62,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Versandfertig in 3-5 Tagen
  • Gebundenes Buch

Der Weg in die deutsch-ukrainische Kollaboration im Zweiten Weltkrieg war lang. Nationalisten beider 'zu kurz gekommenen' Völker strebten schon seit 1914 nach einer Zusammenarbeit gegen vorgebliche gemeinsame Feinde - Polen, Russen, Juden. Frank Golczewski beleuchtet unter neuen Fragestellungen die weithin unbekannte, oft groteske Geschichte zweier ungleicher Partner und ihrer ideologisch-politischen Konzepte für die Änderung des status quo. Seit 1914 versuchten beide Seiten kontinuierlich, einander für die eigenen Ziele nutzbar zu machen. Ukrainische Nationalisten im Exil buhlten um deutsche…mehr

Produktbeschreibung
Der Weg in die deutsch-ukrainische Kollaboration im Zweiten Weltkrieg war lang. Nationalisten beider 'zu kurz gekommenen' Völker strebten schon seit 1914 nach einer Zusammenarbeit gegen vorgebliche gemeinsame Feinde - Polen, Russen, Juden. Frank Golczewski beleuchtet unter neuen Fragestellungen die weithin unbekannte, oft groteske Geschichte zweier ungleicher Partner und ihrer ideologisch-politischen Konzepte für die Änderung des status quo. Seit 1914 versuchten beide Seiten kontinuierlich, einander für die eigenen Ziele nutzbar zu machen. Ukrainische Nationalisten im Exil buhlten um deutsche Politiker, Deutsche benutzten sie, um an die versprochenen Reichtümer der Ukraine zu gelangen. Beide Seiten täuschten einander - und suchten anschließend gleich wieder neue Kooperation. Deutsche Stellen hatten Be-ziehungen zu 'ihren' jeweiligen Ukrainern, die sich - wie bei Emigranten nicht selten - heftig befehdeten. In der gemeinsamen Ent-frem-dung von der Entente kristallisierte sich das Aufeinander-Verwiesen-Sein deutscher und ukrainischer politischer Kreise heraus. Konstante Elemente dieses Verhältnisses waren die Beziehungen zu Polen. Sowohl als 'Feind meines Feindes' als auch in gemeinhin unterschätzter Partnerschaft zwischen 1934 und 1939 war das Verhältnis zwischen Deut-schen und Ukrainern eine Funktion des jeweiligen deutsch-polnischen Ver-hältnisses. Das antijüdische Motiv gewann von den 1920er Jahren an zunehmende Bedeutung. Und auch die Beziehungen zu Sowjetrussland und der Sowjetunion wirkten sich auf die deutsch-ukrainischen Kontakte aus. Für die ukrainische Seite erwies sich die Entwicklung als eine Kette enttäuschter Hoffnungen, kurzsichtiger Planungen und des gegen-seitigen Verrats. Für die deutschen Politikgestalter und die deutschen Geheimdienste, ob vor oder nach 1933, waren die Ukrainer nur eine Karte im großen Spiel. In wenigen klarsichtigen Momenten nahmen ukrainische Vertreter das auch wahr - um sofort wieder in die nächste Falle zu tappen. Das Buch erschüttert mehrere historiographische Legenden. Besondere Auf-merksamkeit widmet es den subjektiven Einschätzungen der Akteure. So entsteht ein Bild von sehr unterschiedlichen Partnern, denen gegen Ende der dreißiger Jahre aber eines gemein war: die Bereitschaft, alles zu riskieren, um den status quo zu verändern.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Kornkammerträume
Deutsche und Ukrainer in der Zwischenkriegszeit

Die Geschichte der deutsch-ukrainischen Beziehungen zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg zu schreiben ist keine leichte Aufgabe. Ein eigener ukrainischer Staat existierte nicht - von einer kurzen Phase am Ende des Ersten Weltkriegs einmal abgesehen. Ukrainer lebten zudem nicht nur in Russland beziehungsweise in der Sowjetunion, sondern auch in Polen oder der Tschechoslowakei. So fehlt bei einer bilateralen Betrachtung gewissermaßen das eine der beiden Zentren. Frank Golczewski strebt daher mit Bedacht eine Geschichte von "Deutschen" und "Ukrainern" an. Da eine unabhängige Ukraine nicht bestand, kam es vor allem auf einzelne Persönlichkeiten an.

Von regelrechten "Netzwerken" möchte Golczewski nicht sprechen. Dafür waren die Verbindungen nicht regelmäßig und stabil genug. Aber am Ende des Ersten Weltkriegs, als unter Patronage der Mittelmächte für kurze Zeit ein ukrainischer Staat entstanden war, hatten sich persönliche Kontakte gebildet, auf die man später zurückgriff. Die früheren Verbindungen zu deutschen Beamten und Militärs öffneten den Führern der ukrainischen Unabhängigkeitsbewegung auch nach 1918/19 die Türen bis in die Spitzen des Reichs. Eine der vielen Verbindungen lief zum Beispiel direkt über Wilhelm Groener, starker Mann der letzten Obersten Heeresleitung im Ersten Weltkrieg und von 1928 bis 1932 unter anderem Reichswehrminister.

Die Geschichte, die Frank Golczewski schreibt, ist nicht nur eine Geschichte persönlicher Kontakte, sondern auch eine Geschichte der Bilder voneinander. Dabei ist gar nicht so leicht anzugeben, seit wann es in Deutschland überhaupt ein einigermaßen klares Bild von der Ukraine gab. Als ukrainische Vertreter nach Kriegsbeginn 1914 beim Auswärtigen Amt vorsprachen und für eine Zusammenarbeit warben, mussten sich die Deutschen jedenfalls erst einmal informieren, wer da eigentlich angeklopft hatte. Wie immer in solchen Fällen liegen in den sich dann nach und nach verfestigenden Bildern das Imaginierte und die historische Realität weit auseinander. In Deutschland etwa hielt sich hartnäckig die Vorstellung von der ukrainischen "Kornkammer", deren Nahrungsreserven man nur abzuschöpfen brauche. Die Wirklichkeit sah anders aus. Der Beitrag von ukrainischem Getreide zur Nahrungsmittelversorgung des Reichs im Ersten Weltkrieg tendierte trotz aller Bemühungen gegen null. Bei ukrainischen Vertretern erhärtete sich indessen der Eindruck, dass die Deutschen die Einzigen waren, auf die man, wenn überhaupt, bei den Bemühungen um einen eigenen Staat zählen konnte. Nach dem Ersten Weltkrieg unternommene Versuche, bei den Ententemächten für sich zu werben, hatten keine Chance. Zu sehr stand die Ukraine im Geruch der Kollaboration mit dem Reich.

Damit kommen wiederum die politischen Beziehungen ins Spiel. Hier legt Golczewski besonderen Wert darauf, dass keineswegs die deutsche Seite stets der aktive Partner war. Die Kontakte gingen vielmehr häufig von Vertretern der Ukraine aus, und diesen gelang es auch immer wieder, die deutsche Politik in ihrem Sinne zu beeinflussen. So war der erste ukrainische Staat von 1917/18 mindestens ebenso das Produkt ukrainischen Unabhängigkeitsstrebens wie der deutsche Versuch, einen Satellitenstaat zu schaffen. Auch im weiteren Verlauf hoffte man gegenseitig voneinander zu profitieren. Die Deutschen hielten sich vor allem für eine spätere aktivere Politik im Osten Europas Optionen offen. Die Vertreter der ukrainischen Unabhängigkeitsbewegung erhielten nicht nur finanzielle Hilfe, sie hofften ihrerseits, die Nutznießer eines erneuten Krieges in Osteuropa zu sein. An dieser Konstellation änderte sich nach 1933 wenig. Erst 1937 begannen sich die Gewichte zu verschieben. Nun gingen die Nationalsozialisten daran, eine ihnen genehme ukrainische Nationalbewegung zu schaffen, die gegen Polen wie gegen die Sowjetunion eingesetzt werden konnte.

Mit seiner Geschichte von Deutschen und Ukrainern 1914 bis 1939 hat Frank Golczewski eine Pionierarbeit vorgelegt. Mit über tausend Seiten Text ist das Ergebnis allerdings auch bei der Lektüre ein hartes Stück Arbeit, zumal die meisten deutschen Leser nur schwer den Überblick über die verschiedenen Fraktionen der ukrainischen Unabhängigkeitsbewegung behalten werden. Doch am Ende lohnt die Lektüre, weil der Autor die Beziehungen der Deutschen zu ihren östlichen Nachbarn nicht nur als einseitigen Einflussprozess, sondern als vielfachen Wechsel- und Austauschprozess nachzeichnet. Die Studie zeigt somit eindrucksvoll, wie eng die Nationalgeschichten in Europa gerade an ihren entscheidenden Wendepunkten miteinander verwoben sind.

FRIEDRICH KIESSLING

Frank Golczewski: Deutsche und Ukrainer 1914-1939. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2010. 1085 S., 98,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Eindrucksvoll an dieser Studie zur Geschichte der deutsch-ukrainischen Beziehungen findet Friedrich Kießling vor allem den Umstand, dass der Autor sich nicht auf eine einseitige Einflussnahme versteift. Stattdessen weist Frank Golczewski dem Rezensenten die Bilateralität der Beziehungen zwischen 1914 und 1939 nach sowie ihre Abhängigkeit von persönlichen Kontakten und dem Bild der beiden Seiten voneinander. Eine Pionierarbeit, meint Kießling, die allerdings den Leser fordert. Des schieren Umfangs wegen, aber auch, wie Kießling erklärt, weil die verschiedenen Fraktionen der ukrainischen Unabhängigkeitsbewegung schwer auseinanderzuhalten sind.

© Perlentaucher Medien GmbH