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Dieses Buch ist das erste Kompendium zu den Erinnerungswelten Europas nach 1945 - von Spanien bis Russland, von Norwegen bis Italien. Es zeigt, wie in stillem Gedenken, in politischen Kontroversen oder bei der Suche nach Erinnerungsorten die Erfahrungen von Nationalsozialismus und Faschismus, Holocaust und Kollaboration bis heute maßgeblich das Geschichtsbewusstsein des Alten Kontinents prägen.Das Übersichtswerk erschließt, wie Europäer die traumatisierenden Ereignisse der 1930er und 1940er Jahre deuteten und debattierten. Neben Gemeinsamkeiten und Unterschieden nationaler Erinnerungskulturen…mehr

Produktbeschreibung
Dieses Buch ist das erste Kompendium zu den Erinnerungswelten Europas nach 1945 - von Spanien bis Russland, von Norwegen bis Italien. Es zeigt, wie in stillem Gedenken, in politischen Kontroversen oder bei der Suche nach Erinnerungsorten die Erfahrungen von Nationalsozialismus und Faschismus, Holocaust und Kollaboration bis heute maßgeblich das Geschichtsbewusstsein des Alten Kontinents prägen.Das Übersichtswerk erschließt, wie Europäer die traumatisierenden Ereignisse der 1930er und 1940er Jahre deuteten und debattierten. Neben Gemeinsamkeiten und Unterschieden nationaler Erinnerungskulturen werden auch Spannungen zwischen der offiziellen Gedächtnispolitik und den Erinnerungen einzelner gesellschaftlicher Gruppen dargestellt. Der juristischen Aufarbeitung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist ein eigenes Kapitel gewidmet.
Autorenporträt
Arnd Bauerkämper, Prof. Dr., geb. 1958, ist Professor für die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts an der Freien Universität Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.02.2013

Politisch umkämpftes Terrain
Europa konnte nach dem Zweiten Weltkrieg keine einheitliche Erinnerungskultur hervorbringen

In den Kulturwissenschaften und in geschichtspolitischen Debatten nimmt der Umgang mit Nationalsozialismus, Holocaust und Zweitem Weltkrieg seit vielen Jahren eine herausragende Bedeutung ein. Bislang fehlte es aber an einer akzentuierten Monographie, welche eine europäische Bilanz zieht, ohne dabei nationalpolitische Akzentuierungen zu nivellieren und vorschnell die Existenz einer homogenen europäischen Gedächtniskultur zu postulieren. Dem Berliner Historiker Arnd Bauerkämper ist dieses Unterfangen in bemerkenswerter Weise geglückt. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass er klar strukturierte Zugänge wählt, um Schneisen in das kaum überschaubare Dickicht dieses unübersichtlichen Themenkomplexes zu schlagen.

Bauerkämper gelingt das Kunststück, insgesamt 14 Länder (Deutschland, Österreich, Italien, Frankreich, Norwegen, Dänemark, Sowjetunion/Russland, Polen, Tschechoslowakei/Tschechische Republik und Slowakei, Ungarn, Rumänien, Spanien, Schweden, Schweiz) auf hohem analytischen Niveau abzuhandeln, so dass sein Werk durchaus auch als handbuchartiger Überblick gelesen werden kann. Dass er sich auf die Auswertung englisch- und deutschsprachiger Literatur beschränkt, mag man gerade in Hinsicht auf Frankreich, Italien und Spanien bedauern, ist aber angesichts der Komplexität der Materie nachvollziehbar.

Der Verfasser konzentriert sich auf die politischen und gesellschaftlichen Träger von Erinnerungsdiskursen, bindet also diese an die deutungspolitischen Interessen ihrer Produzenten zurück. Zugleich hat diese Akzentuierung der soziopolitischen Dimension zur Folge, dass für ihn Konflikthaltigkeit, Dynamik und Prozesshaftigkeit der historischen Gedächtnisbildung im Vordergrund stehen. Daraus folgt zwangsläufig, dass er ahistorischen Vorstellungen von der Existenz eines uniformen, gleichsam statischen Gedächtnisses eine entschiedene Absage erteilt. Diese Sensibilität für die polarisierenden und fragmentierenden Auswirkungen geschichtspolitischer Debatten über Nationalsozialismus, Holocaust und Weltkrieg führt zu einem klarsichtigen, stets um Nuancierungen bemühten Blick.

Das Ergebnis seiner luziden Untersuchung mag diejenigen enttäuschen, welche die geschichtspolitische Hoffnung hegen, dass eine einheitliche europäische Deutung von Nationalsozialismus und Holocaust ein Baustein für eine europäische Identität sein könne. Bauerkämper breitet nüchtern die Gründe dafür aus, warum Europa keine einheitliche Erinnerungskultur hervorgebracht hat. Denn trotz transnationaler und universalistischer Einflüsse seien die jeweiligen Erinnerungskulturen immer noch zu stark national zentriert. Erinnerungspolitik bleibe ein politisch umkämpftes Terrain nicht nur in Staaten wie Polen und Ungarn, sondern auch in alten Demokratien wie Frankreich und der Schweiz.

Wie lassen sich nationale Spezifika begrifflich einfangen, ohne rein enzyklopädisches Wissen anzuhäufen? Bauerkämper gelingt die Balance zwischen detailgesättigter Information und übergreifender Synthese, weil er eine zentrale Problemstellung zum archimedischen Punkt seiner Ausführungen macht: Der synthetische Ertrag seiner Studie besteht darin, dass er die dynamische Beziehung zwischen dem "kommunikativen Gedächtnis" und dem "kulturellen Gedächtnis" als entscheidende Antriebskraft für die Genese kollektiver Gedächtnisse identifiziert. Seine beiden Leitkategorien sind in der boomenden Gedächtnisforschung durchaus etabliert, weil sie lebensweltlich und institutionell distinkte Formen der Gedächtnisbildung auf den Begriff bringen: Das kommunikative Kurzzeitgedächtnis bezeichnet fluide Erinnerungsgemeinschaften von Generationen, Familien oder vergleichsweise intimen Erzählgemeinschaften, in denen die Überlieferung vergangenen Geschehens innerfamiliär oder durch Zeitzeugenbeglaubigung stattfindet. Die daraus entstehenden Diskurse besitzen im Unterschied zum institutionell abgestützten "kulturellen Gedächtnis" keinen gleichsam offiziösen Charakter; sie zählen nicht zu einer geschichtspolitisch normierten Erinnerung, welche von staatlicher Seite und von seiten hegemonialer deutungskultureller Eliten vorgegeben wird.

Das kommunikative Gedächtnis und das kulturelle Gedächtnis bilden zwei unterschiedliche "Gedächtnisregime", die zugleich in soziokultureller Hinsicht differente Akteure - auf der einen Seite zivilgesellschaftliche Gruppen sowie soziale Primärgruppen, auf der anderen Seite die offiziellen und offiziösen Träger von Erinnerungspolitik - bezeichnen. Insbesondere für die Untersuchung der Gedächtnisformierung in den kommunistischen und postkommunistischen Systemen Ostmittel- und Osteuropas erweist sich dieser Ansatz als überaus ergiebig.

Denn die kommunistische Geschichtsdeutung in Hinsicht auf Weltkrieg und Judenvernichtung stand in einem so eklatanten Widerspruch zu den innerfamiliären Tradierungen, dass diese tiefe Kluft in solchen Staaten, die sowohl unter dem Nationalsozialismus als auch unter dem Kommunismus zu leiden hatten, Tendenzen beförderte, die auf eine partielle Rehabilitierung der von offizieller Seite bis 1989 geächteten erinnerungspolitischen Positionen hinauslaufen. Dass beispielsweise im EU-Mitgliedsland Rumänien keine wirkliche zivilgesellschaftliche Debatte über die Beteiligung "ganz gewöhnlicher" Rumänen an der Ermordung der jüdischen Bevölkerung in Bessarabien und der Ukraine aufkommt und dass der mit dem "Dritten Reich" paktierende autoritäre Führer Marschall Antonescu wieder offiziell in Ehren gehalten wird, hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass die Träger des kommunikativen Gedächtnisses das gedächtnispolitische Vakuum von 1989 an mit national zentrierten Deutungsmustern zu füllen suchten.

Umgekehrt zeugt das Beispiel der Bundesrepublik Deutschland davon, dass die offiziöse Normierung des Gedenkens an Nationalsozialismus und Holocaust in einem dezidiert universalistischen Sinne ein davon abweichendes kommunikatives Gedächtnis austrocknen kann. Die seit den frühen 1960er Jahren von maßgeblichen Politikern und kulturellen Eliten praktizierte schonungslose Selbstaufklärung stieß zwar zunächst mit der auf Primärgruppen-Ebene kommunizierten These, wonach die Deutschen wegen Bombenkrieg, Vertreibung und an den Deutschen verübten Verbrechen doch mehr Opfer als Täter gewesen seien, zusammen. Mit dem allmählichen Verstummen solcher Diskurse und dem Heranwachsen einer neuen Generation kam es aber zu einem im internationalen Maßstab nicht ganz selbstverständlichen Siegeszug. Allein der Kontrast zwischen den beiden EU-Mitgliedern Deutschland und Rumänien legt beredtes Zeugnis davon ab, dass die dynamische Beziehung zwischen kommunikativem und kulturellem Gedächtnis national sehr unterschiedliche Akzentuierungen hervorgebracht hat.

An diesen Befund schließt Bauerkämper die Frage an, ob ein auf Holocaust und Weltkrieg fixiertes "negatives Gedächtnis" überhaupt für die Konstituierung einer kulturellen Identität Europas genügen kann, die möglicherweise Schritte in Richtung weiterer politischer Integration zu legitimieren imstande ist. Sein gehaltvolles Werk lässt sich auch als behutsames Plädoyer lesen, die kulturellen Kohäsionskräfte für weitere Integrationsanstrengungen nicht allein in politisch und vor allem auch moralisch hoch aufgeladenen Diskursen zu suchen, welche auf den Komplex der Verbrechensgeschichte fixiert sind. Dass sich das europäische Projekt in Abgrenzung zu den Menschheitsverbrechen von Nationalsozialismus und Faschismus herausgebildet hat, ist unbestritten. Doch die Frage sei erlaubt, ob nach mehr als 60 Jahren Erfahrungen mit supranationaler europäischer Staatlichkeit das europäische Projekt nicht über eigene identitätsstiftende Errungenschaften verfügen sollte.

WOLFRAM PYTA

Arnd Bauerkämper: Das umstrittene Gedächtnis. Die Erinnerung an Nationalsozialismus, Faschismus und Krieg in Europa seit 1945. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2012. 520 S., 58,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wolfram Pyta ist hellauf begeistert von Arnd Bauerkämpers Studie "Das umstrittene Gedächtnis". Darin beschreibt der Autor die nationale Erinnerungskultur von 14 europäischen Ländern im Hinblick auf den Nationalsozialismus und untersucht, weshalb Europa nach dem zweiten Weltkrieg nicht imstande war, einen Erinnerungskonsens zu erzielen, so der Rezensent. Zentraler Bestandteil der Analyse sei die Beziehung zwischen 'kommunikativem' und 'kulturellem Gedächtnis': ersteres tradiert sich im kleinen, engen, etwa familiären Kreis, letzteres wird durch offizielle Instanzen geprägt. Aus diesen beiden widerstreitenden "Gedächtnisregimen" formiert sich das 'kollektive Gedächtnis', referiert Pyta. Besonders lobt er den Autor für seinen "klarsichtigen, stets um Nuancierungen bemühten Blick" und bescheinigt ihm, "auf hohem analytischen Niveau" zu operieren.

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