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Neben ihren bahnbrechenden Arbeiten zur Gender-Theorie und zur Philosophie hat Judith Butler immer auch als kritische Intellektuelle in die politischen Debatten eingegriffen. Ob sie die neue Form des Antisemitismus diskutiert, die rechtlich-politische Lage der Gefangenen in Guantanamo Bay oder die amerikanischen Reaktionen auf die Anschläge vom 11. September, immer erweist sie sich als ebenso subtile wie engagierte Denkerin, die zu differenzieren weiß und dadurch erst den Kern der Probleme freilegt. So wird der theoretische Entwurf einer Ethik, wie sie ihn zuletzt in Kritik der ethischen…mehr

Produktbeschreibung
Neben ihren bahnbrechenden Arbeiten zur Gender-Theorie und zur Philosophie hat Judith Butler immer auch als kritische Intellektuelle in die politischen Debatten eingegriffen. Ob sie die neue Form des Antisemitismus diskutiert, die rechtlich-politische Lage der Gefangenen in Guantanamo Bay oder die amerikanischen Reaktionen auf die Anschläge vom 11. September, immer erweist sie sich als ebenso subtile wie engagierte Denkerin, die zu differenzieren weiß und dadurch erst den Kern der Probleme freilegt. So wird der theoretische Entwurf einer Ethik, wie sie ihn zuletzt in Kritik der ethischen Gewalt entwickelt hat, auf die aktuelle politische Praxis bezogen. Butler zeigt, wie in jedem öffentlichen Diskurs scharfe Grenzen gezogen werden zwischen dem, was gesagt, und dem, was nicht gesagt werden darf.
Autorenporträt
Judith Butler, geboren 1956, ist Maxine Elliot Professor für Komparatistik, Gender Studies und kritische Theorie an der University of California, Berkeley. 2012 erhielt sie den Adorno- Preis der Stadt Frankfurt am Main.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.03.2005

Wer zählt und wer nicht
Politische Interventionen der Philosophin Judith Butler
Das auffallende Fehlen kritischer Intellektueller in der politische Öffentlichkeit wird häufig beklagt, und vor allem hierzulande finden sich erstaunlich wenige jüngere Kandidatinnen und Kandidaten für diese Rolle, die lange Zeit vornehmlich von älteren Herren besetzt wurde. Ein zumindest in bestimmten Grenzen übernahmefähiges Modell einer solchen kritisch-politischen Zeitgenossenschaft könnte man in den jüngsten Interventionen der amerikanischen Philosophin Judith Butler erkennen, die sich tief in das Gewirr des politischen Tagesgeschäfts hineinwagt und dieses zugleich mit dem zur Distanzierung befähigenden Blick einer allgemeineren Ethik betrachtet. Vieles davon ist freilich sehr stark auf den politischen Kontext der USA in der Ära Bush und seiner neuen Kriege zugeschnitten; aber vieles hat im Rahmen der neuen Weltordnung durchaus internationale Gültigkeit.
Butler unterzieht die politische Rhetorik und die juristischen, administrativen und militärischen Entwicklungen nach dem 11. September einer aufmerksamen, sowohl psychoanalytisch informierten wie soziologisch sensiblen Lektüre, die die verborgenen Beziehungen zwischen Politik, Trauer und Gewalt freilegt. In einer solchen Perspektive erscheinen etliche Aktionen weniger als wohlbegründete Reaktionen denn als Symptome einer nationalen Unfähigkeit zu trauern. Dieses kollektive Unvermögen hat zwei Seiten, eine innere und eine äußere. Es artikuliert sich auf der einen Seiten in der Unmöglichkeit, der Toten in einer Form zu gedenken, die sie nicht gleich selbst wieder zum „Symbol für die nationale Selbstbejahung” macht. Die öffentlichen Nachrufe für die Opfer der Anschläge des 11. September sind in einer Sprache und Form verfasst, die die Heterogenität der Leben, auf die sie sich beziehen, zugunsten einer stereotypen Heroisierung leugnet: Als seien keine illegal Beschäftigten, keine Unverheirateten und keine Erfolglosen gestorben. Die mediale und politische Festlegung dessen, welche Leben erinnerbar und betrauernswert sind, folgt einer Logik eines „Wir” ohne Differenz.
Fehlende Opferbilder
Geradezu spiegelbildlich zu diesen nationalen Emblemen der Trauer verhält sich das fast vollständige Fehlen von Bildern der Opfer der neuen amerikanischen Militäraktionen. Deren Leben erscheint in der medialen Repräsentation gerade nicht als betrauernswert, ja, überhaupt nicht als menschliches Leben. Diese „Derealisierung” kommt aber einem Akt der Aberkennung von Menschlichkeit gleich, der, bewusst oder nicht, seinen psychischen und politischen Preis hat. Die undurchsichtigen Manöver rings um die Gefangenen von Guantanamo Bay lassen sich entsprechend als Versuche lesen, Humanität mit allen ihren rechtlichen Verpflichtungen nur noch graduell zuzusprechen.
Dies hat allerdings zur Folge, dass rechtliche Standards außer Kraft gesetzt werden und die auf unbestimmte Zeit ohne Verfahren festgehaltenen Häftlinge der kaum mehr begrenzbaren Willkür eines Militärjustizapparats ausgeliefert sind, der mit Verweis auf „Gefährlichkeit” und im Namen der nationalen Sicherheit fast uneingeschränkt handelt. Diese Erosion von Rechtstaatlichkeit hat gravierende innenpolitische und gesellschaftliche Konsequenzen, und das administrativ geschürte Misstrauen und der auch rassistisch codierte Generalverdacht gegenüber arabischstämmigen Amerikanern setzen genau diejenigen Freiheiten aufs Spiel, in deren Namen die neuen Kriege geführt werden.
Was diese Interventionen neben ihrer unbestreitbaren Zeitgemäßheit besonders macht, ist die Tatsache, dass sich in den konkreten Analysen eine moralisch-politische Grundposition artikuliert, die man eine generelle Ethik der Verletzbarkeit und wechselseitigen Abhängigkeit nennen könnte und die deutlicher und expliziter als in ihren früheren Büchern als Fluchtpunkt von Butlers politischen Stellungnahmen hervortritt. Eine solche Ethik, hier nur in wenigen Strichen und mit Verweisen auf Emmanuel Levinas skizziert, wäre sensibel für die Unabwendbarkeit der Ansprüche, die der „Andere”, und sei es der politische Gegner, stellt und die nur um den Preis absoluter Selbsttäuschung und der Phantasie völliger Autonomie zu leugnen sind. Dass es in der Politik immer um leidensfähige, verletzbare Menschen geht, mag wie eine triviale Einsicht klingen. Sie kann aber zum Ausgangspunkt für kritische Rückfragen danach werden, wer in welchen Gesellschaften überhaupt als Mensch zählt und wer nicht.
MARTIN SAAR
JUDITH BUTLER: Gefährdetes Leben. Politische Essays. Übersetzt von Karin Wördemann. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 179 Seiten, 10 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ein Teil der politischen Interventionen der amerikanischen Philosophin Judith Butler sei schon eher auf den politischen Kontext der USA in der Bush-Ära zugeschnitten, gibt Martin Saar zu bedenken, doch habe vieles darüber hinaus auch im internationalen Rahmen seine Berechtigung und Gültigkeit und sei insofern auch für deutsche Leser interessant. Butler betrachte die jüngsten innen- und außenpolitischen Entwicklungen der USA nach dem 11. September, resümiert Saar, wobei sie die politische Rhetorik der US-Regierenden auseinandernehme und auf die "verborgenen Beziehungen zwischen Politik, Trauer und Gewalt" durchforste. Zwei von Butler festgestellte Symptome "einer nationalen Unfähigkeit zu trauern" haben sich Saar bei der Lektüre besonders eingeprägt: das ist zum einen die stereotype Heroisierung der Toten des 11. September, die alle ohne Unterschied "in ein 'Wir' ohne Differenz" verwandelt worden seien; das ist zum anderen, als Kehrseite der Medaille, eine "Derealisierung", die Butler in Bezug auf die Opfer der amerikanischen Kriegspolitik im Irak festgestellt haben will. Als wolle man ihnen ihre Menschlichkeit aberkennen, gebe es von den gegnerischen Opfern oder Gefangenen in der amerikanischen Öffentlichkeit überhaupt kein Bild, fasst Saar zusammen. Für ihn sind Butlers Essays höchst zeitgemäß und formulieren eine moralische Grundposition, die er eine "generelle Ethik der Verletzbarkeit und wechselseitigen Abhängigkeit" nennen möchte.

© Perlentaucher Medien GmbH
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