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Auf breiter Quellenbasis und anhand zahlreicher bisher unbekannter Dokumente bietet der Autor eine grundlegende Neuinterpretation der deutschen Heeresrüstung 1871-1890, einer Rüstung, die geprägt war von beträchtlichen Widersprüchen zwischen dem Scheinbild von militärischer Stärke und Selbstbewusstsein und der Realität.
Im Zentrum der Untersuchung stehen zum einen die permanenten Konflikte zwischen der Militärführung und Bismarck, aus denen der Reichskanzler nicht selten als Sieger hervorging: beim Militärpoker um die Militärgesetze von 1874, 1880 und 1886/87 ebenso wie bei der Beschaffung
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Produktbeschreibung
Auf breiter Quellenbasis und anhand zahlreicher bisher unbekannter Dokumente bietet der Autor eine grundlegende Neuinterpretation der deutschen Heeresrüstung 1871-1890, einer Rüstung, die geprägt war von beträchtlichen Widersprüchen zwischen dem Scheinbild von militärischer Stärke und Selbstbewusstsein und der Realität.

Im Zentrum der Untersuchung stehen zum einen die permanenten Konflikte zwischen der Militärführung und Bismarck, aus denen der Reichskanzler nicht selten als Sieger hervorging: beim Militärpoker um die Militärgesetze von 1874, 1880 und 1886/87 ebenso wie bei der Beschaffung neuer Waffen.

Die Studie analysiert darüber hinaus die z.T. höchst gewagten Operationsplanungen des Generalstabes unter Moltke und Waldersee gegen Frankreich und Russland. Aus ihnen entwickelten die Militärs weitreichende politische Forderungen nach Präventivschlägen im Osten und im Westen. Bismarck musste sich gegen diese beispiellose Machtanmaßung des Generalstabs in der Winterkrise 1887/88 zur Wehr setzen - mit bemerkenswerten Abwehrstrategien.

Darüber hinaus beleuchtet die Untersuchung die Ursprünge des Schlieffen-Planes, die Konzepte zur Sicherung der Lebensmittel- und Rohstoffversorgung des Reiches für den "Zukunftskrieg" und die Furcht der Heeresführung vor einer sozialistischen "Infiltration" der Truppe.
Autorenporträt
Dr. Michael Schmid ist Professor für Allgemeine Soziologie an der Universität der Bundeswehr München.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.05.2003

Den Militärstier bei den Hörnern packen
Trotz Aufrüstung setzte sich Otto von Bismarck gegenüber Präventivkriegsanhängern durch

Michael Schmid: Der "eiserne Kanzler" und die Generäle. Deutsche Rüstungspolitik in der Ära Bismarck (1871-1890). Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2002. 751 Seiten, 65,- [Euro].

Im Winter 1887 greifen österreichische und deutsche Korps von Galizien und Ostpreußen her mit mehr als zwei Millionen Mann die in Polen sich konzentrierenden russischen Armeen an. Über die gefrorenen Flüsse, die eisharten Sümpfe stürmen die Kavalleriedivisionen atemberaubend schnell vor, schwenken ein. Die riesige Zange schließt sich um ganz Kongreßpolen, eine Vernichtungsschlacht wie einst bei Cannae führt zum Zusammenbruch des Zarenreiches.

So oder so ähnlich stellten sich Waldersee, York, Bronsart, vielleicht sogar Moltke auf dem Höhepunkt der "Doppelkrise" das Ende mit Schrecken für Rußland vor, um dem Schrecken ohne Ende im Deutschen Reich ein Ende zu machen: der Vorstellung nämlich, es könnten in ein paar Jahren russische Kavalleriedivisionen mit flatternden Fähnchen auf Berlin reiten, während das deutsche Heer im Westen vor den französischen Festungen verblutet. Absurde Gedankenspiele? Zweifellos hat Michael Schmid recht, wenn er solche Szenarien als Ausdruck eines spezifischen Militarismus wertet, der steril, autochthon und spielerisch geworden ist. Die Frage ist nur: Wieviel Wahrscheinlichkeit steckte in diesem Spiel, wer nahm es ernst und warum, wieso wurde aus dem Spiel damals kein Ernst - damals, 1887, auch noch 1888 -, sondern erst 1914, wenn auch geographisch seitenverkehrt? Da ist die entscheidende Frage schon gestellt: Hat das Kriegsspiel bis in den August 1914 gereicht, um erst dann in blutige Wirklichkeit umzuschlagen, oder blieb es Episode? Die Frage bleibt offen, denn das Buch reicht nur bis 1890. Das hat einen einfachen Grund: Es will die Rolle Bismarcks bei alledem klären, und der eben wurde 1890 gestürzt. Après moi le déluge, mag der Autor gedacht haben - aber er macht neugierig, und so wäre als erstes zu bemerken: Dieses Buch verlangt nach einer Fortsetzung.

Dies schon deswegen, weil Schmid viele neue Quellen aufgetan hat, die tiefe Einblicke in den inneren Zirkel der militärischen Welt erlauben. Das eine oder andere Dokument wird freilich überbewertet, was vor allem für die Trouvaillen aus dem Dunstkreis der Spionage gilt. Gewiß haben die verräterischen Berichte aus St. Petersburg in Berlin Eindruck gemacht, aber immer noch galt des alten Moltke Wort, daß eine Eisenbahnkarte ihm den Geheimdienst erspare. Ein gespenstisches Déjà vu beschleicht den Leser, nimmt er das Räsonieren des Generalstabs zur Kenntnis, ob der grenznahe Aufmarsch der russischen Verbände auf Angriffsabsichten hindeute oder eher auf das Gegenteil. Schmid weist nach, daß die Russen den deutsch-österreichischen Angriff ernsthaft erwarteten und keineswegs angriffslustig waren.

"Kriegslustig" war neben Waldersee und dessen militärischer Umgebung auch der "junge" (29) Prinz Wilhelm, aber da sein Großvater den Zaren liebte und den Krieg verabscheute, sein Vater todkrank gar keinen Krieg führen konnte und wollte, der Enkel dem Großvater doch nachzueifern trachtete, schloß sich auch von der Dynastie her "the window of opportunity", wie Schmid mit einer Verbeugung vor englischen Historikern das vermeintliche Startfenster zum Krieg nennt.

Die eigentliche "Schuld" daran trug Bismarck - der Mann war in den Augen Waldersees eine wahre Katastrophe für die deutsche Zukunft. Hartnäckig, listig, gespickt mit Detailwissen, die Militärs oft mit den eigenen Waffen schlagend, hielt der "eiserne" Kanzler eisern daran fest: "Wir Deutschen fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt." Der entscheidende Satz folgte unmittelbar: "Und die Gottesfurcht ist es schon, die uns den Frieden lieben und pflegen läßt." Dieses vielleicht berühmteste und meist verkürzt zitierte Bismarckwort steht als Motto über der gesamten Studie, und es ist ihr Verdienst, es neu und einsichtig zu deuten: Wenn die Kriegspartei losschlagen wollte, so aus Furcht. Furcht aber, so Bismarck, kenne "der Deutsche" nicht - also brauche er nicht loszuschlagen. Das war dialektisch entwaffnend und weist Bismarck auch in der letzten großen Krise seiner Amtszeit als einen Staatsmann aus, der meilenweit von jener "Forschheit" entfernt war, die nicht nur Wilhelm II., sondern seine ganze Generation so unheilvoll prägte. Das "forsche" Pfeifen im finsteren Wald - der Alte vom Sachsenwald hatte das nicht nötig.

Der Kanzler setzte sich durch, weil er den Militärstier bei den Hörnern packte: Zu Recht weist Schmid darauf hin, daß Bismarck das Äternat gar nicht wollte und auch mit dem Septennat zufrieden war, ja eigentlich war es ihm egal: Da die Aufrüstung ständig weitergehen mußte, um ein verzweifeltes "Prävenire" ausschließen zu können, blieb der Reichstag via Budgetrecht immer mit im Spiel. Die These von der "Entmachtung" des Parlaments durch Septennat oder gar Äternat sowie die daraus abgeleiteten Schlußfolgerungen erweisen sich wieder einmal als bloß ideologisch generierte Hirngespinste von Kathedergelehrten, und ebenso unsinnig ist die Vermutung, die Militärkaste mit Bismarck an der Spitze hätte die tumben Abgeordneten an der Nase herumgeführt. Schmid kann zeigen, daß die Experten im Parlament vorzüglich unterrichtet waren. Wenn der Reichstag den zahlreichen Vorlagen, die sehr viel Geld kosteten, fast einstimmig zustimmte, so war das nicht Folge eines Betrugs, sondern des im Volk durchaus verbreiteten Gefühls einer dira necessitas angesichts der Rüstungsanstrengungen Rußlands, vor allem aber Frankreichs, welche die des Deutschen Reiches, zu schweigen von Österreich, bei weitem in den Schatten stellten.

Präzise arbeitet der Autor die Zwangslage heraus, in der sich die vier unmittelbar in die Krise verwickelten Goßmächte verfangen hatten: Keine wollte den Krieg, jede erwartete ihn, deswegen galt für alle: Si vis pacem, para bellum. "Unsere Politik hat die Aufgabe", formulierte es Bismarck, "den Krieg, wenn möglich, ganz zu verhüten, und geht das nicht, ihn doch zu verschieben. An einer anderen würde ich nicht mitwirken können." Außen- und Sicherheitspolitik als Glasperlenspiel? Niemals stellten sich die Protagonisten, die so leichtfertig mit dem Gedanken des Krieges umgingen, auch nur die Frage, wo denn eigentlich die Kriegsgründe lägen. Auch Deutschland wußte kein Kriegsziel zu formulieren, das der Vorgabe Bismarcks aus seiner Olmützer Rede gerecht geworden wäre. Das Getöne vom "Exterminationskrieg" gegen Frankreich war doch nur Bismarcks nie ernst gemeinter großer Knüppel, wenn die Diplomatie wieder einmal an das Ende ihres Lateins zu kommen drohte.

Die Diplomatie hatte exakt 1887, also auf dem Höhepunkt der Krise, den Rückversicherungsvertrag zustande gebracht; jenes "anodyne" Kunststück, dem nicht nur Herbert von Bismarck, sondern auch dessen Vater kaum traute. Daß Waldersee und die ganze Militärkamarilla nichts von dem Vertrag erfuhren, und der uralte Moltke erst in dessen Geheimnis eingeweiht wurde, als die Krise eigentlich schon vorbei war, unterstreicht einmal mehr, daß nicht nur die Soldaten und Kriegsminister, sondern auch die Diplomaten und Politiker nicht eigentlich Politik "machten", sondern "spielten". Wie Götter, besser: "Halbgötter": Ebenso wurden Waldersee und seine Generäle halb ehrfurchtsvoll, halb spöttisch schon zeitgenössisch apostrophiert. Schmids Studie eröffnet eine neue, erfrischende Sicht auf das Kaiserreich.

MICHAEL SALEWSKI

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Michael Salewski lobt an diesem Buch, dass es "eine neue, erfrischende Sicht auf das Kaiserreich" eröffnet, und dass sein Buch neugierig macht. Denn das Buch interessiere sich nur für die Rolle Bismarcks in den verwirrenden Kriegsplanspielen auf allen Seiten zwischen 1871 und 1914, weshalb nun die spannende Frage offen bleibe, wie es mit all dem nach dem Sturz Bismarcks 1890 weiterging. Salewski verspricht sich von Schmid schon deshalb eine interessante Fortsetzung, weil dieser, wie der Rezensent lobt, "neue Quellen aufgetan hat, die tiefe Einblicke in den inneren Zirkel der militärischen Welt erlauben". Dem Buch geht es aber wohl vor allem, wie wir erfahren, um eine neue Deutung eines bekannten Bismarckwortes - "Wir Deutschen fürchten Gott, aber sonst nichts auf der Welt", das jedoch meist ohne den entscheidenden Zusatz "Und die Gottesfurcht ist es schon, die uns den Frieden lieben und pflegen lässt" zitiert werde. Und nach Salewski ist es ein Verdienst des Buches, dass ihm diese Neudeutung auch gelungen sei. Der Rezensent gibt Schmids Angebot so wieder: "Wenn die Kriegspartei losschlagen wollte, so aus Furcht. Furcht aber, so Bismarck, kenne 'der Deutsche' nicht - also brauche er nicht loszuschlagen."

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