Ein Jahr im Leben der Familie Bradshaw - drei Generationen, Brüder, Ehepaare mit Kindern. Und unter ihnen eine junge Frau, die mit ihrem Mann die Rollen tauscht, bis dramatische Verwicklungen sie einholen.
«Rachel Cusk ist eine erstklassige Autorin mit beißender Intelligenz und durchtrieben genauer Beobachtungsgabe.»
THE NEW YORK TIMES
«Ihre Innenansichten wispern und schauern, als ob Virginia Woolf da hindurchgehuscht wäre.»
THE GUARDIAN
«Rachel Cusk ist eine erstklassige Autorin mit beißender Intelligenz und durchtrieben genauer Beobachtungsgabe.»
THE NEW YORK TIMES
«Ihre Innenansichten wispern und schauern, als ob Virginia Woolf da hindurchgehuscht wäre.»
THE GUARDIAN
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.08.2012Lieben Sie Bach?
Unmusikalisch: Rachel Cusks "Bradshaw-Variationen"
Am einsamsten ist der Mensch meist unter Menschen. Stirbt ein Familienmitglied, erlischt eine Liebe, geht der Job verloren, dann tut derlei noch mehr weh, wenn man merkt: Eine Verbindung zu jenen, die einen umgeben, ist nicht herstellbar, weil sie wie von Nebel umhüllt sind. Schmerz, Enttäuschung, Frustration erschleichen sich permanente Präsenz. Fragen nach dem Sinn der Existenz zermartern das Hirn, Selbstvorwürfe und Schuldeingeständnisse belasten das Herz. Die Zeit, die alle Wunden heilen soll, verstreicht kaum.
Eine Meisterin darin, solche Seelenlagen sinnlich darzustellen, ist Rachel Cusk. Ihre Fähigkeit hat die 1967 in Kanada geborene, in Los Angeles aufgewachsene und in Oxford ausgebildete Autorin in sieben Romanen bewiesen, ohne sich zu wiederholen. Zum Lohn zählen längst einige Preise und die Aufnahme in die Liste der "20 besten jungen britischen Romanciers". Rachel Cusk wohnt heute in Brighton. Das Königreich ist auch der Raum, in dem sie ihre vorwiegend weiblichen Zentralfiguren agieren, reagieren und empfinden lässt. Von "Saving Agnes" (1993) und "The Temporary" über "The Country Life" und "The Lucky Ones" bis hin zu "In the Fold" und "Arlington Park" (2006) stehen die Kontraste zwischen dem Leben in London und der Provinz im Zentrum. Vor allem aber erfahren wir, wie unentrinnbar die Irrungen, Wirrungen und Transformationen sind, die drastische Veränderungen hervorrufen.
"Die Bradshaw-Variationen", 2009 im Original erschienen, spielen dies an einem Paar, dessen Tochter, der erweiterten Familie und den Freunden durch. Thomas hat seine lukrative Stelle in der Metropole gekündigt und kümmert sich um die achtjährige Alexa und das Häuschen im Vorort. Tonie hingegen avanciert zur Leiterin eines Universitätsinstituts. Der Tod eines Hundes, befremdendes Fremdgehen und Spannungen am Arbeitsplatz überschatten das Dasein der Bradshaws. Es ist die Stärke von Rachel Cusk, das Innere der Personen unerbittlich präzise zu sezieren und gleichzeitig zu zeigen, wie unmöglich es ist, solche Kosmen ganz zu erfassen oder gar zu verstehen.
Was mag in einer Frau vorgehen, die dabei ist, einer anderen den Freund auszuspannen? Und wie mag ihr zumute sein, nachdem ein Kollege mit dürren Worten Avancen macht? Wäre die Schriftstellerin bei diesen Leisten geblieben, hätte es fulminante Prosa werden können. Doch Cusk strebte offenbar nach Höherem und musste fast zwangsläufig scheitern. Zum einen fällt sie in Fehler der Vergangenheit zurück. Dazu gehört das gebetsmühlenartige Erwähnen einer grauen, dunklen, verregneten, kalten Umgebung, die zum Beispiel geprägt ist von einem "Wolkenschild, der blaue Tröpfchen in Tränenform" vergießt. Ebenso überflüssig sind stereotype Charaktere, darunter die erzkonservative Schwiegermutter und die ehemalige Künstlerin, die meint, sie habe ihr Tun der Familie zuliebe beendet.
Zum anderen überfrachtet Rachel Cusk ihren Text mit Gedanken zu Musik, Kunst, Literatur und der Differenz zwischen Wirklichkeit und deren Wahrnehmung. Zu viel des gut Gemeinten ist ferner die Anknüpfung an Bachs "Goldberg-Variationen" - vom Romantitel bis zur Einteilung in die Kapitel. Während Bach durch die Tempi, Taktarten, Tongeschlechter und Spielweisen für Abwechslung sorgt, wirken die Gestalten der Kanadierin einander zu ähnlich. Die raffinierten dichterischen Reflexe E.T.A. Hoffmanns, Thomas Bernhards und Anna Enquists auf Bachs Opus bleiben unerreicht.
Nach der Absicht gefragt, die sie mit ihrem Roman verbindet, sagte Rachel Cusk, sie habe beschreiben wollen, dass Frauen und Männer einen Rollentausch nur wagen sollten, wenn sie tief in ihrem Herzen das Verhalten ablehnten, das ihnen von klein auf eingetrichtert worden sei. Selten waren bei einer derart talentierten Autorin die Ziele so wenig in den Zeilen eines Buchs bemerkbar.
THOMAS LEUCHTENMÜLLER.
Rachel Cusk: "Die Bradshaw-Variationen". Roman.
Aus dem Englischen von Sabine Hedinger. Rowohlt Verlag, Reinbek 2011. 288 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Unmusikalisch: Rachel Cusks "Bradshaw-Variationen"
Am einsamsten ist der Mensch meist unter Menschen. Stirbt ein Familienmitglied, erlischt eine Liebe, geht der Job verloren, dann tut derlei noch mehr weh, wenn man merkt: Eine Verbindung zu jenen, die einen umgeben, ist nicht herstellbar, weil sie wie von Nebel umhüllt sind. Schmerz, Enttäuschung, Frustration erschleichen sich permanente Präsenz. Fragen nach dem Sinn der Existenz zermartern das Hirn, Selbstvorwürfe und Schuldeingeständnisse belasten das Herz. Die Zeit, die alle Wunden heilen soll, verstreicht kaum.
Eine Meisterin darin, solche Seelenlagen sinnlich darzustellen, ist Rachel Cusk. Ihre Fähigkeit hat die 1967 in Kanada geborene, in Los Angeles aufgewachsene und in Oxford ausgebildete Autorin in sieben Romanen bewiesen, ohne sich zu wiederholen. Zum Lohn zählen längst einige Preise und die Aufnahme in die Liste der "20 besten jungen britischen Romanciers". Rachel Cusk wohnt heute in Brighton. Das Königreich ist auch der Raum, in dem sie ihre vorwiegend weiblichen Zentralfiguren agieren, reagieren und empfinden lässt. Von "Saving Agnes" (1993) und "The Temporary" über "The Country Life" und "The Lucky Ones" bis hin zu "In the Fold" und "Arlington Park" (2006) stehen die Kontraste zwischen dem Leben in London und der Provinz im Zentrum. Vor allem aber erfahren wir, wie unentrinnbar die Irrungen, Wirrungen und Transformationen sind, die drastische Veränderungen hervorrufen.
"Die Bradshaw-Variationen", 2009 im Original erschienen, spielen dies an einem Paar, dessen Tochter, der erweiterten Familie und den Freunden durch. Thomas hat seine lukrative Stelle in der Metropole gekündigt und kümmert sich um die achtjährige Alexa und das Häuschen im Vorort. Tonie hingegen avanciert zur Leiterin eines Universitätsinstituts. Der Tod eines Hundes, befremdendes Fremdgehen und Spannungen am Arbeitsplatz überschatten das Dasein der Bradshaws. Es ist die Stärke von Rachel Cusk, das Innere der Personen unerbittlich präzise zu sezieren und gleichzeitig zu zeigen, wie unmöglich es ist, solche Kosmen ganz zu erfassen oder gar zu verstehen.
Was mag in einer Frau vorgehen, die dabei ist, einer anderen den Freund auszuspannen? Und wie mag ihr zumute sein, nachdem ein Kollege mit dürren Worten Avancen macht? Wäre die Schriftstellerin bei diesen Leisten geblieben, hätte es fulminante Prosa werden können. Doch Cusk strebte offenbar nach Höherem und musste fast zwangsläufig scheitern. Zum einen fällt sie in Fehler der Vergangenheit zurück. Dazu gehört das gebetsmühlenartige Erwähnen einer grauen, dunklen, verregneten, kalten Umgebung, die zum Beispiel geprägt ist von einem "Wolkenschild, der blaue Tröpfchen in Tränenform" vergießt. Ebenso überflüssig sind stereotype Charaktere, darunter die erzkonservative Schwiegermutter und die ehemalige Künstlerin, die meint, sie habe ihr Tun der Familie zuliebe beendet.
Zum anderen überfrachtet Rachel Cusk ihren Text mit Gedanken zu Musik, Kunst, Literatur und der Differenz zwischen Wirklichkeit und deren Wahrnehmung. Zu viel des gut Gemeinten ist ferner die Anknüpfung an Bachs "Goldberg-Variationen" - vom Romantitel bis zur Einteilung in die Kapitel. Während Bach durch die Tempi, Taktarten, Tongeschlechter und Spielweisen für Abwechslung sorgt, wirken die Gestalten der Kanadierin einander zu ähnlich. Die raffinierten dichterischen Reflexe E.T.A. Hoffmanns, Thomas Bernhards und Anna Enquists auf Bachs Opus bleiben unerreicht.
Nach der Absicht gefragt, die sie mit ihrem Roman verbindet, sagte Rachel Cusk, sie habe beschreiben wollen, dass Frauen und Männer einen Rollentausch nur wagen sollten, wenn sie tief in ihrem Herzen das Verhalten ablehnten, das ihnen von klein auf eingetrichtert worden sei. Selten waren bei einer derart talentierten Autorin die Ziele so wenig in den Zeilen eines Buchs bemerkbar.
THOMAS LEUCHTENMÜLLER.
Rachel Cusk: "Die Bradshaw-Variationen". Roman.
Aus dem Englischen von Sabine Hedinger. Rowohlt Verlag, Reinbek 2011. 288 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Nach der Lektüre von Rachel Cusks neuem Roman "Die Bradshaw-Variationen" ist Rezensent Ulrich Rüdenauer einmal mehr von ihrem "großen Talent" überzeugt. Gewohnt feinsinnig und mit herausragendem Sprachgefühl werfe die Autorin einen unbestechlichen Blick auf die Lebenslügen ihrer gesättigten und am Alltag resignierenden Protagonisten. Dem Kritiker begegnet hier etwa Thomas Bradshaw, ein Familienvater, der sich seine momentane Job-Auszeit mit Klavierunterricht bei einem schwulen Pianisten versüßt. Oder Claudia, Thomas' Schwägerin, die sich einbildet, ihre Selbstaufopferung für die Familie habe sie an einer großen Kunstkarriere gehindert. Cusk schildere ihre Figuren, die auf der Suche nach der (Lebens-)Kunst immer wieder an der Distanz zwischen Selbst- und Fremdbild scheitern, mit subtilem Witz und "beängstigender Präzision", bleibe dabei jedoch stets auf Augenhöhe mit ihren Protagonisten, lobt der eingenommene Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH