besser Acht geben: Zwei Romane des ungarischen Flaneurs Gyula Krúdy
Während jemand träumt, hat er einen anderen Eindruck von seinem Traum als nach dem Aufwachen. Im Traum war er vielleicht froh über etwas, das ihm danach erschreckend vorkommt – oder umgekehrt.
Mit Büchern gibt es diese beiden Zustände auch: das Erlebnis während der Lektüre und spätere Erinnerung. Was die Romane Gyula Krúdys anbelangt, ist das, was zurückbleibt, das Angenehme.
Während der Lektüre liegt zu viel im Weg: kleine Schuhe, Damenhändchen, Lederhandschuhe der Herren, ständig tauchen neue Gesichter auf, allmählich verdecken sie sich gegenseitig, wie sich auch die vielen Einzelgeschichten, die Krúdy zusätzlich in die Romanhandlung einschiebt, einander gegenseitig auszulöschen drohen. Es gibt auch viele Bilder von Straßen, Brücken, dem Donauufer, denn die beiden Teile der Hauptstadt, Buda und Pest, sind Hauptakteure, sie liefern ein Bild der Vergangenheit.
Um die Vergangenheit geht es in „Die rote Postkutsche” und in „Meinerzeit”, und im gesamten Werk von Gyula Krúdy (1878 – 1933). Obwohl Krúdys Helden in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts auftreten, sind sie vor allem am Vergangenen interessiert. Nicht aus Nostalgie: Was sie bewegt, ist das schwere Herz, eine Art Aussichtslosigkeit.
In Meinerzeit” begeben sich drei Personen an einem kalten Wintervormittag in ein gut bekanntes Gasthaus, zum Gabelfrühstück, sie sind dort die ersten Gäste. Sie sind Zuschauer, während die anderen Gäste ankommen, sich vorstellen und gleich nach ihrem Auftritt ihre Ansichten vortragen, als sei das Gasthaus eine Bühne. Jeder charakterisiert sich selbst. Dann, am späten Nachmittag, gehen alle nacheinander und verabschieden sich ähnlich prononciert, wie sie sich vorgestellt haben.
Der Roman spielt gewissermaßen ein Theaterstück vor, ein Stück, in dem die Gäste von ihrer Zeit und Umgebung erzählen, wobei sie fast alle von früheren Zeiten schwärmen, von der schönen Jugendzeit. Die „Selige Jungherrenzeit”, so die wörtliche Übersetzung des ungarischen Titels, hatte Krúdy 1933, vier Jahre vor seinem Tod geschrieben. Nach diesem breit erzählten Roman experimentierte der unermüdliche Vielschreiber sogar noch mit Dokumentarromanen – bei allen seinen Arbeiten versuchte er die reale Welt mit einer idealen zu paaren.
Nachträglich, wie gesagt, ist es schön, sich an die Gasthausszenen zu erinnern, die Konturen sind klar. In der Lesewirklichkeit muss man alle Zwischentöne ertragen, es geht um kleinere und größere Streitigkeiten, um Konkurrenzkämpfe und Intrigen. (Wobei ein unvergesslicher symbolisch-realistischer Hahn mitspielt, mitkämpft, indem er beinahe die ganze Zeit unterm Tisch sitzt. )
Einzelne Sätze, einzelne winzige Geschichten sind die Perlen in diesem Roman. Die Kleinstteile sind wichtig, die Mikrogeschichten. Selbst Sätze, die in Klammern stehen, wölben sich aus diesen hervor: „Selbstverständlich hatte der Maestro vor seinem Weggang mit dem Altkellner abgerechnet. Auf die Einzelheiten muss man besser Acht geben als auf die großen Dinge, denn aus Einzelheiten ist das Leben zusammengezimmert. ”
Präsidenten, Hilfsstuhlrichter, reiche Kaufleute, Barbiere sitzen in der „Stadt Wien”, inkognito geht auch ein Fürst durch die Stube, doch unterschwellig handelt der Roman vom Fremdsein in der Hauptstadt Ungarns. Krúdy, er stammte aus dem Nordosten des Landes, kam erst mit zweiundzwanzig nach Budapest, und den scharfen Blick des Außenseiters hat er nicht nur bewahrt, mit diesem Blick hat er die Stadt immer schärfer ausgeleuchtet. „Im Grund schaute er sich mit einer ironischen Überheblichkeit um und versuchte, seine Helden Schritt für Schritt zu entlarven”, schreibt einer seiner Biografen.
„Meinerzeit” hatte Krúdy 1929 geschrieben, „Die rote Postkutsche” 1913. Das Rückwärtsschreiten in seinem Werk, dass hier also zunächst vom späteren, und dann erst vom früheren Roman die Rede ist, hätte dem Autor sicher gefallen. „Weißt du, dass es auf der Welt einen Krieg geben wird? Schon seit einem halben Jahr kündigen meine Karten und meine Sterne den Krieg an”, sagt Madame Louise, die in der Hauptstadt einen Salon führt, in dem feine Herren „heimlich” ihre Damen treffen. Sie ist eine weltoffene und praktische Frau, glaubt aber an Karten und an die Sterne. Mit ihren Unheil verkündenden Sätzen – auf den letzten Seiten des Romans, so dass rückwirkend ein Schatten über die ohnehin schattenreichen Vorgeschichten fliegt – behält sie Recht. Ein Jahr später bricht der Erste Weltkrieg aus.
Herr ohne Schatten
Neben der Kartenspielerin treten glaubwürdige-unglaubwürdige Figuren auf. „Im Sonnenlicht eines Mittags machte Irma Krónprinc von einem Fenster aus die Entdeckung, dass der fremde Herr auf dem Schnee keinen Schatten warf. ” Tatsächlich stellt sich heraus, dass jener Herr aus dem Jenseits zu Besuch gekommen war. Und was das Alter der wichtigsten Romangestalt betrifft, des Besitzers der roten Postkutsche, gibt es keine eindeutige Antwort. Er lebt seit Ewigkeiten, seine Erinnerungen reichen in tiefe, adlige Vergangenheiten zurück, andererseits verfolgt er mit einem geradezu jugendlichen Interesse die Ereignisse der Weltwirtschaft. Er heißt Eduárd Alvinczi und hat einen dichtenden Assistenten, der sich seinerseits selbst erneuert: Als er seinen Tod kommen sieht, beauftragt er einen Jüngeren, der seinen Namen und seine dichtende Dienerrolle übernehmen soll. Auch die zweite Hauptfigur, ein Bücher- und Frauenliebhaber, versucht es mit dem ewigen Leben, indem er sich zum Buddhismus bekennt. Diese unterschiedlichen Ewigkeiten unterstützen die ewigjungen Frauen mit ihren Küssen, die nach Mandeln schmecken, immer neu tauchen sie betörend auf und verschwinden irgendwo in ihrem eigenen Alter.
Wonach sich all diese Gestalten auch sehnen mögen, nach der Ewigkeit oder nach der Vergangenheit, Krúdy zeichnet lebendige Zeitzeugen, die neuen Bürger der Hauptstadt: „In den kleinen Gärten können am Abend die Fräulein still auf ihren Anbeter warten; das spöttische und scharfe Gelächter der Pester Judenmädchen ertönt nicht mehr. ”
Beide Romane liegen in schönen Übersetzungen vor, in unterschiedlichen Sprachen: sie stammen aus verschiedenen Werkstätten. Den winterlichen Bühnenroman hat die in Rom lebende Christina Viragh übertragen. Die Rote Postkutsche” ist eine ältere Arbeit, übersetzt von dem inzwischen verstorbenen György Sebestyén, der als einer der ersten zum Beispiel auch Tibor Déry auf Deutsch vorgelegt hatte. Krúdys humorig-zynischer Ton ist in den deutschen Versionen aber leider noch nicht enthalten.
Hinzufügen sollte ich noch – sagte mir ein Freund –, dass der adlige Krúdy 190 Zentimeter groß war, ein Frauenheld, Alkoholiker, und er arbeitete, wie es heißt, vorwiegend nachts. Seine perlenhaften Buchstaben schrieb er mit lilafarbener Tinte. Allerdings haben die zwei Romane jeweils ein Nachwort, in dem viel mehr über diesen Autor geschrieben steht.
ZSUZSANNA GAHSE
GYULA KRÚDY: Die rote Postkutsche. Roman. Aus dem Ungarischen von György Sebestyén. Mit einem Nachwort von Mihály Szegedy-Maszak. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1999. 398 S. , 19,80 Mark.
–: Meinerzeit. Roman. Aus dem Ungarischen von Christina Viragh. Mit einem Nachwort der Übersetzerin. dtv, München 1999. 233 Seiten, 24 Mark.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Karl-Markus Gauss bespricht das Buch in einem ausführlichen Artikel über den "habsburgischen Mythos" zusammen mit mit Gyula Krudys "Meinerzeit" (dtv), Sandor Marais "Die Glut" (Piper-Verlag) und Dezsö Kosztolanyis "Anna Edes" (Aufbau-Taschenbuch-Verlag).
1) Gyula Krudy: "