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Olivier Guez begibt sich auf eine sehr persönliche Spurensuche und schreibt die deutsch-jüdische Geschichte weiter: Wie kam es dazu, dass im Land der Mörder fast siebzig Jahre nach dem Holocaust wieder Juden leben?
Jüdisches Leben ist heute in Deutschland überall sichtbar: Synagogen werden wiederaufgebaut, eine junge Generation definiert selbstbewusst ihr Judentum. Angesichts der Vernichtung von Millionen Juden im Nationalsozialismus grenzt diese Entwicklung an ein Wunder. Wie konnte es dazu kommen? Olivier Guez befragt prominente Zeitzeugen wie Edgar Hilsenrath und Ralph Giordano, warum…mehr

Produktbeschreibung
Olivier Guez begibt sich auf eine sehr persönliche Spurensuche und schreibt die deutsch-jüdische Geschichte weiter: Wie kam es dazu, dass im Land der Mörder fast siebzig Jahre nach dem Holocaust wieder Juden leben?
Jüdisches Leben ist heute in Deutschland überall sichtbar: Synagogen werden wiederaufgebaut, eine junge Generation definiert selbstbewusst ihr Judentum. Angesichts der Vernichtung von Millionen Juden im Nationalsozialismus grenzt diese Entwicklung an ein Wunder. Wie konnte es dazu kommen? Olivier Guez befragt prominente Zeitzeugen wie Edgar Hilsenrath und Ralph Giordano, warum sie ausgerechnet ins Land des Holocaust zurückkehrten. Er erzählt von den erschütternden Erlebnissen der "unerwünschten" Displaced Persons, die nach dem Krieg hier strandeten, und spricht mit denen, die nicht zurückkehrten wie Fritz Stern und Peter Gay. Eine bewegende Geschichte, die trotz Schmerz, Angst und Trauer auch von der Hoffnung auf Leben erzählt.
Autorenporträt
Olivier Guez, geboren 1974 in Straßburg, studierte Politische Wissenschaften und Internationale Beziehungen sowie Rechtswissenschaften. Tätigkeit für die OSZE in Bosnien und als Journalist in Frankreich, Belgien und Mittel- und Lateinamerika. Seit 2005 lebt und arbeitet Olivier Guez als Journalist und Buchautor in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.05.2011

Die unmögliche Rückkehr
In aller Ambivalenz - Olivier Guez' Buch über Juden in Deutschland nach 1945 / Von Philipp Blom

Ein Freund von mir, ich werde ihn Richard nennen, musste mit seinen Eltern 1938 aus Berlin flüchten, damals war er siebzehn. Seit damals, als er als Sohn ehemals wohlhabender Eltern, die alles verloren hatten, ein neues Leben eroberte, lebt er in London. Er hat dort als Ingenieur Karriere gemacht, geheiratet, eine Tochter gehabt und einen Bruder begraben. Heimisch geworden ist er in seinem britischen Asyl nie. Er spricht immer noch mit einem Berliner Akzent, hat Schwarzbrot und deutschen Schnaps im Haus, hört deutsches Radio, sieht Fernsehsender aus Deutschland. In seinen Regalen stehen die Fachbücher eines Ingenieurs neben Werken und Biographien von Heine, Brecht und Tucholsky und neben Büchern über das Kaiserreich und die Weimarer Republik. Freunde bekommen Kaffee und Kuchen, die er mit ironischer Reverenz an England "a nice cup of tea" nennt. Wenn er das sagt, spricht er im Tonfall einer viktorianischen Gouvernante und sieht sein Gegenüber verschmitzt grinsend an.

Richard ist einer der letzten Repräsentanten der Gestrandeten der deutsch-jüdischen Emigration. Seit dem Krieg hat er immer wieder nach Deutschland zurückkehren wollen, hat aber seine Pläne immer aufgegeben oder auf unbestimmte Zeit verschoben. Er fährt aber regelmäßig hin, besonders nach Berlin, wo er, noch immer aufrecht trotz seiner fast neunzig Jahre, mit einer Mischung aus jugendlichem Hochgefühl und namenloser Trauer durch die Straßen geht. Er liebt dieses Land wie kein anderes, aber er hat es nicht gewagt, sich ihm wieder anzuvertrauen.

In Liebe und in Hass

In seinem neuen historischen Essay "Heimkehr der Unerwünschten - Eine Geschichte der Juden in Deutschland nach 1945" beschreibt und analysiert der französische Journalist Olivier Guez die Schicksale derjenigen Juden, die nach der Schoa ein Leben in Deutschland wählten, sei es, dass sie nach Krieg und KZ als displaced persons in Lagern lebten und schließlich hängen blieben, dass sie bewusst zurückkamen, um an ein deutsches Leben vor der Flucht anzuknüpfen, oder dass sie erst kürzlich aus Russland angekommen sind. Mit seiner sensiblen Auslotung von Debatten und Generationenfolgen schreibt Guez dabei auch, ganz en passant, eine Geschichte deutscher Befindlichkeiten zwischen Adenauer, 1968 und dem Irakkrieg - oder zwischen Adorno, Daniel Cohn-Bendit und Henryk M. Broder.

Vieles, was Guez über Juden im Nachkriegsdeutschland berichtet, überrascht. So entstanden die letzten Schtetl Europas nach 1945 ausgerechnet in deutschen Auffanglagern, in denen mehr als zweihunderttausend jüdische, hauptsächlich aus Polen kommende displaced persons lebten. Schon wenige Monate nach Kriegsende wurden zweihundert meist jiddische Zeitungen in diesen Lagern produziert. Die meisten derer, die sie schrieben oder lasen, warteten nur auf ihre Ausreisegenehmigung nach Palästina oder Amerika. Auch wenn diese aber schließlich erteilt wurden, blieb die Auswanderung oft ein Traum; ältere Familienmitglieder, die nicht mehr neu anfangen wollten oder konnten, eine starke Bindung an Deutschland in Liebe und in Hass oder einfach Geschäfte und neu gegründete Existenzen - die im doppelten Wortsinn Zurückgebliebenen mussten von Neuem ihren Lebensort und ihr Selbstverständnis definieren.

Hier zeigt sich eine Dynamik, die sich als Konstante durch die jüdischen Nachkriegsgenerationen zieht, denn während es für die osteuropäischen Juden größtenteils pragmatische Gründe waren, die sie hielten, hatten viele Deutsche jüdischer Herkunft wesentlich persönlichere Motive für ihre Rückkehr. "Während dieser langen Monate der Angst hatte ich mir geschworen, dass ich Deutschland sofort nach Ende des Krieges verlassen würde", erinnert sich Ralph Giordano stellvertretend für viele und fügt hinzu: "Nach der Befreiung wurde mir klar, wie sehr ich trotz der Leiden und des Verrats, denen wir ausgesetzt waren, mit meiner Stadt, Hamburg, verbunden war und auch mit dem Deutschen, dieser wundervollen Sprache - sie aufzugeben wäre ein weiteres schreckliches Opfer gewesen." Seine gewaltsamen Vergeltungsphantasien goss er in seinen Roman "Die Bertinis".

Die Geschichte des jüdischen Nachkriegsdeutschlands aber ist auch eine Geschichte des deutschen Umgangs mit den begangenen Verbrechen, mit Vergeltung, Versöhnung und immer wieder Verdrängung. Klarsichtige Mahner wie Kurt Schumacher, Eugen Kogon ("Der SS-Staat") und Karl Jaspers blieben Ausnahmeerscheinungen in der intellektuellen Landschaft. Wohl nie ist die komplexe Dynamik aus Erinnern und Handeln stärker verdichtet worden als in den Reparationsverhandlungen, die Nahum Goldmann 1952 im niederländischen Wassenaar mit Konrad Adenauer hielt.

Psychische Lasten

Faszinierend ist, wie der Autor immer wieder deutsch-jüdische und allgemein deutsche Gemütslagen im Generationenrhythmus miteinander verschränkt und spiegelt. Während der ersten Nachkriegsjahrzehnte waren es oft Schuldkollektive, die einander gegenüberstanden, denn neben der offensichtlichen Täterschuld und ihrer häufigen Leugnung in der deutschen Öffentlichkeit war innerhalb der jüdischen Gemeinschaft die Überlebensschuld eine starke psychologische Belastung. So wird der Eichmann-Prozess ebenso zum Katalysator kollektiver Ängste und Hoffnungen wie das Buch "Die Unfähigkeit zu trauern" von Alexander und Margarete Mitscherlich, und Jean Amérys psychologisches Zerbrechen und sein Selbstmord bekommen Emblemcharakter.

Mit der Ungerechtigkeit der Jugend war der aktive Zionismus einer ersten jüdischen Nachkriegsgeneration auch ein Vorwurf gegen die in Deutschland gebliebenen Eltern, und der Sechstagekrieg führte sogar zu einer Solidarisierung mit den ebenfalls enthusiastischen Generationsgenossen und verortete Israel als zentralen Referenzpunkt. 1968 sah die Generationsrevolte überall, wenn auch mit wechselnden ideologischen Versatzstücken, und spätestens Willy Brandts Kniefall vor dem Denkmal des Warschauer Aufstands 1970 (für den er harsche Kritik von innen erntete) besiegelte die Existenz einer neuen moralischen Basis für die Aushandlung von Verantwortlichkeit und Selbstbild in der Bundesrepublik.

Die herausragende Wichtigkeit, die Guez der amerikanischen Fernsehserie "Holocaust" von 1979 als kollektivem emotionalem Durchbruch einräumt, überrascht, ist aber schlüssig. Vielleicht hatte Deutschland wirklich die Familie Weiss nötig, um einer neuen Generation das Ausmaß der NS-Verbrechen in einer der Zeit angemessenen, das heißt vom Fernsehen transportierten Seifenopern-Dramatisierung nahezubringen. Es kommt erschwerend hinzu, dass Film und Fernsehen in Deutschland selbst noch keine Sprache gefunden hatten, um mit der jüngsten Vergangenheit umzugehen - die Nazizeit war ein unbekannter Kontinent im deutschen Film.

Normalität und Furcht

In der DDR, offiziell antifaschistisch und frei von Antisemitismus, verliefen die Entwicklungen anders - und meist im Sande. Neben der Rhetorik war kein Platz für ein tatsächliches Aufarbeiten der Geschichte, Juden konnten nur entweder vermeiden, überhaupt aufzufallen, und in Ausnahmefällen auswandern wie Ernst Bloch oder durch bedingungslose Loyalität im Staatsapparat reüssieren; so wurde Albert Norden, der Sohn eines Rabbiners, zum faktischen Propagandachef der DDR. Weitere Meilensteine säumen den Weg zur Gegenwart: Weizsäckers große Rede zum 8. Mai 1985, der Historikerstreit, "Der Müll, die Stadt und der Tod", linker, als Antizionismus getarnter, reflexhafter Judenhass und auf der anderen Seite der peinlich-hilflose Philosemitismus des Bildungsbürgertums mit seinem ernsthaften Enthusiasmus für Klezmer-Musik und jiddische Folklore. Auch nach zwei Generationen hat sich dieses Verhältnis nicht normalisiert - wie sollte es auch?

Die Ambivalenzen in der deutschen Öffentlichkeit werden auch auf diesen Seiten täglich zur Schau gestellt. Guez gelingt es, die innere Zerrissenheit der jüdischen Befindlichkeiten in Deutschland aufzudecken. Deutsche Juden, schreibt er, "sind sich bewusst, dass sie in einer großen Demokratie leben . . . Aber sie sind auch auf der Hut - nicht vollkommen beruhigt, noch nicht ,normalisiert'. Sie schätzen sich glücklich, weil die Medien sich für die Juden interessieren, fürchten aber, ihre übermäßige Herausstellung könne sich am Ende gegen sie wenden; sie beanspruchen Normalität, fürchten jedoch das Vergessen."

Die unmögliche Rückkehr ("L'impossible retour" ist der geglücktere Titel der französischen Originalausgabe) sei in vollem Gange, schreibt der Autor zum Abschluss und meint damit gerade auch die russischen Juden, die seit dem Mauerfall nach Deutschland kommen. Europa verändert sich durch massenhafte Migration aus ärmeren Ländern. Es wäre seltsam, wenn Verfasstheit und Perspektiven der deutschen Juden sich im Zuge dieser historischen Entwicklung nicht ebenfalls verändern würden. Die Zukunft des deutschen Judentums wird mehr denn je auf Russisch geträumt.

Olivier Guez: "Heimkehr der Unerwünschten - Eine Geschichte der Juden in Deutschland nach 1945". Piper-Verlag, 410 Seiten, 16,99 Euro. Der Historiker Philipp Blom lebt in Wien und veröffentlichte zuletzt "Böse Philosophen. Ein Salon in Paris und das vergessene Erbe der Aufklärung".

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Als vor etlichen Jahren der jüdische Psychoanalytiker Sammy Speier gefragt wurde, wie er es aushalte, in Deutschland zu leben, fragte er, ohne mit der Wimper zu zucken, zurück: "Und Sie, wie halten Sie es aus?". Gabriele von Arnim erzählt diese Episode, und sie ist nur eine von vielen, die sie für Olivier Guez' Buch "Heimkehr der Unerwünschten" eingenommen hat. Der französische Journalist verfolgt darin die ihm unerklärliche Frage, wie Juden nach dem Holocaust nach Deutschland zurückkehren konnten. Er umreißt dafür kursorisch die deutsche Nachkriegsgeschichte und befragt bekannte jüdische Autoren, von Edgar Hilsenrath und Imre Kertesz über Henryk Broder und Maxim Biller bis zu Micha Brumlik und Michael Wolffsohn. Arnim fand Guez' Ausführungen nicht immer ganz tiefgründig und nicht immer ganz neu, sie weiß aber, dass das Buch für französische Leser geschrieben wurde, weswegen sie dies Guez nachsieht. Denn alles in allem fand sie das Buch doch erhellend, dank der "klugen Neugier" des Autors.

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