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Ein Tag und eine Nacht vor der Beerdigung des Großvaters. Die engsten Angehörigen kommen zusammen und mit ihnen Geschichten, die vergangen, aber längst noch nicht abgeschlossen sind. Jeder wird sich seinen Ausflüchten stellen müssen - auch wenn er dabei Gespenster sieht. Eine flirrend hintergründige Spätsommergeschichte um alte Ängste und neue Lügen, Heimkehrende und Dagebliebene, ungleiche Brüder, Exfreundinnen und andere Unwägbarkeiten - vom Autor des Welterfolgs "Good Bye, Lenin!".

Produktbeschreibung
Ein Tag und eine Nacht vor der Beerdigung des Großvaters. Die engsten Angehörigen kommen zusammen und mit ihnen Geschichten, die vergangen, aber längst noch nicht abgeschlossen sind. Jeder wird sich seinen Ausflüchten stellen müssen - auch wenn er dabei Gespenster sieht.
Eine flirrend hintergründige Spätsommergeschichte um alte Ängste und neue Lügen, Heimkehrende und Dagebliebene, ungleiche Brüder, Exfreundinnen und andere Unwägbarkeiten - vom Autor des Welterfolgs "Good Bye, Lenin!".
Autorenporträt
Bernd Lichtenberg wurde 1966 in Leverkusen geboren, studierte Religionswissenschaft und Philosophie, bevor er ein Filmstudium absolvierte. Er lebt in Köln und Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.03.2010

Die Sohn-oder-Ei-Frage
Versagensängste: Bernd Lichtenbergs erster Roman

Familientreffen liefern stets gute Anlässe für Psychodramen, wenn nicht sogar für Horrorgeschichten. Dort, wo man sich eigentlich am nächsten stehen sollte, wird schamlos gelogen und gnadenlos abgerechnet. Auch in Bernd Lichtenbergs Debütroman liegt ein unheilvoller Schatten über dem Geschehen. Der Großvater ist gerade nach einer Krebserkrankung gestorben. Es ist der Tag vor der Beerdigung, als dessen Sohn Johannes, längst selbst Familienvater, morgens durch ein "blechernes Geräusch" aus dem Schlaf geschreckt wird. Johannes geht in den Garten und möchte zur Beruhigung eine Zigarette rauchen, findet aber eine fremde, angebrochene Schachtel: Irgendetwas stimmt nicht.

Lichtenberg war, bevor er mit dem literarischen Schreiben anfing, ein preisgekrönter Drehbuchautor. Vor allem durch die DDR-Tragikomödie "Good Bye, Lenin!" wurde er bekannt. Darin belog ein Sohn seine Mutter, dass sich die Balken bogen, indem er ihr vorgaukelte, die Mauer wäre nicht gefallen. Lügen und Maskeraden spielen nun wieder eine große Rolle, wenngleich in unspektakulärerer Verpackung. Johannes kann mit seinem erwachsenen Sohn Paul nicht viel anfangen und überspielt das mit Geldgeschenken. Die Mutter, eine ehemalige Schauspielerin, hat eine heimliche Affäre mit dem Pfleger des verstorbenen Großvaters. Und vor allem Paul, ein junger Mann Anfang zwanzig, führt ein Doppelleben in Berlin. Denn er ist seit Jahren nur noch pro forma an der Uni für Philosophie eingeschrieben und hat schon ewig keine Vorlesung mehr besucht. Stattdessen verschwendet er die väterlichen Finanzspritzen mit Kneipentouren, Internetsurfen und Computerspielen. Zu Hause gibt er den Mustersohn, der ständig mit seinem Schopenhauer oder Wittgenstein herumläuft und sich als Taktik für den Vater zurechtlegt: "Zehn Minuten offensiv über das Studium reden, dann wurde er im Allgemeinen in Ruhe gelassen."

Wo andere jüngere deutsche Schriftsteller gerade das generationsübergreifende Epos wiederentdecken, erscheint das System Familie in diesem Debütroman auf ein vierundzwanzigstündiges Kammerspiel reduziert, bei dem die Perspektive zwischen Vater, Mutter und Sohn immer wieder hin und her wechselt. Filmschnittartig sind die kurzen Kapitel, die sich oft chronologisch überlappen, nebeneinandermontiert. Dadurch werden die Täuschungsmanöver schnell enttarnt. Zugleich baut sich eine thrillerhafte Spannung auf, zumal mit einer vierten, etwas unheimlichen Figur dann auch noch ein Heimkehrer auftaucht, den niemand auf der Rechnung hat.

Andreas, der ältere Bruder von Johannes, ist nämlich ein Verschollener, der vor dreißig Jahren überstürzt nach Indien abgehauen ist. Nun kehrt er ausgerechnet am Tag vor der Beerdigung zurück, weil er zufällig von der schweren Krankheit seines Vaters erfahren hatte. Als bindungsloser Weltenbummler verkörpert Andreas den antibürgerlichen Gegenpart, der eine Leistungssportler-Karriere einst abbrach, weil er den Druck hoher Erwartungen nicht mehr ertragen wollte. Geistergleich umschleicht er nun das Elternhaus und beobachtet, dass auch die anderen unter Versagensängsten leiden.

Bezeichnenderweise fehlt der Geschichte genau das, was abgründige Familiendramen üblicherweise gerade kennzeichnet: ein wirklich dunkles Geheimnis, die Leiche im Keller. Der Weggang von Andreas führte zwar zum Eklat, wurde aber nicht zum Trauma. Der jüngere Johannes hat danach einfach nur "die Lücke geschlossen". Und dass Johannes dabei mit Marianne ausgerechnet die ehemalige Freundin des älteren Bruders geheiratet hat, nimmt Andreas ebenfalls erstaunlich gelassen hin. In Lichtenbergs Akademikerfamilie regiert die Angst vor einem Schrecken, der noch gar nicht wirklich eingetreten ist. Und zumindest in Pauls Fall könnte man diese Angst als Wahn einer Wettbewerbsgesellschaft deuten, in der umso brutaler allein der Schein des Erfolges zählt, je unklarer und unberechenbarer dessen Kriterien werden. Da reicht dann schon die eigentlich läppische Verfehlung eines verschlampten Studiums, um sich in ein undurchdringliches, "silbernes Ei" zu verwandeln, wie Mutter Marianne ihren in sich verkapselten Sohn verspottet: "Von außen sehr faszinierend, und in sein Inneres kann man nicht sehen."

Aber auch die Mutter leidet am Zwang, dass "alles immer gut" sein soll, und gesteht ihre Ängste eher einem unbekannten Verkehrspolizisten als ihrem Ehemann. In der "Kolonie der Nomaden" tauscht man Informationen aus, spricht aber nicht wirklich miteinander. Und dann scheint alles in diesem beunruhigend exemplarischen Familienpsychogramm, das immer mehr Fahrt aufnimmt, auf eine Katastrophe zuzusteuern. Mehrfach ist im Hintergrund von einem Terroranschlag die Rede. Am Himmel kreisen Polizeihubschrauber. Vor der Haustür läuft eine Fahndung. Bis am Ende tatsächlich ein Knalleffekt steht. Allerdings einer, der sehr viel überraschender und versöhnlicher ausfällt, als man hoffen durfte.

GISA FUNCK.

Bernd Lichtenberg: "Kolonie der Nomaden". Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 2010. 224 S., geb., 17,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der Knalleffekt kam ganz zum Schluss, bis dahin hielt der Debütroman des Drehbuchautors Bernd Lichtenberg ("Good Bye, Lenin!") die Rezensentin Gisa Funck hin als Kammerspiel über eine Familie, die sich zur Beerdigung des Großvaters zusammenfindet, über ihre Lügen und Maskeraden: Der Sohn hat längst sein Studium aufgegeben, die Mutter ein Verhältnis mit dem Pfleger des Schwiegervaters, und der Vater immer nur die Lücke geschlossen, die sein verschwundener Bruder hinterlassen hat. Den unheilvollen Schatten über dem Ganzen, die "Leiche im Keller", der Funck zufolge einen Familienroman kennzeichne, sucht sie, aber sie findet ihn nicht. Dagegen sieht sie in dieser Familie die Angst vor einem Schrecken regieren, der noch gar nicht eingetreten sei. Die Rezensentin bei der Stange gehalten hat vor allem eine in den "filmschnittartig" montierten Kapiteln "thrillerhafte Spannung" in diesem Familienpsychogramm, das laut Funck mit wohl vertrauten Ängsten aus einer Wettbewerbsgesellschaft spielt, die umso gruseliger werde, je undurchsichtiger ihre Erfolgskriterien.

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