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Produktdetails
  • rororo Taschenbücher
  • Verlag: Rowohlt TB.
  • Originaltitel: Labyrinthe des Sentiments
  • Seitenzahl: 122
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 152g
  • ISBN-13: 9783499227226
  • ISBN-10: 3499227223
  • Artikelnr.: 09622077
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001

Gefangen im Kitschkerker
Tahar Ben Jelloun nimmt Wucherzinsen / Von Stephan Maus

Im Juli 1971 schlägt ein Attentat auf den marokkanischen König Hassan II. fehl. Die Anführer des Staatsstreiches werden erschossen, die Ausführenden, größtenteils junge Offiziersschüler, wirft man in nachtschwarze Folterzellen in Tazmamart im Atlasgebirge. Unter dem Druck von Menschenrechtsgruppen und der internationalen Gemeinschaft werden die Überlebenden im Oktober 1991 befreit. Tazmamart wird zum Symbol eines repressiven Staates. Achtundzwanzig von achtundfünfzig Inhaftierten haben die Torturen überlebt. Einer davon ist Aziz Binebine.

Seit 1971 lebt der marokkanische Schriftsteller Tahar Ben Jelloun in Frankreich. Immer wieder predigt er Mut zu Zivilcourage und Engagement für die Menschenrechte. Doch bis zum Tod von Hassan II. im Sommer 1999 hat er sich niemals kritisch zur politischen Lage in Marokko geäußert und ließ sich vom König sogar als Ehrengast empfangen. Ab 1981 werden erste Briefe aus Tazmamart geschmuggelt und von Menschenrechtlern veröffentlicht. Zwanzig Jahre später und neun Jahre nach Öffnung des Folterkellers von Tazmamart nimmt sich Ben Jelloun der Geschichte an. Sein Roman "Das Schweigen des Lichts" beruht auf Aziz Binebines Erzählungen. Der Autor gerät damit ins Kreuzfeuer der Kritik, viele erzürnen sich über ein verspätetes und risikoloses "J'accuse".

Nun muß eine solche Vorgeschichte einen Autor nicht davon abhalten, ein gutes Buch zu schreiben. In Jellouns Fall leider doch. Das Leid der Gefängnisinsassen nimmt Jelloun zum Anlaß, eine rhetorisch aufgeblasene Heilsgeschichte zu inszenieren, in der sein Erzähler Salim eine konzentrierte Vergeistigung als Strategie gegen die unerträgliche Realität des Folterkerkers wählt. Ben Jelloun erleidet dabei eine stilistische Regression sondergleichen, etwa bei den Symbolen, Allegorien und Bildern, die er für die Pubertät findet. Vom Regenbogen- bis zum Schmetterlingsmotiv ist alles dabei: Herz, Tunnel, Nacht, Kerze, Sanduhr - der gesamte Sprachtrödel des simulierten Sentiments. Alle abgegriffenen Metaphern und Vergleiche zwischen den Polen Licht und Dunkelheit werden dabei restlos durchdekliniert.

Im Verlauf der Handlung verwandeln sich die Gefangenen langsam in einen engagierten Betzirkel mit prophetischen Traumgesichtern und telepathischem Kontakt zu Familienmitgliedern. Doch die Dialoge klingen, als probte eine Klasse von Internatsschülern ein aufwühlendes Kerkerdrama. Auch die Wärter hören sich nach schlampig synchronisiertem B-Movie an: "Ihr seid zu ewiger Finsternis verdammt. Das Licht werdet ihr nie mehr wiedersehen. Die Befehle sind eindeutig. Finsternis, Wasser und Trockenbrot. Weg mit euch!" In den realistischeren Szenen kippt der Roman in eine alberne Horror-Farce: "Alle Skorpione der Gruft klebten an Mustafas gemartertem Körper. Die Killertiere mußten aus der Gruft entfernt werden." Der Angriff der Killerskorpione kann erfolgreich abgewehrt werden. Der Todesstachel der Trivialliteratur nicht.

Tahar Ben Jelloun hat so eine wahre maghrebinische Tragödie zu einer billigen Kerker-Schnulze verwandelt und verhökert geliehenes Leid mit schamlosem Wucherzins. Sein Gewährsmann Aziz Binebine hat nicht nur achtzehn Jahre in einem grausamen Foltergefängnis gesessen, sondern muß nun seine Biographie mit unzumutbarer Trivialliteratur verquickt sehen - ihm ist der Roman gewidmet.

Doch der Sprachkitsch des Autors dringt nicht nur in düstere Kerker, er findet auch in sonnendurchflutete Irrgärten. Der Roman "Labyrinth der Gefühle" führt nach Neapel, dessen Gassengewirr hier die Orientierungslosigkeit der Protagonisten spiegelt. Der Ich-Erzähler Gharib ist ein alternder marokkanischer Dichter, der nach einer tragischen Liebe den Frauen vorerst abgeschworen hat - bis Wahida kommt. Sie ist jung, hat den brodelnden Vesuv unter den verführerisch gewölbten Brüsten und die Capri-Sonne im Herzen. Wahida ist maghrebinische Prostituierte, die in Neapel in die Fänge der Camorra geraten ist. Gharib kauft sie frei, liest ihr Gedichte vor und kriegt sie mit der Masche rum: "Ich fühle mich geborgen bei dir. Ich sage es noch einmal: Du bist der erste Mann, der mir die Hand gereicht, meine Hand mit Gefühl ergriffen hat." Die Geborgenheit schaukelt sich hoch, bis es zu einem lyrischen Striptease kommt; bei der Genitiv-Metapher "Atem der Seele" fällt schließlich der Schlüpfer. Doch den Atem des Fleisches fürchtet der Dichter, die alten "Wunden" sind noch zu frisch. Wutentbrannt flüchtet Wahida vor dem Faselderwisch zur wortkargen albanischen Mafia. Die liest ihr wenigstens keine Gedichte mehr vor. Auch in diesem Buch glänzt Tahar Ben Jelloun wieder mit verschlungenen Kitscharabesken: "Neapel hat mich eingehüllt, mit reinstem Olivenöl eingerieben." Der Mann muß über einen Kraftdünger für Stilblüten verfügen. Die Frauen sind so geheimnisvoll wie die Stadt. Man meint, das Hohe Lied der Liebe in einer Bearbeitung von Wolfgang Petry zu lesen: "Sie küßte mich stürmisch ... Es war Wahnsinn." Hölle, Hölle, Hölle.

Für zwei Sätze fliegt den Erzähler gleißende Klarsicht an: "Ja, du hast Recht, ich liebe (die Frauen), aber meine Tragödie ist, daß ich sie nicht verstehe. Sie interessieren und fesseln mich, doch alle meine Liebesgeschichten gehen daneben." Tahar Ben Jelloun bleibt mit diesen zwei Werken den Beweis schuldig, daß er mehr als ein exilierter Schundautor ist.

Tahar Ben Jelloun: "Das Schweigen des Lichts". Roman. Aus dem Fanzösischen übersetzt von Christiane Kayser. Berlin Verlag, Berlin 2001. 252 S., geb., 39,80 DM.

Tahar Ben Jelloun: "Labyrinth der Gefühle". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Christiane Kayser. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 2001. 124 S., br., 21,51 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wie der Titel vermuten lässt, handelt es sich hier um eine Liebesgeschichte; angesiedelt ist sie in Neapel. Gharib, ein nicht mehr ganz junger marokkanischer Dichter, verliebt sich in Wahida, eine Frau mit der "Capri-Sonne im Herzen" - so die Worte des Rezensenten Stephan Maus, die klar machen, dass er hier heftig gelitten hat. Darunter, dass der Dichter die begehrte Wahida mit Lyrik rumkriegt: "bei der Genitiv-Metapher 'Atem der Seele' fällt schließlich der Schlüpfer". Darunter auch, dass der Autor wiederum mit "verschlungenen Kitscharabesken" glänzt. Irgendwann, gegen Ende der Rezension, fällt Stephan Maus dazu dann gar nichts mehr ein, außer: "Hölle, Hölle, Hölle".

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