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Harold Brodkey, weltweit für seine Romane und Erzählungen bekannt, war auch ein kluger, leidenschaftlicher Kritiker, Kommentator und Publizist. Seine Essays, zumeist für den "New Yorker" verfasst, decken ein bemerkenswert breites Themenfeld ab. Ob er von verwunschenen Gärten oder den New Yorker Jahreszeiten schwärmte oder kritisch über Sex, Politik und Literatur schrieb, stets erwies er sich als Meister der subtilen, überraschenden Beobachtung. In "Liebeserklärungen und andere letzte Worte" sind Brodkeys beste Essays nun zum erstenmal auf deutsch versammelt. Mit Intelligenz und Sensibilität…mehr

Produktbeschreibung
Harold Brodkey, weltweit für seine Romane und Erzählungen bekannt, war auch ein kluger, leidenschaftlicher Kritiker, Kommentator und Publizist. Seine Essays, zumeist für den "New Yorker" verfasst, decken ein bemerkenswert breites Themenfeld ab. Ob er von verwunschenen Gärten oder den New Yorker Jahreszeiten schwärmte oder kritisch über Sex, Politik und Literatur schrieb, stets erwies er sich als Meister der subtilen, überraschenden Beobachtung. In "Liebeserklärungen und andere letzte Worte" sind Brodkeys beste Essays nun zum erstenmal auf deutsch versammelt. Mit Intelligenz und Sensibilität begabt, war Brodkey gleichermaßen talentiert darin, analytische Filmkritiken, leichtfüßige Feuilletons und umfassende politische oder literarische Betrachtungen zu schreiben. "Liebeserklärungen" enthält einige der herausragenden essayistischen Schriften unserer Zeit und wird auf Jahre hinaus als Beispiel für das Schreiben auf dem höchsten Niveau unverzichtbar bleiben: als das Werk eines Meisters.
Autorenporträt
Geboren am 25.10.1930 in Staunton, Illinois, als Aaron Roy Weintrub. Die verarmte russisch-jüdische Immigrantenfamilie mit einer langen Tradition von Rabbinern und Gelehrten verkaufte den Zweijährigen nach dem Tod der Mutter für 350 Dollar an die Adoptiveltern Doris Marie und Joseph («Joe») Brodkey. Brodkey wurde nach eigenen Aussagen von seinem Adoptivvater sexuell missbraucht. Die Nachstellungen endeten erst, als der Adoptivvater 1944 starb und die Familie verarmt zurückließ. 1946 begann Brodkey, in Harvard Literatur zu studieren. Seit den fünfziger Jahren schrieb er Kurzgeschichten, die hauptsächlich in den amerikanischen Zeitschriften «The New Yorker» und «Esquire» veröffentlicht wurden. Brodkey ließ sich als freier Schriftsteller nieder und unterrichtete sporadisch Literatur und Creative Writing an der Cornell University und am City College of the City University of New York. In den sechziger Jahren lebte er zwei Jahre lang in einer homosexuellen Wohn- und Lebensgemeinschaft

mit zwei Freunden zusammen; einer seiner Freunde starb später an Aids. 1978 heiratete Brodkey die Schriftstellerin Ellen Schwamm. Die Ehe, aus der eine Tochter stammt, währte bis zu seinem Tod. Sein erster Kurzgeschichtenband «First Love and Other Stories» (1954) wurde mehrfach preisgekrönt. 1991 veröffentlichte Brodkey mit großem Medienecho den Roman «Die flüchtige Seele», 1994 erschien sein zweiter und letzter Roman «Profane Freundschaft». Seine Tagebücher wurden posthum als «Die Geschichte meines Todes» (1996) veröffentlicht. 1992 unternahm Brodkey, bereits sehr geschwächt, mit seiner Frau eine Vortragsreise nach Berlin und Venedig. 1993 teilte er in einem Essay im «New Yorker» der Öffentlichkeit mit, dass er an Aids erkrankt sei. Harold Brodkey starb am 26. 1. 1996 in New York. Auszeichnungen: Prix de Rome American Academy Award (1959); Creative Arts Public Service Grant (1972); O. Henry Award (1975, 1976 und 1978).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001

Sein Spielfeld, seine Landschaft, seine Wirklichkeit aus Worten
Wer das All liebt, trauert um jeden einzelnen: Harold Brodkeys gesammelte Essays bezeugen die Verwandlung der Welt unter dem begehrenden Blick / Von Richard Kämmerlings

Ich schreibe nicht über die Menschen, die verschwunden sind - die Stimmen, ihre hörbaren Stimmen, ihre Geistes- und Herzensgegenwart, ihre Launen, Ambitionen und Freundlichkeiten. Ich schreibe nicht über die einzelnen Seelen, die abwesend sind. Ich schreibe über die Stadt und über das, was wir verloren haben. Mein Gott, es ist furchtbar." Die Stadt ist New York, genauer Manhattan. Der Autor dieser Zeilen beschreibt seine Rückkehr "nach einigen Monaten Abwesenheit" in eine Metropole, die "stets eine Stadt bestimmter Formen von gierigem, an Wahn grenzendem Optimismus und der Verzweiflung einzelner" gewesen sei. Nun, nach der unbegreiflichen, niederschmetternden Katastrophe, ist es umgekehrt, scheint "der individuelle Wille sehr vieler einzelner die Fortdauer der Stadt zu tragen, gegen die Bleischwere des Genius loci".

Der Autor dieses trauernden Essays ist Harold Brodkey. Er veröffentlichte ihn 1992, vier Jahre vor seinem Tod, unter dem Titel "Aids und Verlust in einer Geisterstadt", und er beschreibt darin den Verfall einer Stadt, seiner Stadt, die für ihn untrennbar mit ihrer gay culture verbunden war. Brodkey, der seit seiner Collegezeit in den fünfziger Jahren der intellektuellen Spielart dieser Szene angehörte, wurde selbst Opfer der Krankheit, die in den Achtzigern und frühen Neunzigern hier spürbarer als anderswo eine Heimsuchung von unvorstellbaren Ausmaßen bedeutete. Als er den Essay schrieb, wußte Brodkey noch nichts von seiner eigenen Infektion. Ein Jahr später veröffentlichte er im "New Yorker" einen Text "an meine Leser", der mit den Worten begann: "Ich habe Aids. Das überrascht mich." Brodkey starb 1996, zuvor waren die Leser des Magazins, dem Brodkey sein Leben lang eng verbunden war, in mehreren Texten auch Zeugen seines Sterbens geworden.

Wenn man heute in der nun auf deutsch vorliegenden Sammlung von Brodkeys Essays Sätze wie die eingangs zitierten liest, dann kann man nicht anders, als sie auf die jüngsten Terroranschläge zu beziehen, ja sie daran in gewisser Weise zu messen und zu prüfen. Der Essay setzt ein mit der Feststellung, Manhattan sei "keine großartige Stadt für die Geschichte", es habe "keine richtige Geschichte der Seuchen und Verbannungen, der Belagerungen und Bombardierungen aufzuweisen". Ausdrücklich weist Brodkey auf das Trügerische der gerade hier habituell gewordenen Zuversicht, die "Glastürme von einem drittel Kilometer Höhe" muteten "wie eine lokale Spielart von universaler Dummheit an" - Sätze, deren vollen Sinn man erst jetzt zu verstehen glaubt. Zwar sind die Phänomene selbst wenig vergleichbar - ein zwischen Hoffnung und Verzweiflung jahrelang pendelnder Kampf gegen eine heimtückische, aber in grausam-natürlicher Kausalität ablaufende Krankheit und eine schockierende Vernichtung innerhalb von Minuten, die sich jedem Begreifen sperrt. Dennoch, im Fokus von Brodkeys seismographischer Sensitivität erscheinen die Folgen ähnlich: Manhattan sei nun eine "rezessionsfarbene, vorsichtige Stadt, mit leeren Läden, überklebten Schaufenstern und eigentümlich glanzlosem Straßenleben", heimgesucht von den Geistern der Toten.

Man kann das Pathos dieses Nachrufs auf einen entseelten Stadtkörper nur verstehen, wenn man zuvor die Heftigkeit der emotionalen Bindung mitdenkt. In "Frank und Harold", einer Erinnerung an einen Freundeskreis um den Lyriker Frank O'Hara und das Greenwich Village der fünfziger Jahre, gelingt es Brodkey, die Faszination fühlbar zu machen, die die Stadt nicht nur für ein Junggenie aus Missouri haben mußte: "Natürlich redeten wir über Sex. New York war die Metropole der amerikanischen Sexualität, der einzige Ort in Amerika, wo man einigermaßen kultivierten Sex haben konnte, und deswegen waren Peggy Guggenheim und André Breton während des Krieges hierhergekommen, während Thomas Mann, der schüchtern war, und Igor Strawinsky, der fromm war, nach Los Angeles zogen, dem besten Ort für Voyeure."

In der Erinnerung verschwimmen die Grenzen zwischen homoerotischer und intellektueller Initiation ebenso wie die Beziehung zu O'Hara und die Attraktion der Stadt: "New York ist eine Anmache wert", heißt es einmal. Die Synekdoche, hier als das Ganze der Stadt, das für ihren erregenden Teil steht, ist Brodkeys bevorzugtes rhetorisches Verfahren: Dem Narzisten wird die ganze Welt zum geliebten Spiegelbild. An anderer Stelle wird "Das geistige Wetter" Manhattans zur Atmosphäre purer Sinnlichkeit: In den Mittagsstunden gehen sämtliche Farbtöne "im imperialistischen, im totalitären Weiß des Spektrums" unter, bis sich am späten Nachmittag in einem "karnevalesken Anflug" erst das Blau des Himmels und später das Rot der Werbetafeln, Bars und Ampeln durchsetzen und sogar Autorücklichter "unwiderstehlich glühen".

Obwohl Brodkey die Fragwürdigkeit der Rede vom goldenen Zeitalter selbst zugibt, führte die Boheme um O'Hara die "besten Gesprächen seiner Ära". Brodkey selbst war zeit seines Lebens ein Beispiel für diese intellektuelle Brillanz, und ein Abglanz davon fällt noch auf den nachlässigsten Text dieser Sammlung, deren Motto wie folgt lauten könnte: "Gute Konversation ist Wegwerfgeist im Vorübergehen, eine heimliche Kunstform." Zu Lebzeiten wurde diese spitze Zunge freilich eher gefürchtet als bewundert. Viele dieser Essays entstanden in den achtziger und frühen neunziger Jahren, als Brodkey nicht mehr als Wunderkind, sondern als enfant terrible der amerikanischen Literaturszene galt. 1958, mit Ende Zwanzig, hatte er seinen ersten Erzählband veröffentlicht, der zweite erschien erst dreißig Jahre später. Trotz seiner brillanten short stories war das Gerätsel um sein gewaltiges, mit Vorschüssen bedachtes Hauptwerk, angeblich eine amerikanische "Recherche", zu diesem Zeitpunkt längst in Häme über eine vermeintliche Hochstapelei umgeschlagen. Als "Die flüchtige Seele" dann 1991 tatsächlich erschien - die deutsche Übersetzung umfaßt über 1300 Seiten -, waren die Reaktionen in Amerika äußerst kritisch. Viele seiner schonungslosen Texte wirkten wie die arrogante Anmaßung eines als Autor halb gescheiterten Salonlöwen, der seinen unbezweifelbaren Esprit und seine Eloquenz an höhere Formen des gossip verschleuderte und sich für das Stottern der eigenen Produktion schadlos hielt.

Erst heute werden die Zusammenhänge zwischen diesen Essays, von denen ein großer Teil aus dem Nachlaß herausgegeben wurde, und dem erzählerischen Werk deutlich. In vielerlei Hinsicht sind sie aufschlußreicher als etwa die vor drei Jahren unter dem Titel "Gast im Universum" erschienenen Nachlaßerzählungen, die vorwiegend bekannte Gegenstände, Motive und Konstellationen seiner Prosa variierten. Nicht nur äußert sich hier ein hellwacher und auch der populären Kultur gegenüber aufgeschlossener Beobachter anregend über Autos und Kino, U-Bahn-Fahren und Starrummel, Woody Allens Liebesleben und "Schindlers Liste", Thanksgiving und Mode und setzt mit diesem leichten, nicht oberflächlichen, sondern physiognomischen Blick auf die Außenwelt einen Gegenpol zu den bis an die Schmerzgrenze zerdehnten Bewußtseinsanalysen seiner Erzählungen und Romane.

Diese Texte, in denen es vordergründig immer nur um Sex zu gehen scheint, enthalten zugleich etwas, was man als Brodkeys Poetik der Existenz bezeichnen könnte: Form und Inhalt fallen hier zusammen, weil nach dem Muster der sexuellen Begegnung nicht nur jegliche Objektbeziehung, sondern auch der Schreibprozeß selbst modelliert wird. Die Konfrontation mit einem Text entspricht dem Schock einer Verliebtheit auf den ersten Blick (im negativen Fall natürlich auch einem fast hormonell gesteuerten Abgestoßensein). Nicht umsonst ist Brodkey ein Meister der ersten Sätze, die den vor lauter Brillanz geblendeten Leser zum Weiterlesen verpflichten. "Ein gutes Auto bereitet Sorgen wie ein Kind", so beginnt eine Reflexion über "Autos und das Leben", die in der Nachzeichnung einer vollkommen durchschnittlichen Leidenschaft die Stationen einer rivalisierend-erotischen Familienkonstellation abfährt; ein Versuch über "Die zweite Haut" setzt ein mit dem Bonmot: "Stadtmenschen sagen heutzutage, Mode sei ihnen gleichgültig: das aber ist an sich bereits eine modische Bemerkung."

Die oft chaotisch, zufällig erscheinende Struktur der Texte gleicht - wie auch viele Erzählungen und vor allem "Die flüchtige Seele" - einem endlosen, nie an ein Ziel kommenden Begehren. Statt der wohlüberlegten Tischordnung eines Dinners bevorzugt Brodkey die wechselnden Konstellation eines Stehempfangs, wo man sich von Gast zu Gast treiben läßt. Ebenso entlarvend ist das Fehlen überzeugender Schlüsse, die oft ganz unvermittelt kommen, als sei schlicht das Interesse am Thema plötzlich erloschen oder dem Autor die Langeweile eines imaginären Gesprächspartners aufgegangen.

Der Band selbst, in dem unverständlicherweise einige Essays der Originalausgabe, darunter ein literaturkritisches Stück über Jane Austen und Henry James oder ein Porträt der Komikerin Carol Burnett, fehlen, folgt durchaus einer Dramaturgie der Steigerung. Daher wäre zu empfehlen, sich diesen Band von hinten vorzunehmen. Dann erspart man sich den etwas mühsamen familienhistorischen Einstieg, der es als Überbietung der uramerikanischen genealogischen Obsession darauf anlegt, nur mit der Ahnentafel nachvollziehbar zu sein. Auch andere Stücke des ersten Teils, etwa die über Mode oder "Sex und Aussehen", wirken unkonzentriert und verquatscht. Man muß in der Stimmung sein, sich Brodkeys Gesprächston zu überlassen; wer einzelne Einfälle unter die Lupe argumentativer Stringenz legt, wird rasch abschalten.

In umgekehrter Reihenfolge würde man dagegen mit der literaturkritischen Selbstbeschreibung "Ich betrachte, was ich schreibe" aus dem Jahr 1980 beginnen, um dann direkt auf eine Sammlung poetologischer Aphorismen zu stoßen, ein Schlüsseltext für Brodkeys Werk, der zugleich auch als Gebrauchsanweisung des Bandes gelesen werden kann. Auch diese Essays sind Frucht des "animalischen Lebens der Ideen", so der Titel: "Die Wörter, Thesen, Szenen, die Wechselreden und Posen in einer Story gleichen einem Rudel von Pferden, die, während sie sich bewegen, die Konturen der Kuhlen und Erhebungen einer Wiese, einer Weide nachzeichnen - in diesem Falle einer Landschaft aus Sprache und möglichem Sinn." Daß hier ein Cinemascope-Bild aus einen Western auftaucht, ist kein Zufall, spielt doch das Kino eine besondere Rolle für Brodkey, nicht zuletzt als ein für den Schriftsteller unerreichbarer erotischer Rivale bei der Werbung um die Gunst des Publikums. Was seine Essays so lesenswert macht, ist gerade dieser idiosynkratische Blick, der auch die vermeintlichen Kunstfiguren auf der Leinwand - selbstredend beiderlei Geschlechts - stets als potentielle Sexualpartner wahrnimmt. Brodkey sieht "Endstation Sehnsucht" und "Der letzte Tango von Paris", als sei er selbst der Geliebte Marlon Brandos.

Sein ausführlicher Essay über diese Ikone cineastischer Erotik prunkt mit intimsten Beobachtungen und geistvollen Blitzlichtern, die alle um das Faszinosum schier unausschöpflicher sexueller Anziehungskraft kreisen. Hinter dem Titel "Variationen über den Sex" verbirgt sich eine voyeuristische Musterung der ersten Reihe Hollywoods, von dem "alles andere als virilen" John Wayne, der "sich in ein üppiges Laubwerk aus halb zivilisierter männlicher Schönheit, freundlicher Eitelkeit und maskuliner Angeberei hüllte, das jahrzehntelang saftig grün blieb", bis zu Harrison Ford, dem seine Rollen "Raum für eine emotional akzeptable, gesund stillschweigende, fast pfadfinderhafte Homosexualität" ließen. Diese Seitenhiebe sind natürlich ihrerseits männliche Prahlgesten, doch macht sich Brodkey durch seinen wortreichen Exhibitionismus unangreifbar.

Dem von ihm so geliebten Kino macht Brodkey zugleich in wenigen Absätzen als ernsthafte Kunstform den Garaus: "Ich mag die Verdrängungsfilme - kein Sex, kein Leid, kein Tod. Oder solche, in denen Männer zu männlich sind, um sich von Sex erregen zu lassen." Daß dieser "sexuelle Wahnsinn der Filme" eine "großartige Befreiung von der sexuellen Logik" darstelle, markiert den Unterschied zwischen Film und Literatur: Der Film wird zur Lüge, weil er die sexuellen Affekte, auf die er beim Zuschauer zielt, zwischen den Figuren ausblendet. Der Literatur kommt umgekehrt schon deswegen eine größere Wahrheit zu, weil das Lesen "ein intimer Akt ist, vielleicht der intimste, dem sich ein Mensch hingeben kann".

Brodkeys daran anschließende Vorstellung, daß man Bücher nicht nur lieben, sondern auch heiraten könne, ist eine herrliche Omnipotenzphantasie des Schriftstellers. Die Kehrseite der Sexualisierung aller Beziehungen ist die Adoption des unbekannten Lesers in eine große Familienbande. Im Kern von Brodkeys Weltbild steht die utopische Vorstellung einer verbrüderten Menschheit, einer großen allsympathischen community, despektierlich gesprochen einer Art Orgie mit platonischen Ideengebern. Es ist kein Zufall, daß im Zentrum des O'Hara-Essays eine ganz unbestimmt bleibende Gruppensex-Szene steht. Die polarisierende Wirkung von Brodkeys Werken liegt sicher auch darin begründet, daß jeder Leser nolens volens zum Intimpartner wird, dem die geheimsten Phantasien mitgeteilt werden. Das mag nicht auf jeden anziehend wirken.

Wer sich auf diese Affäre einläßt, weiß zuvor, daß sie vom Tod überschattet sein wird. Zu den literarisch bedeutendsten Texten dieses an Geist so überreichen Buches zählen jene, die bereits im Wissen um das nahe Ende verfaßt wurden. So schweift "Meine Zeit im Garten" von einer simplen Tagträumerei eines Kranken hinüber in glücksüberströmte Erinnerungsbilder, ein italienischer Park wird zum paradiesischen Gefilde, die gebändigte, geformte Natur zum trostspendenden Sinnbild ehelicher Liebe. "Ein Leben habe ich nie gehabt, dafür bin ich zu zart", beginnt die wunderbare Reflexion "Derjenige, der schreibt", entstanden zwei Jahre vor Brodkeys Tod in einer jener Phasen der Krankheitsverlaufs, die Arbeit ermöglichten: "Mein Spielfeld, meine Landschaft, meine gesamte Wirklichkeit besteht aus Wörtern, Wortfolgen, sehr rasch und in jede Richtung zielend, in Klumpen und geglättet, auf Leser zielend und damit auf Transkription, die langsam vor sich geht, und ich gleiche dann einem einzigen angehaltenen Atemzug."

Der Rückzug eines Bewußtseins auf die innere Realität wird dabei aber gerade nicht als Folge des physischen Verfalls, sondern als Normalzustand des Schriftstellers geschildert, der vermeint, "Millionen von Wortphantomen, von Silbenphantomen, ganze New Yorks von halb geschriebenen Aussagen" in sich zu vereinigen. Aus diesem Zustand führt gerade die Erschöpfung des Körpers heraus, indem sie "die bewohnte Welt" sichtbarer werden läßt: "Ort, Schreibtisch, brennende Lampe und spielendes Stereogerät, Farben und Oberflächen, Wirklichkeit, nichts Lächerliches und Alogisches wie die Absätze, die ich gerade geschrieben habe. Nicht so etwas wie das Mondlicht. Einfach ein Zimmer."

Harold Brodkey: "Liebeserklärungen und andere letzte Worte". Essays. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Angela Praesent. Rowohlt Verlag, Reinbek 2001. 400 S., geb., 58,48 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Wenn sie die zahlreichen Selbstporträts des Autors auch für die glanzvollsten Stücke des Bandes hält, so macht Verena Auffermann doch keinen Hehl daraus, dass sie die radikale Nabelschau des Künstlers und Mannes Brodkey weniger gern hat als jene Momente in dieser Essaysammlung, da der Autor einmal den Blick auf etwas wirft, das größer ist als er selbst, auf New York zum Beispiel. Oder lesen wir gerade diese Texte im Augenblick nur etwas genauer? Wie auch immer, meint Auffermann, es ist mehr der Blick Pasolinis als derjenige Tarantinos, der in solchen Abschnitten registriert, und das gefällt ihr. Gefällt ihr auch besser als etwa der "überkandidelte" Aufsatz "Über die Freundschaft" oder die "Bemerkungen zum amerikanischen Faschismus" (über die uns Auffermann ruhig etwas genauer hätte sagen können, wie man sie sich vorzustellen hat), die für sie "besser im Nachlass geblieben wären", aus dem sie stammen. Hat da die Herausgeberin Ellen Brodkey womöglich Angst, ihr Mann könne in Vergessenheit geraten? Braucht sie nicht, schließt Auffermann versöhnlich. "Wer etwas über das Schreiben wissen möchte, erfährt es hier."

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