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Ein «Riesenschnörkel» steht am Anfang dieses Buchs. Ein junger Mann in Ostberlin staunt darüber. Der junge Mann heißt Fritz J. Raddatz, damals, als die Geschichte dieses Buches beginnt, stellvertretender Cheflektor des Ostberliner Verlags Volk und Welt; der Schnörkel ist die Unterschrift, in ihrem Schwung nicht leicht zu entziffern auf Briefen und Verträgen, von Heinrich Maria Ledig-Rowohlt. Ende der fünfziger Jahre lernen beide sich kennen, und aus dem Schnörkel wird eine Person, dann auch ein literarischer Gefährte, ein «Chef», ein Freund, ein Mit-Abenteurer auf den Beutezügen in die…mehr

Produktbeschreibung
Ein «Riesenschnörkel» steht am Anfang dieses Buchs. Ein junger Mann in Ostberlin staunt darüber. Der junge Mann heißt Fritz J. Raddatz, damals, als die Geschichte dieses Buches beginnt, stellvertretender Cheflektor des Ostberliner Verlags Volk und Welt; der Schnörkel ist die Unterschrift, in ihrem Schwung nicht leicht zu entziffern auf Briefen und Verträgen, von Heinrich Maria Ledig-Rowohlt. Ende der fünfziger Jahre lernen beide sich kennen, und aus dem Schnörkel wird eine Person, dann auch ein literarischer Gefährte, ein «Chef», ein Freund, ein Mit-Abenteurer auf den Beutezügen in die deutsche und die ausländische Literatur. Davon erzählt dieses Buch: wie das deutsche Verlagswesen nach dem Krieg neu begann und wie im Rowohlt-Verlag, Reinbek, zwei Männer in gemeinsamer Begeisterung für die Literatur einen internationalen Verlag schufen, wie er nicht seinesgleichen hatte.
Dieses Buch ist ein Denkmal aus Worten, eine Erinnerung, es ist aufbewahrtes Wissen um einen Mann, dereiner der entscheidenden Modernisierer des deutschen Verlagswesens gewesen ist. Normalerweise bleiben von Verlegern nur die Bücher, die sie herausgebracht haben: Was es aber darüber hinaus zu sagen gibt über Heinrich Maria Ledig-Rowohlt, das steht, mitreißend erzählt, empfindungsgenau in der Zustimmung wie im Widerspruch, in diesem Buch.
Autorenporträt
Fritz J. Raddatz ist der widersprüchlichste deutsche Intellektuelle seiner Generation: eigensinnig, geistreich, gebildet, streitbar und umstritten. Geboren 1931 in Berlin, von 1960 bis 1969 stellvertretender Leiter des Rowohlt Verlages. Von 1977 bis 1985 Feuilletonchef der ZEIT. 1986 wurde ihm von Fran¿ois Mitterrand der Orden 'Officier des Arts et des Lettres' verliehen. Von 1969 bis 2011 war er Vorsitzender der Kurt-Tucholsky-Stiftung, Herausgeber von Tucholskys 'Gesammelten Werken', Autor in viele Sprachen übersetzter Romane und eines umfangreichen essayistischen Werks. 2010 erschienen seine hochgelobten und viel diskutierten 'Tagebücher 1982-2001'. Im selben Jahr wurde Raddatz mit dem Hildegard-von-Bingen-Preis für Publizistik ausgezeichnet. Zuletzt erschien von ihm 'Jahre mit Ledig'. Der Autor verstarb im Februar 2015.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2015

Eine Liebeserklärung

Fritz J. Raddatz, der letzte Woche starb, hat als Testament ein Buch über seinen Freund, den Verleger Heinrich Maria Ledig-Rowohlt, hinterlassen. Elegant, vulgär und hinreißend verschwenderisch

Das Buch, das letzte Woche, am Tag nach seinem Tod, erschienen ist, "Jahre mit Ledig" von Fritz J. Raddatz, endet mit einer Liebeserklärung. Sie stammt aus dem Nachruf, den Raddatz, der berühmte Kritiker und Journalist, 1992 für die "Zeit" geschrieben hatte, als sein Freund Heinrich Maria Ledig-Rowohlt bei einem Verleger-Kongress in Neu-Delhi gestorben war: "Ich habe ihn geliebt. Er war ein bekannter Mann, wenige haben ihn gekannt", steht da. Und weiter hinten: "Er hatte die Disposition des Künstlers, der in unersättlichem Verlangen darauf wartet, dass man ihn liebe; der die Einsamkeit hasst, die er braucht, um zu produzieren. Die ineinandergeschichteten Widersprüche formten den Charakter dieses Mannes, der zu unvergesslichen Gesten fähig war." Dann ist das Buch zu Ende.

Und weil man dieses ganze Raddatz-Ledig-Buch jetzt mit der Nachricht im Kopf liest, dass derjenige, der hier spricht, sich das Leben genommen hat, kann man gar nicht anders, als in den Beschreibungen des Freundes auch die Selbstbeschreibungen des Autors zu suchen und zu finden. Fritz J. Raddatz nimmt Abschied von seinem Freund Ledig. Und wir nehmen, während wir das lesen, Abschied von Raddatz. Es fällt schwer, diese Konstruktion als Zufall zu begreifen: "Jahre mit Ledig" liest sich wie Fritz J. Raddatz' Testament.

Es ist ein umwerfendes Testament voller Charme und entwaffnender Offenheit. Das liebevolle Vermächtnis einer Freundschaft, die Raddatz an mehreren Stellen scherzhaft "Ehe" nennt, und die Geschichte eines Zerwürfnisses: Raddatz, der junge Cheflektor beim Verlag Volk und Welt, träumt Anfang der fünfziger Jahre in Ost-Berlin von einer gesamtdeutschen Kurt-Tucholsky-Ausgabe, und Johannes R. Becher, der DDR-Kulturminister, den er ansteckt mit seiner Idee, sagt zu ihm: "Dann fahren Sie, Genosse Raddatz, nach Hamburg und verhandeln Sie das mit Rowohlt."

So kommt es zur Begegnung mit jenem Mann, den Raddatz später einen "sensiblen Elefanten" nennen wird, einen Spielsüchtigen, Kunsthungrigen, hinterhältig Liebenden: Heinrich Maria Ledig war der 1908 geborene uneheliche Sohn aus einer Affäre, die der Verleger Ernst Rowohlt mit einer Schauspielerin hatte. Die Mutter brachte den Jungen als Lehrling ziemlich schlau im Verlag unter. Rowohlt wusste von Beginn an, wer dieser Lehrling war, und siezte ihn trotzdem über Jahre wie einen fremden Angestellten. Erst nach dem Krieg akzeptierte er ihn als Sohn. Er durfte sich Ledig-Rowohlt nennen, war im Verlag schon bald Ideengeber und Minderheitsbeteiligter. In Raddatz-Worten: "Ernst Rowohlt war die landesweite bekannte Emily auf dem Kühler des Rolls-Royce; der Motor unter der Haube aber war Heinrich Maria Ledig-Rowohlt."

Es gibt Begegnungen zwischen Menschen, mit denen sich alles ändert, im Glücksfall für beide. Nur knallten Raddatz und Ledig nicht einfach aufeinander: Als der junge Lektor im Westen in den "heiligen Hallen" des Rowohlt-Verlags ankommt, wo er sich alles wie in Hollywood vorgestellt hat, findet er erst mal nur Chaos, einen abwesenden Verleger, der nicht richtig weiß, worum es geht, der ständig telefoniert und vor allem daran interessiert ist, ob er ihm im Osten Ernst-Busch-Schallplatten besorgen könne. Die Schleusen öffnen sich, als Raddatz bereits in den Westen geflohen ist: "Lassen Sie mal Ihren ewigen Tucholsky beiseite", sagt der lustige Ledig, "wollen Sie zu mir kommen, zu Rowohlt, wollen Sie mein Stellvertreter werden?"

Das Interessante und rückblickend sehr Überraschende ist, dass Fritz J. Raddatz in der DDR immer schon vom Rowohlt-Verlag geträumt hat. Da wollte er hin. Nicht zu Suhrkamp oder Fischer: "Rowohlt war - für mich - eine Fata Morgana gewesen, eine unerreichbare Oase. S. Fischer: grau und erlesen; Suhrkamp: so klein wie fein. Alles dürre Datteln tragende Kamele in der flirrenden Märchenwüste. Scheherazade mit rasendem Rappengalopp und diamantbesetzten flitzenden Krummsäbeln - das war nur Rowohlt. Rowohlt war kein Verlag. Rowohlt war eine Idee."

Das ist zuallererst natürlich eine selbstverliebte Stilisierung, die das eigene Leben mit mutwilliger Kitschbereitschaft zum Märchen macht: Der Rappe seiner "Scheherazade mit rasendem Rappengalopp" sollte vor allem er selbst sein, im energetischen Gespann mit dem Verleger. Mit dieser Stilisierung allerdings - dafür ist "Jahre mit Ledig" ein eindrückliches Dokument - reißt Fritz J. Raddatz eine Gegenwelt zur gleichzeitig entstehenden Suhrkamp-Kultur auf, die, obwohl so oft von dieser die Rede ist, eben nicht alles war. Bei Ledig und Raddatz, so jedenfalls will es in seiner Erinnerung der Freund und Kritiker, steht an erster Stelle nicht der Text, nicht das Schreiben, die Denkgebäude und die allerschärfste Trennung zwischen Literatur und Leben, sondern "das überbordende Abenteuer Leben" selbst. Mit "Eleganz vulgär sein", darum geht es erst mal: Bordell-Besuche in der Herbertstraße, Austern oder Froschschenkel-Soufflé im Pariser "Grand Véfour", Motorbootfahrten, Swimmingpool und Tennis. Sie lassen es immerzu krachen. Sie wissen, wie man feiert, auch mit den Autoren: Sie stellen für Henry Miller in der Eingangshalle des Verlags eine Pingpong-Platte auf mit der "Ordre", der Autor dürfe sich während der Bürozeiten jeden beliebigen Mitarbeiter zum Mitspielen wählen. Sie versuchen, dem französischen Schriftsteller Jean Genet, dessen aktueller Liebhaber Rennfahrer ist, einen Porsche-Rennwagen aus Stuttgart zu organisieren. Sie hängen Ende der sechziger Jahre mit Daniel Cohn-Bendit (für Raddatz: "Dany le Rouge") auf der Buchmesse in "Jimmy's Bar" im Hotel "Hessischer Hof" ab und gucken ihrem gerade neu gewonnenen Autor dabei zu, wie er mit Ledigs Frau Jane, der Verlegerin Inge Feltrinelli und Gabriele Henkel nacheinander wilde Tänze aufs Parkett legt.

Und irgendwie wundert es einen gar nicht, wenn Raddatz zu den Fehlentscheidungen seines Lebens zählt, davon abgeraten zu haben, Walter Benjamins "Einbahnstraße" wieder aufzulegen. Das sei "hochstaplerisch gequirltes Theorie-Blabla", erklärte er Ledig genervt, als der ihn bat, einen Blick hineinzuwerfen, und gab Benjamin für Rowohlt verloren. Als Benjamin-Leser kann man sich den rauschverliebten Raddatz tatsächlich nicht gut vorstellen. Und er selbst zeichnet sich auch nicht so sehr als ausdauernden, sondern als impulsiven Entdecker: Rolf Hochhuths "Der Stellvertreter" hatte schon im Papierkorb gelegen, aus dem Raddatz den Druckfahnensatz eigenhändig wieder herausfischte. Dann ist Berthold Beitz von Krupp am Telefon, droht mit einem Prozess, will den Hochhuth-Text, in dem es Hinweise zu Krupp-Verstrickungen in Auschwitz gibt, verhindern. Ledig hat den Hörer in der Hand und hat seinem Freund Raddatz den Mithörer gegeben. So sieht man sie einvernehmlich nebeneinander dasitzen - eine Einheit. Das Stück wurde ein Sensationserfolg und ein internationaler Bestseller.

"Vermutlich ist das Flair eines Ledig-Rowohlt den Jüngeren in ihrer Computer-, Website- und E-Mail-Welt kaum noch zu vermitteln", schreibt Raddatz, der sich gegen Ende seines Lebens in manchmal anstrengender Weise kulturpessimistisch zeigte, an einer Stelle. Aber er irrt sich. Das Flair, das auch das Flair einer vergangenen, verschwenderischen bundesrepublikanischen Welt ist, hat, so wie Raddatz es umreißt, immer noch etwas leicht Zugängliches und Verführerisches. Gerade weil so viel gefeiert wurde. Und es ist, das ist wohl das Allerwichtigste an diesem Buch, eben nicht allein das Zeugnis einer vergangenen und alten Ära. Denn schließlich gab es die schnellen, billigen "rororo"-Bücher. Dieses unerhört zeitgeistige Projekt, mit dem Ledig und Raddatz den Puls der Zeit nicht irgendwo da draußen pochen lassen, sondern auf die rororo-Rotationsmaschine übertragen wollten. Eine Art Taschenbuchzeitschrift, vehement schnell auf den Markt geworfen.

"rororo-aktuell" hieß die 1961 gegründete Reihe eilig produzierter Kommando-Unternehmen und Analysen zu aktuellen Ereignissen, Streitschriften zu Innen- und Außenpolitik, Untersuchungen der schwankenden Weltlage. Schon nach ein paar Jahren konnte sie gar nicht so schnell nachgedruckt und geliefert werden, wie die rebellierenden Studenten sie für Demonstrationen, Sit-ins, Diskussionsrunden in den von ihnen gesprengten Seminaren haben wollten: Rudi Dutschke schrieb da, Günter Amendt, Bahman Nirumand. Wenn heute in den Verlagen von "longreads" die Rede ist, von diesen neuen Formaten, Büchern, die länger sein sollen als Zeitungsreportagen und kürzer als konventionelle Essays, dann gilt: Sie waren hier schon da. Auf Papier natürlich, nicht digital. Ledig und Raddatz als ihre Erfinder waren ganz vorne dabei.

Im September 1969 kam es zum Vertrauensbruch. Ledig kündigte seinem Freund Raddatz per Telegramm. "Dies ist die Geschichte zweier Männer, die einmal fast einer gewesen waren, unauflöslich miteinander verbunden, in gegenseitiger Verletzung und in peinigendem Schmerz sich trennend, und die nie die Liebe vergessen konnten, die sie einst innig sein ließ", schreibt Fritz J. Raddatz.

Am Ende des Buchs vermisst man, ohne sie jemals getroffen zu haben, beide.

JULIA ENCKE

Fritz J. Raddatz: "Jahre mit Ledig. Eine Erinnerung". Rowohlt, 160 Seiten, 16,95 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.03.2015

Ehe auf dem Buchpapier
In „Jahre mit Ledig“ erinnert sich Fritz J. Raddatz an den Verleger
Heinrich Maria Ledig-Rowohlt – nun ist sein Buch postum erschienen
VON WILLI WINKLER
Als sein Vater starb, 1960, bestellte Heinrich Maria Ledig-Rowohlt, der spät legitimierte Sohn, den neuen Verlagsmitarbeiter zu sich: „Raddatz soll rüberkommen zu Ledig ins Haus.“ Raddatz folgte. Im Haus ist es still, der Sohn versinkt in einem literaturmäßig tiefen Sessel, „in der Stille klirrten die Eiswürfel im großen Whisky-Glas wie schepperndes Totengeläut“. Raddatz, so erzählt es Raddatz in seinem Buch „Jahre mit Ledig“, „ging hinter seinen Sessel, umarmte still Schultern und Rücken – die einzige körperliche Beziehung; wir haben uns nie auch nur die Hand gegeben“. (Im Buch findet sich freilich ein Foto, das die beiden in fröhlichster Umarmung zeigt.)
  Trotzdem besteht Fritz J. Raddatz darauf, dass sie ein homoerotisches Verhältnis hatten; er nennt es eine Ehe, „auf Buchpapier geschlossen“ beziehungsweise, wie das so ist in besseren Abhängigkeitsverhältnissen: „Ich hatte die Ideen, und es war Ledig, der das ermöglichte“.
  Einen Tag nach Raddatz’ geplantem Tod am 26. Februar ist diese „Erinnerung“ an seinen Freundfeind Ledig-Rowohlt erschienen, als wär’s nicht bloß ein Stück von ihm, sondern sein letztes Wort. Wer mag, kann es als Testament lesen, und folgte damit dem Autor. „Dies ist die Geschichte zweier Männer, die einmal fast einer gewesen sind“, verspricht er und gibt sich damit die Lizenz zum ungehemmten Schwärmen, die Gelegenheit zur Selbstfeier keineswegs verschmähend. Alliterationsbegeistert spricht Raddatz von seinem „gockelnden Größenwahn“ und mag auch auf Ledigs Ruhmrede „Sie sind ein Teufel“ nicht verzichten. „Der sensible Elefant“ Ledig, seine Arroganz, seine Kränkbarkeit, das ist immer auch er selbst, der leider nur Angestellte.
  Das Buch ist eine Wunderkammer voller Anekdoten und Erinnerungen an Jahre, die kaum einer mehr aus eigenem Erleben kennt. Neun Jahre wirkte Raddatz als Programmchef und stellvertretender Verlagsleiter im Rowohlt-Verlag, oft an einem Tisch mit Ledig, oft auch darunter, offenbar immer lustig und fidel, auf der Reeperbahn natürlich und bei den Empfängen auf der Buchmesse.
  Es wird getrunken, gehurt, es wird auch gelesen und offenbar genug verdient, dass Raddatz wie sein fast angeheirateter Zwilling regelmäßig nach Paris, Mailand und New York reisen kann, der Autoren-Akquise wegen, aber auch um die Nachgeborenen mit dem rechten Neid auf dies süße Leben zu erfüllen. Henry Miller spielt im neuen Verlagsgebäude in Reinbek Tischtennis mit Hildegard Knef, Raddatz speist gutbürgerlich mit Marlene Dietrich, Ledig rezitiert in Paris so lange Beckett, bis er an einen Laternenpfahl knallt, und die Welt draußen kann nur staunen über diese beiden kühnen Reiter im Wunderreich der Literatur.
  Großzügig ist Ledig, schenkt ihm zu einem Geburtstag eine Magritte-Zeichnung mitsamt zwölf kostbaren Regency-Gläsern, tröstet ihn bei Liebeskummer, verspricht ihm einen Verlagsanteil. Als ihm Rudolf Augstein vom Spiegel wieder einmal ein Angebot macht und Raddatz ablehnt, aber nicht zögert, seinen Chef, den Verlagshaupteigentümer, schnellstens davon zu unterrichten, versichert ihn der seiner ewigen Treue – „a-hunting we shall go for ever and ever or until death us parts“. Geschieden hat sie dann nicht der Tod, sondern ein Skandal um geheimdienstliche Nebenerlöse im Verlagsetat. Ledig warf Raddatz 1969 mit einem geschmerzten Telegramm aus dem Verlag, den er dann verkaufte.
  Anekdoten genug für jedes bessere Party-Gespräch finden sich hier, so flitternd, wie der Connaisseur es aus Raddatz’ beiden Bänden mit sorgfältig bearbeiteten Tagebüchern kennt. Den eifrigen Lobhudlern scheint jedoch entgangen zu sein, dass die „Jahre mit Ledig“ fast vollständig und über weite Strecken wortgleich bereits in „Unruhestifter“ zu lesen waren, den Memoiren, die Raddatz 2003 bei Propyläen herausbrachte. Wie dort schreibt er den Begriff radical chic (hier zum chique verfeinert) Susan Sontag zu, wo er doch vom Rowohlt-Autor Tom Wolfe stammt. Für den Philologen interessant sind die dezenten Veränderungen. Der „provinzielle Besserwisser“ Walter Jens, den Ledig loswerden will, wird zum „spießigen Besserwisser“, der „Schlangenledermantel“, in dem die Schriftstellerin Gisela Elsner dramatisch ins Zimmer tritt, ist zum „Lackmantel“ redigiert.
  Doch die wildesten Formulierungen, darunter die orientalisch zusammengeträumte Liebeserklärung an den Rowohlt-Verlag, sind nicht neu, in ihrer byzantinischen Übersteigerung allerdings auch nicht mehr zu übertreffen. „Hätte sich mir am Alexanderplatz eine Fee auf den Schoß gesetzt: Rowohlt wären die zwei Silben meines ersten Wunsches gewesen, so bunt, so schön, so märchenfern wie eine Suleika irgendwo.“ Die anderen Verlage: „Alles dürre Datteln tragende Kamele in der flirrenden Märchenwüste. Scheherezade mit rasendem Rappengalopp und diamantbesetzten flitzenden Krummsäbeln – das war nur Rowohlt.“ Rowohlt als mit einem Krummsäbel bewaffnete Scheherezade – auf so etwas kann nur der heillose Schwärmer Raddatz verfallen.
  Der Lyriker Peter Rühmkorf kannte natürlich auch die ganzen Rowohlt-Legenden um Balzac, Fallada, Salomon und den Verlagsgründer, der keine Autoren, sondern Gläser zum Abendessen verspeiste. Von diesem Glanz ist um 1960 nicht mehr viel übrig; Ernst Rowohlt weilt zwar noch im Hause, „aß aber schon lange kein Glas mehr“. Der chronisch worttrunkene Raddatz hätte mindestens schildern müssen, mit welchem Schliff die Gläser kamen, wie viele davon in welchem Nussholzschrank standen, wer bei dem Aufgebot an Namhaftigkeiten alles dabei war und wie er, der Chronist, das Ganze zumindest post festum mit einer Sottise über das Partybanausentum in Rücksicht auf die gesamtgesellschaftlichen Weltläufte zu krönen wusste. Dieses Flirrende, bedenkenlos Kitschige ist eine hohe Kunst, und sie wird sich von keiner Schamgrenze einengen lassen.
  Die schönste, die raddatzistischste Anekdote hat er dennoch nicht übernommen. Sie handelt von seiner Konkurrenz mit dem Schriftsteller Hubert Fichte, den er, Raddatz, doch gefördert hatte, und den Fichte dann in seinen eigenen Tagebüchern nachträglich schmähte. Als Längerlebender behält Raddatz auch hier die Oberhand. Als sie beide einen „Knabenpuff auf der Reeperbahn“ besuchten, „wollte es das böse Schicksal, dass einer der auf Kunden wartenden Jungen ein Bändchen der ‚edition suhrkamp‘ las, einen Essayband von mir“. Ah, dieser Triumph! Fichte, der Arme, hatte den Kürzeren gezogen und konnte da später nicht mehr hingehen.
  Nach seinem Rauswurf bei Rowohlt lag Raddatz keineswegs auf der Straße, sondern setzte acht Jahre später, als ihn die Zeit holte, zu einem noch viel wilderen Wüstenritt an. Als ihm dort 1985 nach acht Jahren erneut das Ende drohte, intervenierte Ledig-Rowohlt vergeblich beim Verleger Bucerius und sogar beim Herausgeber Helmut Schmidt. So kann Raddatz die Geschichte zweier Männer, „die nie die Liebe vergessen konnten, die sie einst innig sein ließ“, versöhnt zu Ende schreiben.
Die meisten Anekdoten
sind wortgleich auch in Raddatz’
Memoiren nachzulesen
Das Flirrende, bedenkenlos
Kitschige gehört zur hohen Kunst
der schönen Raddatzistik
            
    
  
  
  
Fritz J. Raddatz: Jahre mit Ledig. Eine Erinnerung. Rowohlt Verlag, Reinbek 2015. 160 Seiten, 16,95 Euro. E-Book 14,99 Euro.
Die Freundfeinde in fröhlicher Umarmung: Fritz J. Raddatz und Heinrich Maria Ledig-Rowohlt.
Foto: Archiv Rowohlt Verlag
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Willi Winkler ist ganz besoffen von den heillosen Schwärmereien und schillernden Anekdoten aus der Hochzeit der Literatur in diesem Erinnerungsband von Fritz J. Raddatz, dem letzten Buch des kürzlich Verstorbenen. Das ist sicher im Sinne des Autors. Allerdings ist Winkler dann doch nicht so betäubt, als dass er nicht merkte: Dieses Buch hat Raddatz schon einmal geschrieben. Auch wenn das homoerotische (Arbeits-)Verhältnis zwischen dem Autor und dem Verleger Heinrich Maria Ledig-Rowohlt, das hier ganz ungehemmt als Märchen aus 1001 Nacht erzählt wird, den Rezensenten wieder verzaubert, er hat das alles "fast vollständig" und "über weite Strecken wortgleich" schon in dem 2003 erschienenen Memoiren-Band "Unruhestifter" gelesen.

© Perlentaucher Medien GmbH
Was tun ?

Dieses bewegende, witzige, kluge und klatschhaltige Buch lesen. Wer am wohl weitgehend verregneten Wochenende Zeit hat, kann gar nichts Besseres tun, als es sich schnell zu beschaffen. Der soeben verstorbene Fritz J. Raddatz hat es geschrieben, es sind seine Erinnerungen an den Verleger Heinrich Maria Ledig-Rowohlt ("Jahre mit Ledig". Eine Erinnerung, Rowohlt Verlag, Reinbek 2015. 159 S., geb., 16,95 [Euro]). Anfang der fünfziger Jahre setzt das Buch ein, Raddatz war sagenhaft jung Lektor im Ostverlag "Volk und Welt". Kommt nach Hamburg, trifft Ledig wegen einer Tucholsky-Ausgabe, erobert das Herz des Verlegers, wird nach der Flucht aus Ost-Berlin dessen Cheflektor, später sein Vize. Lauter Aufbrüche, Existentialismus im Taschenbuch mit hohen Dom-Perignon-Anteilen, Durchgang zur alten Reeperbahn ständig geöffnet. Der Verlag: die deutsche Heimat von Sartre, Henry Miller, Jean Genet, Nabokov und Hubert Selby. Raddatz' erstes Buch war der Briefwechsel von Günther Anders mit dem Hiroshima-Piloten Claude Eatherly. Später Hochhuths "Stellvertreter" samt Drohanrufen aus dem Krupp-Konzern. Inmitten all dessen Ledig, der "sensible Elefant", der lieber Amerikaner verlegte, weil deutsche Autoren immer "etwas" wollten, der nie einen Brief zu Ende diktierte, alle Welt warten ließ, erst bei großen Summen geistesanwesend wurde. Ein hinreißendes Porträt, Zeitgeschichte auf Anekdotenbasis, Filouhistorie und die Chronik einer großen unglücklichen Liebe.

JÜRGEN KAUBE

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