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Möglichkeiten medizinischer Behandlung, von denen Hippokrates, auf dessen »Eid« sich die Ärzte nach wie vor berufen, nicht zu träumen gewagt hätte, verlangen neue Antworten auf die Frage, was ethisch vertretbar ist und was nicht. Allenthalben werden Lehrstühle für medizinische Ethik eingerichtet, die Approbationsordnungen der medizinischen Fakultäten haben die Ausbildung in diesem Bereich fest in ihren Curricula installiert. Dennoch besteht weiterhin eine große Unsicherheit, wie mit Pränataldiagnostik, Sterbehilfe, Anwendungen der Gentechnologie oder Geburtenkontrolle umgegangen werden soll.…mehr

Produktbeschreibung
Möglichkeiten medizinischer Behandlung, von denen Hippokrates, auf dessen »Eid« sich die Ärzte nach wie vor berufen, nicht zu träumen gewagt hätte, verlangen neue Antworten auf die Frage, was ethisch vertretbar ist und was nicht. Allenthalben werden Lehrstühle für medizinische Ethik eingerichtet, die Approbationsordnungen der medizinischen Fakultäten haben die Ausbildung in diesem Bereich fest in ihren Curricula installiert. Dennoch besteht weiterhin eine große Unsicherheit, wie mit Pränataldiagnostik, Sterbehilfe, Anwendungen der Gentechnologie oder Geburtenkontrolle umgegangen werden soll. Haben Stammzellen Menschenwürde? Und wenn ja, hat andererseits nicht jeder ein Recht auf die bestmögliche medizinische Versorgung? Der Philosoph Otfried Höffe, der sich in den aktuellen Debatten immer wieder zu Wort gemeldet hat und zu einer Instanz geworden ist, widmet sich diesen und anderen Fragen ohne jede dogmatische Voreingenommenheit.
Autorenporträt
Otfried Höffe ist emeritierter Professor für Philosophie an der Universität Tübingen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.10.2002

Hilflose Helfer
Otfried Höffe will der Medizin
ethisch unter die Arme greifen
Stärker als andere akademische Berufsgruppen haben Ärzte ein Standesethos bewahrt. Ihr hippokratischer Eid symbolisiert ein Berufsethos von faszinierender Klarheit: Primum nil nocere! Ein Arzt soll nach bestem Wissen und Gewissen helfen. Otfried Höffe nennt als moralische „Üblichkeiten” eines guten Arztes Gewissenhaftigkeit, Professionalität, Erfahrungswissen und Empathie für jeden einzelnen Patienten. Der schnelle biowissenschaftliche Fortschritt und der Anspruch von Patienten auf Autonomie und präzise Information haben an praktische Grenzen des überkommenen Berufsethos der Ärzte geführt. Deshalb hat sich, beginnend in den USA, eine eigene Medizinethik entwickelt. Die Entstehung solcher anwendungsorientierter Spezialethiken spiegelt eine elementare Krise überkommener moralischer Plausibilitäten. Neuer Ethik bedarf es, wenn sich das Moralische nicht mehr von selbst versteht. Medizinethik entstand, weil das alte Standesethos der Ärzte den von den Biowissenschaften eröffneten Handlungschancen sowie den Folgeproblemen der schnellen Expansion medizinischer Möglichkeiten nicht mehr gerecht wurde.
Höffe spricht vom „Gang in ethisches Neuland”. Dabei nimmt er bewährte deutsche Landkarten mit. Der Tübinger Philosoph orientiert sich im medizinethischen Neuland primär an Kant, betont aber auch die Grenzen einer deontologischen Pflichtenethik. Kantische Reflexionsfiguren seien durch Elemente einer aristotelisch geprägten Tugendethik zu ergänzen. Im Grundkonflikt moderner Gesundheitssysteme, der angesichts knapper Ressourcen nicht mehr finanzierbaren Explosion der Ansprüche und Bedürfnisse, setzt Höffe auf alte Tugenden wie Klugheit, Gelassenheit, Besonnenheit und Tapferkeit, die er zur Zivilcourage modernisiert. Lebensklug gelassene Patienten sollen sich vor Medizinern mit Machbarkeitswahn schützen.
Wer stirbt schon gern?
In locker verknüpften Essays behandelt Höffe aktuelle Kontroversthemen, von der Schwangerschaftskonfliktberatung über PID und Stammzellforschung bis hin zu einer „gerontologischen Ethik”. Seiner Tugend der Zivilcourage entspricht er durch nüchterne Sachlichkeit, die harte Widersprüche und unangenehme Wahrheiten zu sehen erlaubt. Im Bild des Sokrates erinnert er an die Sterblichkeit des Menschen, der jeder in seiner Lebensführung durch existentiellen Ernst gerecht werden soll. Höffe lehnt eine medizinische Praxis ab, die auf Lebensverlängerung um jeden Preis setzt. Seine Formeln fürs Recht auf einen „menschenwürdigen Tod” streifen ans Banale. Welcher Arzt spricht Menschen ernstlich ein Recht aufs Sterben ab?
Die Präimplantationsdiagnostik verwirft Höffe, weil sie sozialdarwinistischer Selektion den Weg bereite. Den „Frühembryonen” erkennt er ein unbedingtes Lebensrecht zu. Seine Einwände gegen die Forschung mit embryonalen Stammzellen lassen die Tugend argumentativer Sorgfalt vermissen. Der Position der Naturwissenschaftler und Ethiker, die den Beginn der unbedingten Schutzwürdigkeit des Embryos nicht schon mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle, sondern mit der Nidation datieren, wird Höffe nicht gerecht. Er folgt hier Konzepten der neueren römisch-katholischen Naturrechtslehre, ohne sich der Bindung an eine nur partikulare religiöse Tradition bewußt zu sein. Auch seine Kritik britischer Utilitaristen bleibt allzu pauschal. Mit Blick auf fällige europarechtliche Regelungen muß man die differenzierte Diskussionslage in Großbritannien ernster nehmen, als Höffe es tut.
Höffes Essays bieten präzise Problembeschreibungen. Seine Lösungen leuchten nur zum Teil ein. Gewiß ist es moralisch überzeugender, gesund als ungesund zu leben. Welcher Vernünftige wollte es bestreiten? Der Appell an die Vernunft ist aber zu schwach, um den Menschen hilfreiche Kardinaltugenden anzudienen. Höffe sieht dies und will die Tugend stärken, indem er sie durchs legitime Selbstinteresse stützt. Gesundheitsbewußte Lebensführung müsse sich ökonomisch lohnen. Der Philosoph fordert einen tiefgreifenden Umbau des Versicherungssystems, das nur eine Grundversorgung garantieren soll. Massive Eigenbeteiligung soll Anreize für gesteigerte Selbstverantwortung geben.
In der widersprüchlichen Verknüpfung von Tugend und Selbstinteresse verstrickt sich Höffe ins Grundproblem aller „angewandten Ethiker”. Eindrucksvoll entfaltet er für viele neue Konfliktlagen ethische Rationalität. Aber kein Ethiker kann sich den moralischen Akteur selbst schaffen, der gebotene Tugend lebt. Der Mensch ist dann, wenn es ums eigene Leben geht, nicht nur Vernunftsubjekt, sondern zutiefst irrational. Wer stirbt schon gern? Ohne religiöse Reflexion wirkt eine „gerontologische Ethik” von Altern und Sterben nur so blass wie der Tod.
FRIEDRICH WILHELM GRAF
OTFRIED HÖFFE: Medizin ohne Ethik? Standpunkte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 262 Seiten, 10 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.09.2013

Werktagsglück oder Sonntagsglück?
Stets gibt er verständliche Hinweise auf das Vertretbare: Der Philosoph Otfried Höffe führt in die Ethik ein

Die philosophische Ethik hat es nicht leicht. Zwar wird sie vielfach nachgefragt, für Kommissionen beispielsweise, die der Politik Rat geben sollen. Fast jeder gesellschaftliche Konflikt scheint Moralfragen aufzuwerfen: Tierethik, Medizinethik, Umweltethik. Sogar Unternehmen beanspruchen, ethische Standards einzuhalten. Doch ob die Beteiligung an der Produktion der entsprechenden Gütesiegel selbst moralisch vertretbar ist, daran melden sich Zweifel.

Verzieren nicht vielleicht Politik und Wirtschaft nur, was sie für mehrheitsfähig halten, mit güldener Wertarbeit? Und ist das Gute wirklich ein Wissen, eine Frage des richtigen Durchdenkens, der besseren Begründung? Soll man sich den guten Menschen als besonders begründungsstark vorstellen? Zugleich hat die moderne Gesellschaft gemischte Erfahrungen mit dem Guten gemacht.

Sie kennt die guten Folgen zweifelhafter Absichten: den Markt. Sie kennt die zweifelhaften Folgen guter Absichten: die Pädagogik. Und schließlich kennen wir die Unvermeidbarkeit der Doppelmoral, der Kasuistik. Otfried Höffe hat ein ganzes Philosophenleben der Ethik gewidmet. Duisburg, Fribourg und Tübingen waren dabei seine Stationen. Es gibt kein Moralgebiet, über das er nicht geschrieben hat, keine Tugend und keinen Wert, die von ihm nicht hochverständlich erläutert worden wären. Das Kopftuch und die Spitzengehälter, der Datenschutz und der Generationenvertrag, das Urheberrecht und der Föderalismus, Höffe hat zu all dem aus seinem Studium der Klassiker - für ihn vor allem Aristoteles, Kant und Rawls - Hinweise auf das Vertretbare gezogen.

Wenn Höffe, der heute siebzig Jahre alt wird, jetzt eine Einführung in die Ethik vorlegt, ist das ein neuerlicher Beweis dieser Unermüdlichkeit. Sie zeigt sich auch in seiner Ansicht, wer die Frage nach dem Gutsein einer Handlung vorzeitig abbreche, müsse sich rechtfertigen. Dass man, um zu handeln, aufhören muss zu reflektieren, Termindruck also oder "Endlichkeit" genügen Höffe nicht. Im Leben mag dieses Insistieren auf Begründungen zu Schwierigkeiten führen. Der herrliche Satz jener entnervten Mutter, deren Kind unnachgiebig gute Gründe fürs Zubettgehen verlangte, "Du gehst jetzt ins Bett! Ich werd dich später überzeugen", belegt den Sinn fürs vordiskursiv Notwendige.

Zum Prinzip erhoben, würde das aber jede Einführung in die Ethik stark abkürzen. Was uns Höffe statt dieser Abkürzung zeigt, ist ein zerklüftetes Gebiet. Das Gute ist teils an das Menschenmögliche gebunden. "Unmögliches ist nicht verlangbar", sagt der Jurist. Teils ist der Mensch aber auch zum guten Handeln wider seine Natur befähigt. Tugenden, sagen die einen, tun uns selber gut. Märtyrer, entgegnen die anderen, sind tugendhaft, ohne dass es ihnen guttäte. Und selbst wenn man sich auf hervorgebrachtes Glück als Kriterium für gute Taten einigen könnte - mehr als Dissens, worin es besteht, ist nicht zu erreichen. Die einen finden es im Frieden, die anderen würden ihn der Ehre nicht opfern wollen. Höffe schlägt die Unterscheidung von "Werktagsglück" und "Sonntagsglück" vor, aber man hört heraus, dass dem Kantianer in ihm das nicht gefallen kann.

So hinterlässt uns diese Einführung gerade dadurch, dass sie alle Positionen erwähnt, unentschieden. Das aber muss in Fragen der Ethik kein Nachteil sein. Denn erstens scheint guter Rat nicht teuer, sondern überreich vorhanden. Und zweitens verdeutlicht das Studium der ethischen Argumente, gerade weil es so viele davon gibt, dass Güte zumeist nicht auf ihnen beruht und Bösartigkeit wohl nur selten ein Mangel an Philosophie ist.

JÜRGEN KAUBE

Otfried Höffe: "Ethik". Eine Einführung.

Verlag C. H. Beck, München 2013. 128 S., br., 8,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Besonders in den bioethischen Reflexionen mag Thomas Assheuer Ottfried Höffes neuem Buch gerne folgen. Wohlwollend paraphrasiert er Höffes Forderung nach einer doppelten Skepsis, sowohl gegenüber jenen Biopropheten, die sich von der Stammzellforschung das größte Heil versprechen, als auch gegenüber den Apokalyptikern, die die Gentechnik grundsätzlich ablehnen. Höffe plädiert dabei nach Assheuer gegen eine verbrauchende Embryonenforschung - schon der Zweizeller ist demnach als menschliches Leben zu betrachten, das auch in der Hoffnung auf medizinische Fortschritte nicht geopfert werden darf. Weniger überzeugt ist Assheuer von Höffes Versuch, eine neue, an Sokrates angelehnte Ethik des Sterbenlernens zu empfehlen. Assheuer findet diesen Versuch schon deshalb absurd, weil die Grenzen zwischen Leben und Tod mit den Fortschritten der Medizin immer stärker verwischen. Auch die Kritik am deutschen Gesundheitssystem und Höffes Vorschlag , nur mehr eine Grundversorgung zu finanzieren, während zusätzliche Leistungen freiwillig versichert sein sollten, mag Assheuer nicht nachvollziehen.

© Perlentaucher Medien GmbH