Marktplatzangebote
10 Angebote ab € 2,25 €
  • Gebundenes Buch

Ein Buch von beeindruckender Intensität und Dichte, das mit literarischer Feder eine Geschichte erzählt, die - als Lebensbornschicksal - zwar äußerst ungewöhnlich ist, andererseits aber beispielhaft für viele Fragen der Nachkriegsgeneration an die Generation der Eltern und deren Verhalten zur Zeit des Nationalsozialismus steht.

Produktbeschreibung
Ein Buch von beeindruckender Intensität und Dichte, das mit literarischer Feder eine Geschichte erzählt, die - als Lebensbornschicksal - zwar äußerst ungewöhnlich ist, andererseits aber beispielhaft für viele Fragen der Nachkriegsgeneration an die Generation der Eltern und deren Verhalten zur Zeit des Nationalsozialismus steht.
Autorenporträt
Gisela Heidenreich, geboren 1943 in Oslo, aufgewachsen in Bad Tölz und München, studierte Pädagogik, Sonderpädagogik und Psychologie. Weitere Ausbildungen in Paar- und Familientherapie und Mediation. Langjährige Lehrtätigkeit in Schulen und Institutionen, seit vielen Jahren Paar- und Familientherapeutin und Mediatorin in freier Praxis. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von München.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.01.2003

Bedauernswerte Auserwählte
Erstmals trafen sich "Lebensborn-Kinder" mit Historikern und Therapeuten

VON KATJA TRIPPEL

HADAMAR. Die Worte, die Heinrich Himmler, Reichsführer SS, 1934 an seine Soldaten richtete, waren unmißverständlich: "Wir werden alle umsonst gekämpft haben, wenn wir dem politischen Sieg nicht den Sieg der Geburten des guten Blutes hinzufügen." Kinder sollten sie zeugen, mit ihren Frauen oder auch außerhalb der Ehe - Hauptsache in hoher Zahl und "erbbiologischer Güte".

Im folgenden Jahr ließ er den Verein "Lebensborn" gründen, der in Deutschland sowie in den besetzten Gebieten von Holland über Norwegen bis Polen und Tschechien insgesamt 24 Kinder- und Geburtsheime für SS-Mütter und ledige Schwangere mit "arischen Rassemerkmalen" aufbaute. Hier sollten die Frauen ihre Kinder zur Welt bringen: geheim, von NS-Schwestern versorgt, von SS-Männern geschützt - nicht aus Fürsorge, sondern, so formulierte es Himmler, "einzig und allein aus dem Gedanken heraus, daß wir Deutsche es uns nicht leisten können, auf nur einen Tropfen guten Blutes zu verzichten".

Bis Kriegsende wurden allein im Deutschen Reich 8ooo bis 9000 Kinder in Lebensborn-Heimen geboren und aufgezogen. Dazu kommen schätzungsweise ebenso viele uneheliche Kinder von Wehrmachtssoldaten aus Norwegen, die vielfach mit oder ohne ihre Mütter "eingedeutscht" und nach Deutschland verschleppt wurden, sowie etwa 350 überwiegend osteuropäische Kinder "arischen Typs", die auf direkte Anweisung Himmlers ihren Familien geraubt wurden.

Das ist lange her. Doch erst unlängst trafen sich ehemalige "Lebensborn-Kinder" zum ersten Mal, um miteinander über ihre Geschichte zu sprechen, von der sie viele Details noch immer nicht kennen. Sie liegt wie ein dunkles Geheimnis auf ihren Seelen.

Der Historiker und Autor des Lebensborn-Standardwerks Georg Lilienthal hatte Betroffene in die Euthanasiegedenkstätte Hadamar im Westerwald eingeladen, die er seit 1999 leitet. In der ehemaligen NS-Anstalt wurden zwischen 1941 und 1945 über 10.000 Kranke vergast und weitere 4000 vergiftet, um "minderwertiges Erbgut" auszulöschen. Der Ort verfehlt seine Wirkung nicht. "So intensiv wie hier habe ich den Irrsinn unseres Schicksals noch nie empfunden", sagt Hilde L., 64, und spricht den anderen Lebensborn-Kindern aus dem Herzen. Obwohl sie sich erst seit wenigen Stunden kennen, teilen die 30 Männer und Frauen viele Gefühle.

"Historisches Trauma" - so nennt der Soziologe und Familientherapeut Detlev Michaelis vom Jüdischen Beratungszentrum des Sigmund-Freud-Instituts Frankfurt (SFI) die seelischen Folgen, unter denen viele Lebensborn-Kinder leiden. Er hat während des Treffens eine Gesprächsgruppe moderiert, wie auch Georg Lilienthal und die Münchner Familientherapeutin Gisela Heidenreich, die ihre eigene Lebensborn-Geschichte in einem Roman veröffentlicht hat.

Die Zusammenarbeit der Historiker und Psychotherapeuten beruht auf dem Gedanken, daß historisch Traumatisierte ihre Erfahrungen besser verarbeiten können, wenn sie den geschichtlichen Kontext verstehen. Der ist für sie meist ein großes schwarzes Loch. Mehrere unter ihnen haben erst kürzlich von ihrer Lebensborn-Herkunft erfahren. Etliche suchen noch immer nach ihren Vätern oder Ursprungsfamilien, kennen nicht einmal ihren Geburtsnamen, haben nur falsche Papiere zur Hand.

Während sie einander Bruchstücke aus dem damaligen Geschehen mitteilen, an die sie sich erinnern oder die sie in Archiven oder Suchregistern mühevoll recherchiert haben, kommen vielen die Tränen. "Ich habe noch nie vor Fremden darüber gesprochen", gibt Walter S. zu, "habe meine Herkunft versteckt." Als Kind einer Norwegerin und eines Wehrmachtssoldaten wurde er 1942 in einem Lebensborn-Heim geboren und zur Adoption freigegeben, weil seine Mutter als "Deutschen-Flittchen" von ihrer Familie unter Druck gesetzt worden war. Seine Adoptiveltern klärten ihn nie über seine Herkunft auf, bis er als Jugendlicher zufällig eine zweite Geburtsurkunde fand, in der als Geburtsort eine Stadt in Norwegen genannt wurde. "Ich war total entsetzt: Meine ganze Vergangenheit war auf einmal Lüge, meine Eltern waren Verräter", sagt der heute 60jährige. "Als ich dann erfuhr, was ,Lebensborn' bedeutete, kam der Schock: Edelbordell, SS-Zuchtanstalt, so hieß das damals."

Mit diesen Gerüchten wurden fast alle der in Hadamar Versammelten konfrontiert. Obwohl Tausende Bücher über die NS-Zeit erschienen sind, gibt es bis heute nicht eine Handvoll seriöser Werke über den SS-Verein Lebensborn. Die Betroffenen litten daher jahrzehntelang unter einem doppelten Stigma: "Wir hatten etwas mit SS und Sexualität zu tun - den zwei schlimmsten Tabus der Nachkriegszeit", konstatiert Gisela Heidenreich. So wuchsen fast alle Lebensborn-Kinder in einem Klima aus Lügen, Verdrängung und Konflikten auf. Die Wahrheit wurde ihnen verheimlicht, auf Fragen gab es keine oder falsche Antworten. "Stets war da diese Angst, etwas stimmt nicht, die Wahrheit wird mir vorenthalten, meine Existenz beruht auf einem schrecklichen Geheimnis."

Gisela Heidenreich bekam als kleines Kind erzählt, sie sei eine Waise, später hieß es, sie sei die Tochter ihrer Tante, schließlich mußte sie begreifen, "daß Mutti die Tante und Tante die Mutti" ist". Doch selbst dann wurde sie von ihrer Mutter, die bis Mai 1945 für den Lebensborn e.V. gearbeitet hatte, verleugnet, weil diese ihre eigene NS-Vergangenheit vertuschen wollte. "Ich wuchs auf mit der Botschaft: Es gibt mich nicht, darf mich nicht geben, ich bin noch nicht einmal geboren."

Erst als Abiturientin fand sie heraus, daß ihr Vater noch lebte, mit über 50 Jahren glaubt sie, ihrer Mutter die letzten Geheimnisse über ihre Herkunft entlockt zu haben. Doch Zweifel bleiben, denn - auch diese Erfahrung teilen die meisten Lebensborn-Kinder - "da wird geblockt, vertuscht, mit Halbwahrheiten taktiert, ohne Rücksicht, daß auch ich Probleme mit dieser Identität habe".

Walter S. erzählt, wie schwer es ihm stets gefallen ist, Menschen zu vertrauen. Wie er ausflippte, wenn seine Kinder harmlose Schwindeleien erfanden. Hilde L., nach langjährigen Recherchen noch immer ohne Erkenntnisse über ihre Familie, konnte Nähe nie zulassen, hat zwei Ehen hinter sich und viele depressive Phasen, in denen "der ganze Boden unter meiner Identität schwankte".

Viele der Opfer fühlten sich "entwertet, verloren", leiden unter dem Zwang, sich permanent um existentielle Fragen zu drehen: "Wer bin ich, wo komme ich her, wächst das Böse in mir fort?" Und auch unter den Vorwürfen, sich nur für sich selbst zu interessieren.

Detlev Michaelis spricht von einem zerstörten Urvertrauen, worunter die gesamte Persönlichkeitsentwicklung leiden kann. Und die Suche nach der Wahrheit bringt neue Probleme. Gisela Heidenreich berichtet, wie sie fast daran zerrissen wurde, immer neue Lügen zu entdecken und dennoch ihre alte Mutter schützen zu wollen.

Das Leben hat die Narben nicht verheilen lassen. "Es ist kein Zufall, daß die Lebensborn-Kinder sich jetzt, im Übergang zum Rentenalter, intensiv mit ihrer Geschichte auseinandersetzen", sagt der Familientherapeut Michaelis. "Wenn ihre eigenen Kinder erwachsen werden, merken manche, daß diese unter ähnlichen Identitätskonflikten leiden - das Gefühl der Unsicherheit wurde in die folgende Generation übertragen." Zudem sehen viele Betroffene die letzte Chance, ihren Eltern vor deren Tod doch noch die Wahrheit zu entlocken - und wecken ein letztes Mal schwere Familienkonflikte.

Ihre Diagnosen formulieren die Therapeuten im Gespräch mit den Lebensborn-Kindern sehr behutsam - wissen sie doch, wie satt diese die negativen Zuschreibungen ihrer Person haben. In welcher Weise ihnen künftig bei der Bewältigung ihres Traumas geholfen werden kann, "ist trotz aller Gemeinsamkeiten eine individuelle Frage", sagt Michaelis. Gruppengespräche seien aber wie bei anderen Opfern traumatischer Erlebnisse die beste Möglichkeit, aus der Isolation herauszutreten und an erlittenen Verletzungen zu arbeiten. Auch seine Kollegin Heidenreich zieht diese "Betroffenen-Gruppen" aufwühlenden Trauma-Therapien vor.

Heidenreich selbst hat beim Schreiben Frieden mit ihrer Geschichte schließen können. "Irgendwann gelang es mir, meine Mutter wieder mit den Augen einer Tochter und nicht mit denen einer Richterin zu sehen", sagt sie - und weiß, daß sie damit anderen Betroffenen etwas Wichtiges voraus hat.

Literatur: Gisela Heidenreich, Das endlose Jahr, 19,90 Euro, Scherz Verlag 2002

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Lange Zeit wusste die inzwischen 50-jährige Therapeutin Gisela Heidenreich nicht, welche Geschichte sich hinter ihrer Herkunft und ihrem Geburtsort "Oslo" verbarg, berichtet Ingrid Müller-Münch. Die Autorin war eines der 12.000 Kinder, die während der deutschen Besatzung in Norwegen in den Jahren 1940 bis 1945 in einem der zehn "Lebensborn"-Heime als Kind eines Deutschen und einer Norwegerin zur Welt gebracht wurde und über viele Jahre keine Ahnung über die wahren Umstände ihrer Geburt und Herkunft hatte, so die Rezensentin. Die Biografie von Heidenreich, meint Müller-Münch, mache "schmerzhaft" deutlich, wie belastet der Lebensweg dieser "Lebensborn"-Kinder oder "Tyskerbarn" verlaufen sei, wieviel "Albträume und Unsicherheiten" sie überstanden haben. Das Buch von Heidenreich sei dafür ein bedrückender Beleg, wie auch die Studie "Vater: Deutscher" des norwegischen Historikers Kare Olsen, die die Rezensentin als ergänzende Lektüre zu diesem Band empfiehlt.

© Perlentaucher Medien GmbH