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über die Moderne nachdenken heißt über das Ich nachdenken. über das Ich nachdenken heißt, seine Geschichte zu rekonstruieren. Sie verläuft, so die Generalthese des Buches, auf drei sich überlagernden Ebenen und macht das Ich zum hochambivalenten, männlich geprägten Helden der Moderne. Dies nachzuweisen ist allerdings nicht nur ein philosophisches, sondern auch ein kulturhistorisches Unternehmen. Für letzteres bietet sich hier der Bereich des Films an. Der Bogen der Betrachtung spannt sich philosophisch zunächst von der klassischen, sich selbst begründenden Moderne über die romantische, agonale…mehr

Produktbeschreibung
über die Moderne nachdenken heißt über das Ich nachdenken. über das Ich nachdenken heißt, seine Geschichte zu rekonstruieren. Sie verläuft, so die Generalthese des Buches, auf drei sich überlagernden Ebenen und macht das Ich zum hochambivalenten, männlich geprägten Helden der Moderne. Dies nachzuweisen ist allerdings nicht nur ein philosophisches, sondern auch ein kulturhistorisches Unternehmen. Für letzteres bietet sich hier der Bereich des Films an. Der Bogen der Betrachtung spannt sich philosophisch zunächst von der klassischen, sich selbst begründenden Moderne über die romantische, agonale Moderne bis zur hybriden Moderne. Kulturell gespiegelt finden sich diese drei Traditionsstränge in den Filmgenres des Western, des Verbrecherfilms und des Science-fiction-Films. Die Moderne erweist sich so als Kampf des (männlichen) Ich mit und gegen sich selbst, und der Diskurs der Moderne erhält eine essentiell romantische Dimension.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.08.2004

Showdown der Steckenpferde
Josef Früchtl verbindet den Western, Habermas und die Moderne

Die Zeit des Films geht zu Ende, denn Josef Früchtl hat sich seiner angenommen. Das klingt etwas polemisch, aber er sagt es tatsächlich selber so. Wie weit die Abenddämmerung des Filmes schon vorangeschritten ist, zeige sich daran, daß die Eule der philosophischen Theorie definitiv zu ihrem Flug angesetzt habe. Speziell er tue seinen Glauben kund, einstweilen genug getan zu haben, um den Film als legitimen Nachfolger des Romans, als den angemessenen Ausdruck einer nachbürgerlichen, massendemokratischen Gesellschaft auszuweisen. Denn zu einem guten Teil sei bei ihm das Projekt realisiert, eine "Theorie der Moderne und der Gesellschaft" mit einer "ästhetischen Theorie und speziell einer Formanalyse des Films" zusammenzuführen.

Die "Theorie der Moderne und der Gesellschaft" ist näher Darstellung einiger neuerer Philosophien des Subjekts. Denn "über die Moderne nachdenken heißt über das Ich nachdenken". Der Streit zwischen Habermas und Rorty habe hervortreten lassen, daß es sich bei der Moderne um ein ambivalentes Phänomen handelt. Im Ich als dem Prinzip der Moderne sei ein Gegensatz aufgebrochen zwischen Autonomie und Authentizität, zwischen deontologischer Moral und eudämonistischer Ethik, zwischen Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung. Mit dieser Ambivalenz umzugehen, gebe es aktuell drei Strategietypen. Habermas erweitert die klassische Moderne um Momente von Selbsterkundung und Expression, ohne freilich den Vorrang der liberalen Rechtsprinzipien anzutasten. Taylor und Rorty sehen im Rückgriff auf die Romantik zwischen dem Streben nach Glück und der Gerechtigkeit einen unauflöslichen Widerstreit. Und Foucault zielt darauf, den Widerspruch in permanenter Selbstschöpfung zu überwinden. "Kulturell am signifikantesten gespiegelt" findet Früchtl die drei Typen moderner Subjektphilosophie von den Filmgenres Western, Film noir und Science-fiction. Der Westernheld sorgt für die Durchsetzung des Rechtes und zieht dann als ewig Unbehauster in transzendentaler Traurigkeit weiter. Der Verbrecherfilm führt uns auf einen Weg hinab in die Tiefen des Selbst. Im Science-fiction können wir die Überwindung der Identitätszwänge vorwegnehmen.

Die emblematische Eule von Früchtls Minerva trägt mit einem Fuß Frankfurter Schulweisheit und mit dem anderen amerikanisches Unterhaltungskino. Bei beidem kennt er sich aus. Philosophisch möchte er das romantische Bewußtsein der Entzweiung stark machen, ästhetisch schlägt sein Herz für den Western. Das ist jedoch insofern kein Widerspruch, als zwar in der Systematik Habermas den Typus des Westernhelden repräsentiert, Früchtl aber unter den Western die desillusionierten, schwarzen bevorzugt.

Wirklicher Unfug wird aus dem Buch erst mit dem Anspruch, eine Ästhetik des Films als Theorie der Moderne zu geben. Und zwar in zweierlei Hinsicht. Es ist gewiß nicht so, daß Früchtl gegen Qualitätsunterschiede im Kino unempfindlich wäre. Aber es kommen ihm nirgends die leisesten Bedenken, daß er in seinen Filmstudien den Film als Kunst komplett ausklammert. Von Eisenstein, Dowschenko, Renoir, Ozu, Ray, Tarkowskij, Kurosawa, Godard, Rohmer, Kiarostami wird nicht einmal im Vorbeigehen gehandelt. Dabei sucht er doch in der Kunst das Selbstbewußtsein ihrer Zeit. Wo sollte das zu finden zu sein, wenn nicht in den avanciertesten Werken?

Tatsächlich ist das, was Früchtl durchaus plausibel als Essenz der von ihm geschätzten Hollywoodproduktionen behandelt, gerade nicht Ausdruck einer nachbürgerlichen Gesellschaft, sondern vollkommen der bürgerlichen Ästhetik verhaftet. Als Gegenstand des modernen Romans hatte Hegel, von Früchtl ausführlich zitiert, den Konflikt zwischen den Ansprüchen des Herzens und der zu institutioneller Festigkeit geronnenen Wirklichkeit gesehen. Und genau wie der Hegelianer Vischer es vorschlägt, begeben sich Western wie Krimi in der grauen Wirklichkeit an die noch kunstfähigen "grünen Stellen".

Der historischen Desorientiertheit steht eine systematische zur Seite. Früchtl behandelt Film als Ausdruck. Das hat natürlich damit zu tun, daß aus der Formel "Theorie der Moderne und der Gesellschaft" die Gesellschaft sich sofort zur "Masse" verflüchtigt, der gegenüber allein das titelgebende Ich thematisch bleibt. Moderne, das ist für Früchtl Theorie der Theorien des Subjekts. An der Welt ist er weniger interessiert. Aber eben nicht einmal im Kino. Jeder Film ist für ihn "Substitut des Glücks". Substituiert wird "die real nicht zugelassene Bedürfnisbefriedigung, speziell die Aggressionsbefriedigung". Als sei ihm bei solcher Konfession selber etwas unheimlich, flieht er auffällig in den Plural. "Wir sind Komplizen der Gewalt. Wir warten nur darauf, daß die Akteure aufeinander losgehen, wir wollen den Showdown." Und substituiert wird, was in der Wirklichkeit fehlt: "das Gefühl bedingungsloser, leidenschaftlicher Liebe".

Zwar sind dann auch für Früchtl die Filme die besseren, die zugleich die Unmöglichkeit des Glücks nicht verstecken. Doch das verschiebt die Identifikation nur auf den Westernhelden als den "unfreiwilligen Romantiker, dazu verdammt, ewig weiterzuziehen oder im Showdown seine Bestimmung, den Tod, zu suchen". Philosophisch fehlt hier das Bewußtsein, daß Kunst nie nur ausdrückt, sondern gleichermaßen Welt zeigt und Handlungen zur Diskussion stellt. Und ästhetisch wird ausgeblendet, daß der Film von Anfang an nie nur Imagination war, sondern wie die Fotografie immer zugleich auch Dokumentation. Kino mag "in sich romantisch" sein, das Gegenteil ist genauso richtig.

Über Steckenpferde soll man nicht streiten. Nur soll man sie bitte auch als Steckenpferde ihre Runden ziehen lassen und sie nicht zu geschichtsphilosophischen Kampfelefanten aufrüsten. Spätestens seit der Etablierung der Kulturwissenschaften muß sich gewiß niemand mehr schämen, seinen partikularen Vorlieben wissenschaftlich nachzugehen. Woher dann um alles in der Welt dieser Drang, was einem nun einmal gefällt, nicht einfach zu betreiben, allenfalls für es zu werben, sondern es gleich als Maß aller Dinge zu deduzieren? Vom Eingedenken der Natur im Subjekt, das Früchtl für die Zeit nach dem Film, die Epoche der digitalen Medien, prognostiziert, zeugt es jedenfalls noch nicht.

GUSTAV FALKE

Josef Früchtl: "Das unverschämte Ich". Eine Heldengeschichte der Moderne. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 421 S., br., 14,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Gustav Falke wünschte sich, Josef Früchtl hätte sein "Steckenpferd" in den eigenen vier Wänden geritten und nicht zum "geschichtsphilosophischen Kampfelefanten" aufgerüstet. Arena des dem Rezensenten zufolge unwürdigen und gänzlich fehlgeschlagenen Versuches ist die Filmgeschichte, die hier als bloßer Spiegel der nachbürgerlichen Philosophie, genauer der Subjektphilosophie, noch genauer ihrer gegenwärtig drei prominentesten Richtungen. Früchtls These, dem Rezensenten zufolge: Der Western mit seinem einsamen Wolf entspricht dem Ansatz von Taylor und Rorty (Glück und Gerechtigkeit sind unvereinbar), der Krimi dem Habermas?schen, und der film noir, in seiner "Überwindung der Identitätszwänge", spiegelt Foucault. Was aber dem Rezensenten wirklich verärgert hat, ist Früchtls Behandlung von Film als bloßem Ausdruck (er zeige nämlich auch die Welt und stelle "Handlungen zur Diskussion") und seine Ignoranz des Kanons des Filmes als Kunst (Eisenstein, Godard, usw.) "Dabei sucht er doch in der Kunst das Selbstbewusstsein ihrer Zeit. Wo sollte das zu finden zu sein, wenn nicht in den avanciertesten Werken?" Stattdessen: die Verwechslung von "Gesellschaft" mit "Masse".

© Perlentaucher Medien GmbH