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In diesem dichten, aus Einzelbetrachtungen aufgebauten Essay fährt Giorgio Agamben in seiner Befragung des Lebensbegriffs, wie sie zuletzt in Homo sacer und Was von Auschwitz bleibt stattgefunden hat, fort: Im Dialog u. a. mit Georges Bataille, Carl von Linné, Ernst Haeckel, Jakob von Uexküll und vor allem mit Martin Heidegger verortet Agamben die Grenze zwischen Tier und Mensch im Menschen selbst. Erst wenn der Mensch seine Tierheit suspendiert, öffnet sich ihm die Welt. Das Verhältnis des Menschen zur Tierheit und der Menschheit zum Tier wird so zum "entscheidenden politischen Konflikt" in unserem Kulturbereich.…mehr

Produktbeschreibung
In diesem dichten, aus Einzelbetrachtungen aufgebauten Essay fährt Giorgio Agamben in seiner Befragung des Lebensbegriffs, wie sie zuletzt in Homo sacer und Was von Auschwitz bleibt stattgefunden hat, fort: Im Dialog u. a. mit Georges Bataille, Carl von Linné, Ernst Haeckel, Jakob von Uexküll und vor allem mit Martin Heidegger verortet Agamben die Grenze zwischen Tier und Mensch im Menschen selbst. Erst wenn der Mensch seine Tierheit suspendiert, öffnet sich ihm die Welt. Das Verhältnis des Menschen zur Tierheit und der Menschheit zum Tier wird so zum "entscheidenden politischen Konflikt" in unserem Kulturbereich.
Autorenporträt
Giorgio Agamben wurde 1942 in Rom geboren. Er studierte Jura, nebenbei auch Literatur und Philosophie. Der entscheidende Impuls für die Philosophie kam allerdings erst nach Abschluß des Jura-Studiums über zwei Seminare mit Martin Heidegger im Sommer 1966 und 1968. Neben Heidegger waren seitdem Michel Foucault, Hannah Arendt und Walter Benjamin wichtige Bezugspersonen in Agambens Denken. Als Herausgeber der italienischen Ausgabe der Schriften Walter Benjamins fand Agamben eine Reihe von dessen verloren geglaubten Manuskripten wieder auf. Seit Ende der achtziger Jahre beschäftigt sich Agamben vor allem mit politischer Philosophie. Er lehrt zur Zeit Ästhetik und Philosophie an den Universitäten Venedig und Marcerata und hatte Gastprofessuren u.a. in Paris, Berkeley, Los Angeles, Irvine.  
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.08.2003

Die Zecke liegt in Wehen
Giorgio Agamben über die Benommenheit von Mensch und Tier

Die Frage nach der Möglichkeit von Erfahrung, Giorgio Agambens großes Thema seit seinen frühen sprachkritischen Arbeiten, hat der italienische Philosoph im Spiegel von Benjamins Begriff des "bloßen Lebens" auf originelle Weise neu reflektiert. Sein hierzulande bekanntestes Buch, "Homo sacer", schildert die Situation bloßen Lebens entlang der Haftbedingungen im Konzentrationslager - dem "Nomos der Moderne". Das Buch vervollständigt die Analysen Agambens zur politischen Anthropologie und Rechtsgeschichte, in denen die Auseinandersetzung mit der Heideggerschen Fundamentalontologie auf die eine oder andere Weise stets die Folie ist.

Jetzt nimmt der Autor seine Motive mit einer eigenwilligen, materialgesättigten kleinen Arbeit wieder auf. Im Jubiläumsprogramm der "edition suhrkamp" wird unter dem Titel "Das Offene. Der Mensch und das Tier" eine funkelnde Schrift Agambens publiziert, die in italienischer Sprache im vorigen Jahr erschien. Bedenkt man, wieviele Jahre sich im Suhrkamp Verlag die Übersetzung von "Homo sacer" hingezogen hatte, ist die rasche Publikation dieser Schrift sehr zu begrüßen. Noch für dieses Jahr hat der Verlag auch die deutsche Erstausgabe des Buchs "Was von Auschwitz bleibt. Das Archiv und der Zeuge" angekündigt. Zusammen mit dem Bändchen "Die kommende Gemeinschaft", welches gerade bei Merve erschien, ist der in Verona lehrende Agamben damit auch im deutschsprachigen Raum mit zentralen Werken präsent.

In seinem Buch über Mensch und Tier versammelt Agamben zwanzig Miniaturen, die streng aufeinander bezogen eine höchst raffinierte Befragung des Lebensbegriffs ergeben. Der Autor begibt sich ins Gespräch mit "Lebensphilosophen" (seien sie als solche ausgewiesen oder als Zoologen, Theologen getarnt) wie Georges Bataille, Carl von Linné, Ernst Haeckel, Thomas von Aquin, Jakob von Uexküll und natürlich Heidegger. Die leitende Frage nach der Grenze zwischen Mensch und Tier im Menschen selbst gerät zu einem "Experiment de hominis natura", wie Agamben sein Traktat überschreibt, das auf weiten Strecken von der Anschaulichkeit zoologischer Forschungsberichte, aber auch von der Phantastik theologischer Himmelsvisionen zehrt.

Als Heidegger 1929 seine Vorlesung "Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt - Endlichkeit - Einsamkeit" vorbereitete, in welcher es zentral um die tiefe Langeweile als Grundstimmung der Erkenntnis geht, da konnte er Uexkülls Beschreibung der Zecke noch nicht kennen, die dieser erst 1934 in seinem Buch "Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen" vorlegte. Hätte Heidegger von Uexkülls Zecke gewußt, dann hätte er eine Grundannahme seiner Philosophie revidieren müssen: Er hätte, glaubt Agamben, nicht länger behaupten können, dem metaphysischen Primat der Animalität zu entgehen.

Agamben schildert die Zecke als ein Tier, das ganz Beziehung ist: "Sie lebt nur in ihr und für sie." Da sie aber das Objekt, dem sie in ihrer Gier ausgeliefert ist und auf das sie sich vom Baum aus stürzt, nur in drei höchst reduzierten Merkmalsträgern wahrnimmt - Geruch der Buttersäure im Schweiß, Bluttemperatur und Hauthaare -, trifft auf sie besonders anschaulich zu, was Heidegger vom Tier allgemein aussagt: daß ihm der Durchblick auf sein Gegenüber als Gegenüber fehlt, daß es in einer "Benommenheit" gebannt bleibt, in der die funktionale Umwelt mit den Uexküllschen Merkmalsträgern, nicht aber die Welt in den Blick gerät. Hat das Tier damit ein Problem? Ja, findet Agamben mit Heidegger, und möchte die Weltarmut des Tieres durchaus als ein "inneres Problem der Tierheit" selbst auffassen. Wie anders, fragt er, wäre die auch säkulare Plausibilität des paulinischen Diktums zu erklären, daß die Schöpfung in Wehen liegt?

Die Pointe, die Agamben stark macht, liegt darin, daß das Tier in seiner Benommenheit wie der Mensch in seiner Langeweile eine identische Erkenntnisstruktur aufweisen: Beide werden auf der via negationis auf die Möglichkeiten verwiesen, die nun in ihrer absoluten Gleichgültigkeit vor ihnen liegen, gleichsam anwesend und gänzlich unzugänglich. Die Benommenheit der leidenschaftlich gebannten Zecke und des zutiefst gelangweilten Menschen - sie werfen beide Lebewesen auf die reine Möglichkeit zurück oder, wie Heidegger sagen würde, offenbaren ihnen die "ursprüngliche Ermöglichung". Diese ist eine Potenz, die die grundlegende Form einer Impotenz animmt, "insofern sie nur ausgehend von einem Nicht-Können, von einer Deaktivierung der einzelnen Möglichkeiten, kann". Lassen sie die Seele baumeln, treffen sich Zecke und Mensch in der docta ignorantia. Sie erkennen mystisch oder gar nicht.

Wir rühren hier am nihilistischen Kern einer metaphysischen Anthropologie. In ihr ist das Animalische im Menschen nicht immer schon vom Humanen durchwirkt und geprägt, wie es ein Hoffnungsschimmer für die gefallene Kreatur will. Statt dessen nimmt die Animalität einen Bezirk jenseits des Humanen ein, einen Bezirk, in dem der Mensch für sich gewissermaßen unerreichbar bleibt. Er wird Tiermensch im mythologischen Sinne. Seine Handlung ist nicht immer schon ein actus humanus, wie animalisch sie auch daherkommt. Im Zweifel ist sie animalisch durch und durch. Nicht nach den Nahtstellen der Vereinigung (von Leib und Seele, eines natürlichen und übernatürlichen Elementes) gelte es zu suchen. "Wir müssen lernen", schreibt Agamben, "den Menschen als Ergebnis der Entkoppelung dieser zwei Elemente zu denken und nicht das metaphysische Geheimnis der Vereinigung, sondern das praktische und politische der Trennung zu erforschen."

Wie die Grenze zwischen Mensch und Tier fällt, so fällt sie zwischen Gott und Teufel. "Wenn man so will, ist der Teufel nichts anderes als die Impotenz Gottes oder die Potenz, nicht in Gott zu sein", schreibt Agamben in dem Band "Die kommende Gemeinschaft", eine Sammlung von ebenfalls zwanzig, freilich bei weitem nicht so durchkomponierten Einzelbetrachtungen. Die Potenz, nicht in Gott zu sein, wird hier gerade nicht als Apostasie vom actus purus begriffen, als welchen noch Thomas von Aquin Gott konzipierte. Vielmehr fallen Akt und Potenz in eins wie Zecke und Mensch. Gottes Potenz ist Impotenz. Das ist das Ergebnis des miniaturhaften Großexperiments de hominis natura: Wenn die Differenz zwischen Mensch und Tier erlöscht, "wie es sich heute zu ereignen scheint, dann verschwindet auch die Differenz zwischen dem Sein und dem Nichts, dem Zulässigen und dem Unzulässigen, dem Göttlichen und dem Dämonischen, und an ihre Stelle tritt etwas, für das man kaum Namen finden kann."

An ihre Stelle tritt das bloße Leben des Konzentrationslagers. Es ist jenes monströse Experiment, das für Agamben definitiv über die natura hominis entschieden hat, ein Experiment, "das die Möglichkeit zur Unterscheidung selbst in seinen Vernichtungssog gezogen hat". Den Menschen, der sich in diesem Sog des bloßen Lebens nicht wiedererkennt, vermag Agamben nur im Zirkelschluß aufzurichten: Er ist dasjenige Tier, so erklärt er, das sich selbst als menschlich erkennen muß, um es zu sein.

CHRISTIAN GEYER

Giorgio Agamben: "Das Offene. Der Mensch und das Tier". Aus dem Italienischen von Davide Giuriato. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 108 S., br., 7,- [Euro].

Giorgio Agamben: "Die kommende Gemeinschaft". Aus dem Italienischen von Andreas Hiepko. Merve Verlag, Berlin 2003. 105 S., br., 10,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Mit "beeindruckender Inständigkeit" stelle sich Giorgio Agamben schon seit Jahren einer alten und großen Diskussion der Menschheit, schreibt Michael Mayer. Was ist der Mensch, ist die Frage, die Agamben auch in seinem neuen Buch verhandle. Mit der bewussten Veränderung seiner Gene, mit der Biopolitik laufe der Mensch Gefahr, sein ganzes Wesen unter das Diktat der Zweckdienlichkeit zu stellen. Mayer bemerkt zufrieden, dass dieses philosophische Anliegen in "feinsinnige Miniaturen" über so verschiedene Denker von Georges Bataille bis Carl von Linne verpackt sei, und auch wenn er die Exegese Heideggers etwas "waghalsig" findet, kann er ansonsten der Argumentation des Autors widerspruchslos folgen.

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