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Eine Kindheit in den Bengalen im Islam - Taslima Nasrins lebendige Erzählung führt ihre Leser in eine fremde Welt, die bis heute fortbesteht, bevölkert von bösen Geistern, brutalen Patriarchen und gottesfürchtigen Frauen.

Produktbeschreibung
Eine Kindheit in den Bengalen im Islam - Taslima Nasrins lebendige Erzählung führt ihre Leser in eine fremde Welt, die bis heute fortbesteht, bevölkert von bösen Geistern, brutalen Patriarchen und gottesfürchtigen Frauen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.01.2001

Vom Elend, als Frau zu leben
Die Schriftstellerin Taslima Nasrin berichtet grausame Details aus ihrem Leben als junges Mädchen in Bangladesh
TASLIMA NASRIN: Das Mädchen, das ich war. Die Autobiographie einer Kindheit, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 2000. 397 Seiten, 19,90 Mark.
Dass es „kaum ein größeres Elend gibt, denn als Frau zu leben”, habe sie schon mit sechs Jahren begriffen, sagt Taslima Nasrin. Wegen ihres ersten Romans „Scham” der Blasphemie beschuldigt und von muslimischen Fanatikern mit dem Todesurteil belegt, ist die bengalische Schriftstellerin und Ärztin 1993 weltberühmt geworden. Die unbeugsame Verfechterin der Menschen- und vor allem der Frauenrechte, ausgezeichnet unter anderem mit dem Kurt-Tucholsky- und dem Sacharow-Preis, lebt seither im Ausland. Vor zwei Jahren hat sie in Paris die Autobiographie ihrer Kindheit vorgelegt, die nun auch auf Deutsch erschienen ist.
Die 1962 in einer der damaligen Ostprovinzen Pakistans geborene Nasrin beschreibt ihr Heranwachsen als Mädchen in einer wohlhabenden, muslimischen Großfamilie. Der Vater ein erfolgreicher Arzt, der sich europäisch kleidet, viel von Bildung und nichts von Religion hält. Die Mutter, schon mit 13 verheiratet, wider Willen ungebildet und noch dazu hässlich. Von ihrem Mann schlecht behandelt und immerzu betrogen, tritt sie den inneren Rückzug an, vernachlässigt sich und ihre vier Kinder. Als auch die heimlichen Kinogänge, die ihr als Frau ohne Begleitung untersagt sind, kein Glück mehr versprechen, flüchtet sich die Depressive in die Mystik und wird Anhängerin eines Sufi-Heiligen. Eine fast fanatische Religiosität und ekstatische Rituale beherrschen nun ihr Leben.
Der Vater will seine Kinder unterdessen mit unglaublicher Brutalität zu guten Schülern trimmen: „Es ist, als würde er mir den Schädel öffnen und ihn mit Kenntnissen voll stopfen, um ihn dann mit heftigen Schilfrohrschlägen wieder zu verschließen, um auch ganz sicherzugehen, dass sie nie wieder herauskommen. ” Damit kein Familienmitglied auf die falsche Bahn gerät, gestaltet der Vater das Wohnhaus in ein regelrechtes Gefängnis um. Taslima kommt sich vor wie eine „Ratte im Loch”.
Die Hölle der Unterwerfung
Nachdem er mit der Erziehung der Söhne gescheitert ist, setzt der Vater alle Hoffnungen auf seine ältere Tochter: Sie soll, wie er, Ärztin werden. Die Mutter, in ihrer blinden Hinwendung zu Gott, hält Bildung für verwerflich, weil sie „an diese Welt kettet” und Unglaube angeblich in die Hölle führt. Tochter Taslima soll ihr auf dem „Pfad Gottes” folgen. Labil und launenhaft, prügelt sie das unwillige Kind, von dem sie im Zorn manchmal sagt, sie hätte es „schon in der Wiege umbringen sollen”. Zugleich schützt die unglückliche Frau ihre Kinder, so weit sie kann, vor dem gnadenlosen, erzieherischen Zugriff des Vaters.
Zwischen den Eltern herrscht ein verbaler Krieg und mitunter rohe Gewalt. Die Kinder wachsen in einer Welt der Ambivalenz auf, in der Säkularisation und Religiosität, Zärtlichkeit und Brutalität in heftigem Widerstreit miteinander stehen. Des Übels nicht genug, wird Taslima, erst siebenjährig, nacheinander von zwei Onkeln sexuell missbraucht. Trotzdem geht das abenteuerlustige Mädchen, das die Welt der Bücher liebt, seinen individuellen Weg, stellt unbequeme Fragen und lässt sich mit einfachen Antworten nicht abspeisen. Sie schützt sich vor dem religiösen Terror ihrer Mutter und weigert sich in der Pubertät, ihren Kopf und Körper in der Öffentlichkeit zu bedecken. Das Kind aus gutem Hause entwickelt früh ein Klassenbewusstsein, denn es nimmt wahr, wie miserabel die Eltern die Dienstboten behandeln und ausbeuten. Manchmal möchte sie lieber „sterben, als weiter als Frau in dieser Welt zu leben”.
Bei allen durchaus poetischen und bewegenden Berichten über Nasrins Familie, von denen sie nach eigener Aussage vieles aus den Erzählungen ihrer Angehörigen rekonstruiert hat, bleiben die politischen Ereignisse dieser Zeit völlig im Hintergrund. Nasrin liefert nur wenig Informationen über den Befreiungskampf von Pakistan, der 1971 zur Unabhängigkeit von Bangladesh führte. Über die Hungersnot von 1974 erfährt der Leser weniger als über das Eintreten ihrer ersten Regel. Für Landesunkundige entsteht darüber hinaus der Eindruck, die Bevölkerung von Bangladesh bestünde mit wenigen Ausnahmen aus fanatischen Muslimen, irren Mystikern, brutalen Männern, geschundenen Frauen und unterdrückten Hindus. Nasrins prekäre Verknappung von Aussagen des Korans zum Thema Frau halten einer wissenschaftlichen Beurteilung kaum stand.
Das verwundert, denn in ihren Reden zeigt sich die Autorin als differenzierende und politische Figur: Nasrin ist sich des Nord-Süd-Konflikts und der Gefahr von Feindbildern durchaus bewusst. An ihren Verdiensten im Kampf für die Menschenrechte gibt es nicht den geringsten Zweifel; auch nicht an ihrem Mut zur Kritik an religiösem Wahn in ihrer Heimat, wo sie noch immer verfolgt wird. In ihrer Autobiographie bedient sie dennoch die gängigen Klischees über den Islam als monolithische Religion, die dem politischen Konflikt weder gerecht werden, noch zu dessen Beilegung beitragen. Den reformwilligen, progressiven Kräften in Bangladesh tut sie mit dieser Darstellungsweise deshalb vermutlich keinen Gefallen.
ALEXANDRA SENFFT
Die Rezensentin ist Islamwissenschaftlerin und freie Journalistin in Hamburg.
Angeklagt wegen Gotteslästerung, freigelassen gegen Kaution, mit einer Fatwa verfolgt bis heute: Taslima Nasrin (Mitte) 1994 vor dem Zentralgericht in Dhaka.
Foto: dpa
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Der mit as. zeichnende Rezensent zeigt sich in seiner Kurzkritik angetan und überzeugt von dieser Autobiografie der bengalischen Ärztin und Schriftstellerin, die für ihren ersten Roman, der unter dem deutschen Titel "Schande" erschien, mit der Fatwa belegt wurde. Das Vorwort sei zwar zu "pathosgeladen", kritisiert der Rezensent, doch dann gelinge der Autorin eine Kindheits- und Jugendbeschreibung, die sich durch einen "kräftigen Strich" auszeichne und dabei angenehmer Weise jegliche "Penetranz" vermeide. Damit, so der Rezensent begeistert, hat Nasrin mit ihrer persönlichen Geschichte auch eine "konsistentere und überzeugendere" Gesellschaftskritik ihres Landes vorgelegt als mit ihrem Roman "Schande".

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